Bolivien: Massenproteste und 5 Tote

LinksRhein 21.09.2003 20:08 Themen: Globalisierung Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Anlässlich des "Gas-Krieges" stattfindende Massenproteste und Blockaden von Zufahrtstrassen ganzer Städte in Bolivien um den Ausverkauf der bolivianischen Gasvorkommen an transnationale Konzerne zu verhindern. Mindestens 5 Tote 20 Verletzte sowie Festnahmen von Mitgliedern von Indymedia La Paz
Der Gringo mordet, das Volk leistet Widerstand

Im Laufe des heutigen Tages (Samstag, 20.9.2003) ermordete ein konzertierter Einsatz von Militär und der Polizei mindestens 5 Aymaran - Bauern in Achacachi als die sogenannte "Rettungskarawane", die von dem Verteidigungsminister Carlos Sánchez Berzaín kommandiert wird, versuchte, die seit Tagen in der Region der Hochebene errichteten Blockaden zu zerstören. Dies fand statt im Kontext eines landesweiten Aufstands, hervorgerufen durch die Pläne des bolivianischen Präsidenten, "el Gringo" Sánchez de Lozada, das Gas an transnationale Konzerne auzuverkaufen.

Die Aymaran Bauern hatten nicht nur die Erfüllung der mit der Regierung im Jahr 2001 vereinbarten 72 Punkte sondern darüberhinaus auch die Freilassung eines für die Teilnahme an einem Akt gesellschaftlicher Gerechtigkeit des Mordes angklagten Führers. Einige Führer der indigenen Bewegung von Pachakutik (MIP) die aus dem gleichen Grund in den Hungerstreik getreten waren, kehrten zu ihren Gemeinschaften zurück um sich zu organisieren und ihre Mittel des Protestes zu radikalisieren. Die Stadt Sorata ist derzeit DemonstrantInnen besetzt, die die lokalen Einrichtungen der Regierung und die Polizeistation niedergebrannt haben.

Einen Tag zuvor, am 19. September hatten 150.000 Leute im ganzen Land gegen das offizielle Projekt demonstriert. Zu den Protesten war von einer neuen Organisation, der Koordination des Gases (Coordinadora del Gas) aufgerufen worden, die aus verschiedene Gewerkschaften und sozialen Bewegungen aus dem ganzen Land. Bolivien ist nach Venezuela das zweite Land mit grossen Gasreserven und deswegen vom grossem Interesse für die, die unseren natürlichen Rohstoffe kontrollieren und sich aneignen wollen.

Gestern verschwand das Gold und das Silber von Potosí, die GrubenarbeiterInnen starben in den Minen und der Reichtum reiste zu anderen Orten in der Welt. Heute wollen sie noch weiter und tiefer gehen.

Wir grüssen von hier das bolivianische Volk und speziell unsere Brüder und Schwestern von Indymedia La Paz, die gestern Festnahmen erlitten, während sie an den Demonstrationen teilnahmen und von ihnen berichteten. ¡Jallalla compañeros!

(A.d.Ü: Indymedia Bolivia hat derzeit technische Probleme, weswegen die Postings bei Indymedia Argentina gemacht werden sollen)

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Ergänzungen

"nationaler Reichtum"?

teekanne 21.09.2003 - 20:39
"Gestern verschwand das Gold und das Silber von Potosí, die GrubenarbeiterInnen starben in den Minen und der Reichtum reiste zu anderen Orten in der Welt. Heute wollen sie noch weiter und tiefer gehen."

