USA: Wählerbetrug und Unterlassungsklagen

x 28.10.2003 16:42 Themen: Indymedia Medien Netactivism Weltweit
Of course everyone knows perception is reality ("Jeder weiss, Augenschein ist Wahrheit"), so beginnt eine der Mails des Chef-Entwicklers Ken Clark der Firma Diebold Incorporated. Eine von ca. 15.000 internen E-Mails dieser Firma, die vor kurzem an die Öffentlichkeit geschmuggelt wurden und für Aufregung sorgten. Diebold ist die weltweit zweitgrösste und derzeit am schnellsten expandierende Firma, deren Geschäft das Betreiben von elektronischen Wahlurnen ist. In 37 amerikanischen Bundesstaaten kamen ihre "Accu-Vote" genannten "direct recording electronic voting systems" (kurz DRE) bisher zum Einsatz. Die meisten der an die Öffentlichkeit gekommenen Firmeninterna sind belangloser Natur, doch so manches lässt vermuten um welche Art von Geschäft es sich dort handelt.
Offen reden Entwickler über Schwächen ihrer elektronischen Wahlmessmaschinen, die es geheim zu halten gilt. Hinweise auf Fehlbarkeiten des Systems werden abgewiegelt und Mitarbeiter konkret dazu angewiesen, der Presse gegenüber den Mund zu halten und sowohl Behörden als auch Wählern Kompetenz vorzuheucheln, die sie nicht haben.
Avi Ruben, Computerexperte und Professor an der John Hopkins Universität war einer derjenigen, dem Anfang des Jahres eine Kopie des Quellcodes zugespielt wurde. Er und seine Studenten gingen diesen durch und kamen zu dem Schluss, dass die Schutzmassnahmen gegen Manipulation und Betrug die Arbeit von Amateuren gewesen sein muss. Jeder meiner Schüler hätte das besser hingekriegt. Die Kryptographie soll schwach und schlecht implementiert gewesen sein, das Smart-Card-System, die die Sicherheit verbessern sollte sorgte in Wirklichkeit für noch mehr Schwachstellen. Weit unterhalb der minimalsten Sicherheitsstandards, so Rubin.

Bedenklich ist die Penetranz der Sicherheitsfehler und der mangelnde Wille, diese zu beseitigen, was neben reiner Profitgier auch den Verdacht auf vorsätzliche Wahlfälschung verstärkt.

Electronic Voting Systems haben eine lange Tradition mit Zwischenfällen und Ungereimtheiten. In seinem Buch "Black Box Voting" fasst der Autor Beverly Harris diese zusammen. Die drei Namen, die am häufigsten mit Wahlstimmen-Manipulation in Verbindung gebracht werden sind Marktführer ES&S, Diebold und eine Firma namens Sequoia. Einige Beispiele:

  • 1996 wurden in einem Bezirk in Texas 800 Stimmen gezählt, obwohl nur 500 Leute an der Wahl teilnahmen.
  • 1998 in den "general elections" in Dallas wurden über 41.000 Stimmen nicht mitgezählt (ES&S gab den Fehler damals zu).
  • Im selben Jahr in Pima County, Arizona wurden die Stimmen aus 24 Bezirken nicht gezählt, obwohl Tausende zur Wahl gingen.
  • Einen 100%igen Wahlfehler gab es ebenfalls 1998 bei einem Bürgerentscheid zu Schulfinanzierung in Orange County, Kalifornien, als die "Ja"- und "Nein"-Antworten von einem unbekannten Programmierer einfach vertauscht wurden.
  • Eine Testmaschine in Iowa, 2000, wurde mit 300 Stimmen gefüttert, registrierte aber 4 Millionen.

Am 5. November, 2002 bei den landesweiten Wahlen für das Repräsentantenhaus wurden in Broward County, Florida 103.222 Stimmen nicht in die Endauszählung übernommen. In King County, Washington wurden die Endergebnisse schon Stunden vor offiziellem Wahlschluss ausgewertet. Das für viele grösste Debakel ereignete sich hierbei wohl in Georgia als das System bei den Wählern für durchgehende Verwirrung sorgte. Teilweise stürzten die Geräte ab oder verschwanden vorübergehend aus den Wahlbüros und es gelang vielen Leuten nicht mit der Technik klarzukommen und ihre Stimme richtig abzugeben. Einige monierten der Computer habe versucht, egal was sie taten, für den republikanischen Aussenseiter zu stimmen, welcher die Wahl dann auch gewann.

