BKA findet angeblich militante gruppe (mg)

Anna 08.11.2003 17:31 Themen: Repression
Laut "Focus" haben BKA-Fahnder die seit zwei Jahren gesuchte autonome berliner Gruppierung "militante gruppe (mg)" dingfest gemacht. Zusätzlich zu den davon natürlich völlig unabhängigen Magdeburger Verfahren droht somit nun ein weiterer großer 129a Prozess.
Die "Feierabend-Terroristen" (Focus) seien bisher beim Staatsschutz noch nicht in Erscheinung getreten gewesen, erst im Zuge der Ermittlungen nach der (mg) seien die vier Männer zwischen 30 und 49 Jahren ins Visier geraten und werden nun mit dem Vorwurf der Bildung einer Terroristischen Vereinigung schwer zu tragen haben. Ob es allerdings wirklich zu einem Prozess kommt steht noch völlig in den Sternen: Beweise gegen die vier gebe es nocht nicht.

Die (mg) war nicht zuletzt durch lange Szenediskussionen um eine gruppenübergreifende Vernetung (Militante Plattform) und über die Frage nach dem Grad der Militanz bekannt geworden, schickte dem einen oder anderen ihrer Zielpersonen auch mal scharfe Patronen per Post und verübte zahlreiche Brandanschläge vor allem im Raum Berlin bereits seit Februar 2001. Die in der Debatte ebenfalls von der (mg) angestoßene Frage über die "gezielte Liquidierung von Entscheidungsträgern" stoß im Übrigen auch bei einigen autonomen Gruppen auf wenig positive Resonanz. Auch der Verfassungsschutz analysiert in seinem Bericht 2002, dass ein unmittelbarer Übergang in den bewaffneten Kampf seitens der (mg) nicht in Rede stehe.

Bundesweit in die Schlagzeilen geriet die (mg) spätestens im April diesen Jahres, als sie für den Berliner ersten Mai bis dahin ungekannte Gewaltorgien androhte und die "Bild" noch einen drauflegte indem sie mitteilte, die (mg) habe eine schwarze Liste von "Sozialtechnokraten" erstellt.

Die vier beschultigten Personen arbeiteten laut "Focus" als Taxifahrer und Mitarbeiter einer alternativen Bäckerei-Kollektivs in Berlin. Eine besondere Brisanz erhält die Gruppierung durch den Zufall eines Italien-Aufenthalts einer der vieren: Jonas Erik F. habe im Oktober 2002 im selben Ort wie BK Gerhard Schröder seinen Urlaub verbracht und einmal am selben Tisch gegessen, sogar ein Foto soll dabei entstanden sein.

Dass gegen mehrere Personen im Bezug zur (mg) ein Ermittlungsverfahren wegen "Bildung einer terroristischen Vereingung" laufe sagte eine Sprecherin des BKA. Ob Wolfgang B., Jonas Erik F., Markus H. und Ernst-Joachim U. die einzigen sind beruht einzig auf "Focus"-Recherchen und kann sich dementsprechend also noch als völlig falsch erweisen.


Verweise:

Welt: "Neue Terrororganisation droht Politikern"
 http://www.welt.de/data/2003/04/29/81135.html

Focus: "BKA entlarvt ,Feierabend-Terroristen'"
 http://news.focus.msn.de/G/GN/gn.htm?snr=126422&streamsnr=7&q=4

AP: "Polizei findet laut Magazin linksextreme Terrorzelle"
 http://de.news.yahoo.com/031108/12/3qp7i.html

VS 2002
 http://www.verfassungsschutz.de/news/vsb2002.pdf (S.127ff)
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

nicht Italien

Verbesserer 08.11.2003 - 19:37
Kleiner fehler dort: Das mit Schröder soll nicht in Italien gewesen sein, sondern laut Focus in einem italienischen Restaurant in Berlin

tut mir leid: sonst kein Inhalt zu berichten :(

Bild-niveau

Igorowitsch 08.11.2003 - 20:47
Völlig lachhaft. Da werden Namen lanciert, ein angebliches 129a Verfahren an die Wand gemalt, aber alles ist unklar???
Hausdurchsuchungen und Festnahmen hat es keine gegeben??
Aber per Focus werden erstmal die Verdächtigen bekanntgegeben??
ich würde da erstmal garnix drauf geben...

focus online

asd 09.11.2003 - 10:51
focus online ist auch nicht besser als das printmagazin, obwohl davon ja voellig unabhaengig, ganz aehnlich spiegel online/spiegel.
das zeigt sich gerad daran, dass der link nicht mehr geht und die story zurzeit nicht mehr auf der seite ist..

