SPD Büro in Marburg besetzt!

dissidentin 20.10.2003 16:52 Themen: Soziale Kämpfe
Heute wurde das SPD Büro in Marburg besetzt, um gegen Sozialabbau und Studiengebühren zu demonstrieren.
SPD-Büro besetzt! Protest gegen Sozialabbau
Montag, 20. Oktober 2003

Heute haben wir für etwa eine Stunde das SPD-Büro in Marburg besetzt, um unseren Unmut gegenüber dem fortgesetzten Sozialabbau der Bundesregierung aus SPD und B´90/Die Grünen Ausdruck zu verleihen. Außerdem protestieren wir gegen die bereits erfolgte Einführung von Studiengebühren in mehren Bundesländern, in denen die SPD an der Regierung beteiligt ist (u.a. NRW, Berlin).

Etwa 30 AktivistInnen der Gruppe dissident, der Arbeitsgemeinschaft für gewerkschaftliche Fragen (Marburg) und der Arbeitskreis Erwerbslose im DGB Marburg besetzten um 14 Uhr das Büro der SPD in der Frankfurter Str. Eine Presseerklärung wurde verschickt und eine Kundgebung vor dem Büro abgehalten.

Aber behauptet die SPD nicht, gegen Studiengebühren zu sein? Das jedoch, was die hessische CDU in ihrem kürzlich vorgelegten Gesetzesentwurf für Hessen plant, ist in den meisten SPD regierten Bundesländern schon längst Realität: Studiengebühren. Auch hat die Rot/Grüne Bundesregierung ein versprochenes bundesweites Verbot von Studiengebühren nicht auf den Weg gebracht.

Florian Schneider, Sprecher der ?Gruppe dissident? erklärte: ?Wir protestieren daher nicht nur gegen Studiengebühren von Roland Koch (CDU) in Hessen, sondern auch gegen rot-grüne Studiengebühren! Bildung muss für alle kostenlos sein. Bildung darf nicht weiter Privileg der Reichen sein!?

Darüber hinaus wehren wir uns gegen die neuen Arbeitsmarktgesetze innerhalb der Agenda 2010, den jüngst beschlossenen Rentenabbau und die weiteren Verschlechterungen im System der sozialen Sicherungen und des Gesundheitssystems.

Die sogenannten ?Reformen? bedeuten jedoch nichts anderes als eine Umstrukturierung der gesamten Gesellschaft nach neoliberaler Ideologie. Dies heißt nichts andere als die Unterordnung immer weiterer Lebensbereiche unter die Logik der kapitalistischen Verwertung. Immer mehr Menschen werden aufgrund der Sparmaßnahmen aus der Gesellschaft gedrängt.

Schluss mit dem Sparen ? her mit dem schönen Leben! Wir wollen alles!

Im folgenden dokumentieren wir das Flugblatt des Arbeitskreises Erwerbslose im DGB Marburg:

Keine kommunale Zwangsarbeit!

Wir protestieren hier und heute gegen die neuen ?Arbeitsmarktgesetze? innerhalb der Agenda 2010 mit einer bei manchen etwas umstrittenen Wortwahl auf unserem Transparent. Das wollen wir kurz erläutern. Genauer gesagt, wollen wir darauf hinweisen, dass die aktuellen politischen Auseinandersetzungen, wie die der letzten Jahre überhaupt, auch eine um Begriffe ist; eine Art politisches Neusprech wurde entwickelt.

1. Massenentlassungen sind jetzt ?Strukturanpassungen?
2. Krieg heißt jetzt ?Friedensmission? - wenn die Bundeswehr dabei ist
3. Drastische Einschränkung der medizinischen Versorgung nennt man ?Gesundheitsreform?
4. Faktische Kürzung der Renten oder der Arbeitslosenhilfe heißt ?Nullrunde?
5. Zwangsmaßnahmen des Arbeitsamts werden als ?Trainings? deklariert

Und genau hier kommen wir auch schon auf unser eigentliches Thema zurück. In Hamburg, in Köln und anderen Städten, werden immer wieder Erwerbslose (Sozialhilfebezieher) zum Arbeitsdienst in städtischen Diensten gezwungen. Ihnen wird nicht etwa ein Arbeitsplatz angeboten ? obwohl sie die gleiche Arbeit leisten müssen. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: offiziell heiß dies dann ?Hilfe zur Arbeit? und dient angeblich der ?Eingliederung in den Arbeitsmarkt?.

