ESF 2003 und Asymetrische Bedrohung, Bericht

The great GATSby 14.10.2003 04:01 Themen: Globalisierung Militarismus Soziale Kämpfe Weltweit
In einer Kirche fand heute die vom Berliner Sozial Forum organisierte Infoveranstaltung zum ESF in Paris statt. So oder ähnlich muß sich wohl die Oppositionsbewegung in der ehemaligen DDR angefühlt haben, nicht nur wegen dem Ort, der Bandbreite der Teilnehmenden von 20 bis "Open End", dem Ort, einer Kirche in Berlin-Kreuzberg, der Atmosphäre, dem Namen (klingt für meine Ohren ein Wenig nach "Neues Forum").
Doch diesmal ist alles größer, weitreichender, es geht nicht mehr nur um einen Teil der Welt, es geht um Alles und ein einen relativ großen Schritt vorwärts zu einer anderen Welt, dem 2. Europäischen Sozial Forum, einer Art Plattform auf der die gesamte Bandbreite der Bewegung der Bewegungen agieren soll.
Knapp 400 Menschen waren anwesend um den Podiumsgästen zuzuhören, alle waren sie da, außer den jüngsten vielleicht die die aktivsten waren bei den Protesten gegen den Irak-Krieg. Haben die Schüler und Schülerinnen keinen langen Atem? Ansonsten war das Publikum zweigeteilt, eine Hälfte "Twens" un der Rest "Erwachsene" aller anderen Altersstufen.
Die etwas unglücklich gewählte Form der Experten-Runde die oben an den Mikros sitzt und zu dem passiven Publikum spricht konnte nur ausreichend überwunden werden (ein Paar Fragen wurden angenommen). Es ist zu hoffen, daß bei der geplanten Asemblea, einer Art Vollversammlung all derer die kommen und mitentscheiden wollen die Hürde für die Basisdemokratie nicht so hoch ausfällt. Auch war der Eintrittspreis für eine Infoveranstaltung meines Erachtens ungewöhnlich. Auch das Einsammeln von Spenden erinnerte mich an das penetrante Geld sammeln auf den Friedensdemos wo aufgerufen wurde für die Organisation der horrend teuren Bühnen auf denen Prominente Reden hielten zu zahlen.
Eigentlich hatte ich etwas anderes erwartet als eine Podiumsveranstaltung aber ich habe einfach nicht richtig gelesen. Die Prominenten die hier anwesend waren, sind zumindest (noch) keine Würdenträger, was aber schnell werden kann wenn es sich herumspricht, daß zwei oder drei Personen "die" Organisatoren des Berliner Sozial Forums sind. Dieser Eindruck entstand ein Wenig auch wenn es inhaltlich darum ging die Breite der beteiligten Gruppen darzustellen was auch gelang. Vielleicht mag ja irgendwer die Liste der Beteiligten Gruppen ergänzen.
Gesprochen haben eine Vertreterin aus Bangladesh, die erwähnte, daß dort inzwischen ganze Flüsse "privatisiert" werden. Eine Aktivistin von Labournet sprach über den Unterschided von Gewerkschaften und der Gewerkschaftsbewegung (die einen vor allem in der BRD staatstragend, die andere nicht). Beide Sprecherinnen benutzen überraschend oft das Wort "Kapitalismus" und daß dieser "abgeschafft" werden soll. Die Lage in Frankreich wurde grob erklärt (massive Proteste gegen Sozialraub und dergleichen) sowie der Einfluß von politischen Parteien auf das ESF vor Ort (er ist stark vorhanden im Gegensatz zum Berliner Pendant).
Außerdem sprach Frau Giuliani, Autorin von "Un anno senza Carlo". Die Namensgleichheit ist nicht zufällig, sie ist tatsächlich die Mutter des 2001 in Genua von der Polizei erschossenen Carlo Giuliani der sich an den dortigen massiven Protesten gegen die neoliberale/kapitalistische Globalisierung beteiligt hatte. So wurde ihr Redebeitrag auch ziemlich ergreifend, war sie stellenweise den Tränen nah. Sie betonte den Zusammenhang der Bewegung der Bewegungen (Movimiento del Movimienti).
Auch Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung, bekannt vor Allem dadurch, daß er bei der diesjährigen Nato-"Sicherheitskonferenz" zur Desertion aufrief und prompt dafür von einem Greiftrupp festgenommen wurde, betonte die Zusammenhänge, vor Allem zwischen dem drastischen Sozialabbau (Hartz, Agenda 2010), den horrenden Militärausgaben und der neuen Europäischen Verfassung die unter Anderem Aufrüstung und Sozialraub festschreibt.
Beigefügt ist ein Interview mit ihm wo er das genauer erläutert. Er geht auch auf den in der neuen "Verteidigungpolitischen Richtlinie" vorgesehenen Bundeswehreinsatz im Innern bei sogenannten (Neusprech) "Asymetrischen Bedrohungen" ein.
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Ergänzungen

