MUC: Empörende Urteile gegen Antifaschisten

Rote Hilfe 23.09.2003 03:04 Themen: Repression
Am heutigen Montag, den 22.September fanden vor dem Amtsgericht München zwei Prozesse gegen Antifaschisten statt, denen „Aufruf zu Straftaten“ vorgeworfen wird. In beiden Fällen sollen die Angeklagten dazu aufgerufen haben, am 30.11. einen Naziaufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung zu blockieren. Dieser Aufmarsch wurde von Christian Worch und Martin Wiese angemeldet. Letzterer, sowie weitere Personen aus seinem Umfeld sind kürzlich wegen des Besitzes von mehreren Kilo Sprengstoff verhaftet worden und ganz offensichtlich gab es konkrete Anschlagspläne.
Dem Angeklagten Christian B. legte der Staatsanwalt zur Last, kopierte Stadtpläne der Umgebung des Naziaufmarsches verteilt und so zur Störung aufgefordert zu haben. Die Zeugin, Polizeimeisterin Alexandra K., konnte sich allerdings nicht erinnern, dass der Angeklagte zu einer Blockade aufgerufen hätte. Christian betonte in seiner politische Erklärung: „Wir sagen aber, die Form des Protestes gegen die Nazis war politisch korrekt. Auch wenn wir verurteilt werden sollten, ändert sich daran nichts.“ Er wies auch darauf hin, daß der gesamte Stadtrat wie auch OB Ude sich über die Zivilcourage erfreut zeigten, nun aber diejenigen, die sich den Nazis entgegengestellt haben, stellvertretend in seiner Person verurteilt werden sollen. Christian wurde zu 30 Tagessätzen á 30 Euro verurteilt.

Ähnlich fadenscheinig war der Vorwurf gegen Martin L. Er erklärte auf der Protestkundgebung am Odeonsplatz, daß er nach Ende der Kundgebung die Nazi-Gegner durch seine Präsenz am Goetheplatz unterstützen wolle und betonte im Folgenden sogar, daß jeder seine eigene Entscheidung treffen müsse, was zu tun ist. Auch in diesem Fall kann keine Rede von einem Aufruf zur Blockade sein. Als ehemaliger KZ-Häftling erlebte Martin Aufstieg und Machtübernahme der Nazis und hat auch noch sehr gut in Erinnerung, daß viel zu wenige Menschen sich den Nazis damals entgegen gestellt haben. Martin: „Die Nazi-Diktatur war nicht über Deutschland hereingebrochen, sie war keine unverhinderbare Katastrophe, sie ist von Menschen gemacht worden und kann auch daher von Menschen verhindert werden.“ Diese Lehre aus der Geschichte habe sich im Grundgesetz niedergeschlagen, das weit höher zu bewerten sei, als die Versammlungsfreiheit von Neonazis. Auch in diesem Fall befand der Richter den Angeklagten für schuldig.

Paula Schreiber von der Roten Hilfe e.V., Ortsgruppe München:

“Der Staatsanwalt Hoffmann verteidigte in beiden Prozessen das Versammlungsrecht der Nazis. Beide Angeklagten betonten zu Recht, das persönliche Engagement gegen alte und neue Nazis sei angesichts der Untätigkeit der Ermittlungsbehörden gegenüber Rechtsextremisten notwendiger denn je. Empört nahmen die zahlreichen Prozeßteilnehmer das Schlußwort des Staatsanwalts zur Kenntnis: `Wenn der Angeklagte ausführt, daß eine Verurteilung seiner Person den Rechten den Rücken stärke, so hat er durchaus Recht - nur hätte er sich das eben vorher überlegen müssen."

Verteidigerin Angelika Lex: "Ich schäme mich heute hier zu stehen und diesen Mann verteidigen zu müssen." Sie forderte vergeblich in beiden Fällen Freispruch.

Während die Staatsanwaltschaft und das Gericht die Zivilcourage und das bloße Verteilen von Stadtplänen als Straftat wertet, sind sie nicht willens gegen unverhohlen offene nationalsozialistische Propaganda vorzugehen. Oder gehört nach Meinung dieser Herren zur „Meinungsfreiheit“ das Tragen von Transparenten mit der Aufschrift `National Sozialismus`?“

Paula Schreiber: „Diese Urteile sind empörend und nicht hinzunehmen. Die Rote Hilfe wird auch in Zukunft alle Antifaschistinnen und Antifaschisten, die wegen ihres Widerstands von der Staatsgewalt kriminalisiert werden, mit allen Kräften unterstützen.“

Der nächste Prozeß in diesem Zusammenhang findet gegen den Stadtrat Sigi Benker am 6. Oktober, 10 Uhr im Raum A 219 im Justizzentrum in der Nymphenburgerstr. statt.
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Ergänzungen

Rechsstaat ist so scheisse!