Focus-online_Text jetzt hier:

: P 09.11.2003 - 20:40

Bericht aus ak Nr. 478 vom 21.11.2003

Marta Gans 21.11.2003 - 09:47
ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis

Von wegen Fakten, Fakten, Fakten
Focus fantasiert Berliner "Terroristen" herbei

"BKA enttarnt angebliche Extremisten" (Berliner Zeitung), "Feierabend-Terroristen auf der Spur" (Die Welt) oder "BKA kreist Militante ein" (Berliner Kurier) - die Vorabmeldung des Focus zeigte seine beabsichtigte Wirkung. Aus einer internen Quelle des Bundeskriminalamts (BKA) entsprechend versorgt, machte das "moderne Nachrichtenmagazin" aus München aus Mutmaßungen und Unterstellungen eine Skandalstory - das besondere Perdu: Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder durfte eine Statistenrolle spielen. Dass an der Sache nichts dran ist, musste selbst das BKA zugeben. Doch offenbar ist jedes Mittel recht, um den Druck auf die militante gruppe (mg) zu erhöhen und deren Gefährlichkeit ins Maßlose zu steigern.

Reißerischer geht es wohl kaum noch: Unter der Überschrift "Familienfoto mit Kanzler" (1) veröffentlichte der Focus die Geschichte seines Autors Josef Hufelschulte, der für seine intimen Kontakte zu den Staatsschutzbehörden sattsam bekannt ist. Handfestes hat der Staatsschutzschreiberling jedoch nicht zu bieten: Nach "zuverlässigen Focus-Informationen" habe das BKA vier Berliner im Alter zwischen "30 und 49 Jahren" identifiziert, "die zum konspirativen Kern der ,Militanten Gruppe` gehören sollen". Der Tipp sei vom Berliner Verfassungsschutz gekommen, die Personen stünden bereits längere Zeit unter Beobachtung, hätten aber alle keine "dicke Staatsschutzakte", wusste Focus zu berichten.

Die vier Berliner erfuhren erst aus der Presse, dass gegen sie wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung" nach §129a StGB ermittelt wird. Festnahmen und Durchsuchungen fanden bislang nicht statt. Zur Begründung liest sich das im Focus so: ",Uns fehlen noch ein paar hieb- und stichfeste Beweise, gibt ein Kenner des Falls unumwunden zu." Also baut das BKA Hand in Hand mit dem Focus schon mal vor. Das Magazin fabuliert geheimnisvoll, "niemand will ausschließen", dass es sich bei dem "enttarnten Quartett" nur um die "ideologischen ,Schreibtischtäter" handelt und "andere Komplizen die eigentlichen Brandsätze" zünden. Mit anderen Worten: Man hält sich alle Optionen offen. Entweder man legt nach und spitzt die Vorwürfe gegen die vier hinsichtlich "Rädelsführerschaft" zu, oder man hat so schon vorgesorgt, um die Sache sang- und klanglos fallen zu lassen.

Für die letztere Variante spricht einiges. Denn darüber, wie man die militante gruppe einzuschätzen habe, gibt es offenbar zwischen den verschiedenen Staatsschutzbehörden erhebliche Differenzen. Die mg war nicht zuletzt durch Diskussionen um eine Vernetzung militanter Gruppen und über die Frage nach dem Grad der Militanz bekannt geworden. (2) Eine ihrer ersten Aktionen war die Verschickung von scharfen Patronen an Mitglieder der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft". Daneben ist sie vor allem im Raum Berlin mit zahlreichen Anschlägen in Erscheinung getreten, zuletzt am 29. Oktober auf zwei Fahrzeuge der Entsorgungsfirma Alba wegen deren Entlassungs- und Ausbeutungspolitik.

