Sicherungsverwahrung 2003

Thomas Meyer-Falk 01.11.2003 12:01 Themen: Repression
Sicherungsverwahrung 2003 - Analyse und persönliche Stellungnahme
Sicherungsverwahrung 2003 - Analyse und persönliche Stellungnahme


Am 21. und 22. Oktober 2003 verhandelte das Bundesverfassungsgericht ( http://www.bverfg.de) über die in Insiderkreisen nur "SV" genannte Sicherungsverwahrung.
Ich möchte in diesem Beitrag kurz erläutern, was die von den Nazis im 3. Reich eingeführte SV ist (A), wie der Alltag der SV aussieht (B), ob sie wirklich notwendig ist (C), um mit einem Ausblick (D) zu schließen.


A)Was ist SV?

1933 wurde die SV in das deutsche Strafrecht aufgenommen. Für gewöhnlich wird von einem Strafgericht für eine bestimmte Straftat eine Strafe, z.B. 5 Jahre Gefängnis verhängt; nun sollte es aber möglich sein, angeblich "unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher" auch nach Verbüßung der ihnen zugedachten Strafe verwahren zu können, hierzu wurde die SV geschaffen.

Nach 1949 wurde in der DDR die SV aus dem Gesetz getilgt, da sie "nationalsozialistischen Ungeist atme", in der BRD hatte man solche Bedenken nicht.

Während sich gerade die GRUENEN bis in die 90'er hinein engagiert für eine Abschaffung der SV einsetzten, war mit diesem Engagement umgehend Schluss, als sie an die Regierung kamen, heute verteidigen sie die SV als "notwendiges Instrument des Strafrechts".

Aber zurück zum Thema: Das Strafgericht entscheidet, ob ein Angeklagter als "gefährlich für die Allgemeinheit" anzusehen ist, ob er z.B. eine "Neigung" hat, Verbrechen zu begehen. Wird dies - auch seitens Sachverständiger - bejaht, kann und - mitunter auch - muss die SV (vgl. § 66 Strafgesetzbuch) verhängt werden.

Sodann verbüßt der Gefangene zuerst seine Freiheitsstrafe, bevor kurz vor Haftende die Strafvollstreckungskammer (ein Richterkollegium bestehend aus 3 RichterInnen am Landgericht der Vollzugsanstalt) darüber zu entscheiden hat, ob der Gefangene weiterhin als "gefährlich für die Allgemeinheit" anzusehen ist. Wird dies bejaht (dies ist der Regelfall), wird der Insasse in eine Abteilung für Sicherungsverwahrte (ebenfalls in einem Gefängnis höchster Sicherheitsstufe) verlegt. Alle 2 Jahre wird sodann überprüft, ob die Gefährlichkeit fortbesteht, ggf. wird er bis zu seinem Tode verwahrt. Zur Zeit sitzen ca. 300 Verwahrte in der SV (alles Männer, weshalb in diesem Beitrag stets die männliche Form gewählt wurde. Frauen trifft die SV in weniger als 1 % der Fälle).


B)Wie sieht der Alltag aus?

Der Verwahrte unterliegt der Pflicht zur Zwangsarbeit, ihm steht - im Falle der Arbeitslosigkeit - ein Taschengeld von ca. 50 Euro im Monat zu (einem arbeitslosen Strafgefangenen nur 30 Euro), er soll Privatkleidung tragen dürfen; in Baden-Württemberg darf er zusätzlich von privatem Geld für 20 Euro Kosmetika erwerben. Und er kann statt 3 Freßpakete im Jahr (diese stehen Strafgefangenen zu) 7 Freßpakete erhalten - damit sind dann aber auch die "Vergünstigungen" im Vergleich zur Strafhaft aufgezählt.

Der Alltag unterscheidet sich folglich nicht von dem eines Strafgefangenen: Arbeit, Freizeit, Nachtruhe! Tag für Tag, Jahr für Jahr, ohne absehbares Ende. Hie und da vielleicht Besuch von draußen - bei der Mehrzahl der Verwahrten gehen die Verbindungen jedoch im Laufe der Jahre verloren! Ausgang oder Urlaub werden fast nie gewährt.



C)Ist die SV notwendig?

MancheR wird sich fragen, wie es denn um die Opfer steht, schließlich soll doch die SV potentielle Verbrechensopfer schützen, zumindest in der Theorie.
Dazu erst einmal eine Zahl von Prof. LEYGRAF (ein renommierter Gerichtssachverständiger): Er stellt fest, dass für einen tatsächlich gefährdeten Gefangenen, circa 10 fälschlich als "gefährlich" diagnostizierte Menschen verwahrt werden. Denn Dreh- und Angelpunkt der Verwahrung ist das Etikett: "Gefährlichkeit" und bei Prognosen in diesem Bereich verhält es sich wie mit Wetterprognosen: Sie können zutreffen - oder auch nicht. In der eingangs erwähnten Verhandlung vor dem Verfassungsgericht sagte am 21.10.03 ein Gutachter aus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein "Gefährlichkeitsgutachten" zuträfe, nur wenig über der Zufallswahrscheinlichkeit liege.

