Lohnarbeit in Hitlers Volksgemeinschaft II.

Wal Buchenberg 02.10.2003 17:22 Themen: Antifa
Zitat: "Der Arbeiter im Dritten Reich, dem man das Recht, sich zu organisieren, kollektive Tarifverträge auszuhandeln und zu streiken genommen hatte, geriet seinem Arbeitgeber gegenüber in eine ähnliche Hörigkeit, wie sie für die Bauern im Mittelalter gegenüber ihren Gutsherren bestanden hatte...." W.L. Shirer
Die "Volksgemeinschaft" war für Lohnarbeiter eine Knechtschaft.
Lohnarbeit in Hitlers Volksgemeinschaft II.

"DIE HÖRIGKEIT DER ARBEITERSCHAFT

Der Arbeiter im Dritten Reich, dem man das Recht, sich zu organisieren, kollektive Tarifverträge auszuhandeln und zu streiken genommen hatte, geriet seinem Arbeitgeber gegenüber in eine ähnliche Hörigkeit, wie sie für die Bauern im Mittelalter gegenüber ihren Gutsherren bestanden hatte. Die sogenannte Arbeitsfront trat zwar theoretisch an die Stelle der alten Gewerkschaften, vertrat jedoch nicht die Interessen der Arbeiterschaft. Nach dem Gesetz vom 24. Oktober 1934 war die Deutsche Arbeitsfront »die Organisation der schaffenden Deutschen der Stirn und der Faust«. Sie umfaßte nicht allein Lohn- und Gehaltsempfänger, sondern auch die Unternehmer. In Wirklichkeit war sie eine große Propaganda-Organisation und, wie so manche Arbeiter sagten, ein riesiger Schwindel. Ihr Ziel war nicht der Schutz der Arbeiterschaft, es war, wie es im Gesetz hieß, »die Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen. Sie hat dafür zu sorgen, daß jeder einzelne seinen Platz im wirtschaftlichen Leben der Nation in der geistigen und körperlichen Verfassung einnehmen kann, die ihn zur höchsten Leistung befähigt und damit den größten Nutzen für die Volksgemeinschaft gewährleistet.«
Die Arbeitsfront war keine selbständige Körperschaft, sondern wie fast alle andern Einrichtungen in Hitler-Deutschland mit Ausnahme der Wehrmacht ein integrierender Teil der NSDAP, oder wie ihr Führer Dr. Ley sagte, »ein Instrument der Partei«. Das Gesetz vom 24. Oktober sah denn auch vor, daß die Führer der Arbeitsfront »in erster Linie Mitglieder der in der NSDAP vorhandenen Gliederungen« und »Angehörige der SA und der SS« sein sollten. Und so war es auch.

Schon früher, am 20. Januar 1934, war ein »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« erlassen worden, das den Arbeitgeber wieder in seine frühere absolute Herrenstellung einsetzte, wiewohl er selbst sich natürlich dem allmächtigen Staat zu fügen hatte. Aus dem Unternehmer wurde »der Führer des Betriebes«, ans der Angestellten- und Arbeiterschaft die »Gefolgschaft«. § 2 des Gesetzes lautete: »Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten.« Und so Wie in alten Zeiten der Feudalherr für das Wohl seiner Hörigen verantwortlich war, so war es jetzt der Unternehmer für seine Arbeiter »Er hat für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen.« Dafür »hat ihm diese die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten« — d. h., sie mußte hart und lange arbeiten und durfte nicht widersprechen oder murren, auch nicht über Löhne.

Die Höhe der Löhne setzten die von der Arbeitsfront ernannten sogenannten Treuhänder der Arbeit fest. In der Praxis richteten sie sich dabei nach den Wünschen der Arbeitgeber: Keinerlei Bestimmung sah auch nur die Befragung der Arbeiter in Lohnfragen vor. Selbst nach 1936, als sich in der Rüstungsindustrie ein Mangel an Arbeitskräften einstellte und einige Unternehmer zwecks Anlockung von Arbeitern die Löhne zu erhöhen suchten, wurden die Lohnsätze auf Anordnung der Regierung niedrig gehalten. Hitler äußerte sich ganz offen darüber: »Nicht Erhöhung der Stundenlöhne, sondern Einkommenssteigerung allein durch Leistung ist von jeher eherner Grundsatz der nationalsozialistischen Führung gewesen« In einem Lande, in dem die Löhne größtenteils auf Akkordarbeit beruhten, bedeutete dies, daß ein Arbeiter nur dann auf höheren Lohn hoffen konnte, wenn er schneller und länger arbeitete.

