Bericht über ein vergessenes Ausreisezentrum

Peter Nowak 03.11.2003 16:51 Themen: Antirassismus
Bei Halberstadt existiert ein Ausreisezentrum, dass bisher auch in der antirassistsichen Bewegung auf wenig Aufmerksamkeit gestossen ist. Dabei haben sich Flüchtlinge schon lange dagegen gewehrt. Jetzt gibt es auch Proteste von antirassistischen Gruppen aus der Region
Flüchtlinge und antirassistische Gruppen fordern die Schließung des Ausreisentrums in Halberstadt

„Ziel der an humanitären Grundsätzen ausgerichteten Ausländerpolitik ist es daher, allen Ausländern ein Leben frei von Angst und Diskriminierung zu gewährleisten.“ Diese schönen Worte kann man auf der Homepage des Innenminister des Landes Sachsen /Anhalts lesen. In diesem Bundesland untergebrachte Flüchtlinge mahnen genau diese Humanität an. „Die Probleme, mit denen wir hier konfrontiert sind, sind schrecklich. ... Unsere Seele wird nach und nach zersetzt. Wir werden schlimmer als Kriminelle behandelt. Wir sind einzig und allein nach Deutschland gekommen, um unser Leben zu retten und nicht, um es weiteren Repressionen auszusetzen,“ heißt es in einem Offenen Brief aus dem Ausreisezentrum Halberstadt. Es wurde im Januar 2002 im Rahmen der Diskussion um ein Zuwanderungsgesetz in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Halberstadt errichtet. Die Flüchtlinge beklagen sich über willkürlichen Taschengeldentzug und tageweise Duldungen.
Auf der Homepage des Innenministeriums heißt es über die Insassen: „Durch eine intensive soziale und ausländerrechtliche Betreuung und Beratung sowie die ständige unmittelbare Erreichbarkeit der Ausländer soll die Bereitschaft zur Mitwirkung gefördert und gestärkt und letztlich die Ausreise dieser Personengruppe mit Nachdruck betrieben werden“. Für Matthias Kramer vom antirassistischen Cafe International in Halberstadt sind die Kriterien nach denen Flüchtlinge in das Ausreisezentrum eingewiesen werden, hochgradig subjektiv. „Schon der Begriff der Mitwirkungspflicht ist weit dehnbar“. Der Flüchtlingsbetreuter schildert gegenüber ND den Fall von M.D (Name der Redaktion bekannt), der mit seiner Lebensgefährtin in der Nähe von Halberstadt lebte, eine feste Arbeitsstelle hatte und mit seiner Freundin für den gemeinsamen Sohn sorgte. Nachdem er von der Ausländerbehörde von Wernigerode in das Ausreisezentrum Halberstadt eingewiesen wurde, darf er die Stadt nicht mehr verlassen. Auch die Arbeitserlaubnis sei ihm entzogen worden. Als besonderen Zynismus wertet er ein Schreiben, der für seine Einweisung in das Ausreisezentrum verantwortlichen Beamtin, in dem ihm vorgeworfen wird, den Unterhaltspflichten gegenüber seinem Sohn nicht nachzukommen.
Die Flüchtlingsbetreuter vom Cafe International befürchten, dass sich die Lebensbedingungen der Flüchtlinge durch weitere Erlasse des Innenministeriums von Sachsen/Anhalt noch verschlechtern könnten. Tatsächlich ist der Personenkreis für die Einrichtung erweitert worden, bestätigte Eva Schiener von der Pressestelle der Landesregierung Sachsen/Anhalt gegenüber ND. „Neben ledigen männlichen Personen besteht jetzt auch die Möglichkeit der Zuweisung von kinderlosen Ehepaaren. Die festgelegte Kapazität von max. 100 Bewohner kann, wenn die aktuelle Unterbringungssituation in nicht dagegenspricht, überschritten werden.“ Die Kritik der Flüchtlinge an der Unterbringung kann Frau Schiener nicht nachvollziehen. Für sie ist die Unterbringung „ein legitimes Mittel, um zielgerichtete behördliche Maßnahmen zur Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Heimreisedokumenten durchführen zu können.“