"Der Berliner Verfassungsschutz betrachtet die Gruppe eher gelassen", so Otto Diederichs im Berliner Tagesspiegel. (15.5.02) Der ausgewiesene Experte in den Bereichen "Innere Sicherheit", Polizei und Geheimdienste verweist auf die Berliner VS-Chefin, Claudia Schmidt, die im parlamentarischen Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses letztes Jahr die Meinung vertrat, mit Angriffen der mg auf Personen sei nicht zu rechnen, dies sei "in der Szene nicht zu vermitteln". Auch im aktuellen Berliner VS-Bericht nimmt man die vollmundige Verbalradikalität der mg nicht für bare Münze: "Mit ihren militanten Aktionen hebt sich die ,mg` nur unwesentlich von anderen militant agierenden Gruppierungen ab. Der Unterschied zu
Brandanschlägen und sonstigen Sachbeschädigungen durch andere autonome Gruppierungen ... besteht in der Art der Selbstbezichtigung. Hier verwendet die ,mg` einen theoretisch-abgehobenen Duktus, der sich am Stil der ,Roten Armee Fraktion` (RAF) orientiert." Es gebe keine Erkenntnis "über eine Eskalation der militanten Aktionen", so die Berliner Verfassungsschützer. (3)

Beweise: Fehlanzeige
Beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln fällt die Bewertung anders aus. Laut Welt attestiert man dort der mg und anderen autonomen Gruppen eine "zunehmende Bereitschaft", neben "sachschadenorientierten" auch "personenschadenbezogene Praktiken" anwenden zu wollen. (10.11.03) Spiegel Online berichtete zeitgleich mit der Vorabveröffentlichung des Focus über eine vertrauliche Analyse der Kölner GeheimdienstlerInnen, in der davon die Rede sei, die mg treibe "maßgeblich die Vernetzung von Untergrundzellen" voran. (8.11.03) Gemeint ist damit wohl die von der mg angestoßene so genannte Militanzdebatte, die seit 2001 in der Berliner Szenezeitschrift interim geführt wird. (vgl. ak 477) Die Kölner VS-AnalystInnen warnen in ihrem Bericht vor einer bevorstehenden Anschlagsserie. Hintergrund laut Spiegel Online: Mitte Oktober seien an acht Orten in einer "bundesweit koordinierten Aktion" Anschläge auf Arbeitsämter verübt worden. "Die Behörden erwägen deshalb, eine Sondersitzung der ,Koordinierungsgruppe Terrorismus` (KGT) einzuberufen." An der KGT nehmen
unter Federführung des Bundesamts für Verfassungsschutz u.a. VertreterInnen des BKA, der Länderpolizeien und der Bundesanwaltschaft teil. Wollte da jemand durch seine Indiskretion gegenüber dem Focus für eine entsprechende mediale Vorbereitung sorgen? Focus wusste jedenfalls zu berichten: "Die BKA-Fahnder stehen seit Monaten unter Druck."

Wer treibt da wen?
Während man im Bundesamt für Verfassungsschutz also meint, vor einer "latenten Bereitschaft zu terroristischen Aktivitäten" warnen zu müssen, hat das BKA keine Hinweise auf geplante Anschläge gegen Personen. "In den Sicherheitsbehörden gibt es derzeit keine einheitliche Linie", konstatiert die Welt. (10.11.03) Es kann vermutet werden, dass diese Feststellung auch für das BKA zutrifft. Die Focus-Veröffentlichung ist zumindest nicht die erste Indiskretion aus Reihen des BKA im Zusammenhang mit der mg. Im April machte die Bild mit der Schlagzeile auf, fünf Jahre nach der Selbstauflösung der RAF würde sich eine neue "linke Terrorszene" bilden. Als Beleg präsentierte Bild eine Namensliste potenzieller Attentatsopfer, die - so Bild - laut BKA die mg erstellt haben soll. Das BKA dementierte umgehend die Existenz einer solchen Liste. Offensichtlich gibt es eine undichte Stelle im BKA, die Interesse daran hat, den Fahndungs- und Ermittlungsdruck auf die mg zu erhöhen.

