WTO entgleist - NGOs in Cancun feiern

ya basta 15.09.2003 01:04 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Cancun jubeln. Die VertreterInnen der Industriestaaten gucken in die Röhre, offentsichtlich hatten sie nicht mit dem Scheitern der Verhandlungen gerechnet. Kenia hatte sogar den Vorsitz der Sitzung inne, und erklärte dass kein Konsens bestehe und deshalb die Konferenz zu Ende sei.
Für das Scheitern gab es laut dem Philippinischen NGO-Vertreter Walden Bello (Focus on the Global South, Thailand) zwei Gründe: nebst den Agrarsubventionen der Wunsch der EU, einige der Singapur-Themen in die Verhandlungen einzubringen. Großzügigerweise wollten sie auf einige der neuen Themen verzichtet, bestanden aber z.B. auf das Thema der Transparenz von Ausschreibungen der öffentlichen Hand (Multinationale Konzerne hätten dann leichteren Zugriff auf Staatsaufträge). Die AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) weigerten sich, die Singapur-Themen überhaupt in die Verhandlungen aufzunehmen, und auch die koreanische Delegation wandte sich gegen die Diskussion der Themen im Einzelnen. Walden Bello erinnerte an die Tat des koreanischen Bauers Kyang-Hae Lee, der sich bei den Protesten in Cancun auf der Barrikade geopfert hatte und damit auch die koreanische Verhandlungsdelegation bei der WTO erschütterte.

"Kein Verhandlungsergebnis ist besser als ein schlechtes", erklärte die NGO Action Aid. Die Schuld an den Verhandlungen schreiben die NGOs den EU und den USA zu, die mit ihren unerbittlichen Forderungen Druck auf die Länder des Südens ausgeübt haben. "Reiche Länder zerstören WTO-Verhandlungen" (Rich Countries Wreck WTO Trade Talks) schreibt Oxfam in ihrer Presseerklärung.

Damit ist die Legitimität der Welthandelsorganisation, deren Verhandlungen bereits in Seattle 1999 gescheitert waren, nachhaltig in Frage gestellt. Die WTO hatte sich einmal noch nach Doha gerettet (Qatar), und dort in ellenlangen Nachtschichten den Ländern des Südens eine Zustimmung zu der neuen Entwicklungsrunde abgerungen (mit dem Versprechen, Agrarsubventionen nach Cancun abzubauen). Schon im Vorfeld der WTO-Konfernez in Cancun wurde deutlich, daß dies ein fauler Kompromiß war, und daß die EU und die USA nicht die Absicht hegten, in nächster Zeit die Landwirtschaftssubventionen zu streichen.

WTO entgleist - das bedeutet mehr als eine Atempause, wie einige NGO-VertreterInnen in Berlin bei auf der Konferenz Fatal Global Anfang September behaupteten. Alternativen sind denkbar, und sind mehr als das Entgegensetzen von "Multilateralismus" à la UNO, sondern die Suche nach etwas Neuem. Weiter kann das Gipfelhüpfen (summit hopping) nicht gehen - es ist Zeit lokal Fragen zu stellen und Alternativen aufzuzeigen.

Bild: wenn ich mich nicht täusche, sind das Maude Barlow, Anuradha Mittal und Walden Bello beim Feiern.

 http://cancun.mediosindependientes.org
 http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/cancun/

(siehe auch weitere Berichte bei  http://de.indymedia.org ...)
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Ergänzungen

BUND begruesst Scheitern

Daniel Mittler 15.09.2003 - 04:41


Scheitern in Cancun ein Erfolg fuer die Umwelt
BUND begruesst ergebnisloses Ende des WTO-Gipfels


Cancun, 14.9.2003 – Der Bund fuer Umwelt und Naturschutz Deutschland
(BUND) begruesst das ergebnislose Ende des WTO-Gipfels in Cancun. “Das
Scheitern von Cancun ist ein grosser Schritt vorwaerts fuer die
Umwelt”, so Daniel Mittler, WTO-Experte des BUND. “Die
Entwicklungslaender haben den Mut bewiesen, Nein zu sagen –trotz aller
Versuche der Industrienationen, ihren industriefreundlichen Kurs
durchzudruecken. Fuer die USA, die EU und fuer Wirtschaftsminister
Clement ist das eine verdiente Niederlage. Dagegen ist der Sieg der
Entwicklungslaender auch ein grosser Sieg der Zivilgesellschaft.” Die
WTO stecke tief in der Krise, so Mittler. “Cancun zeigt: Der Versuch
der WTO, ueber die “neuen Themen” immer mehr Macht an sich zu reissen,
ist gescheitert.”