Alleine wenn man dies bedenkt, kann man schlechterdings nicht die SV als notwendig bezeichnen - zumindest soweit man tatsächlich den Schutz potentieller Opfer im Auge hat.

Politisch jedoch ist die SV notwendig! Sie soll der Bevölkerung vorgaukeln, dass hart durchgegriffen wird (es sei auf Schröders Satz von 2001 hingewiesen: "Wegschließen - für immer!").
Als strategisches Instrument, Ängste in der Bevölkerung zu schüren, anzustacheln und dann wieder zu beruhigen, ist die SV ebenfalls hervorragend geeignet.

Es mag im Einzelfall durchaus Gefangene geben, die besonders "rückfallgefährdet" sind, jedoch kann dieser Gefahr durch eine engmaschige Begleitung und Betreuung effektiver (und auch kostengünstiger, denn ein Hafttag schlägt mit ca. 100 Euro zu Buche) begegnet werden, als durch die Verwahrung. Zumal, bedingt durch die Hoffnungslosigkeit, der die Insassen ausgesetzt werden, die Wahrscheinlichkeit z.B. von Geiselnahmen wächst. Kommt es dann zu solch einer Aktion, wird diese als Beleg für die Gefährlichkeit angesehen und verdrängt, dass es nicht dazu gekommen wäre, hätte eine realistische Entlassungschance bestanden (es sei auch an eine Selbstmordserie in den 80'ern in der SV-Abteilung der Haftanstalt Freiburg erinnert).


D)Ausblick

Eine Abschaffung der SV ist nicht zu erwarten, ganz im Gegenteil! Roland Koch (Ministerpräsident von Hessen) läßt an Plänen arbeiten, wonach längst in Freiheit entlassene Gefangene wieder in Haft genommen werden können, ohne dass sie erneut straffällig geworden wären.
Der Schritt ist nicht weit dahin, Menschen in SV zu stecken, die weder in der Vergangenheit straffällig wurden, noch aktuell eine Tat begangen haben, sondern bei denen lediglich vermutet wird, dass sie eine solche möglicherweise begehen könnten. In kurzfristigem Rahmen existiert eine solche Regelung heute schon, bekannt unter dem Begriff "Unterbindungsgewahrsam"; gerade Linke können ein Lied davon singen. Als potentielle "StörerInnen" werden sie vor Demonstrationen in eine Polizeizelle gesteckt und erst nach Veranstaltungsende wieder freigelassen.

Kürzlich machte der Ex-General und heutige Landesinnenminister SCHÖNBOHM von sich reden, als er verlangte, chronischen Schulschwänzern elektronische Fußfesseln anzulegen, um sie auf diese Weise überwachen zu können. Dieser Gedanke erscheint auf den ersten Blick als Ausgeburt eines pathologischen Sicherheitsfanatikers, aber er zeigt auf, was in 10, 15, 20 Jahren Realität sein wird. Jede und jeder, der ein abweichendes Verhalten zeigt, wird unter einen Generalverdacht gestellt, um so möglichst viele BürgerInnen möglichst lückenlos überwachen zu können.

Wer folglich meint, die SV beträfe doch nur eine kleine Zahl "hochgefährlicher Verbrecher", der geht fehl!


Thomas MEYER-FALK, c/o JVA - Z. 3117, Schönbornstr. 32, D - 76646 Bruchsal
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Vorsicht Sachverständiger!

Pater Rolf Hermann Lingen 07.04.2004 - 17:59
Es ist eher selten, dass diese "Sachverständigen", die "psychiatrische Gutachten" produzieren, die Unfehlbarkeit solcher Gutachten in Frage stellen. Das dient wirksam als Schlaftrablette für die meisten der insgesamt wohl nur wenigen, denen angesichts des grassierenden Psychatrie-Missbrauchs in der "Justiz" etwas mulmig geworden ist. Wenn aber Leygraf und Co. gelegentlich ein paar relativierende Bemerkungen abgeben, dann braucht man ja keine Angst zu haben, dass Psychatrie-Missbrauch überhand nimmt, gell?
Ändern tut sich an dieser Psycho-Masche aber nichts, jedenfalls nichts zum Besseren. Wozu auch, die meisten potenziellen Kritiker ließen sich ja willig durch pseudo-relativierende Phrasen ruhigstellen.

