Die Wut-Demo: 100.000 gegen Sozialkahlschlag

Frank Eßers 02.11.2003 17:52 Themen: Soziale Kämpfe
Schröder, zieh Dich warm an: 100.000 sind gegen Schröders Sozialabbau in Berlin auf die Straße gegangen. Für viele ist die Vorstellung von einem Generalstreik in Deutschland näher gerückt.
Ein Meer von roten Fahnen von verdi-Gewerkschaftern und IG Metallern. Die Gewerkschaftsführung hatte nicht aufgerufen, aber die Basis hat mobilisert. Gewerkschafter, Globalisierungskritiker und Antikapitalisten haben Seite an Seite protestiert. Der Anblick hat mich umgehaun.
Attac war da, PDSler, viele linke Gruppen, Sozialisten, sicher auch eine Menge enttäuschter Wähler und Basismitglieder von SPD und Grünen.
Jugendliche, alte Leute, Väter und Mütter mit ihren Kindern, Behinderte, Ausländer, Frauen mit und ohne Koptuch´waren da. Einfach alle, die unter den Kürzungen leiden. Und sie waren unglaublich wütend.
Ein Teil der Demonstranten forderte einen Generalstreik gegen Schröders Reformen. Die italienischen Kolleginnen und Kollegen haben das kürzlich vorgemacht.Nach dem heutigen kann man sich vorstellen, dass das auch in Deutschland möglich sind. Meine Erfahrung aus Gesprächen mitDemoteilnehmern war: Sie hatten Lust, "italienisch zu lernen".
Mit einem so großen Erfolg hatte keiner gerechnet - obwohl wir in den letzten Wochen alles gegeben haben, um den Protest groß zu machen. An mehr als 20.000 Teilnehmern hat wohl niemand geglaubt. Von wegen: In Deutschland geht nix. Und ob es geht, aber hallo! Heute abend feiere ich mit meinen Genossinnen und Genossen, das haben wir uns auch redlich verdient.
P.S.: Die Grünen-Spitze hatte noch vor zwei Tagen gesagt, dass nur "desorientierte Leute" auf die Straße gehen würden. DGB-Boss Sommer hatte Kundgebungen gegen den Sozialkahlschlag der Regierung erst am Donnerstag als "nicht besonders aussichtsreich" bezeichnet.
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Ergänzungen

Zum Artikel und zu Edward

xyz 02.11.2003 - 23:19
Hmmm... der Artikel hat die Überschrift "Die Wutdemo"...
das deckt sich, obwohl ich von gestern ziemlich begeistert bin, nicht mit meiner Beobachtung. Bis auf die anarchistischen Blöcke und den quietschlebendigen Jugendblock hatte ich eher das Gefühl, Verbitterung und einen Funken Resignation bei vielen zu spüren, ich glaube viele sind mitgegangen weil sie instinktiv spüren daß da grade was ganz schlimmes passiert, aber die wenigsten können es schon in Wut umsetzen. Die wird wahrscheinlich erst dann, wenn sich ein konkretes Gefühl zur Lage entwickelt - wenn amn den ersten Zehner beim arzt berappt hat, in ein Billiglohnverhältnis abgerutscht ist oder jeden Morgen die Rentner sieht, die sich an den Mülltonnen um eine Scheibe fortgeschmissenes Brot prügeln.

Auch wenns vielleicht noch ein gutes Stück abwärts geht (ich kann mir kaum vorstellen, daß sich die Regierung in irgendeiner Form von Demonstrationen beeinflussen läßt, wie groß sie auch immer seien - das hat leider schon beim Irakkrieg nicht geklappt und wäre auch absolut untypisch-), wird der Punkt kommen, wo die einen sich aufgeben und der Medienpropaganda unterliegen und die anderen ihre Wut nach draußen tragen und vom Polizeistaat Deutschland aus dem System "entsorgt" werden.

Zu Edward: mich erstaunt es nicht, daß viele sich kein neues System wünschen, sondern eine Verbesserung des alten. Denn zum einen gibt es kein tragfähiges Konzept für ein neues ("selbst" attac hat sich auf dem G8 in genf um diese frage herumgedrückt, und da ging es nur um eine Umgestaltung des Kapitalismusses), zum anderen wächst ein system, es läßt sich nicht konstruieren; zum anderen sind die globalen Verhältnisse alles andere als rosig und die wichtigen Medien fest in der Hand der Regierenden. Wenn also in Deutschland die Revolution ausbricht, wird es uns so ergehen wie den südamerikanischen Ländern: dann kommt nämlich "Uncle Sam" zur Hilfe und räumt auf. Denn die USA braucht uns als Handelspartner, auf Europa kann niemand verzichten. Und ich habe die Vermutung daß alle diese Verschärfungen der Überwachung, des Staatsterrors und des Sozialabbaus nur ein Ziel haben, nämlich die "Festung Europa" jetzt, wo die Fronten nicht mehr klar sind wie zu den zeiten des "Kalten Krieges", gegen USA und islamische Staaten stark zu machen. Das geht nur, wenn alle schön mit sich selbst beschäftigt sind und kein Platz mehr ist für persönliche entfaltung und Moral. Fast so, als wäre die "Letzte Schlacht" um die letzten Ressourcen schon angebrochen. Was da wirklich an Größe hintersteht kann sich glaub ich keiner so recht vorstellen und eine "Sozialisierung" des Kapitalismusses erscheint auch mir deutlich realistischer als die Revolution mit dem Nichts dahinter. Auch wenn ich selber diese Gesellschaftsform zum Kotzen finde.

Gegen das Elend und seine Betreuung

keinealternative 03.11.2003 - 00:53
"Die Kritik des Sozialabbaus ist nötig. Der Kampf gegen den Sozialabbau, der den alten Sozialstaat retten will, ist jedoch verkehrt. Wer den alten gegen den »modernen« Sozialstaat verteidigen will, der hält angesichts neuer Verelendung an der alten Elendsbetreuung fest. Der hat längst akzeptiert, dass die bleibende Grundlage des Sozialstaats die permanente und massenhafte Produktion von Schadensfällen aller Art durch das Kapital ist."
Freerk Huisken, in Jungle World Nr. 45

[Den gesamten Text kann man unter anderem lesen auf www.keinealternative.de]

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