Bei diesen handelt es sich um bekanntgewordene Fälle. Wie hoch die Dunkelziffer des fahrlässigen oder bewussten Wahlbetrugs ist lässt sich wohl nicht abschätzen, und da es keinerlei schriftliche Bestätigung von abgegebenen Stimmen gibt -obwohl die Maschinen die technischen Voraussetzungen dafür haben- sind auch keine Neuauszählungen mehr möglich.

Die rege Anteilnahme am amerikanischen Wahlkarussel durch die Firma Diebold wirft ohnehin Fragen auf. Diebolds Firmenchef ist Walden O'Dell, ein Mitglied der "Rangers und Pioneers", einer Elitegruppe von Bush-Unterstützern die unter anderem Fundraising für George W. betreiben. O'Dell verweilte kürzlich auf der grosszügigen Ranch der Bush-Familie in Texas und sponsorte daraufhin ein 600.000-Dollar Fundraiser-Event für Dick Cheney, republikanischer Vize. Eines seiner Zitate nach dem Ranch-Urlaub lautete Ich werde Ohio dabei helfen, seine Stimmen nächstes Jahr für Bush zu machen. Wie genau dieser Satz zu verstehen ist bleibt offen, doch unparteiisch ist O'Dell nicht gerade. Erfahrung im Drehen von Wahlergebnissen scheint der Bush-Clan seit den letzten Präsidentschaftswahlen 2000/2001 sowieso zu haben. Auch wenn dabei noch keine elektronischen Urnen im Mittelpunkt standen. Neben Medienmanipulationen beschwerten sich viele im von Jeb Bush regierten Florida aufgrund der uneindeutigen Wahlkarten aus Versehen für den Reformer Pat Buchanan, statt für Gore gestimmt zu haben. Weitere Neuauszählungen oder gar Neuwahlen wurden durch einen richterlichen Beschluss verhindert.

Elektronische Wahlurnen sollten mehrere Tests durchlaufen. Diebold behauptet, den Anforderungen mit seinem System zu genügen. Der "unabhängige" Gutachter, der in der Verantwortung dieser Tests steht ist allerdings eine gewisse Scientific Application International Corporation. SAIC ist einer der grossen Spieler im Wettbewerb um den Wiederaufbau des Irak und unter den Top-Ten Firmen, die von der US-Regierung Rüstungsverträge erhalten. Sie arbeitet u.a. eng mit der Vinnell Corporation zusammen, einem Marktführer in der Ausbildung ausländischer Armeen, neuerdings auch einer neuen irakischen Kernarmee. Die Firma besteht fast ausschliesslich aus pensionierten Militär- und Geheimdienstmitarbeitern wie Dr. Steven Hatfill, ehemaliger Wissenschaftler für biologische Kriegsführung. Firmendirektor ist General a.D. Wayne Downing der U.S. Army, welcher auch im Vorstand des "Komitees für die Befreiung des Irak" sass. Mehr Infos dazu hier.

Die Diebold-Dokumente geben einen Blick frei hinter die Kulissen eines korrupten Grossunternehmens, das mit seinen primitiven Wahlsystemen Millionen einstreicht. Alleine Maryland (einer der kleinsten Bundesstaaten in den USA) beabsichtigte, für das "Accu-Vote"-System 57 Millionen Dollar auszugeben -alles Steuergelder natürlich- bis der Skandal um die ganze Sache immer grösser wurde.

Die Antwort einer solchen Firma auf derart negative Publicity lautet "cease and desist", zu deutsch Unterlassungsklagen ohne Ende. So wurden in den vergangenen Wochen mehrere Webseitenbetreiber und Internet Service Provider, u.a. die Online-Zeitung Scoop Media, welche die Story als erstes gross brachte, von Diebold eingeschüchtert und dazu genötigt, die brisanten Dokumente wieder aus dem Netz zu nehmen. Zunächst leugnete die Firma noch die Echtheit der Inhalte, widersprach sich aber selbst als sie ein Kopierrecht auf diese beanspruchte mit der Argumentation, E-Mail-Korrespondenz der Mitarbeiter sei intellektuelles Eigentum der Firma.