super!

jdberlinjl 14.10.2003 - 09:56
war eine super veranstaltung und eine tolle vorbereitung zum europäischen sozialforum!

wer mit uns zum esf fahren will und dort mit anderen linken jugendlichen aus europa ein paar politische tage verbringen will - einfach anmelden:

 http://www.solidarisches-europa.de

Libertaire social forum

No nation No border 14.10.2003 - 11:10
Ich weiss nicht ob ihr schon wissen es gibt auch ein Libertaire social forum in Paris Das ist kein Forum against die ESF sondern mehr mit dem Basis dh mit menschen von Ghetto und randgruppen wer interesse hat bitte mit uns kontakt nehmen  Alainch@gmx.de no nation no border Heidelberg salut Alain
ps diese Forum ist auf seine Urspruch berufen worden dh sozialforum mit les sans papiers, les ohne Stimmen, die Arme

Eindrücke

Mr.X 14.10.2003 - 11:45
Ich wollte eigentlich auch einen Bericht schreiben, aber der hier genügt. So nur ein paar Ergänzungen:

- Die Veranstaltung könnte ein Auftakt zu einer etwas verspäteten sozialen Bewegung -zumindest in Berlin- sein. Der Herbst ist gutgehend vollgepackt mit Terminen. Hier mal die Interessantesten:
20.10. Aktionstag gegen Agenda 2010 - gibt überall in Berlin Pläne, was zu machen
25.10. Notversammlung der Berliner/innen - Asamblea
30.10. 1.BürgerInnen und SozialKonvent in der Friedrichstadtkirche
1.11. Bundesweite Demonstration gegen den Sozialkahlschlag

- Der Vergleich mit DDR-Wende-Atmosphäre kommt hin. Besonders bei der Mutter von Carlo Giuliani kam sehr viel davon rüber. Man konnte spüren, daß die sozialen Bewegungen in Italien wesentlich weiter und bewusster sind, als das Bischen, was hier in D. zu finden ist. Die Ausrichtung ist positiv, klar richtung "bessere Welt". (Im Gegensatz dazu deutsche Linke: Definition einzig über Anti-`s) ...
Sie sprach über den Zustand der Bewegung der Bewegungen, über Spaltungsstrategien und ihre Wirkungen, darüber, daß Bewegungen nicht an Qantität gemessen werden können. (Bewegungen sind nicht wie Parteien an Wahlbeteiligung zu messen, sondern wachsen quasi "unterirdisch"). Sie sprach auch darüber, daß Carlo es abgelehnt hat, in irgendwelchen Gruppen Mitglied zu sein, da solche Zugehörigkeiten meist Abgrenzung zu anderen bedeuten. In D. verstehen das viele leider nicht. Viele verwechseln die politische Aktivität mit Gruppenmitgliedschaft in geschlossenen ideologischen Wohlfühl-Gemeinschaften.

- Immer wieder wurde erwähnt, daß Gewerkschaften und Parteien ihre Aktivität einzig auf die Schaffung von mehr Ungerechtigkeit ausrichten. Dennoch solle die Bewegung der Bewegungen sich nicht die Themen wegnehmen lassen. Mehrmals wurde die Notwendigkeit der Utopien-Schaffung betont. Auch wenn beim ESF viele staatstragende Organisationen sein werden, sollten sich dort kritische Menschen treffen, um sich über Utopien auszutauschen.