Dass das BKA "offenbar die Anführer einer gefährlichen linksradikalen Gruppierung enttarnt hat", wie Focus weismachen will, darf getrost bezweifelt werden. Um die magere Kost aufzuwerten, musste dann eine zufällige Begegnung zwischen einem Beschuldigten und Gerhard Schröder herhalten. Der war mit Frau, Kind und Schwiegereltern italienisch essen - am Nebentisch der Kanzler nebst Gattin, wobei das "Familienfoto mit Kind" entstand. Mehr als Banalitäten, die unter den Händen von Staatsschutz und Staatsschutzjournaille ins gewünschte "Terror"-Bild gepresst werden, bietet die Focus-Story nicht. Das BKA will durch abgehörte Telefonate von dieser Begegnung erfahren haben, so Focus. Dass sich der Beschuldigte seit über einem Jahr gegen seine Telefonüberwachung - von der er nur durch Zufall erfahren hat - anwaltlich wehrt, verschweigt man dann
lieber, passt das doch nicht ins Bild eines "gemeingefährlichen Terroristen". Stattdessen dreht man die Sache um, und spricht von einer "fatalen" Fahndungspanne. Überrascht wird man beim Focus wahrscheinlich gewesen sein, dass sich der Beschuldigte presserechtlich gegen die Veröffentlichung - und zwar mit Erfolg - gewehrt hat.

Nicht nur die aktuelle Focus-Veröffentlichung zeigt das gesteigerte Interesse der Staatsschutzbehörden an der mg. Laut Berliner Zeitung hat das BKA bestätigt, dass sich die Ermittlungen nicht nur auf die vier Berliner beschränken. (10.11.03) Dass die Staatsschutzbehörden mit allen Mitteln in dieser Sache Erfolge erzielen wollen, zeigt auch das Beispiel Magdeburg. (vgl. ak 477) In der Elbstadt war es seit 2001 zu vier Brandanschlägen gekommen, zu denen sich verschiedene Kommandos bekannt hatten. Nach monatelanger Totalüberwachung der Magdeburger linken Szene präsentierte die BAW erst zwei, dann drei Szeneaktivisten, denen momentan in Halle der Prozess wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung" nach §129a StGB gemacht wird. Für das angebliche "Zusammenwirken" in einer "militanten Offensive" mit der mg blieb in der Anklage nichts übrig, auch wenn etwa der VS Berlin die Festnahmen in Magdeburg als "erste Exekutivmaßnahme gegen eine an der Militanzdebatte beteiligten Gruppierung" gefeiert hatte. Ob diese Bewertung dem Urteil des zuständigen Oberlandesgerichts
Naumburg standhält, daran gibt es momentan Zweifel.

Desinformation als Mittel zum Zweck
Der Magdeburger §129a-Prozess wie auch die Focus-Veröffentlichungen zeigen deutlich: Bei der Kriminalisierung gegen Linke ist die über Jahrzehnte eingeübte Repressionslogik der bundesdeutschen Sicherheitsapparate trotz aller gesellschaftlichen Brüche und des Bedeutungsverlustes der radikalen Linken ungebrochen. Ist der Apparat erst einmal auf die Spur gesetzt, kommt das gesamte, umfangreiche Arsenal polizeilicher und geheimdienstlicher Ermittlungsmethoden zum Einsatz - inklusive Desinformation. Die Wette gilt: Das Focus-Beispiel war nicht das letzte seiner Art.

Anmerkungen:

1) alle Zitate, soweit nicht anders gekennzeichnet, aus; Focus Nr. 46, 10.11.2003
2) dokumentiert unter:  http://www.geocities.com/militanzdebatte/
3)  http://www.berlin.de/seninn/verfassungsschutz/Publikationen/jb_akt.htm

Keiner ging in die Falle - Keine Verhaftungen

christoph villinger 22.11.2003 - 19:07
Artikel aus: jungle world vom 19.11.2003

Der Feind an seinem Tisch

Die angebliche Enttarnung von Mitgliedern der »Militanten Gruppe« war ein reines Medienspektakel. Weil die Staatsgegner abhanden gekommen sind, müssen neue gesucht werden.

