Walden Bello zum Scheitern der WTO

Pia 15.09.2003 12:48 Themen: Globalisierung Weltweit
Die Welthandelsorganisation hat gestern eine Riesen-Schlappe erlebt. Aber was bedeutet das für die globalisierungskritischen Bewegungen?
Walden Bello, Direktor der auf den Philippinen ansaessigen
Nichtregierungsorganisation "Focus on the Global South" forderte seit Monaten ein Scheitern der Konferenz. Vor dem Hintergrund des sueffisanten Ausspruchs von Pascal Lamy, im Anschluss an die Ministerkonfernz in Doha, die WTO sei zwar in Seattle beinahe vor die Wand gefahren, sei aber inzwischen wieder auf den Schienen, forderte Bello, die WTO von diesen Schienen wieder herunterzuholen. "Derail the WTO" hiess der internationale Aufruf. Kurz nach Bekanntgabe des Scheiterns der Konferenz sprachen wir mit Bello ueber die Gruende und wagten einen Blick in die Zukunft.

Weed: Walden, was denkst du war der Grund fuer das Scheitern der
Ministerkonferenz?

Bello: Ich denke, der Grund war, dass weder die USA
noch die EU zu Konzessionen bereit waren. Beim Thema Agrarhandel haben sie keinerlei Zuestaendnisse gemacht und gleichzeitig haben sie darauf
beharrt, Verhandlungen zu den vier Singapur Issues aufzunehmen. Der zweite Entwurf der Ministererklaerung, der gestern veroeffentlicht wurde, brachte das Fass dann zum ueberlaufen, denn er war wesentlich schlechter als der erste, den Entwicklungslaender ja schon scharf kritisiert hatten. Das galt vor vor allem im Bereich Landwirtschaft. Weder bei den Exportsubventionen, noch bei den Zoellen der Industrielaender und den sogenannten "Green Box"
Subventionen wurden die Anliegen der Entwicklungslaender aufgegriffen. Mit diesem Papier war klar, dass allein der Sueden Konzessionen haette machen muessen, waehrend die Laender des Nordens weiter in den Genuss der "besonderen und differenzierten Behandlung" gekommen waeren, die eigentlich nur den Entwicklungslaendern zusteht. Dass der Draft sich dann auch noch darum herumgeschlichen hat, bei den Singapur Issues einen expliziten Konsens zu verlangen, brachte die Entwicklungslaender zu der Einsicht, dass der Norden ihnen nicht zuhoeren wuerde. Das war der Grund fuer Korea und Kenia, aufzustehen und darauf zu beharren, dass es ohne einen expliziten Konsens in der Frage der Singapur Themen keine Verhandlungen geben koenne. Letztendlich haben USA und EU durch ihr Verhalten das "Derail der WTO" verursacht, dass wir immer gefordert haben. Sie haben es sich selbst zuzuschreiben.

Weed: Welche Rolle hat die Zivilgesellschaft mit ihrer Botschaft "Derail the WTO" in diesem Prozess gespielt?

Bello: Die Zivilgesellschaft war unglaublich wichtig. Sie hat
Entwicklungslaender mit einer Menge Analysen und Informationen versorgt, sie unterstuetzt und gleichzeitig Druck auf die Verhandler ausgeuebt. Die Massenmobilisierung auf den Strassen, die Lobbyarbeit und die vielen Aktionen innerhalb der Hotelzone haben wesentlich dazu beigetragen, die reichen Laender zu isolieren.
Durch den Druck von unten, konnten auch die Entwicklungslaender nicht von ihrer Position abweichen. Die Zivilgesellschaft war also ganz klar der zentrale Akteur hier in Cancun.

Weed: Wie bewertest du das Scheitern der Konferenz?

Bello: Ich sehe das aeusserst positiv. Eine Einigung auf Grundlage des
Entwurfs fuer die Ministererklaerung, den wir gestern zu Gesicht bekommen haben, haette schreckliche Konsequenzen gehabt. Ihr waeren alle Anliegen der Entwicklungslaender zum Opfer gefallen. Fuer uns ist kein Deal daher besser als ein schlechter Deal. Ein Scheitern der Konferenz war die beste Option.

Weed: Welche Schritte stehen fuer die Zivilgesellschaft jetzt an?