- Pflüger sprach ziemlich eindringlich über die europäische Kriegsverfassung und ihre Bedeutung. Er sprach von Punkten in der Verfassung, die der Öffentlichkeit von den Medien bewusst vorenthalten werden und deren konkrete Auswirkungen. Pflüger sprach aber auch über die notwenige weitere Vernetzung der verschiedenen Bewegungen. Weiterhin führte er aus: Erst lokale Themen und lokale Handlungsfähigkeit einer global ausgerichteten Bewegung zeigen ihre Stärke.

- Insgesamt schätze ich die Zahl der Teilnehmer auf 400 bis 500. Neben den üblichen Gesichtern aus den verschiedenen linken und libertären Strömungen waren viele politisch bewusste "Normalbürger" (komischer Begriff) anwesend, die sich teilweise auch in die Diskussion einbrachten. Als etwas störend empfand ich die Sektenmitglieder von Linksruck, die wieder Werbung für ihre Partei machen mussten. Allerdings wurden sie von den meisten Anwesenden nicht wahrgenommen.

- Nebenbei fiel mir noch auf: Warum ist eigentlich Bolivien kein Thema für die meisten kritischen Menschen?

Links zum Beitrag

The great GATSby 14.10.2003 - 11:56
FSE/ESF (Das Europäische Sozialforum)
 http://www.fse-esf.org/francais/rubrique4.html

Berliner Sozialforum
 http://www.mphase.net/wiki/index.php?Berliner%20Sozialforum

Wege aus dem Kapitalismus (Helle Panke, war an der Orga beteiligt)
 http://coforum.de/index.php4?Wege_aus_dem_Kapitalismus

Informationsstelle Militarisierung
 http://imi-online.de

Freies Radio Querfunk
 http://www.querfunk.de/live.html

Bisherige Artikel:

Eindrücke von Glogauer-16-Party in Berlin
 http://de.indymedia.org/2003/10/63277.shtml

Berlin: Eröffnungsparty des Sozialen Zentrums
 http://de.indymedia.org/2003/10/63270.shtml

Video: Soziales Zentrum Glogauer 16
 http://de.indymedia.org/2003/10/63166.shtml

Berichte
 http://de.indymedia.org/2003/10/63142.shtml
 http://de.indymedia.org/2003/10/63140.shtml
 http://de.indymedia.org/2003/10/63139.shtml


ok naja und gähn

horst 14.10.2003 - 14:53
vor 10 jahren hätte mensch das in der kirche vertretene heterogene publikum wahrscheinlich als das klassische grünen wählerInnen klientel bezeichnen können (m.e. nach waren es übrigens rund 300 personen, nach der pause die hälfte). die grüne partei wählt mensch heut nun mal nicht mehr - mensch ist jetzt teil der "bewegung der bewegungen".

die meisten beiträge vom podium waren eher dröge und von den halb professionelen politikfunktionärens im politikerInnen slang und formeln vorgetragen. ich habe mich nicht viel mehr oder detailierte über die europäischen und internationalen sozialen kämpfe informiert gefühlt, geschweige denn über lokale "kämpfe" interessant zum zuhören war von stimmung und inhalt die rede von frau guliani, die nicht dem üblichen podiumsdiskussions statements folgte. recht gut war das angebot der simultanübesetzung per kopfhörer ins deutsche, italienische und englische.

zu den beiträgen bleibt zu sagen, dass ein unkritisches verhältniss zur arbeit vorherrschte, tenor a la: mehr arbeitsplätze her. ich wär ja eher für die 10 stunden woche. desweiteren wurde sich ausnahmlos und unkritisch positiv auf die "friedensbewegung" und die demos im frühjahr gegen den krieg im irak bezogen. differenziertes und bedenkenswerten zum plötzlichen friedensengel bundesregierung war nicht zu hören.

der ruf nach unterstützung des "palästinensischen volks" (ich glaub vom menschen aus frankreich auf dem podium) wurde von vermutlich der hälfte des publikums laut beklatscht. so meine wahrnehmung. ich neige nicht dazu, menschen mit solidarischen gefühlen für die menschen in "palästina" als antisemitisch zu bezeichen. doch ich denke, dass es (wahrscheinlich besonders) für die globalisierungskritische linke in deutschland not tut, das verhältniss zu dem "nahost konflikt" deutlich zu klären. mein vorschlag wäre sich a) niemals positiv auf ein "volk" zu beziehen und b) vielleicht einfach mal ganz dazu die fresse dazu zu halten - den menschen dort unten, ob in israel oder palästina, helfen die grabenkämpfe hier nicht und es dürfte sie auch kaum interessieren, was sich hier diverse fraktionen auf die fahne schreiben.

