Kanzler Schröder und die "Feiglinge"

Max Brym 04.10.2003 00:31 Themen: Soziale Kämpfe
Der Kanzler, das Parlament und die Abstimmung am 17.10.03
Erstveröffentlichung
Kanzler Schröder, das Parlament und die „Feiglinge“

Am 17 Oktober 2003 soll ein weiterer Schritt zur Umsetzung der Agenda 2010 getan werden. Diesmal geht es speziell den Arbeitslosen an den Kragen. Obwohl sich dieses Land den Luxus leistet, als einziges Land neben Österreich, weltweit keine Vermögenssteuer mehr zu erheben, hat der Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger endgültig das Leben eines Paupers zu führen. Nicht die Arbeitslosigkeit, sondern der Arbeitslose wird bekämpft. Wer dieser Politik auch nur partiell widerspricht, gilt nach SPD Fraktionschef Müntefering als „Feigling“. Der Kanzler will eine eigene Mehrheit für die Abstimmung am 17 Oktober 2003. Abweichler sollen in der SPD Fraktion nicht mehr geduldet werden. Den sechs „Aufrechten“, wird empfohlen ihr Mandat ruhen zu lassen und sich ernsthaft zu überlegen „wem sie ihr Mandat zu verdanken hätten“. Besonders erregt den sozialdemokratischen Großinquisator Franz Müntefering, dass vier von sechs sozialdemokratischen Abweichlern aus Bayern kommen. Der Kanzler droht neuerlich mit seinem Rücktritt, wenn er mit seiner Agenda scheitern sollte. Das wäre in der Tat keine schlechte Lösung, denn Schröder hat in fünf Jahren im Interesse des deutschen Kapitals, mehr soziale Errungenschaften zerschlagen, als die Regierung Kohl in sechzehn Regierungsjahren. Das Argument des kleineren sozialdemokratischen Übels, hat jegliche formale Logik verloren. Der rasante Sozialabbau, wird nur scheinbar von den Vorschlägen der „Herzog- Kommission“ übertroffen, gilt doch auch in Regierungskreisen die Agenda 2010 „nur als Anfang“. Ein vorläufiges Scheitern einer solchen Politik ist begrüßenswert.

Schröder und das Hotel Adlon

Neben den sozialen Grausamkeiten, bricht Schröder mit den offiziellen Gepflogenheiten des bürgerlichen Parlamentarismus. Das „freie Mandat“, hat für diese Herrschaften keinerlei Bedeutung mehr. Das Parlament mit seinen Debatten und Abstimmungen, scheint Herrn Schröder zu stören. Anders sind die Angriffe auf die „Abweichler“ nicht zu deuten. Die Industrie beklagt seit geraumer Zeit, „die langsamen politischen Entscheidungswege“. Nicht zufällig umgeben sich Regierung und Opposition laufend mit Kommissionen, die angeblich neutral das Notwendige vorgeben. Im Hotel Adlon im kleinen Kreis, ließe es sich einfacher regieren. Die Abgeordneten könnten, wenn es nach Schröder geht, vier Jahre frei haben und nebenbei seine Politik in der Provinz verkaufen. Kürzlich sagte Schröder „dass er nicht das Schicksal Hermann Müllers erleiden möchte“. Dieser Mensch war der letzte sozialdemokratische Reichskanzler in der Weimarer Republik und mußte im März 1930 sein Amt aufgeben, da er in der Regierungsverantwortung nicht bedingungslos, den Anforderungen der Industrie gerecht werden konnte. Auf Müller folgte Heinrich Brüning und betrieb eine rigorose Politik des sozialen Kahlschlages. Schröders historische Analogie heißt, er will den postmodernen Brüning im Jahr 2003 abgeben. Die Zahl der Arbeitslosen, kletterte in der Ära des echten Brüning von vier auf sechs Millionen. Wer die Regierungserklärung des damaligen Zentrumskanzlers, mit der „Blut Schweiß und Tränen Rede“ von Kanzler Schröder im März 2003 vergleicht, wird eine fast deckungsgleiche Argumentation vorfinden. Auch der „Bundesverband der deutschen Industrie“, ist voll in der Tradition des „Reichsverbandes der Deutschen Industrie“, jener erklärte in einer Denkschrift vom 2. Dezember 1929: „ Wir benötigen Steuersenkungen, eine drastische Erhöhung der Massenverbrauchssteuern, eine rigorose Kürzung der Sozialleistungen und eine Beseitigung der Tarifvertragsbindungen“, in völliger Einmütigkeit war konstatiert worden, dass dieses Programm „unter einer parlamentarischen Regime nicht durchführbar ist und deshalb auf die Ausschaltung des Reichstages Kurs genommen werden soll.“ Letzteres hat im Jahr 2003 eine modifizierte Bedeutung erhalten. Es genügen einige Abweichler in der SPD Fraktion, um deren Suspendierung zu fordern und der Axt des Inquisators Müntefering anzuvertrauen. Das Parlament wird offen zum Jubelorchester degradiert, da der Schein parlamentarischer Macht und der dazugehörigen Debatten, nicht mehr der Kostennutzenrechnung der „Deutschland AG“ entspricht. Der verschärfte Konkurrenzkampf um den Weltmarkt, erfordert seitens des deutschen Kapitals, Tempo, Tempo und abermals Tempo. Langwierige Debatten in Parlamenten sind nicht mehr gefragt, -in- ist das schnelle und reibungslose Funktionieren des Staatsapparats.