Bello: Sie muss alles daran setzten, die WTO zu einem Relikt der
Vergangenheit zu machen. Ihre intransparenten und undemokratischen Regeln, die einseitig die Maechtigen beguenstigen, machen sie zu einer Organisation, die nicht ins 21. Jahrhundert gehoert. Wir brauchen Regelwerke oder Insititutionen, welche die Interessen der Mehrheit der Mitgliedslaender repraesentiert. Wir brauchen die Institutionalisierung von Mehrheitspositionen. Das ist aber mit der WTO nicht moeglich. Nachdem wir im Vorfeld von Cancun auf ein Derail the WTO hingearbeitet haben, muessen wir uns jetzt ueberlegen, wie wir ein "phasing out", ein Auslaufen der WTO erreichen koennen.

Das Interview fuehrte Pia Eberhardt (www.weed-online.de)
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Ergänzungen

Neue Photos aus Cancun

Sir_Smokealot 15.09.2003 - 14:10

jubel verfrüht

asd 15.09.2003 - 18:47
auf spiegel-online ist ein interessanter artikel, der erklärt warum euphorischer jubel verfrüht ist...

Die Globalisierung schafft neue Mächte

Von Harald Schumann

Das Scheitern der Welthandelsgespräche in Cancún markiert eine Wende in der globalisierten Ökonomie. Die Wohlstandsstaaten können die Regeln nicht mehr allein diktieren. Die Schwellenländer haben genügend wirtschaftliche Kraft, um eine Anpassung der Handelsordnung an ihre Bedürfnisse zu fordern - für ärmere Entwicklungsländer eine schlechte Nachricht.





Cancún - So gut funktionierte die deutsch-amerikanische Freundschaft schon lange nicht mehr. Kaum war die WTO-Konferenz am Sonntag im mexikanischen Cancún gescheitert, da proklamierten der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick und Deutschlands Wirtschaftsminister Wolfgang Clement die Einheit gegen den gemeinsamen Gegner. Die Blockadehaltung der Entwicklungsländer habe zum Abbruch der Verhandlungen geführt, behauptete Clement. Sie hätten "Schlagworte" an die Stelle der "Vernunft" gesetzt. "Flammende Rhetorik" und bloße "Taktik" hätten das Geschehen bestimmt, klagte auch Zoellick. Viele Staaten des Südens hätten gedacht, "es würden Geschenke verteilt", nun bekämen sie gar nichts. Auf diese Art sei eine "wichtige Chance vertan" worden, den Welthandel zu Gunsten aller auszuweiten.
Blockade, Taktik, Rhetorik? Die Kommentare der Handelsstrategen aus Washington und Berlin sind nicht nur hilflos, sie sind verlogen. Während sie mit der harten Hand des Internationalen Währungsfonds in zahlreichen Entwicklungsländern die Öffnung der Märkte durchsetzen, überfluten sie diese Staaten mit subventionierten Getreide-, Fleisch- und Milchpulverexporten, die viele hundert Millionen Bauern des Südens um ihre Einkommen bringt. Und während die US-Regierung rigoros ihre Stahlindustrie mit Zöllen schützt oder Frankreich und Deutschland bedenkenlos das wettbewerbsfreie Kartell ihrer Stromoligopole manifestieren, fordern sie von Staaten wie China, Indien und Brasilien, diese sollten künftig auf die derartige Förderung heimischer Industrien verzichten und bei öffentlichen Aufträgen, Steuern oder Zöllen den Konzernen des Nordens volle Gleichbehandlung einräumen.


Diese seit Jahrzehnten betriebene Doppelmoral ist der eigentliche Skandal der heutigen Welthandelsordnung. Und es ist der zentrale Irrtum von Zoellick, Clement und ihren Mitstreitern, dass sie ernsthaft glauben, diese bizarre Ungleichheit bei der Liberalisierung des Welthandels ließe sich ad infinitum fortsetzen. Dabei haben sie offenbar völlig übersehen, dass die Globalisierung einigen größeren Staaten des Südens trotz der vielfachen Behinderungen tatsächlich das eingebracht hat, was ihre Apologeten immer versprochen haben: industriellen Fortschritt und damit wachsende wirtschaftliche Macht.

Länder wie Brasilien, Indien und China sind längst nicht mehr nur die Kostgänger der Entwicklungshelfer des Nordens, sondern zugleich bevorzugtes Ziel für die Investitionen aus aller Herren Länder. Ihre potenziell gigantischen Märkte verheißen Milliardengewinne und diese Perspektive verschafft den Regierenden in Peking, Delhi und Brasilia neue Verhandlungsmacht, die sie nun erstmals demonstriert haben.