Macht es einen Unterschied, ob der produzierte Mehrwert in den Taschen des "einheimischen" oder des "ausländischen" Kapitals landet? Welchen sozialen Standpunkt nehmen Leute ein, die darüber jammern, dass der "nationale Reichtum" "an andere Orte der Welt reist"? Für den ohnehin ausgebeuteten Lohnarbeiter - ob in Bolivien, Südkorea oder der BRD - ist das doch spitzfindiger Mumpitz. Wie wäre es stattdessen mit einer Kritik kapitalistischer Lohnarbeit als gegenwärtiger Form der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen?

nachtrag

teekanne 21.09.2003 - 20:43
Die Nord vs. Süd-Ideologie ist eine Ideologie der besitzenden Klassen der so genannten "abhängigen Staaten" und verdeckt geschickt die Klassengegensätze innerhalb Boliviens oder anderer lateinamerikanischer Staaten zugunsten eines "wir Bolivianer" gegen "die aus dem Norden". Wem gehören denn die bolivianischen Minen, die Böden, die Bodenschätze? Einer kleinen Schicht von Kapitalisten.

@teekanne

kaffeekanne 21.09.2003 - 21:05
es macht oekonomisch sehr wohl einen unterschied, ob der profit ausser landes gebracht oder im land produktiv investiert wird. ersteres laesst naemlich das land im status eines einfachen rohstofflieferanten fuer die reichen industrielaender, waehrend letzteres zur (erstmal kapitalistischen) entwicklung fuehren kann, und das kann, zumindest theoretisch, sozialen fortschritt bedeuten. (das positivste beispiel z.zt. ist vielleicht venezuela, wo zumindest versucht wird, die oelrente fuer die entwicklung des landes einzusetzen, was zumindest der idee nach auch den aermeren klassen zugute kommen soll.)

ein reines 2klassen modell, das nur kapitalisten und arbeiter kennt, wird dem komplexen verhaeltnis von zentrum und peripherie nicht gerecht.

wem nutzt was?

tralala 21.09.2003 - 21:38
die regulationstheoretisch inspirierte schule der "nachholenden entwicklung" ist an den realitäten des globalen kapitalismus gescheitert, auch nach ansicht vieler ihrer ehemaligen lateinamerikanischen und afrikanischen apologeten. die so genannten "abhängigen staaten" können unter den bedingungen des kapitalistischen weltmarktes keine ökonomische "aufholbewegung" starten.
zudem bleibt die frage: wem nützt die nord vs. süd-ideologie? und: wer profitiert davon, dass die profite "im land", d.h. in den taschen der nationalen bourgeoisie, bleiben? wer eignet sich die profite an? für die bolivianischen arbeiter fallen doch maximal ein paar brosamen mehr ab.
indem du die nord vs. süd-ideologie verteidigst und ihren klassenspezifischen gehalt leugnest, nimmst du den klassenstandpunkt der nationalen bourgeoisie boliviens ein, nicht den der (bolivianischen) arbeiterklasse.

Südamerika

Goodzwillah 21.09.2003 - 22:03
In Südamerika läuft das nach einem ähnlichen Schema immer wieder ab:
Eine Revolution verstaatlicht Betríebe oder droht damit, die nachfolgende Diktatur oder Rechtsregierung verkauft die Minenrechte für militärhilfe an die USA und einige wenige andere, aber im wesentlichen an US Firmen.
So lief es in Nicaragua, in Chile, in ecuador, IN Venezuela, etc.
Der Vorteil einer VErstaatlichung ist dass der Profit der Mine zum Schuldenabbau verwendet werden kann, was es dem IWF u.a. schwerer macht, Sozialkürzungen und das ganze Programm durchzuziehen.
Der NAchteil ist Sanktionen durch die USA oder eben bei Reprivatisierung militärhilfe.
KLar isses antiamerikanisch sowas zu behaupten, aber wenns wo positiver lief sagt einfach an, ich lass mich gern belehren.
UNd zur nationalen Frage: Dazu gibts ganze Bücher man sollte hier nicht ohne HIntergrundwissen die europäische Brille auf Südamerika anwenden.
Man kann das kritisieren. Aber dass Nicaragua eine nationale Revolution einem Dauerkrieg gegen die USA und Diktatoren in anderen Ländern Südamerikas kann man ihnen eigentlich nicht vorwerfen, bevor man nicht selbst in einem relativ kleinen LAnd mal ne Revolution mit tausenden verlusten geschafft hat.