Anti-Demokrati 23.09.2003 - 23:21
Im Text finden sich Positionen, die ich so nicht sinnvoll finde. Danach wird so getan, als wenn das Urteil skandalös wäre - also irgendwie nicht in der Logik von sonstiger Rechtssprechung läge. Außerdem wird mit positivem Bezug plus inhaltlich problematischer Aussage auf das Grundgesetz verwiesen. Schließlich wird der Staat als Bollwerk gegen faschistische Orientierungen angerufen. Das verlagert emanzipatorische Politik in Herrschaftssysteme - eine meines Erachtens sinnlose, in der "Linken" aber leider verbreitete politische Strategie.

Genauer:

"Diese Lehre aus der Geschichte habe sich im Grundgesetz niedergeschlagen, das weit höher zu bewerten sei, als die Versammlungsfreiheit von Neonazis"

"das" bezieht sich auf das Grundgesetz. Das ist erstmal in sich sinnlos, da die Versammlungsfreiheit auch Grundgesetz ist. Warum das GG höher sein soll als das GG, erschließt sich nicht. Außerdem ist es politisch fatal. Wem wird da eigentlich geholfen, wenn die Versammlungsfreiheit attackiert wird? Weder den Rechten noch den "Linken", sondern vor allem der Mitte, den real Herrschenden. Gegen wen Einschränkungen des Versammlungsrechts ständig gerichtet werden, ist ja wohl kein Geheimnis (mal abgesehen davon, daß das geltende Versammlungsrecht nur noch ein Haufen Scheiße ist). Mit der Argumentation macht sie die Rote Hilfe M zum Anwalt der Herrschenden und zur Gegnerin politischer Aktion.

"Oder gehört nach Meinung dieser Herren zur „Meinungsfreiheit“ das Tragen von Transparenten mit der Aufschrift `National Sozialismus`?“ "

Auch dieser Satz zeigt, daß ausgerechnet der Staat als Bollwerk gegen den Faschismus betrachtet wird. Sicherlich ist richtig, daß die aktuelle Praxis der "Linken" und nahestehender herrschaftskritischer Gruppen ("Links" ist ja meist eher herrschaftsbefürwortend, wenn auch andere herrschen sollen) keine Gegenwehr zu faschistischen Aktionen darstellt (langweilige Gegenaufmärsche in uniformer Ähnlichkeit zu den Nazis, Parolen, Appelle an Polizei usw.) - das aber muß ja nicht so bleiben. Und sollte nicht! Was nötig ist, ist ein kreativer, breiter Protest gegen rechte Gruppen und Aktionen ... und gegen die politische Mitte, die StaathalterInnen des demokratischen Systems, die zur Zeit schließlich der entscheidende und sehr erfolgreiche Machtblock in der Gesellschaft sind.


Und noch: Für Gerichtsverfahren wäre auch zu überlegen, ob nicht kreative, offensive Aktionen sinniger sind als die Betroffenheitskulte nach den Niederlagen ... siehe  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression.

Weitere Presseberichte

AreaBoy 24.09.2003 - 10:52
ND (Nikolaus Brauns)

 http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=41861&IDC=2

SZ Verdi: Urteile gegen Nazi-Gegner skandalös

 http://www.sueddeutsche.de/sz/muenchen/red-artikel1361/

Weitere Verurteilung

Leser 27.09.2003 - 11:55
Wie gestern in der TZ-München zu lesen war, wurde gestern ein 57 jähriger Mann verurteilt und zu 450 Euro Geldstrafe verurteilt, weil er letztes Jahr auf einer Anti-Nazi Kundgebung zu einem Polizisten in Zivil gesagt hatte: "Mit Spitzeln rede ich nicht". Das Gericht drückt sich um die Bezichtigung der "Beleidigung" herum und sagte dem Angeklagten -Diffamierung- nach. Es ist unglaublich was hier zur Zeit passiert.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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