Kurz zuvor hatte EU-Agrarkommissar Franz Fischler bestaetigt, dass die
Verhandlungen der 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancun gescheitert sind.
Eine Gruppe von 32 Entwicklungslaendern hatte angekuendigt, die
Gespraeche zu verlassen.


und da zeigt sich's mal wieder

weist 15.09.2003 - 11:46
Obwohl die vertretenden NGOs auch eher staatstragen sind als graswurzelig und die RegierungsvertreterInnen der armen Staaten auch nur zumeist Sprachrohre von Diktatoren sind (hey, der UN wird's immer vorgeworfen; da sollten wir auch hierbei dran denken ;-P), können sie auf die WTO demonstrativ scheißen, wenn sie sich ihrer Macht bewußt werden.

Aber das haben sie nicht alleine geschafft: dazu brauchte es die Proteste. Ohne sie wäre Cancun genauso geendet wie eine beliebige WTO-Tagung in den 80ern. So aber scheint sich ein Prozeß abzuzeichnen, der den powers that be derbe an ihrer Macht- und Legitimationsbasis kratzt. Doha, Cancun, what's next? 3 makes a rule ;-)

Nicht unterkriegen lassen!

WTO in Cancún entgleist!

Direkte Solidarität mit Chiapas 15.09.2003 - 11:52
Die WTO ist in Cancún entgleist, die Konferenz ähnlich wie in Seattle gescheitert!!!

Hier ein Bericht aus der Jungen Welt über die gelungene Abschluss-Demonstration vom Samstag und anschliessend eine erste Reaktion zum Scheitern der Konferenz von Peter Rosset von Food First.

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15.09.2003
Andreas Behn

Unbeschränkter Protest

Cancún: Absperrungen fielen bei friedlicher Demonstration. Streit auf WTO-Tagung

Der Showdown blieb aus. Kaum hatten die Demonstranten am Sonnabend in Cancún den dreifach verstärken Metallzaun mit vereinten Kräften niedergerissen, setzten sie sich friedlich auf den Boden. Statt erneut gegen die gut gerüstete Polizei in Richtung WTO-Konferenzzentrum anzurennen, hielten die globalocríticos, die Aktivisten gegen die schrankenlose Liberalisierung des Welthandels, eine Zeremonie ab, um des koreanischen Bauernführers zu gedenken, der am Mittwoch aus Protest gegen die WTO Selbstmord begangen hatte.

Etwa 5000 Demonstranten waren am Sonnabend in Cancún zur zweiten großen Demonstration in Richtung Hotelzone, des für Proteste gesperrten WTO-Tagungsbereichs, aufgebrochen. Da die meisten Bauernaktivisten bereits abgereist waren, war der Zug kleiner und weniger energisch als noch drei Tage zuvor. Nur wenige Schaulustige säumten die Straßen, in denen »Zapata lebt« und »Die WTO tötet« skandiert wurde.

Nach einer Stunde war der Marsch am Beginn des Boulevard Kukulkán, der 20 Kilometer lang durch die Luxus-Hotelzone der karibischen Touristenhochburg führt, zu Ende. Erneut standen sich Demonstranten und Polizei gegenüber, getrennt durch einen imposanten Zaun. Doch diesmal waren die Aktivisten besser organisiert: Es war Konsens, keine Gewalt anzuwenden, also keine Steinwürfe oder sonstige Angriffe auf die Polizisten zu unternehmen. Genauso war Konsens, daß die Absperrung fallen sollte.