höh

löl 21.09.2003 - 22:46
"nationale frage"? was war an nicaragua denn "revolutionär"? war doch bloß eine staatskapitalistische entwicklungsdiktatur mit sozialistischem anstrich, wie die sowjetunion, china oder kuba es auch waren.

manche können ohne antiamerikanische reflexe wohl nicht auskommen. dass die usa eine nicht unbedingt fortschrittliche rolle in lateinamerika spielen, weiss ich selbst. aber was hat der hinweis auf die politik der usa in ihrem südlichen "hinterhof" mit kritik an der nord vs. süd-ideologie zu tun? warum sollen die arbeiter boliviens mit ihren ausbeutern ins nationale bett steigen? für den arbeiter ist es doch völlig unerheblich, welcher nationalität sein ausbeuter ist.

noch eine frage

nöl 21.09.2003 - 22:52
was ist an der verstaatlichung von produktionsmitteln "revolutionär"? für den arbeiter macht es doch prinzipiell keinen unterschied, ob er von einem privatkapitalisten oder einer staatlichen bürokratie ausgebeutet wird. lohnarbeit bleibt lohnarbeit und die gesellschaftlichen produktionsmittel verbleiben weiter in den händen einiger weniger.

potosi

bonzo 21.09.2003 - 23:33
hey teekanne!
wußtest du das die spanier innerhalb von weniger als hundert jahren 6-7 millionen indios alleine im silberberg potosi verheizt haben.wer in den berg ging kam nicht wieder lebend hinaus. es ist doch auch bekannt das unser fortschritt erkauft wurde mit der armut der dritten welt. fairer handel zwischen den nationen statt erpressung ist eigentlich das thema unserer zeit.

noch was

börps 22.09.2003 - 00:06
von der kolonialistischen ausplünderung der so genannten "dritten welt" hat fast ausschließlich die bourgeoisie der westlichen kolonialstaaten profitiert, allen voran das handelskapital - du willst mir doch nicht weismachen, der durchschnittliche französische oder spanische proletarier hätte von dem "geraubten Reichtum" auch nur irgendwas gesehen? du machst die falschen fronten auf und denkst dazu noch in nationalen kategorien.

ihr spinnt

besserwisser 22.09.2003 - 01:41
an diejenigen, denen hier nichts besseres einfällt, als ihre klassenideologie zu verbreiten: ihr tickt nicht mehr ganz richtig. kein südamerikaner, jedenfalls keiner, der sich auch nur ansatzweise selbst als progressiv ansieht würde mit eurem unsinn von "für den proletarier ist es doch egal von wem er ausgebeutet wird" was anfangen können, wenn es um das thema usa und lateinamerika geht. ihr sitzt da in euren deutschen sesseln und schwadroniert von arbeiterklasse und sozialem bewusstsein. aber für die menschen in lateinamerika ist es kein "mumpitz" ob man mal wieder nur vasall der usa sein darf, denen wieder mal das tafelsilber verscherbelt wird, oder ob die schätze des landes in den händen des landes bleibt, was auch immer für eine regierung gerade dran ist. dass es auch durchaus praktische gründe für diesen protest gibt haben ja schon einige andere postings angeführt, aber auch was die befindlichkeit der menschen in lateinamerika angeht scheint ihr keinen schimmer zu haben.
vielleicht seid ihr aber auch nur ein paar billige provos, denn einfacher und dumpfer als von euch kann "linkssein" wirklich nicht in die weltgeschichte geplärrt werden.
so long

Argentinien

armin 22.09.2003 - 02:50
hat bei Getreide eine Pro-Kopf-Produktion von etwa 2 Tonnen, trotzdem sterben dort über 200 Kinder im Jahr an den Folgen von Unterernährung. Auf derart kruden Systemen der Warenverteilung reitet ihr mit eurem theoretischen Mist daher? Ihr seht ja überall bloß noch Nationalisten und Faschisten, geradezu psychopathisch ist das.