Es war die neue Allianz dieser drei Mächte, die in Cancún die alte Strategie des Nordens vom Teilen und Herrschen regelrecht torpediert hat. Das transkontinentale Bündnis repräsentiert fast zwei Drittel aller Bauern der Welt, mit Fug und Recht konnten die beteiligten Staaten auf einer grundlegenden Reform des Weltagrarhandels bestehen.

Insofern hat die Weltwirtschaft durchaus eine neue Stufe des transnationalen Wettbewerbs erreicht, aber ganz anders, als sich die Marktideologen vom Schlage eines Wolfgang Clement das immer vorgestellt haben. Denn konkurriert wird ab sofort nicht mehr nur um Marktanteile. Seit dieser Woche gilt der offene Wettbewerb auch für die Gestaltung der Regeln des globalen Marktes. Anders als viele Pessimisten glauben, wird das keineswegs das Ende der Globalisierung einläuten. Keiner der Beteiligten wird den Rückfall in den Protektionismus verfolgen, dafür sind die gegenseitigen Abhängigkeiten viel zu groß. Stattdessen wird der Club der Reichen lernen müssen, dass es künftig ein paar große Staaten mehr gibt, die für sich die gleichen Rechte des staatlichen Eingriffs in die Märkte beanspruchen, mit denen die Industriestaaten seit jeher operiert haben.

Wenn Minister Clement nun fordert, künftig müsse "ideologiefreier" verhandelt werden, hat er damit durchaus Recht. Der tumbe, vom reichen Norden bislang propagierte Glaube von der Liberalisierung als Allheilmittel für die wirtschaftliche Misere der armen Länder muss endlich einem realistischen Entwicklungsmodell weichen. Das Ziel muss eine Regelung der Globalisierung sein, die es allen Ländern ermöglicht, den Weg von staatlich gelenktem Aufbau und schrittweiser Öffnung für den Weltmarkt zu folgen, der Ländern wie China, Indien oder auch Südkorea und Taiwan zum Erfolg führte.




US-Stratege Zoellick machte schon klar, dass seine Regierung dieses Ziel systematisch durch den Abschluss bilateraler Handelsverträge unterlaufen wird. Auch wenn Indien und China nicht mehr erpressbar sind, viele kleine Länder sind es durchaus und für sie wird der moralische Sieg von Cancún darum vermutlich zur materiellen Niederlage. Denn die Tragödie im neuen Machtkampf um die Ordnung der Weltwirtschaft bleibt, dass er die kleineren und ärmeren Entwicklungsländer vornehmlich in Afrika und Lateinamerika noch weiter ins wirtschaftliche Abseits drängen wird. Gerade für sie wären die Befreiung vom Agrar-Dumping des Nordens und die schnelle Beseitigung der Handelshürden für ihre Produkte auch in den Schwellenstaaten von existenzieller Bedeutung.

Darum war der Jubel mancher Globalisierungskritiker in Cancún eher zynisch. Gewiss, die Doppelmoral und Heuchelei der alten Wirtschaftsgroßmächte hat endlich die Antwort bekommen, die sie verdient. Doch für Westafrikas Baumwollbauern etwa, denen die subventionierte US-Konkurrenz ihr ohnehin kärgliches Einkommen stiehlt, ist das ohne Wert. "Ich werde den Menschen in meinem Dorf sagen, dass die WTO dem Süden nicht hilft", kommentierte der Bauer Francois Traore aus Burkina Faso das Nichtergebnis von Cancún. Leider hat er Recht.

Differenzierter Jubel nötig

ich bin eine jubeldemo 15.09.2003 - 20:23

Natürlich jubelt doch keiner ernsthaft, über die Nicht-Resultate der gescheiterten Konferenz, sondern das Jubeln bezieht sich darauf, dass es wieder geschafft wurde, die Konferenz in ihrer Legitimation zu beschneiden, und dies mit völlig anderen Mitteln, als 99.
Es fragt zwar weiterhin die Frage für mich, was eigentlich die RegierungsvertreterInnen der Entwicklungsländer, die in Cancun vertreten waren, mit der Zivilgesellschaft, die die globalisierungskritische Masse meint, zu tum hat. Also vielleicht ist ein bisschen Vorsicht auch dabei angebrcht, wem wir eigentlich unsere Sympathie und unsere Bewunderung für das Scheiternlassen der Konferenz entgegenbringen. Zu so einer Konferenz werden von den Regierungen bestimmt keine Menschen aus emanzipatorischen Zusammenhängen geschickt.

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