Zerstreuung gegen den 3. Oktober: Radioballet

Frank Lipschik 06.10.2003 12:55 Themen: Freiräume Kultur
Keine Demonstration, sondern eine Zerstreuung: Anläßlich des 3. Oktobers wurde in Erfurt ein Radioballett aufgeführt: Gegen Ausgrenzung und Nützlichkeitsdenken, für das solidarische Zusammenleben aller Menschen.
Pünktlich um 10 Minuten vor zwölf hatten sich rund 50 Menschen in der Erfurter Innenstadt zwischen Domplatz und Fischmarkt eingefunden, um sich am ersten Erfurter Radioballett zu beteiligen. Das Radioballett ist eine Aktionsform, die von der Gruppe LIGNA vom Hamburger Radio fsk entwickelt wurde und bereits in Hamburg und Leipzig an den jeweiligen Bahnhöfen aufgeführt wurde. Ging es bei den vorhergehenden Inszenierungen thematisch um die zunehmende Überwachung und die Privatisierung des öffentlichen Raums, so thematisierte das Erfurter Radioballett Fragen von Deutschsein, Nationalität und Ausgrenzung.

Zur "Zerstreuung gegen den 3. Oktober" hatten verschiedene Initiativen und Organisationen aufgerufen, bereits ab 11 Uhr wurde im nichkommerziellen Lokalfunk Radio FREI auf 96,2 Mhz thematisch eingeführt.

Zu Beginn des ab 12 Uhr ausgestrahlten Radioballetts hieß es zum Sinn der Aktion:
"In der nächsten Stunde wird das Radio zum Ballett. Das Radioballett infiltriert den öffentlichen Raum am 3. Oktober. Es untersucht die Logik des Volksfestes, die Grauzone zwischen geordneten und ungeordneten, erlaubten, zwielichtigen und verbotenen Gesten am Tag der nationalen Einheit.
Eine erste Stimme gibt den Titel der Geste an. Eine zweite Stimme beschreibt die dazugehörigen, auszuführenden Bewegungen. Eine dritte und vierte Stimme verlesen in ruhigen Phasen Thesen zum Radioballett, zur Nation und zur Freiheit von der Nation.
Das nationale Fest hat seine Ordnung. Es ist eine Manifestation im öffentlichen Raum, der zunehmend kontrolliert wird.
Das Radioballett bestimmt nicht die Verteilung der Menschen im Raum.
Der Äther ist überall. In ihm verteilt sich die Stimme.
Die Zerstreuung der Stimme ist unkontrollierbar.
Jede und jeder befindet sich an einem eigenen Ort, dort, an dem er oder sie die Stimme durch das Radio empfängt. Jeder und jede entscheidet selbst, welche Gesten er ausführt
Radioballett ist eine Zerstreuung gegen den 3. Oktober."

Die TeilnehmerInnen hörten, mit einem kleinen Radio mit Kopfhörer ausgestattet, Texte über Deutschland und dem Konstrukt der Nation und wurden zwischendurch immer wieder aufgefordert, beschriebene Gesten auszuführen. Das massenhafte, parallele Ausführen von bestimmten Gesten führte dann auch zur gewünschten Verwirrung bei den PassantInnen in der Erfurter Innenstadt. Immer wieder blieben Menschen verunsichert stehen und erkundigten sich nach dem Sinn der Aktion. Höhepunkt dürfte das Platzieren kleiner Deutschlandfähnchen aus Papier an unwürdigen und banalen Orten gewesen sein, die dann "links liegengelassen" wurden. Nachdem nach rund 36 Minuten "Deutschland verabschiedet" worden war, brandete spontan Beifall unter den Teilnehmenden auf. Insbesondere für die unmittelbar Beteiligten darf die Aktion als gelungen bewertet werden, die zudem noch viel Spaß gemacht hat.

Im Anschluß wurde noch mit einem Straßenfest der Tag der Einheit der Menschen begangen: Gegen Ausgrenzung und Nützlichkeitsdenken, für das solidarische Zusammenleben aller Menschen.

Vielen Dank an alle, die sich am Erfurter Radioballett beteiligt haben.
Vielen Dank an LIGNA für die gute Zusammenarbeit!
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Ergänzungen

schön!

mein name 06.10.2003 - 18:12
gibts bilder oder einen mitschnitt der radiosendung?

weiter so!

Mitschnitt erhältlich

Frank Lipschik 07.10.2003 - 14:52
Da die Sendung komplett mitgeschnitten wurde, ist es kein Problem, davon eine Kopie der Gesamtsendung oder der vorproduzierten Sendung zum Radioballett zu erhalten. Fotos wird es in wenigen Tagen auch geben.
Interessierte können eine Email mit dem Betreff "Radioballett" an obenstehende Adresse schicken

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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