Obwohl 1938, im Jahr der Hochkonjunktur, fünf Millionen Menschen mehr im Arbeitsprozeß standen als im Krisenjahr 1932, sank doch in diesem Zeitraum der Anteil der deutschen Arbeiter am Nationaleinkommen von 56,9 Prozent auf 53,6 Prozent. In der gleichen Zeit stieg der Anteil der Einkünfte aus Kapital- und Betriebsvermögen am Nationaleinkommen von 17,4 Prozent auf 26,6 Prozent. Zwar erhöhten sich wegen der viel größeren Beschäftigtenzahl die gesamten Lohn- und Gehaltseinkünfte von 25 Milliarden auf 42 Milliarden Mark, also um 66 Prozent. Aber das Gesamteinkommen aus Kapital- und Betriebsvermögen stieg viel steiler an, nämlich um 146 Prozent.
Alle Propagandisten im Dritten Reich, angefangen bei Hitler, pflegten in ihren Reden gegen Burger und Kapitalisten zu wettern und sich mit der Arbeiterschaft solidarisch zu erklären. Aber eine nüchterne Untersuchung der amtlichen Statistiken — eine Mühe die sich wohl wenige Deutsche gemacht haben — enthüllt, daß die vielgeschmäht Kapitalisten, und nicht die Arbeiter, von der Politik Hitlers am meisten profitierten.

Der Lohn, den der deutsche Arbeiter nach Hause brachte, war schließlich noch durch eine Reihe von Abzügen zusammengeschrumpft. Neben seiner Lohnsteuer, den Beiträgen zur Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung und Arbeitsfront, mußte der deutsche Arbeiter — wie jedermann im Dritten Reich — Spenden für die NS-Volkswohlfahrt zahlen, insbesondere für die sogenannte Winterhilfe. Die Höhe der Abzüge wurde Mitte der dreißiger Jahre auf 15 bis 35 Prozent des Bruttolohns geschätzt. So blieb denn nicht viel übrig für Miete, Nahrung, Kleidung und Freizeit.

In Hitler-Deutschland mußten die Arbeiter feststellen, daß sie mehr und mehr an ihre Arbeitsplätze gebunden wurden. Wie wir sahen, konnte auf Grund des Erbhofgesetzes auch ein Bauer sein Land nicht verlassen. Ähnlich erging es den Landarbeitern; es war ihnen verboten, in der Stadt Arbeit zu suchen. Allerdings muß gesagt werden, dass in diesem Fall einem Gesetz der Nationalsozialisten nicht Folge geleistet wurde, denn zwischen 1933 und 1939 wanderten 1,3 Millionen Landarbeiter in Industrie und Gewerbe ab. Aber bei Industriearbeitern wurde die Einhaltung des Gesetzes erzwungen. Verschiedene Verordnungen, beginnend mit dem Gesetz vom 15. Mai 1934, schränkten die Bewegungsfreiheit der Arbeiter stark ein. Von Juni 1935 an erhielten die Arbeitsämter absolute Kontrolle; sie bestimmten darüber, in welchem Betrieb und für welche Tätigkeit jemand eingestellt werden konnte.