von aufbruch war in dieser kirch wenig zu spüren, es herrschte etwas hörsaal atmosphäre. mit welcher begeisterung mehr menschen an bord der "bewegung" geholt werden soll bleibt nach wie vor unklar. viel übereinstimmung, das was getan werden muss, gab es. aber wie und was genau und wohin (ausser eben nach paris) das blieb unklar bzw wurde in die üblichen worthülsen und leerformeln gepackt. also weiter mit dem polittourismus.

denkt global -

labbert drüber und sauft im lokal.



wie kommen die 400 zustande

The great GATSby 14.10.2003 - 15:59
manchmal habe ich den eindruck ich bin auf einer anderen veranstaltung als die leute die unter beiträgen immer etwas zum herumkritteln finden. erstmal zu den "300" von horst. wenn wir schon beim "erbsen zählen" sind: ausnahmsweise war es ziemlich einfach nachzuzählen wieviel leute da waren, denn es gab unten auf zwei seiten jeweils 14 reihen a 12 sitzplätzen die fast alle besetzt waren, oben gab es noch etwa 4 reihen a 12 plätze plätze die so zu zwei dritteln besetzt waren, darüberhinaus standen ein paar leute, saßen welche an den treppen... also nach adam riese ;-)

ich frage mich wo du, horst, dich aufgehalten hast als tobias pflüger gesprochen hat und mehrmals wiederholt auf die bundesregierung, die eu und ihren entscheidenden beitrag zum krieg und die noch folgende militarisierung eingegangen ist, mehr noch, das war ja sein hauptthema!
aber für legastheniker, all das erzählt er noch mal ausführlich in dem hier vorhandenen interview. konkret wurde auch immer wieder der zusammenhang zwischen agenda 2010 und aufrüstung gezogen. einfach mal zuhören das nächste mal statt danach zu trachten eingefahrene vorurteile bestätigt haben zu wollen.

und das die identitätslinke wie ein pawlowscher hund auf "palästina" und "israel" anspringt, dafür kann die globalisierungskritische bewegung nun wirklich nichts, diese projektionsfläche für eigene sehnsüchte ist nur für die diversen antis intersseant. die anwesenheit emanzipatorischer antifa-gruppen (alb) hat aber auch gezeigt wie breit der aufbruch ist.
die hinteren reihen haben zwar bei solidarität geklatscht aber von "volk" habe ich nichts vernommen.
geklatscht wurde am meisten bei frau giuliani und bei den verschiedenen beiträgen zum "kapitalismus" also etwa die aktivistin aus bangladesh meinte, das übel müsse benannt werden, nicht "globalisierung" sondern "kapitalismus". aber jeder sieht und hört was er will, in diesem sinne stimme ich dir zu, "die welt ist sooo schrecklich und wir sind alle sooo machtlos".

ich kann ja verstehen, daß du nach 30 jahren "links sein" kein bock mehr hast, "labbrig" [sic] bist denn labern (reden) ist ungleich labbern (durchhängen), aber mußt du wirklich alle mit dem gerede vom "saufen" belästigen?


War auch da

ALBler 14.10.2003 - 20:10
Zwar bin ich nicht ganz so pessimistisch wie Horst, aber im Grunde hat er schon recht. Die RednerInnen sahen den Kapitalismus nur deswegen als Problem, weil er nicht allen Arbeit verschafft und nicht, weil es keine bedürfnisorientierte planmäßig Arbeit gibt. Dann müsste man nämlich auch VIEL weniger arbeiten gehen, weil der ganze Quatsch, den man nicht braucht (Waffen...) nicht mehr hergestellt würde.

Außerdem fand ich die Äußerung zum Nahostkonflikt auch deplaziert. Es hat einmal mehr gezeigt, wie stark da Ressentiments unterwegs sind...

Ich würde behaupten, es waren wirklich so knapp 400 Leute, aber darauf kommt´s wirklich nicht an.

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DDR? Neues Forum? — Sonja

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scheisse — alex

@ mods — Susi

wahrnehmung — horst