Blanke Ideologie, denn diese Maßnahme besiegelt ja endgültig, dass in diesem Bereich nicht eingestellt wird, also ein Teil des Arbeitsmarkts durch zwangsweise Arbeitsverpflichtung ersetzt wird. (Manchmal wird die Finanznot der Kommunen als Begründung nachgeschoben. Darüber ist keine Diskussion mehr möglich, wenn dies in der reichsten Stadt Europas, denn das ist Hamburg, geschieht. Solche angeblichen Sachzwänge sind Ergebnis politischer Entscheidungen.)

Und genau dieser kommunale Arbeitsdienst soll mit dem jetzt beschlossenen Gesetz flächendeckend eingeführt werden; diesen Kernpunkt der Agenda 2010 wollen wir heute öffentlich machen. Denn zwischen dem, was in der Öffentlichkeit über dieses sogenannte Reformpaket geschrieben und gesagt wurde, und den Realitäten des Gesetzestextes, besteht ein erheblicher Unterschied.

So wurde das in den letzten Monaten diskutiert: eine angebotene Arbeit muss angenommen werden. Suggeriert wurde eine auf den individuellen Erwerbslosen zugeschnittene Leistung, eben eine Art Arbeitslosengeld, die sich irgendwie aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ergibt. Im Gesetzestext steht aber nun etwas sprachlich ähnliches, aber juristisch anderes:


§ 2 Grundsatz des Forderns
(1) Erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Der erwerbsfähige Hilfebedürftige muss aktiv an allen Maßnahmen zu seiner Eingliederung in Arbeit mitwirken, insbesondere eine Eingliederungsvereinbarung abschließen. Wenn eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit nicht möglich ist, hat der erwerbsfähige Hilfebedürftige eine ihm angebotene zumutbare Arbeitsgelegenheit zu übernehmen.


Also fällt nicht etwa nur der/die Erwerbslose unter das Fürsorgerecht und seine Zwänge, sondern immer die gesamte sog. ?Bedarfsgemeinschaft? (Familie, Partner). Auch sie verlieren damit individuelle Rechte wie z.b. die freie Berufswahl und werden entsprechend durchleuchtet.


Zudem enthält dieser zentrale §2 etwas in dieser Form wirklich neuartiges, eben die Definition einer sog. ?Arbeitsgelegenheit?, die ausdrücklich etwas anders sein soll als eine Arbeit, weshalb sie ja extra aufgeführt wurde.

Eine Arbeitsgelegenheit kann alles sein, der Begriff hat mehrere Bedeutungsebenen. Jede noch so kurzzeitige Beschäftigung kann zugewiesen werden. Zwei Stunden beim Umzug oder auf dem Wochenmarkt aufräumen, zweimal am Tag morgens und abends je eine Stunde ? das ist damit gemeint. AlgII wird also eine ergänzende Sozialleitung werden. Jeder muss jeden Job annehmen, auch und besonders die ohne jede Perspektive jemals ein ausreichendes Einkommen zu erzielen.

Bezahlung ist letztlich auch gar nicht notwendig. Zwangsarbeiter können beliebig ausgeliehen werden, sog. Trainings wurden extrem verschärft. Durch die trickreiche Definition ?Arbeitsgelegenheit? entfallen definitiv alle Schutzvorschriften, selbst die mageren, die bisher bei der Sozialhilfe üblich waren. Alle anderen Gesetze werden damit faktisch ausgehebelt, denn sie beziehen sich auf ein so definiertes ?Arbeitsverhältnis?, dessen mögliche Entstehung in einem der nachgeordneten Paragraphen gleich ausgeschlossen wurde. Auch ist eine entsprechende Maßnahme nicht an das vorgebliche Erfolgskriterium der Eingliederung in den Arbeitsmarkt gebunden. Einziges Kriterium: sie müssen im ?öffentlichen Interesse? sein.

Lange Zeit war die einzig vernehmbare Stimme, die auf die Realität des Gesetzestextes in diesem Punkt hinweist, der Richter am Bundesverwaltungsgericht, Professor Uwe Berlit. Zudem stellt er die Frage nach der Verfassungskonformität dieser Regelung - wo Vergleichbares doch schon heute praktiziert wird. Für junge Erwerbslose unter 25 Jahren kommt es aber noch dicker: für sie wird die Zuweisung solcher Zwangsarbeit verpflichtend, ohne dass daraus irgendein Rechtsanspruch erwachsen kann.