Sofort ging es dem Drahtgestell mit Bolzenschneidern und Metallsägen zu Leibe. Doch ausschließlich Frauen waren am Werk – zuvor war vereinbart worden, auf diese Weise Eskalationen zu vermeiden: Die Polizei war sichtlich verunsichert, aber auch die zumeist männlichen Hitzköfpe unter den Demonstranten wurden auf Distanz gehalten. Mittels einer Menschenkette wurde ein fünf Meter breiter Bereich vor dem Zaun zur »männerfreien Zone« erklärt. »Wir wollen hier friedlich protestieren«, sagte eine Kanadierin, die wie viele andere ohne jede Vermummung große Löcher in den Draht schnitt.

Als an einer Stelle der Zaun durchlöchert war, kamen die Bauern zum Zuge. Mitglieder des internationalen Dachverbandes Via Campesina, vor allem aus Korea, Mexiko und Mittelamerika, befestigten Seile an den Spitzen des Metallgestells und Hunderte zogen daran. Beim vielleicht achten Versuch wurde der Zaun niedergerissen und beiseite geschafft.

Entgegen der Voraussagen der Lokalpresse und der Erwartungen der gut postierten Kameraleuten blieb jedoch der große Krawall aus. Nach einigen Minuten Schweigen sagte der Sprecher der koreanischen Landarbeiterdelegation, daß es »das Ziel gewesen ist, den Zaun einzureißen, weil uns der Protest vor den WTO-Gebäuden verweigert worden ist«. Via-Campesina-Präsident Rafael Alegría ergänzte unter großem Applaus: »Sie sagen, wir würden Gewalt anwenden, aber nein, wir haben nur eine Mauer eingerissen, die Mauer der WTO, die Mauer des Hungers, der Ausbeutung und der Straffreiheit.«

Schon das ganze Wochenende hindurch war es kleinen Gruppen von Aktivisten immer wieder gelungen, trotz aller Abriegelungen im oder vor dem Konferenzzentrum zu protestieren. Drei Aktivisten erkletterten einen 70 Meter hohen Kran und ließen fast 14 Stunden lang ein großes Plakat über den Kukulkán-Boulevard flattern. Andere hielten im Pressezentrum kurze Kundgebungen ab oder blockierten für einige Stunden die Straße vor dem Konventionszentrum.

Die auf fünf Tage angesetzten Verhandlungen bei der 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation gingen indes nur stockend voran. Die Streitpunkte waren dieselben wie im Vorfeld der Tagung: Die Länder des Südens sind sich weitgehend einig, daß sie den Industrieländern keine der geforderten Zugeständnisse in Bereichen wie Investitionsabkommen oder weiterer Privatisierung der öffentlichen Hand einräumen wollen, solange ihre Forderungen im Agrarbereich nicht akzeptiert werden.

Immer vehementer verlangen sie, daß der Norden seine Handelsschranken und Exportsubventionen im Agrarbereich radikal abbaut, damit dieser Sektor in den Entwicklungsländern nicht durch noch mehr Dumping vollständig zerstört wird.

Für Empörung sorgte am Samstag die zweite Vorlage eines Vorschlags für die Abschlußerklärung der Cancún-Konferenz. Beobachter stimmten darin überein, daß sie in erster Linie die Handschrift der »großen Vier«, also EU, USA Japan und Kanada, trägt. Große Nichtregierungsorganisationen, wie das »Dritte-Welt-Netzwerk« oder »Global Trade Watch«, bezeichneten die Vorlage als eine »Katastrophe für Entwicklungsländer« und kritisierten, daß der Text in wichtigen Passagen völlig unverbindlich formuliert sei. Dort, wo konkrete Zahlen, zum Beispiel bezüglich der Reduzierung von Subventionen stehen sollten, finden sich oftmals nur Auslassungszeichen.