Du sitzt am Frühstückstisch, knabberst an deinem Marmeladenbrötchen und liest die Zeitung. »Fahnder enttarnen vier Terroristen«, steht da. »Mitglieder der ›militanten gruppe‹ (mg) aber noch nicht festgenommen.« Dazu vier Namen, die Vornamen ausgeschrieben, die Nachnamen abgekürzt, und eine ausführliche Beschreibung der beruflichen Tätigkeiten der Personen. Ein Vorname, der Anfangsbuchstabe des Nachnamens, Ort und Beruf treffen auf dich zu. »Kann das ein Zufall sein? Oder meinen die etwa mich?« Erschrocken springst du auf. Steht die Polizei schon vor der Tür?

Am Samstag vor zehn Tagen gab der Focus eine seiner berüchtigten Vorabmeldungen heraus. In der Geschichte, um die es geht, schreibt der Autor Josef Hufelschulte, das Bundeskriminalamt (BKA) habe vier Mitglieder der Berliner MG enttarnt, und fragt empört, warum sie immer noch nicht festgenommen seien. Die Meldung verbreitet sich in der ganzen Republik. In den Nachrichten des Info-Radios, in der lokalen Fernsehsendung »Abendschau« und im Tagesspiegel wird die Neuigkeit ungeprüft als Tatsache wiedergegeben.

Besonders tut sich der Berliner Kurier hervor. Die Boulevardzeitung stürzt sich auf die Anekdote, einer der Betroffenen habe vor einem Jahr gemeinsam mit seiner Frau, seinem Kind und seinem Schwiegervater in einem edlen italienischen Restaurant am Nachbartisch von Gerhard und Doris Schröder gesessen. »Unser Kanzler« also gleich neben »einem Terroristen«.

Im zwei Tage später erscheinenden gedruckten Artikel schränkt der Focus ein, »ein Kenner des Falls« habe gesagt: »Uns fehlen noch ein paar hieb- und stichfeste Beweise.« Das heißt auf Deutsch: Es gibt keine Beweise. Auch eine Woche nach der Focus-Meldung fand bei den vier Betroffenen weder eine Hausdurchsuchung statt, noch wurde ein Haftbefehl ausgestellt.

»Das ist alles hochgradig nebulös«, sagt der Anwalt Sven Lindemann, der einen der vier Betroffenen vertritt. »Uns ist kein anderes Beispiel bekannt, bei dem Namen mit solchen Vorwürfen in der Presse genannt werden und nichts passiert.« Dass es »Ermittlungen des BKA im Auftrag der Bundesanwaltschaft (BAW) wegen der Mitgliedschaft in der MG gegen mehrere Personen gibt«, bestätigt Martina Link, die Pressesprecherin der Fahndungsbehörde, der Jungle World. Doch gegen wen und wie viele Personen sie sich richten, lässt auch sie im Unklaren. Gegenüber der Berliner Zeitung sprach sie davon, dass »noch die entscheidenden Beweise fehlen«.

Auch dass es inzwischen im BKA ein internes Ermittlungsverfahren wegen »Verrats von Dienstgeheimnissen« gibt, will Link nicht bestätigen. Die vier Betroffenen schalteten inzwischen den in Presserechtsfragen versierten Anwalt Johannes Eisenberg ein, um gerichtlich gegen den Focus und den Berliner Kurier vorzugehen. Der Kurier bot sofort einen Vergleich an.

In der Berliner Szene spekuliert man nun über den Hintergrund der Pressemeldung. Konnte ein Fahnder des BKA abends in der Kneipe seinen Mund nicht halten, bekam der Focus-Reporter dies zufällig mit, und sorgte der Konkurrenzdruck zwischen den Medien für den weiteren Ablauf? Wollte das BKA einfach mal schauen, wer auf eine solche Meldung reagiert? Rächen sich frustrierte BKA-Fahnder nach jahrelangen erfolglosen Ermittlungen? Zumindest einem der Betroffenen ist seit über einem Jahr bekannt, dass sein Handy abgehört wird, weil seine Telefongesellschaft ihm fälschlicherweise die Kosten für die Überwachung auf die Rechnung setzte.