Im Ergebnis sehen wir also die Abschaffung der schützenden Grundsicherungsfunktion der Sozialhilfe: man kann jetzt nicht mehr einfach zum Sozialamt gehen und kurzfristig die Grundsicherung aufgenommen werden. Dies wird sich katastrophal für alle Jobber auswirken, denn dort war die Sozialhilfe die einzige Absicherung. Gleichzeitig entfällt der eh schon geringe Schutz der Privatsphäre und der Handlungsmöglichkeiten bei Alhi. Viele werden schlicht auf der Strecke bleiben. Die heute schon harte Willkür der AA wird sich verschärfen, denen sind keine Grenzen mehr gesetzt. Ein falsches Wort, und die Kürzung folgt auf dem Fuße. Zwangsarbeit wird von der Ausnahme zur Regel werden. Zudem entfällt die faktische Mindestlohnfunktion der Sozialhilfe. Ob 2? in Lohra oder 6,85? bei der PSA, AlgII wird eine überwiegend ergänzende Sozialleistung werden. Millionen werden für Stütze Arbeiten müssen. Zudem ist diese Version noch aggressiver als die Vorschläge von Roland Koch; er wurde von der Bundesregierung rechts überholt.
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Ergänzungen

Aktion in Berlin

... 20.10.2003 - 17:07
Bullen-Armada hat Aktion leider verhindert, der Staat reagiert auf Kritik mit militaristischen Massnahmen. Artikel dazu:
 http://de.indymedia.org/2003/10/63718.shtml

rotgrünschwarzgelb

weist 21.10.2003 - 02:32
Die Vorwürfe, Pro.CDU-Propaganda zu machen, haben eine gewisse Berechtigung. trotzdem ist für die momentan abgehende Scheiße die gegenwärtige Regierung hauptverantwortlich.
Dennoch darf kein Zweifel daran bestehen, daß die asozialsten Maßnahmen qua bundesdeutschem Gesetzgebungsverfahren (CDU-CSU-FDP-Mehrheit im Bundesrat) eben auch auf die Kappe der konservativ-nochneoliberaleren gehen - z.B. Roland Kotz' Vorschlag, den Arbeitszwang für Arbeitslose dahingehend zu verschärfen, daß auch Arbeit, deren Entlohnung *unter dem Existenzminimum* liegt, angenommen werden *muß*.

Die beste Strategie wäre, auf jede Attacke gegen die Regieurng zwei gegen die Opposition kommen zu lassen - 2/3 der Bevölkerung spielen das parlamentarische Spielchen weiterhin munter mit, und satt die Hälfte davon favorisiert im Moment die Rechtsreaktionären! Und da D-schland ein Land ist, in dem Hörigkeit den powers that be immer noch sehr ausgeprägt ist, wird spätestens nach dem Sturz der Schröder-Regierung (der garantiert nicht durch linke, basisdemokratische oder sonstwelche progressiven Kräfte, sondern durch die Reaktion erfolgen wird) wieder Gewehr bei Fuß gestanden, daß es nur so raucht.

(Die Behauptung, daß 'die meisten' SPD-regierten Länder Studiengebühren eingeführt hätten, ist in dieser Form irreführend - praktisch alle schwarz/schwarzgelb-regierten Länder haben sie nämlich schon bzw führen sie gerade ein. Aber wenn mensch im Marburg protestieren will, müßte dann ja auf einen etwaigen Roland-Kotz-Besuch gewartet werden, nur, um sich mit seinen Buschenschafts-Saalschützern herumzuschlagen. Auch blöd & unpraktisch. Und wer so ein schickes Transpi vorweisen kann, kann nicht oft genug protestieren ;-))

Aktion gegen Studiengebüren???

linientreu 22.10.2003 - 14:00
Ich möchte ja den einzelnen nicht vorschreiben, warum sie an dieser Aktion teilgenommen haben, aber eigentlich richtete sich die Aktion gegen die Agenda 2010 und den ganzen Schweinkram, der daraus folgt wie z.B. Zwangsarbeit etc. Dass VertreterInnen der Gruppe dissident jetzt das ganze auf einmal zu einer Aktion gegen Studiengebüren umwidmen, halte ich doch für recht gewagt, auch wenn unter den BesetzerInnen sicherlich Einigkeit darüber besteht, dass Studiengebüren bekämpft werden müssen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 11 Kommentare an

Mit CDU/CSU Regierung besser? — Nichtnachvollziehbar

ohhh — ohhh

transpi eins — ist ja echt hübsch...

Jemand — Nichtnachvollziehbar

B R A V O !! — Marburger in Bayern

Frage an anti — ich

PS — ich

@linientreu — dissidentIn