Peter Nowak
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Ergänzungen

Seminar u.a. zum Thema Ausreisezentrum Halber

Mister X 04.11.2003 - 14:34
Von Freitag, 28.11.03, 14 Uhr - Samstag, 29.11.03, 17 Uhr
veranstaltet der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt im Eine-Welt-Haus Magdeburg, Schellingstr. 3-4, Magdeburg eine Konferenz zum Thema Konferenz "Flüchtlingsunterbringung in Sachsen-Anhalt - aktuelle Situation und Perspektiven"

Zielstellung:
u.a.
·Menschenwürdige dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen
·Abschaffung des Ausreisezentrums
·Verbesserung der Lebenssituation von Flüchtlingen Nahziele: ·Konstruktiver Dialog und Vernetzung zwischen den verschiedenen Interessengruppen
·Überprüfung und Schaffung von landesweit einheitlichen Mindeststandards für die Unterbringung
·Problembewußtsein und Aufmerksamkeit für die Thematik Ausreisezentrum erhöhen
Diese Themen werden in Vorträgen und Workshops behandelt werden und einer dieser Workshops wird sich konkret auf die Möglichkeiten des Aufbaus eines möglichst breiten Protests gegen das Ausreisezentrum Halberstadt konzentrieren. Moderiert wird dieser Workshop von Vertretern von res publica (siehe untenstehende Homepage)

Näheres per Mail von AKEFF Halle:  AKEFF@gmx.net

Ausführlicheres zum Thema...

Lady Y 04.11.2003 - 14:49
.."Ausreisezentren" unter  http://www.ausreisezentren.de

Offener Brief der Flüchtlinge Halberstadt

Michael Müller 05.11.2003 - 07:23
15.08.03

Offener Brief aus dem Abschiebelager Halberstadt


"Betreff:
Situation der Menschen mit einem blauen Ausweis in der Ausreiseeinrichtung
Halberstadt

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir Unterzeichnenden möchten mit diesem Brief unsere Gefühle ausdrücken und
Sie auf die Probleme aufmerksam machen, unter denen wir täglich zu leiden
haben. Bitte nehmen Sie sich einen Moment für unsere Worte Zeit.

Zuerst möchten wir dem allmächtigen Gott danken, durch seine Gnade leben wir
bis zum heutigen Tag. Noch einmal danken wir Ihnen, dass Sie uns zuhören.
Obwohl in diesem Moment nicht alle hier sind, um diesen Brief zu unterzeichnen,
schreiben wir im Einvernehmen mit allen Menschen, die hier mit uns leben und
einen blauen Ausweis besitzen.

Die Probleme, mit denen wir hier konfrontiert sind, sind schrecklich. Wir
sind Menschen, wie jede andere Person von Gott geschaffen, aber unser Leben
wird täglich durch Gesetze mehr und mehr zerstört. Unsere Seele wird nach und
nach zersetzt. Wir werden schlimmer als Kriminelle behandelt. Wir sind einzig
und allein nach Deutschland gekommen, um unser Leben zu retten und nicht, um
es weiteren Repressionen auszusetzen. Wir möchten nicht als psychisch kranke
Menschen in unsere verschiedenen Länder zurückkehren in einem Zustand, der
schlimmer ist als vor unserer Einreise nach Deutschland. Während andere einen
normalen Asylprozess durchlaufen, werden wir als "Versuchskaninchen"
missbraucht. Wir bitten Sie, im Namen der Menschenwürde, sich unserer Sache anzunehmen
und uns Freiheit zu geben. Zu lange sind wir in einem Käfig eingesperrt, ohne
zu wissen, wie lange wir hier noch bleiben müssen. Wir sind hier schon
länger als ein Jahr!

"Der Mensch lebt nicht vom Brot allein."

a) Wegen der ungeklärten Zuständigkeiten für die Krankenbehandlung passiert
es, dass kranke Menschen keine richtige Behandlung bekommen.
b) Wir haben keinen Kontakt zu Freunden, weil wir kein Geld haben und
Halberstadt wegen der Residenzpflicht nicht verlassen dürfen.
c) Wir können keinen Anwalt haben.
d) Mehr als 80 % der Menschen hier leiden unter mentalen Problemen.
e) Kriminelle Gefangene leben besser als wir, obwohl wir keine Straftaten
begangen haben.