Nicht weniger deutlich fielen die Reaktionen wichtiger Gruppen von Entwicklungsländern aus. »Die Vorlage entspricht bei weitem nicht unseren Erwartungen«, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von AKP-Staaten (Afrika/Karibik/Pazifik), Afrikanischer Union und den in der LCD-Gruppe vereinten ärmsten Ländern. Unverständnis äußerten sie darüber, daß plötzlich die von der EU immer wieder gewünschten »Singapur-Themen« – darunter vor allem der Investitionsschutz – in der Vorlage auftauchen, obwohl über 70 WTO-Staaten mehrfach darauf hingewiesen hatten, daß sie nicht einmal bereit seien, über diese Themen zu reden.

 http://www.jungewelt.de/public_php/drucken_popup.php?num=6&djahr=2003&dmontag=09-15


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WTO Derailed at "Second Seattle" in Cancun

by Peter Rosset
Email:  rosset@foodfirst.org
Phone: (510) 654 - 4400 ext 229

September 14, 2003 - 4:30 PM
by Peter Rosset

We just returned from a very moving ceremony for Lee Kyung-hae, the Korean farmer who immolated himself in protest against the WTO last Tuesday. The ceremony was held at Camp Lee, formerly known as Kilometer Zero - the start of the security perimeter, the spot where Lee sacrificed himself, and the place where the Koreans and supporters from around the world have been camping ever since. Today his brother and one of his daughters were present, having just arrived from Korea -- his wife died ten years ago in a car accident. Speaker after speaker had the same message: "The sacrifice of Compañero Lee was not in vain, it gave us the energy to derail the WTO talks in Cancun, and his spirit of struggle will live on in our hearts as we keep fighting for that better world that is possible."

Just a short time later the Via Campesina delegation got calls from inside the convention center announcing the collapse of the official talks. We were told that the Kenyan representative had just stood up during the official press conference at the Convention Center and emphatically declared: "This is over. We have just had a second Seattle," and walked out, followed in short order by the representatives of South Korean and India.

Earlier that day we had been told by one of the official negotiators that the talks were on the verge of collapse because of agriculture and the so-called "new issues," and that it was all but over. He told us that the massive protests in the streets and the death of Mr. Lee had been key factors in creating a climate in which Third World countries felt they could once again stand up to pressure from the U.S. and the European Union, just like in Seattle.

In fact yesterday, Saturday, was the most incredible day of protest any of us had ever experienced. From multiple actions by credentialed and non-credentialed protestors inside the security zone -- the latter after having "infiltrated" into the zone -- to the powerfully moving farmer-indigenous people-trade union-youth protest at the fence.

After the violence triggered by paid provocateurs on Tuesday, the death of Mr. Lee, and a general climate of anger and repression, everyone feared the worst sort of confrontation on Saturday, and the police brought in massive reinforcements. They tripled the size of the metal barriers, and the provocateurs showed in greater numbers, with shopping carts filled with stones and huge metal bars. But the diverse sectors of legitimate protestors came together in an amazing plan that produced the most beautiful, moving and symbolic protest imaginable, so powerful that we were all sure we had reached and passed the turning point viz-a-viz the WTO.

Just when large-scale violence most seemed likely to erupt, the collective "we" created a show of unity and power that left even paid rock-throwers with no recourse but to stand down. All day and night Friday the Via Campesina and the Korean delegation led and/or participated in numerous internal and external meetings, using the moral authority of the farmer/indigenous peoples' cause and the sacrifice of Mr. Lee to forge a collective unity with students, black blocks, trade unions, NGOs, you name it. Saturday showed our strength when we work together.

With the black blocks providing security from the provocateurs, and cordoning off the first 10 meters in front of the wire walls, more than a hundred women went forward with bolt cutters and began dismantling the walls, bit by bit. What a diversity of women it was! Indigenous women, punks, students, old women, young women, Mexican women, American and European women, African women. Once the wall was weakened, the Koreans supervised the attachment of 50 meter long, 4 inch circumference ropes to the top of the walls. Then thousands of people of all nations, races and cultures, punks, black blocks, peasants, etc., together pulled the walls down. Quite literally, the power of the people, united, pulled down the walls of the WTO.

When the walls finally fell, there stood thousands of riot police clearly spoiling for a fight, big time. Just when they thought we would attack them, however, the Koreans who were on the front line turned their backs on them, everyone else sat down, hundreds of flowers appeared, and we had a mass memorial service for Mr. Lee. Marcial of the MST then sang John Lennon's Imagine for the crowd, the WTO was burned in effigy, and we got up and marched away. The police were left with their mouths hanging open in shock, with nobody to fight with. The hundreds of journalists who were present marveled at our collective ability to do the unexpected, to turn promised violence into moving peace, and to make a statement so powerful that the WTO could not hope to resist.