Seit Jahren fahndet der Staatsschutz vergeblich nach der MG, die sich für rund 20 Anschläge auf Finanzämter, Justizgebäude und Autohäuser in Berlin und Umgebung verantwortlich erklärte. Bekannt wurde die Gruppe, als sie im Juni 2001 auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern Otto Graf Lambsdorff und zwei weiteren herausragenden Vertretern der deutschen Industrie jeweils »persönlich eine scharfe Patronenkugel« zuschickte. »Die Täter von gestern und heute zur Rechenschaft ziehen«, lautete die Parole im mitgeschickten Schreiben.

In der autonomen Szene stieß das Kokettieren mit »dem Einsatz weiter gehender Mittel« als Sachbeschädigung größtenteils auf Ablehnung. Dafür war der Fahndungsapparat alarmiert, dem in den letzten Jahren der Gegner abhanden gekommen war. Den Sicherheitsbehörden macht der von der MG in der Szenezeitschrift Interim betriebene Versuch Sorgen, eine »militante Plattform« aufzubauen. Nach Angaben des Spiegel erwägen sie deshalb, eine Sondersitzung der »Koordinierungsgruppe Terrorismus« einzuberufen, in der unter anderem Polizei, Verfassungsschutz und die BAW vertreten sind.

Überhaupt brauchen diese Behörden neue Betätigungsfelder. Denn die BAW ist im Augenblick mit einem juristischen Problem konfrontiert, das einige ihrer Mitarbeiter arbeitslos machen könnte. 20 Jahre lang haben viele hoch bezahlte Staatsanwälte einen entscheidenden Satz im Paragrafen 129a überlesen. Darin heißt es mit Verweis auf den Paragrafen 129, Absatz 6: »Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern (…) Erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.« Gilt das, sobald die Auflösungserklärung einer Gruppe vorliegt?

Zum ersten Mal spielte die Formulierung im Verfahren gegen drei Männer aus Magdeburg vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg eine Rolle (Jungle World, 43/03). Die drei sollen diverse Brandanschläge verübt und einer terroristischen Vereinigung angehört haben, die jedoch, davon geht die Bundesanwaltschaft schon in ihrer Anklageschrift aus, inzwischen aufgelöst sei. Deshalb stellte das OLG bei einer Haftprüfung die eigene Zuständigkeit in Frage und legte den Fall dem Bundesgerichtshof (BGH) vor. Dieser übergab das Problem zwar wieder dem OLG und beauftragte es festzustellen, ob die Vereinigung wirklich aufgelöst sei. Zwischen den Zeilen gab der BGH aber zu, dass an der Argumentation etwas dran sei.

Sollte sich die Interpretation durchsetzen, dass man wegen der Mitgliedschaft in einer inzwischen aufgelösten terroristischen Vereinigung nicht bestraft werden kann, hätte das weit reichende Folgen. Der Anwalt Sven Lindemann erklärt, dann würde beispielsweise im Prozess gegen die Magdeburger »der Paragraf 129a als Anklagepunkt komplett wegfallen, weshalb dann die BAW nicht mehr zuständig wäre, sondern eine normale Staatsanwaltschaft und ein normales Landgericht«. Die Beschuldigten könnten nur noch wegen konkreter Straftaten angeklagt werden.

Große Bedeutung hätte das auch für die heute noch als Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) Gesuchten. Schließlich liegt seit April 1998 eine »amtliche« Auflösungserklärung der RAF vor.

Im Berliner Verfahren gegen angebliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) versuchen seit Wochen einige Anwälte, ihre Interpretation diverser Texte der RZ zwischen 1988 und Anfang der neunziger Jahre als faktische Auflösungserklärungen durchzusetzen. Sollten sie erfolgreich sein, müsste das Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129a gegen mehrere Personen, die seit 1988 unter anderem wegen angeblicher Mitgliedschaft in den RZ gesucht werden, ganz eingestellt werden. Übrig blieben Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz. Doch nur damit konfrontiert, könnten sie schon etwas ruhiger das Frühstück genießen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 3 Kommentare an

das glauben sie wohl selber nicht — militante gruppe

Don`t believe the hype! — Zonenmaoist

focus als quelle.. — mondmann