Wie kann ein Mensch für ein Jahr ohne einen Cent leben?

Wir beten, dass Sie sich unserer Sache widmen um eine Lösung zu finden.
Während sogar einige Menschen, die Straftaten begangen haben, heute frei sind,
sind wir ohne jegliches Vergehen eingesperrt.

Wir möchten nichts tun, das uns in Schwierigkeiten bringt. Wir möchten
unsere Freiheit bekommen und mit allen Menschen um uns herum in Frieden leben.

Möge Gott mit Ihnen sein.

Mit freundlichen Grüßen,

für die Menschen mit einem blauen Ausweis und in ihrem Namen:

(Unterschriften)"

PS: die Flüchtlinge, die in das Abschiebelager in Halberstadt eingewiesen
wurden, erhalten eine "Blaue Karte" mit Passfoto und Name, Nummer und
hauptsächlich Platz für den wöchentlichen Anwesenheitsstempel. Sie sollen sich jeden
Montag/Dienstag zwischen 8.30 Uhr - 10 Uhr dazu einfinden. Das Abschiebelager
befindet sich im 1. Block -es gibt 3- der ZAST Halberstadt im 4. Stock.

Cafe International Halberstadt

Michael Müller 05.11.2003 - 07:27
Cafe International/Zora e.V.
38820 Halberstadt


Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e. V
Schellingstraße 3-4
39104 Magdeburg

Schließung der Ausreiseeinrichtung in Sachsen-Anhalt/Halberstadt

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit knapp zwei Jahren läuft , weitestgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit, unberührt von der kritischen Begleitung durch Flüchtlingsorganisationen, in der Halberstädter ZASt das Projekt einer sogenannten "Ausreiseeinrichtung". Hier sollen bis zu 100 "sozial verträgliche" Personen in einem Versuch der Landesregierung Sachsen-Anhalt so lange und soweit sanktioniert werden, bis ihre Abschiebung möglich ist. Dabei sind folgende Punkte besonders zu beachten:

1. betroffen sind nur Ausländer, die bisher nicht straffällig geworden sind und nicht zur Gewalt neigen, d.h. die friedfertigen abzuschiebenden Ausländer.

2. nur diesen „sozial verträglichen" Personen werden sämtliche Taschengeldzahlungen gestrichen, über Jahre keine Bekleidungswertgutscheine gewährt, Bewegungsmöglichkeiten durch die Residenzpflichtbeschränkung auf den LK Halberstadt fast vollständig eingeschränkt, über Jahre vorgekochtes Essen vorgesetzt.

3. nur diese Personen sind der ständigen und willkürlichen Kontrolle und Entscheidung der Zentralen Abschiebestelle mit Duldungsverlängerung oder -verweigerung teilweise irn Tagesrhythmus ausgesetzt.

4. aus der Einrichtung kommt nur heraus, wer abgeschoben wird, dessen Abschiebung unmöglich wird (dazu müsste aber die ZASt die Identität des Ausländers anerkennen), nach langen und teuren Klageverfahren (wozu aber durch das fehlende Taschengeld und die Residenzpflicht kaum jemand in der Lage ist) oder durch kriminelle Handlungen, wodurch man selbst die Ausschlussgründe herstellen kann, was dann wieder das Erreichen der Sozialleistungen und der erweiterten Residenz zur Folge hat.

5. das Verfahren hat bisher nichts gebracht.

6. das beabsichtigte Zuwanderungsgesetz, auf welches sich diese Einrichtung beruft, ist bis zum heutigen Tage nicht in Kraft getreten.

Wir fordern Sie auf, sich mit aller Kraft in den letzten Wochen des Jahres vorrangig dieses Themas anzunehmen, damit die Einrichtung nicht in stillschweigender Übereinkunft eine weitere Verlängerung der "Probezeit" erlebt.

Mit freundlichen Grüßen
i.A. des Cafe International