Oh, and by the way. I just got a call on my cell phone that the whole interior of the security zone is paralyzed by multiple "inside actions" and traffic is stopped everywhere.

Some chants from the march, for the newest martyr of the global farmers' movement, from Via Campesina:

Todos somos Lee!
We are all Lee!

Lee, hermano, te has hecho Mexicano!
Lee, our brother, you have made yourself Mexican.

Lee, presente, hoy mañana y siempre!
Lee, you are with us, today, tomorrow and always!

Lee no murió, la OMC lo asasinó!
Lee did not die, he was murdered by the WTO!

To read Mr. Lee's own words, visit:
 http://www.foodfirst.org/media/news/2003/2003-09-11-lee.html


 http://cancun.mediosindependientes.org/newswire/display/759/index.php

@ weist

mitdenker 15.09.2003 - 15:03
kleine schlaumeierei an dieser stelle. die wto gab es in den 80ern noch gar nicht. vielmehr ist sie erst 1995 gegründet worden. wie wichtig sie bereits ist ist vielleicht ein hinweis darauf, wie schnell die liberalisierung der märkte vorangetrieben wird (bzw. vorangetrieben werden soll ... hä hä).

jubel verfrüht

asd 15.09.2003 - 18:52
auf spiegel-online ist ein interessanter artikel, der erklärt warum euphorischer jubel verfrüht ist...

Die Globalisierung schafft neue Mächte

Von Harald Schumann

Das Scheitern der Welthandelsgespräche in Cancún markiert eine Wende in der globalisierten Ökonomie. Die Wohlstandsstaaten können die Regeln nicht mehr allein diktieren. Die Schwellenländer haben genügend wirtschaftliche Kraft, um eine Anpassung der Handelsordnung an ihre Bedürfnisse zu fordern - für ärmere Entwicklungsländer eine schlechte Nachricht.





Cancún - So gut funktionierte die deutsch-amerikanische Freundschaft schon lange nicht mehr. Kaum war die WTO-Konferenz am Sonntag im mexikanischen Cancún gescheitert, da proklamierten der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick und Deutschlands Wirtschaftsminister Wolfgang Clement die Einheit gegen den gemeinsamen Gegner. Die Blockadehaltung der Entwicklungsländer habe zum Abbruch der Verhandlungen geführt, behauptete Clement. Sie hätten "Schlagworte" an die Stelle der "Vernunft" gesetzt. "Flammende Rhetorik" und bloße "Taktik" hätten das Geschehen bestimmt, klagte auch Zoellick. Viele Staaten des Südens hätten gedacht, "es würden Geschenke verteilt", nun bekämen sie gar nichts. Auf diese Art sei eine "wichtige Chance vertan" worden, den Welthandel zu Gunsten aller auszuweiten.
Blockade, Taktik, Rhetorik? Die Kommentare der Handelsstrategen aus Washington und Berlin sind nicht nur hilflos, sie sind verlogen. Während sie mit der harten Hand des Internationalen Währungsfonds in zahlreichen Entwicklungsländern die Öffnung der Märkte durchsetzen, überfluten sie diese Staaten mit subventionierten Getreide-, Fleisch- und Milchpulverexporten, die viele hundert Millionen Bauern des Südens um ihre Einkommen bringt. Und während die US-Regierung rigoros ihre Stahlindustrie mit Zöllen schützt oder Frankreich und Deutschland bedenkenlos das wettbewerbsfreie Kartell ihrer Stromoligopole manifestieren, fordern sie von Staaten wie China, Indien und Brasilien, diese sollten künftig auf die derartige Förderung heimischer Industrien verzichten und bei öffentlichen Aufträgen, Steuern oder Zöllen den Konzernen des Nordens volle Gleichbehandlung einräumen.