Dem Psycho-Missbrauch, gerne auch bis zur Psychiatrieverschleppung, wird auf einigen Mobbing-Seiten im Internet geschildert. Seltsamerweise ist die Homepage der European Antimobbing Association ( http://www.euro-antimobbing.org) nun schon seit Tagen nicht mehr zu erreichen, es kommt nur die Fehlermeldung "error 400: Bad Request". Ob da bloß technische Gründe dahinterstecken oder ob Repressionen die Ursache sind, weiß ich nicht. Jedenfalls war dort vor einigen Wochen eine e-mail an den Seitenbetreiber Kurt R. Werner veröffentlicht:

********
Sehr geehrter Herr Werner! Leider kann ich Sie über Ihre Telefon-Nummer, die im Internet angegeben ist, nicht erreichen. Können Sie mir bitte noch heute auf meine Mail antworten? Ich bin Redakteur beim Anzeiger für Harlingerland, der führenden Zeitung im Landkreis Wittmund. Im Internet veröffentlichen Sie schwere Vorwürfe, unter anderem gegen den Leiter des Wittmunder Gesundheitsamtes, Ernst-Ludwig Becker. Frage: Wer ist Verfasser dieser Vorwürfe? Frage: Wie lange werden Sie die Anschuldigungen auf Ihrer Seite belassen? Frage: Haben Sie keine Skrupel, hier Persönlichkeitsrechte Dritter zu verletzen? Und fürchten Sie keine Strafanzeigen wegen Verleumdung? Meines Erachtens können Sie sich vom Inhalt nicht freisprechen, wenn Sie die Quelle nicht preisgeben, sprich den/die Verfasser nicht nennen. Ich hoffe, schnell Antwort von Ihnen zu erhalten. Unsere Zeitung wird über den Vorgang berichten.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Dieter Heimann
Anzeiger für Harlingerland
********

Kurt R. Werner hat einige interessante Fakten über den "Sachverständigen" Joachim Klosterkötter veröffentlicht. Und ausgerechnet dieser berühmt-berüchtigte "Toten-Gutachter" Klosterkötter wird mit dem "renommierten" Norbert Leygraf von der "Justiz" quasi in einem Atemzug genannt. Informationen über einen großen Fall, wo Leygraf mitmischt, gibt es z.B. hier:
 http://prhl.crosswinds.net/tod_0008.htm
Über Leygraf heißt es seitens eines anderen "Sachverständigen", Leygraf verfüge "über die z. B. zur definitiven Diagnosesicherung erforderliche apparative und personelle Ausstattung". Also im harten Alltag wird unerbittlich an der Unfehlbarkeit der "Sachverständigen" festgehalten.

SV - Ja, ohne Gnade !

Wolfgang Mangold 10.09.2004 - 01:27
Im Zeitraum von 1974 bis 1985 war ich wegen den verschiedensten Delikten ca. 9 Jahre inhaftiert.
Fast in die Richtung wie Heinz Sobota "Der Minus-Mann" so war mein Denken und auch mein Handeln, für mich gab es da keine Diskussionen.
Ich lebte meinen perversen Stolz darüber aus, in welchen Knästen ich schon war, wie lange, was ich doch für'n Harten bin und was meine Zukunft mir bringen würde - nämlich garnichts, weil ich mir nichts positives auf meine Wunschliste gesetzt habe für das Leben danach, es interessierte mich nichts, außer meinen kriminellen Aktivitäten, die ich schon während meiner Haftzeit plante.
Mein Leben beschränkte sich auf das Ausleben vom inneren Rotz, der sich sich seinen Weg nach außen bahnte und ich tat nichts, um diesem Zustand ein Ende zu setzen, obwohl es mir alles voll bewußt war, was ich tat.
Sicherungsverwahrung, also "SV" wurde mir von einem Richter auch schon in Aussicht gestellt, wenn ich mein Leben nicht ändere, was mich mit zusätzlichem Stolz erfüllte.
Psychologische Hilfe wollte ich nicht in Anspruch nehmen, nicht innerhalb und auch nicht außerhalb der Mauern, sowas lehnte ich kategorisch ab, das wäre gegen die Ganoven-Ehre gegangen.
Was soll man mit solch einem Menschen machen, der diese Einstellung hat ?
Da würde ich das altbekannte "Wenn Argumente versagen, dann versuchs mal mit dem Totschläger" zu Rate ziehen.
Nichts mit unentdeckten Kindheitstraumen oder nicht verarbeiteten Erlebnissen während der Schulzeit.
Eher ein mal draufklopfen, daß das gute Wort Selbstkritik mal etwas größer geschrieben werden muß.
So einfach ist das !

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

Anmerkung — Larsen

Aber — Peter Lustig