Einige weigern sich jedoch standhaft, die unangenehme Wahrheit verschwinden zu lassen, so der Non-Profit ISP Online Policy Group, der die Webseiten des Bay Area Independent Media Centers in Amerika hostet. Nicht nur, dass die Hinhalte- und Manipulationsversuche Diebolds mit dem Argument der Kopierrechtsverletzung gemessen an der Tragweite des Falles geradezu lächerlich sind, die Electronic Frontier Foundation, welche sich der Sache angenommen hat, glaubt auch dass man sich vor Gericht durchaus durchsetzen kann. Laut einer Fair-use-Klausel im amerikanischen Recht wäre auch die Verwendung von kopierrechtlich geschütztem Material erlaubt, wenn es dabei um nationale Sicherheit oder den Erhalt der demokratischen Grundordnung geht. Das wäre bei einer potentiellen Wahlstimmen-Manipulation wohl der Fall.

Obwohl die Presse nicht ganz so einseitig Berichterstattung betreibt, wie in der Einleitung suggeriert wird, hält man sich wie immer etwas zurück. Dies kann man als journalistische Professionalität sehen, muss man aber nicht. Die meisten recherchieren nicht selbst, sondern übernehmen nur die Agenturstories, wie die der Associated Press gestern Abend. Darin beschäftigt man sich in erster Linie mit der "cease and desist"-Klage und weniger mit dem Problem des Wahlbetrugs selbst. Man tendiert auch eher dazu die Unsicherheit des Systems nur insofern anzusprechen, als dass irgendwelche "Hacker" eindringen könnten um böses anzustellen. Dass die Verantwortlichen des Konzerns mit Hilfe ihrer Mitarbeiter direkte Wahlfälschung begehen könnten lässt man Aussen vor.

Indymedia San Francisco (von der Mainstream-Presse liebevoll "Aktivisten" genannt) sind nicht die einzigen die den Unterlassungsklagen Diebolds trotzen. Zahlreiche Einzelpersonen wie College-Studenten und Internetaktivisten verlinken oder spiegeln die Dokumente u.a. im Ausland. Einige haben diese zwar wieder von ihren Seiten genommen, jedoch angekündigt sie innerhalb von zwei Wochen wieder online zu nehmen, falls die Androhungen Diebolds sich als fadenscheinig herausstellen sollten.

Es wird strengstens empfohlen diese Dokumente, die diesem Beitrag als PDF beigefügt sind, ebenfalls zu spiegeln und weltweit verfügbar zu machen. Eine offene Debatte darüber, ob einem solchen Demokratiesystem vertraut werden kann wird sowohl für ablehnende Anarchisten, wie für staatstreue Wahlgänger von Interesse sein. Denn elektronische Wahlsysteme dieser Art werden früher oder später auch in Deutschland Einzug erhalten. Und wer weiss, womöglich -wie in Brasilien durch Diebold- auch durch eine US-amerikanische Betreiberfirma.

Dieser Artikel unterliegt keinen kopierrechtlichen Einschränkungen.

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Ergänzungen

Diebold Germany GmbH

... 28.10.2003 - 20:06
Diebold erhält die Freigabe der Bundesbank für das Cash-Recycling-System 3030 gemäß Artikel 6 EZB

[28.10.2003 - 13:30 Uhr]

Canton, Ohio (USA) / Neu-Isenburg (ots) - Diebold Incorporated,
ein führender Anbieter von SB-Systemen, Service- und
Sicherheitslösungen für Banken hat für sein Cash-Recycling-System
3030 den Systemtest bei der Deutschen Bundesbank für die
Recyclingfreigabe bestanden und ist damit für den gesamten Euro-Raum
zugelassen. Der Cash-Recycler 3030 von Diebold wurde von der
Deutschen Bundesbank in den Kategorien Falschgeld, Fitness und
Retracing erfolgreich getestet und erhielt am 01. September 2003 die
Zertifizierung nach Artikel 6 EZB (Europäische Zentralbank),
beziehungsweise § 36 Bundesbankgesetz für SB-Recycling.

 http://www.presseportal.de/story.htx?nr=494291

Artikel bei intern.de am 4.11.03

M. 05.11.2003 - 03:10
EFF fordert Verfügung gegen Diebold
 http://www.intern.de/news/4948.html

Quellcode

elfboi 03.11.2004 - 11:01
Vor einer Weile war auch der zentrale Server von Diebold mal sperrangelweit offen, da hatten etliche Leute Zugriff auf den Quellcode ihrer Software, es wurde sogar in Hackerkreisen der Quellcode öffentlich im Forum zerpflückt. Die Ergebnisse dieser Diskussionen, wahrscheinlich sogar noch den Code selbst, findet man immer noch auf p2p-Netzen...

Die Wahlmaschinen laufen auf einem Uralt-Windows mit Sicherheitslücken wie ein Scheunentor und speichern ihre Daten, also die abgegebenen Stimmen, in einer MS-Access-Datenbank.