dickes Ding

armin 22.09.2003 - 03:47
Genauere Infos über die Schießereien:  http://www.jungewelt.de/2003/09-22/007.php
Warum hier Provos auftauchen könnten und analog dazu das Thema im Mainstream völlig vermieden wird:  http://de.indymedia.org/2003/02/41207.shtml - das, was dort gerade rumort, könnte gewaltige Ausmaße annehmen. Ein brandheisses Eisen im Kontext mit der geplatzten Konferenz in Cancun - hier wird eines der bilateralen Abkommen, daß nun an die Stelle der organisierten Ausplünderung durch die WTO treten soll, von der Bevölkerung auseinandergenommen. In Bolivien sind beileibe nicht nur nationalistisch dümpelnde Bauerntrampel unterwegs. Durch die Jahrzehnte des Widerstands gibt es auch bei den einfachen Schichten und den Indios einen hohen Grad an politschem Bewußtsein - auch Kentnissen (Da könnten sich die Sepps aus Bayern 'ne Scheibe abschneiden). Es gibt Basisarbeit vieler politischer Gruppen, z.B. existiert eine rege anarchistische Szene vom Pogo-Punk bis zum Syndikalisten mit einem starken feministischen Block. Die Homogenisierung, die aus manchen nebulösen Kommentaren hier dröhnt, ist völlig daneben.
Da sollte auch bei uns gescheit auf die Kacke gehaut werden, die Selbstzerfieseleien erstmal in den Hintergrund!

datum des photos

zeitungsleser 22.09.2003 - 16:23
das bild mit dem fragezeichen ist vom 20. September und es ist der hauptplatz von cochabamba zu sehen, vergleiche:
 http://166.114.28.115/20030920/default.htm


weitere bolivien updates (momentaner stand 17.9.)
 http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/imf/bolivia/txt/2003

unterschied

anok 25.09.2003 - 19:10
es macht sehrwohl einen unterschied ob das gas und andere rohstoffe verstaatlicht werden oder verkauft werden. es macht einen unterschied ganz konkret fuer die menschen vorort. jedenfalls geht es den menschen in cuba besser als denen in bolivien. (das staatskapitalismus nicht geil is weisz ich selba, aber son kostenloses gesundheitsystem, kann mensch sich hier vielleicht nich vorstellen, is doch mal was)
ausserdem geht es hier auch ums prinzip, das hat weniger mit dem nationalstaat bolivien zu tun, als mit den indigenen kulturen, die seit ihrer eroberung um jedes stueckchen land kaempfen, das ihnen entrissen werden soll. wer sich nur ansatzweise mit indigener widerstandsgeschichte auseindergestzt hat, wird das schnell feststellen. das selbe passiert auch in peru und equador, jedenfalls dort wo die idigenen struckturen noch intakt sind. wer da jetzt irgendwelche idiologien und theoretichen gefasel reinbringt ist in den anden fehl am platze. auserdem auch ueberfluessig denn die urspruenglichen indigenen gesellschafftsstruckturen in den doerfern sind tausendmal fortschrittlicher als so manche "linke" idiologie.
ein problem ist natuerlich das nationalisten diese wiederstandskultur fuer sich missbrauchen und die nation als alternative propagieren. eine vermeintliche alternative zur relativ offenen, emanzipierten indigenen gesellschafft, die mehr oder weniger von nordchile bis equador reicht.

Gestern verschwand....

calimero 13.05.2004 - 22:35
Mit dem gestern verschwand das Gold Potosis gemeint.
Was vor über 400 Jahren von den Spaniern genommen wurde, es wurden wenn man das in heutige Maßstäbe umrechnet Billionen außer Landes geschafft.

Und nun seht euch das Land heute an:
60% unter der Armutsgrenze.
Nur 17,5% haben Zugang zu Trinkwasser.

Und nun vergleicht das mit Ölländern (siehe Vereinigte Arabische Emirate).
Wie die Leute da leben.

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löl — blub

???? — eurozentristischer sesselpupser

bolivien — oes