Diese seit Jahrzehnten betriebene Doppelmoral ist der eigentliche Skandal der heutigen Welthandelsordnung. Und es ist der zentrale Irrtum von Zoellick, Clement und ihren Mitstreitern, dass sie ernsthaft glauben, diese bizarre Ungleichheit bei der Liberalisierung des Welthandels ließe sich ad infinitum fortsetzen. Dabei haben sie offenbar völlig übersehen, dass die Globalisierung einigen größeren Staaten des Südens trotz der vielfachen Behinderungen tatsächlich das eingebracht hat, was ihre Apologeten immer versprochen haben: industriellen Fortschritt und damit wachsende wirtschaftliche Macht.

Länder wie Brasilien, Indien und China sind längst nicht mehr nur die Kostgänger der Entwicklungshelfer des Nordens, sondern zugleich bevorzugtes Ziel für die Investitionen aus aller Herren Länder. Ihre potenziell gigantischen Märkte verheißen Milliardengewinne und diese Perspektive verschafft den Regierenden in Peking, Delhi und Brasilia neue Verhandlungsmacht, die sie nun erstmals demonstriert haben.

Es war die neue Allianz dieser drei Mächte, die in Cancún die alte Strategie des Nordens vom Teilen und Herrschen regelrecht torpediert hat. Das transkontinentale Bündnis repräsentiert fast zwei Drittel aller Bauern der Welt, mit Fug und Recht konnten die beteiligten Staaten auf einer grundlegenden Reform des Weltagrarhandels bestehen.

Insofern hat die Weltwirtschaft durchaus eine neue Stufe des transnationalen Wettbewerbs erreicht, aber ganz anders, als sich die Marktideologen vom Schlage eines Wolfgang Clement das immer vorgestellt haben. Denn konkurriert wird ab sofort nicht mehr nur um Marktanteile. Seit dieser Woche gilt der offene Wettbewerb auch für die Gestaltung der Regeln des globalen Marktes. Anders als viele Pessimisten glauben, wird das keineswegs das Ende der Globalisierung einläuten. Keiner der Beteiligten wird den Rückfall in den Protektionismus verfolgen, dafür sind die gegenseitigen Abhängigkeiten viel zu groß. Stattdessen wird der Club der Reichen lernen müssen, dass es künftig ein paar große Staaten mehr gibt, die für sich die gleichen Rechte des staatlichen Eingriffs in die Märkte beanspruchen, mit denen die Industriestaaten seit jeher operiert haben.

Wenn Minister Clement nun fordert, künftig müsse "ideologiefreier" verhandelt werden, hat er damit durchaus Recht. Der tumbe, vom reichen Norden bislang propagierte Glaube von der Liberalisierung als Allheilmittel für die wirtschaftliche Misere der armen Länder muss endlich einem realistischen Entwicklungsmodell weichen. Das Ziel muss eine Regelung der Globalisierung sein, die es allen Ländern ermöglicht, den Weg von staatlich gelenktem Aufbau und schrittweiser Öffnung für den Weltmarkt zu folgen, der Ländern wie China, Indien oder auch Südkorea und Taiwan zum Erfolg führte.




US-Stratege Zoellick machte schon klar, dass seine Regierung dieses Ziel systematisch durch den Abschluss bilateraler Handelsverträge unterlaufen wird. Auch wenn Indien und China nicht mehr erpressbar sind, viele kleine Länder sind es durchaus und für sie wird der moralische Sieg von Cancún darum vermutlich zur materiellen Niederlage. Denn die Tragödie im neuen Machtkampf um die Ordnung der Weltwirtschaft bleibt, dass er die kleineren und ärmeren Entwicklungsländer vornehmlich in Afrika und Lateinamerika noch weiter ins wirtschaftliche Abseits drängen wird. Gerade für sie wären die Befreiung vom Agrar-Dumping des Nordens und die schnelle Beseitigung der Handelshürden für ihre Produkte auch in den Schwellenstaaten von existenzieller Bedeutung.

Darum war der Jubel mancher Globalisierungskritiker in Cancún eher zynisch. Gewiss, die Doppelmoral und Heuchelei der alten Wirtschaftsgroßmächte hat endlich die Antwort bekommen, die sie verdient. