Direct Action Days in Magdeburg

DA MD 19.10.2003 06:39 Themen: Freiräume Repression
Anlässlich des §129a-Verfahrens in Magdeburg wird hier zu direkten Aktionen aufgerufen. Hier ein Bericht von den bisherigen Vorbereitungen und Aktivitäten.
In den letzten zwei Wochen gab es mehrere Vorbereitungstreffen und Ativitäten im Vorfeld der Direct Action Days. Auch die Polizei scheint schon unruhig zu werden. Vor allem wegen eines angekündigten Molli-Workshops vor dem LKA in Magdeburg. Mit einigen subversiven Kommunikationsstrategien wurden schon jetzt diese Tage eingeläutet. Was das ganze soll und worum es eigentlich geht, jetzt im folgenden:
Ab Mittwoch, 22.10.03 wird zu Aktionen und Workshops kreativen Widerstands aufgerufen. Anlass ist das §129a-Verfahren gegen Magdeburger AktivistInnen. Ziel ist es, eine größere Aktionsfähigkeit emanzipatorischer AktivistInnen zu schaffen, indem (für die hiesige Szene) neue Aktionsformen erprobt werden und um damit aus dem eigenen normierten Verhalten ein Stück weit auszubrechen.In diesen Tagen wollen wir Grundlagen direkter Aktion erarbeiten und Fähigkeiten entwickeln. Dabei werden gewiss immer ein paar Leute da sein, die in der einen oder anderen Aktionsform Erfahrungen haben und diese den anderen vermitteln. Es sind mehrere Workshops zu einigen konkreten Aktionsformen geplant; weitere Themen sind gewiss auch möglich. Mit diesen Veranstaltungen wollen wir auch unseren eigenen Aktions-Horizont erweitern. Und wer weiß, vielleicht hält die Motivation auch über die Aktionstage hinweg an und kann zur politischen Praxis werden. Vielleicht sieht Magdeburg dann in mancherlei Hinsicht anders aus, als vorher...
"Wir" sind keine Gruppe oder Organisation; wir wollen einfach unsere eigenen Möglichkeiten entwickeln und auch anderen AktivistInnen die Möglichkeit dazu bieten (und laden dazu auch offensiv ein!). Unsere Mittel können z.B. in subversiver Kommunikation / Kommunikationsguerilla, kreativer Antirepression, verstecktem Theater und anderen kreativen Strategien liegen. Wir finden es wichtig, dass eine große Zahl von Leuten die Fähigkeiten zu den verschiedensten Aktionsformen hat und üben kann, weil so die Widerständigkeit im Alltag - nicht nur bei Großaktionen - steigen kann. Wir möchten aktionsfähig sein, wenn Eltern in unserer Nähe erziehen, wenn rassistische Polizeikontrollen stattfinden, wenn es zu sexistischen Anmachen kommt, wenn der alltägliche Sicherheitswahn zum Tragen kommt.
Viele "Methoden" müssen geübt werden und die Fähigkeit, aus alltäglichen Situationen Aktionen mit politischer Vermittlung zu machen, wird sich erst mit der Zeit einstellen. Deswegen laden wir schon jetzt zu einem fortführenden Direct Action - Seminar im November (21.-23.11.) in Halle/Saale ein. Wer daran Interesse hat, kann mehr Infos unter 01 62-860 89 49 bzw. bekommen.
Direct Action hat vor allem zwei Anliegen: Aufmerksamkeit schaffen, indem Menschen aus ihrem Alltagstrott und -denken kurzzeitig gerüttelt werden, und die Vermittlung politischer Inhalte, Kritiken und vor allem Visionen. Die meisten üblichen Aktionsformen machen entweder das eine oder das andere. Nur selten schaffen AktivistInnen es, ihre wichtigen Inhalte den Menschen drumherum zu vermitteln, weil eben die meisten Leute, die bisher nicht politisiert sind, keinen Bock haben seitenlange theoretische Abhandlungen ohne besonderen Anlass zu lesen bzw. überhaupt erst an einen Infostand zu kommen. Oder es gibt eine spektakuläre Aktion (wie bei vielen Castortransporten gewesen), leider wird aber nichts neues vermittelt (dass es gegen Atomkraft geht, war vorher schon klar - Kritik an Herrschaft bzw. Visionen für ein herrschaftsfreieres Leben sind dagegen so gut wie Thema). Direct Action will einen "Erregungskorridor" erzeugen, der dann mit politischen Inhalten gefüllt werden kann (und wird).Dazu gibt es viele Möglichkeiten - prinzipiell ist der Kreativität keine Grenze gesetzt. Überhaupt gewinnt politische Bewegung oft erst durch eine gewisse Unberechenbarkeit (z.B. welche Aktionsformen wo und wann zum Einsatz kommen werden - worauf die Herrschenden sich also einzustellen haben) an Schlagkraft. Subversive Aktionsformen forcieren diese Unberechenbarkeit. Legale und illegale, vorhersehbare und völlig unerwartete Aktionen machen es z.B. den Repressionsorganen schwerer, zielorientiert zu handeln. Kreativer Widerstand bedeutet aber nicht automatisch bessere Erfolge in der politischen Arbeit; steigert aber doch die Chancen dazu. Wichtig ist immer auch, nicht unvorbereitet in Aktionen hereinzuschlittern, wie es leider bei vielen Aktiven die Regel ist. Schon im Vorfeld sollte mensch sich Gedanken über den möglichen Ablauf machen und auch die Reaktionen des Repressionsapparates einplanen und unter Umständen sogar zum Teil der Aktion machen.
Kreative Antirepression ist ein Aktionskonzept, das als Ergänzung zum üblichen (und notwendigen!) Repressionsschutz gesehen werden kann. Letzterer hat zum Ziel Repressalien möglichst zu vermeiden, zu umgehen oder zu mindern. Das hat oft auch eine verminderte Handlungsfähigkeit zur Folge, weil auf repressive Maßnahmen nur reagiert wird. Kreative Antirepression will offensiv mit Repression umgehen, sie an manchen Stellen bewusst (und überlegt!) herausfordern, um sie ad absurdum zu führen. Manchmal kann sie sogar Repression verhindern, wenn die Exekutive keinen Bock darauf hat, dass ihre als Zwangsmittel gedachten Maßnahmen zur Aktion gemacht werden. Klar ist, dass das nicht immer funktionieren wird und mensch nicht darauf hoffen sollte. Wichtiger ist, das Ende einer Aktion nicht schon nach der Veranstaltung zu sehen, sondern die Repression als Teil der Aktion zu verstehen und zu gestalten. Dabei kann (und sollte) mensch genau so weit gehen, wie sie/er es sich zutraut und bereit ist, staatlichen Druck in Kauf zu nehmen. Mit der Zeit und mit einiger Übung können solche Umgangsformen dann offensiver und vielleicht noch kreativer werden. Nicht vergessen werden sollte auch bei kreativer Antirepression die Grundforderung des Repressionsschutzes: keine Aussagen zur Sache!
Subversive Kommunikation kann Herrschaftsverhältnisse demaskieren und auf unkonventionellem Weg Visionen und Kritik vermitteln und vor allem zum Selbst-Denken anregen. Ein Mittel ist beispielsweise die Überidentifizierung. Hier wird z.B. mit Forderungen nach mehr Polizeigewalt und Überwachung Kritik an selbiger vermittelt. Beim versteckten Theater agieren mehrere Leute in unterschiedlichen Rollen und regen als scheinbar Unbeteiligte Diskussionen über Herrschaft und Alternativen an. Mit gefälschten Schreiben offizieller Behörden können Aktivitäten dieser in den öffentlichen Mittelpunkt gezogen werden. Eine Ausstellung zu solchen Aktionsformen ist vom 22. bis 25.10. im Thiembuktu, Thiemstr. 13, Magdeburg-Buckau, zu sehen.
Drei Workshops und zwei weitere Veranstaltungen sollen in diese Themen einführen und verschiedene Sichten auf unser konventionelles Handeln werfen. Außerdem gibt es eine provokative Aktion vor dem LKA, bei der aller Voraussicht nach Methoden der kreativen Antirepression praktiziert werden können. Angekündigt wurde diese Aktion als "Molli-Workshop". Hintergrund ist, dass einer der auslösenden Anschläge für das §129a-Verfahren ein Molli-Wurf gegen das LKA-Gebäude war. Schon bevor diese Aktion groß beworben wurde, hat die Polizei sich misstrauisch nach dieser Veranstaltung zu erkundigen versucht. Wenn sich unsere FreundInnen und HelferInnen so verhalten wie immer, werden sie versuchen, diese Aktion mit martialischem Auftreten zu unterbinden. Damit ermöglichen sie uns den Einsatz kreativer Aktionsmittel, um dieses Herrschaftsinstrumentarium bloßzustellen und ihr Agieren ins Leere laufen zu lassen. Lieber ein Prozess als gar keine Aktion! Anders gesagt: die angedrohten Repressalien werden wir für weitere kreative Aktionen umnutzen. So weiten sich die Möglichkeiten, das LKA und überhaupt die Polizei als Repressionsorgan öffentlich in Frage zu stellen und womöglich einen gesellschaftlichen Diskurs anzuregen. Das schlauste wäre, wenn die Polizei nicht eingreifen würde (dann wäre kreative Antirepression schwieriger) - das geht aber nicht. Schließlich könnte ja sonst was passieren...
Ganz besonders möchten wir zur Diskussion über die Abschaffung von Knast, Justiz und Polizei einladen. Die Formel in der linken Argumentation lautet meist "Freiheit für alle (linken) politischen Gefangenen". Warum nicht "Freiheit für alle Gefangenen"? Ist Knast doch gut, obwohl er Mittel zur Durchsetzung von Herraschaft ist? Manche "Linke" fordern ja sogar mehr Befugnisse und Repressionsapparate, um die Demokratie zu schützen (z.B. Internationaler Strafgerichtshof). Es sollte also eine spannende Auseinandersetzung über politische Forderungen, Sachzwänge und Sinn & Zweck von Knast geben. Wir wollen versuchen, diese Diskussion im "Fishbowl"-Modell zu führen. Dabei gibt es einen kleinen Kreis von Leuten, die diskutieren und einen größeren, der zuhört. Wer diskutieren will, löst eine Person aus dem inneren Kreis ab (die dann nur noch ihren Gedanken zu Ende formulieren kann). Durch diese Methode ist eine bessere Diskussion als im Plenum möglich und außerdem zeigen sich sehr schön die Dominanzverhältnisse beim Reden (wer ist wie oft im Kreis, reden mehr "Männer" als "Frauen", etc.) und lassen sich leichter ausschalten. Sollten weniger Leute kommen, könnten einzelne Aspekte in Kleingruppen diskutiert werden.
22.10. 20.00 Uhr Thiembuktu: Workshop "Einführung in Direct Action"23.10. 17.00 Uhr Thiembuktu: Workshop "Subversion, Kommunikationsguerilla, verstecktes Theater, Fakes, etc."23.10. 19.00 Uhr Thiembuktu: Workshop "Kreative Antirepression"24.10. 15.00 Uhr LKA (Lübecker Str. 53-63, Magdeburg-Neustadt): Molli-Workshop24.10. ab 18.00 Uhr Thiembuktu: vegetarisch/vegane Volxküche24.10. 18.00 Uhr Thiembuktu: Infoveranstaltung "Tipps & Tricks" (z.B. zu Fingerabdrücken, Schlössern, Telefonüberwachung + und was ihr sonst an Fragen habt)24.10. 20.00 Uhr Thiembuktu: Diskussion "Knast, Justiz, Polizei abschaffen!?"
Außerdem wird zu diversen Demonstrationen und Kundgebungen am 25.10. aufgerufen. Ein paar Beispiele:
9.00 Uhr Demo gegen lange Demorouten: Wer hat schon Lust auf diese ewig-langweiligen Latsch-Demos? Ewige Demorouten, Behinderung des Straßenverkehrs (was bei allem Klimakollaps durch den Autoverkehr nun wirklich unangebracht ist), Beschäftigung der Polizei (als hätten die nichts besseres zu tun - TerroristInnen oder illegale EinwandererInnen jagen), ... Deswegen eine letzte lange Demo gegen lange Demorouten durch Magdeburg! Die Demo beginnt um 9°° und endet gegen 21°°.11.11 Uhr Gegen die bewusste Irreführung d.Polizei: das Maß ist voll! Es reicht! Schluss mit der bewussten Irreführung der Polizei! Das muss ein Ende haben! Demobeginn: 11.11 Uhr12.00 Uhr Demo gegen jegliche Polizeipräsenz: diese Demo richtet sich gegen jegliche Polizeipräsenz - Abschaffung des Repressionsapparates und aller anderen Herrschaftsinstitutionen!16.00 Uhr Demo gegen Polizeigewalt: anlässlich des gewalttätigen Polizei-Einsatzes während der Anti-§129a-Demo demonstrieren wir vor der Bereitschaftspolizei in Magdeburg-Cracau. Anschließend gibt es eine symbolische Besetzung der Kasernen.16.30 Uhr Demo gegen Auflösung der Anti-129a-Demo: nachdem die Polizei die Anti-§129a-Demo an diesem Tag aufgelöst haben wird, gibt es eine Demo dagegen18.00 Uhr Fake-Demo: am Abend noch soll es eine "Fake-Demo" geben19.00 Uhr Kundgebung gegen Verhaftungen: gegen die Verhaftungen, die im Laufe der Anti-§129a-Demo vorgenommen sein werden, gibt es dann eine Kundgebung vorm Polizeiknastirgendwann: zuviele Demos am 25.10.: Gegen viel zu viele Demos am 25.10. ruft der ADACMD zur PKW-Demo vom Uniplatz über den Breiten Weg bis zur Stadtautobahn-Auffahrt "Damaschkeplatz" auf. Denn diesen ganzen Demonstrationen behindern den Autoverkehr - und das kann doch niemand ernsthaft wollen.
(Quelle:
http://www.termine-online.net/)
Die offiziellen Soliveranstaltungen für die §129a-Verhafteten sollten auch nicht vergessen werden:
24.10. 21.00 Uhr BWA: Soli-Liedermacher-Abend mit Paul der Geiger und Gregor Hause25.10. 14.00 Uhr Bahnhofsvorplatz: Bundesweite Demonstration gegen §129a25.10. 20.00 Uhr Jugendzentrum Knast: Soli-Konzert25.10. 21.00 Uhr Heizhaus: Soli-Konzert mit ALBINO (HipHop aus Hamburg), HITBACK (HipHop aus Bielefeld) und Totalverlust (Punk aus Schönebeck)
Ideen, Aktionsberichte und Materialien für direkte Aktionen, kreative Antirepression, Knast, subversive Kommunikation etc. finden sich auf http://www.direct-action.de.vu/.
BWA: Blaue Welt Archiv, Thiemstr. 13, Magdeburg-Buckau; mit Straßenbahnen 2/8 Richtung Westerhüsen/Buckau bis Thiemstr.Thiembuktu: siehe BWAHeizhaus: Harsdorfer Str. (nahe Olvenstedter Platz)Jugendzentrum Knast: am Moritzplatz, Magdeburg-Neustadt
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

solidarität ist eine waffel!

g8m 19.10.2003 - 18:10
gruppe 8. mai
Zwei oder drei Gedankensplitter zum aktuellen Magdeburg-Hype

Wie alles begann:
In Magdeburg werden mehrere Anschläge auf staatliche Institutionen (BGS) und
Filialen von Großkonzernen verübt. Die Bullen nehmen drei angeblich
Verdächtige aus der autonomen Szene fest, die Staatsanwaltschaft ermittelt nach
Paragraph 129 a wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung

Was danach geschah:
In Magdeburg bildet sich eine Soligruppe (www.soligruppe.de), die
Unterstützungsarbeit für die Kriminalisierten leisten will. Eine bundesweite Großdemo
wird angesetzt, in vielen Städten finden im Vorfeld Infoveranstaltungen statt,
Busse werden organisiert, Hassis und Handschuhe bereitgelegt. In Anbetracht
der Marginalisierung der Linken wird sehr viel Energie in das Projekt ?zur
Verteidigung linker Politik? investiert.

Was daran verkehrt ist:
Zum einen verwundert die Geschlossenheit, mit der weite Teile der ansonsten
so zerstrittenen radikalen Linken nach Magdeburg aufrufen. So werden etwa die
ansonsten bevorzugt (und zu Recht) Israelfahnen-schwenkenden Antideutschen
der AANO gemeinsam mit den Antisemiten der BANG und anderen regressiven
Linksradikalen marschieren. Anwesend sein wird wohl auch der Magdeburger, der als
Teil seiner im Vergleich zu anderen Städten besonders rückständigen Szene im
lokalen ?Störenfried? kommentierte, es wäre besser gewesen Deutschland in den
40er Jahren nicht zu bombardieren, dann hätten die Deutschen zwar die Juden
restlos vernichtet aber immerhin die Chance zur Selbstbefreiung gehabt. Selbst
der Aufruf der über diese klugen Worte sicherlich erfreuten Nazis von
festungsstadt.com, sich an der Demo zu beteiligen, da der Kampf von Marco, Daniel
und Carsten auch der ihre sei, scheint niemanden aus der Ruhe zu bringen und
wird im Demo-Newsletter trocken mit den Worten ?Es wird also damit zu rechnen
sein, dass Nazis auftauchen? kommentiert. Scheinbar bedingungslos wird sich
mit den Gefangenen solidarisiert, weder ihre Taten noch die dahinterstehende
Ideologie werden einer öffentlichen Kritik unterzogen. Dabei verdiente die
absurde Idee, mitten in völlig bewegungsflautigen Zeiten militant und im
größeren Maßstab staatliche und ?kapitalistische? Einrichtungen anzugreifen,
durchaus scharfen Widerspruch. Ebenso die Beschwerde eines der Gefangenen in einem
Offenen Brief bei Indymedia, dass Gruppen wie die ETA, die PKK oder die
palästinensische PFLP mit dem Terrorparagraph belegt würden. Die gleichzeitige
Abwesenheit von distanzierenden Äußerungen lässt nur den Schluss zu, dass der
Geknastete sich prinzipiell mit den Zielen der völkisch-stalinistischen PKK oder
der antisemitischen PFLP im Einklang sieht. Spätestens dann sollten sich
ernstzunehmende Linke fragen, wieso die betroffenen Personen mehr Unterstützung
verdient haben als jede x-beliebige Gefangene, die wegen Diebstahl,
Drogengeschäften oder Betrug dem Freiheitsentzug unterworfen wird.