Wie verhalten sich die „Feiglinge“

Zunächst ist es wichtig festzuhalten, die sechs sind keine Feiglinge. Es wäre für sie einfacher, dem Kanzlerkurs bedingungslos zu folgen. Aber es gibt auch ein Eigeninteresse, der Leute um Ottmar Schreiner und Fritz Schösser. Schreiner gilt als Sozialexperte und Schösser ist DGB- Vorsitzender in Bayern. Sie müssen ihre Existenzberechtigung nachweisen. Ihre Opposition ist nur eine bedingte Opposition. Sie werden „umfallen“, wenn es keine Bewegung an der Basis, keine außerparlamentarischen Proteste gegen die Agenda 2010 gibt. Fritz Schösser erklärte am 2.Oktober 2003 gegenüber der SZ:„ Ich versuche den gröbsten Unfug zu verhindern“ und „ich möchte kein Held sein, denn Helden sterben bekanntlich jung.“ Nun ist der in Töging am Inn großgewordene Schösser nicht mehr der Jüngste, seine Opposition bedarf eines gewissen Druckes von außen, um halbwegs haltbar zu sein. Der verhinderte „Held“ Schösser und seine Freunde, sind nicht mehr gefragt in der politischen Landschaft, solange sie als Parlamentarier eine beschränkte Bedeutung haben wollen. Schröder bevorzugt die Kommissionen, das Hotel Adlon und das Gespräch mit den Vertretern der Industrie. Das Parlament nervt Schröder sichtlich.

Max Brym
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

hallo Max

Peter 04.10.2003 - 01:23
normalerweise lese ich deine Beiträge gar nicht mehr, weil die in der Regel alle auf Antisemitismus und Hysterie hinsteuern und vom aktuellen Geschehen ablenken.
Das scheint hier mal eine Ausnahme zu sein und du hast auch im den Kernaussagen völlig Recht. Trotzdem schimmert da eine gewisse Sympathie für den Parlamentarismus durch. Du suggerierst, daß vor der "Ära" Müntefering alle Abgeordneten nur ihrem Gewissen verpflichtet waren.
Das ist falsch. Das Parlament war schon immer eine Jubelmannschaft. Die Regierung wird nicht von der Bevölkerung gewählt, sondern vom Parlament. Demzufolge hat jede Regierung während ihrer Legislaturperiode eine parlamentarische Mehrheit. Und da das politische Leben ausschließlich aus Legislaturperioden besteht, wird es nie eine Regierung geben, die in einer Abstimmung unterliegt.
Das ist so ähnlich wie in der DDR. Dort war man jedoch ehrlicher und nannte den ganzen Kram schlicht "DIKTATUR".

Die Transformation der Demokratie

Bernd 04.10.2003 - 14:08
Wer mehr Einblick in die Aufgaben des bürgerlichen Parlamentarismus bekommen möchte,sollte das Buch "Die Transformation der Demokratie"von Johannes Agnoli lesen.ISBN 3-924627-20-7

Gewerkschaften mit dabei

P. 04.10.2003 - 15:50
Die deutschen Gewerkschaften unterstützen die Sozialabbau-Politik mit ganzer Kraft. -Proteste und Demonstrationen gegen Hartz-Papiere und Agenda werden von Gewerkschaftsspitzen erst nach Beschluss dieser geduldet. Die Schäfchen-Basis hält auch still uund so wird eine Großdemonstration gegen Sozialabbau erst am 1.1.stattfinden. Dort werden aber linke Strömungen versuchen präsent zu sein. Vielleicht schaffen es die Reste der Linken dort (allgemeinverständlich) Inhalte, Kritik und Ideen für Lösungsansätze zu vermitteln. Eine kleine soziale Bewegung in Germoney hinzubekommen, wär doch mal was!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke den folgenden Kommentar

An Peter

Genc Mustafa 04.10.2003 - 14:24
Wenn du den Antisemitismus in Deutschland für kein reales Problem hältst, dann ist dir nicht mehr zu helfen.
Zu deiner Kritik an Max Brym
1. In dem Artikel wird nur klargemacht, dass die herrschende Klasse den bürgerlichen Parlamentarismus deutlich infrage stellt. Das bürgerliche Parlament ist eine Betrugsveranstaltung, dennoch relativ zeitaufwendig und es kostenintensiv. Das Kapital sagt dem sozialen Kompromiß ade und würde gerne auf Leute verzichten, die weiter den "sozialen Ausgleich" zugunsten des Kapitals fordern.
2. Ein bischen Dialektik könnte Peter nicht schaden. Herrn Brym vorzuwerfen, dass er den bürgerlichen Parlamentarismus verharmlost, ist idealistischer Unsinn.

Genc Mustafa