Im Februar 1935 war das Arbeitsbuch eingeführt worden, ohne das kein Arbeiter irgendwo beschäftigt werden konnte. In dieses Buch wurden Art und Dauer der Tätigkeit eingetragen, so daß Staat und Wirtschaft über jeden einzelnen Beschäftigten informiert waren. Davon abgesehen, wurde das Arbeitsbuch dazu benutzt, einen Arbeiter an seinen Arbeitsplatz zu binden. Wollte er seine Stelle wechseln, so konnte sein Arbeitgeber sein Arbeitsbuch zurückhalten, was bedeutete, daß er anderswo auf legale Weise nicht beschäftigt werden konnte. Am 22. Juni 1938 schließlich führte die Vierjahresplan-Behörde Arbeitszwang ein. Damit war jeder Deutsche verpflichtet, zu arbeiten, wo ihn der Staat hinstellte. Arbeiter, die ihre Arbeitsplätze ohne sehr triftige Gründe verließen, setzten sich Geld- und Gefängnisstrafen aus. (...)

Um die durch so viele Kontrollen niedergehaltenen deutschen Arbeiter abzulenken, bot man ihnen wie den Plebejern im alten Rom neben dem Brot auch Spiele. Zu diesem Zweck baute Dr. Ley die Organisation »Kraft durch Freude« auf. Was sie den Menschen bot, läßt sich nur als organisierte Freizeitgestaltung bezeichnen. Man hielt es offenbar für notwendig, nicht nur die Arbeitszeit, sondern auch die Freizeit zu kontrollieren. (...)
Dr. Ley ließ zwei 25 000-t-Schiffe bauen, von denen eins nach ihm selbst benannt wurde, und charterte zehn weitere Schiffe für Kraft-durch-Freude-Seereisen. In Seebädern übernahm die Organisation weite Strandgebiete für Sommerurlauber; auf Rügen zum Beispiel wurden riesige Hotelbauten für die Unterbringung von 20.000 Personen in Angriff genommen, allerdings nicht vollendet, da inzwischen der Krieg ausbrach.
Über »Kraft durch Freude« erhielten Arbeiter und Angestellte verbilligte Theater-, Opern- und Konzertkarten. (...) Schließlich übernahm »Kraft durch Freude« noch die schon in der Zeit der Republik gegründeten Volksbildungsstätten oder Volkshochschulen (...)‚ die dann natürlich mit der NS-Ideologie durchsetzt wurden.

Letztlich mußten freilich die Arbeiter für die ihnen gebotene Unterhaltung einen hohen Preis zahlen. 1937 bezog die Arbeitsfront aus den Beiträgen 400 Millionen Mark, die bis zu Kriegsbeginn auf 500 Millionen anstiegen — nach Dr. Ley. Seine Angaben waren indes außerordentlich vage, denn die Einnahmen der Arbeitsfront wurden nicht vom Staat, sondern von der Partei verwaltet, die niemals der Öffentlichkeit Abrechnungen vorlegte.
Von den Beiträgen zur Arbeitsfront wurden zwar nur zehn Prozent für »Kraft durch Freude« abgezweigt, doch beliefen sich in dem Jahr vor dem Krieg die von Einzelpersonen für Reisen und Vergnügungen eingezahlten Beträge auf 3 Milliarden Mark.
Noch etwas anderes kam den Lohnempfängern teuer zu stehen: Mit ihren 25 Millionen Mitgliedern die größte Parteiorganisation, wurde aus der Arbeitfront ein aufgeblähter Verwaltungsapparat mit Zehntausenden vollbeschäftigten Angestellten. Schätzungen zufolge wurden 20 bis 25 Prozent der Einkünfte von Verwaltungskosten verschlungen."

Geringfügig gekürzt aus: William Lawrence Shirer: Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. 1. Aufl. New York 1950, Sonderausgabe 1990, S. 255 – 258.

Der erste Teil dieses Themas (zu den Betriebsrätewahlen unter der Hitlerdiktatur) steht hier:  http://de.indymedia.org/2003/10/62750.shtml

Wal Buchenberg, 2.9.03
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Ergänzungen

Zitat

Pedder 02.10.2003 - 21:20
"Je mehr Arbeitslose wir haben und je schlechter es ihnen geht, desto besser wird die Arbeitsmoral, desto weniger drücken uns die Lohnkosten!"
(Orginalzitat, Friedrich Flick 1931 während der Weltwirtschaftskrise.)