In der für den Magdeburg-Diskurs konstitutiven Abwesenheit von Kritik zeigt
sich ein Versagen der Beteiligten, die als alles überragendes Patentrezept
eine ominöse Solidarität, oft verpackt in den Worten ?Kraft und Liebe den
Gefangenen?, hochhalten. Doch was verbirgt sich in diesem und vielen anderen
Fällen hinter dem Begriff der Solidarität mehr als die Einforderung der
reibungslosen Mobilisierung für das eigene Kollektiv und die Schaffung einer homogenen
Gemeinschaft in Abwehr des äußeren Feindes, wie sie sich in ihrer
prinzipiellen Struktur nicht von Phänomenen wie Nationalismus oder Lokalpatriotismus
unterscheidet? Die Installation eines solchen Zwangsverhältnisses dient im
verhandelten Beispiel angeblich einer höheren Sache, der Verteidigung der
Geschäftsgrundlage linksradikaler Politik, die doch vom Staat, wäre er daran
interessiert, mühelos und ohne großen Widerstand in kürzester Zeit unmöglich gemacht
werden könnte. Egal ob bewusst oder nicht wird mit dem beunruhigend
formierten Vorgehen tendenziell jegliche Reflektionsfähigkeit abgeschnitten, um die
Illusion einer guten weil ungeachtet der jeweiligen Inhalte gemeinsam
kämpfenden Szene aufrechtzuerhalten.
Dass ausgerechnet der Kampf gegen den Staat und seine Repressionsorgane
Linke in größerem Maßstab auf die Beine zu bringen vermag, wo sich sonst kaum
mehr als 200 Leutchen zum Demonstrieren bewegen lassen, ist typisch für ein
simples Weltbild der Mehrheitslinken, die Unterdrückung vorwiegend im
Polizeiknüppel und Ausbeutung in der Zigarre des Unternehmers materialisiert sieht und
?den Herrschenden?/der Macht ein diffuses ?wirhierunten? entgegenhält.
Stattdessen gälte es, die grundlegende Konstituierung der Gesellschaft und all ihrer
Verhältnisse durch kapitalistische bzw. spezifisch deutsche (Denk-)Formen zu
analysieren. Die ressentimentgeladene Fixierung auf wenige Großakteure
gleich welcher Art müsste transformiert werden in die Erkenntnis, dass kein
Außerhalb der Gesellschaft existiert und somit genauso gut Kleinbetriebe,
Schlüsseldienste, Pärchenbeziehungen und Altersheime zum Ziel emanzipativer Kritik
werden können. Ebenso nötig wäre eine offensive Positionierung gegen die
Zumutungen des deutschen Mobs, die sich in Stammtischwitzen, BILD-Kampagnen und
Fussballstadien artikulieren und als deren Zielscheibe überwiegend nicht Linke,
sondern meist in wesentlich brutalerer Form ?Volksfeinde? wie
AsylbewerberInnen, JüdInnen oder Sozialschmarotzer herhalten müssen. Bezeichnend, dass gerade
in jüngster Zeit die Attacken auf Michel Friedman oder Florida-Rolf
weitgehend mit Schweigen oder heimlicher Sympathie begleitet wurden, während die
Verhaftung dreier als Möchtegern-Terroristen Gehandelter zu einem großen
Aufschrei führt.
diskussion unter www.copyriot.com/sinistra

@g8m

ijbjvb 21.10.2003 - 18:01
das, was du ansprichst, wird in den nächsten monaten diskutiert werden müssen. dieser zwiespalt der theoretischen rückständigkeit bzw. obskurität grossser teile der aufrufenden gruppen und der ebenso aufrufenden emanzipatorischen gruppen war in den letzten wochen auffallend. doch es geht schlichtweg auch um die kriminalisierung der gesamten linken szene in sachsen anhalt. für die bullen/staatsanwaltschaft gibt es keine unterscheidung zwischen "gut" und "böse". deshalb sollte dieses immens wichtige thema aber erst dann diskutiert werden, wenn der prozess beendet ist und die drei magdeburger wieder frei sind. dann aber richtig.
solidarität ist eine waffel!
und waffeln sind süss!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

@gruppe 8. Mai — sandamstrand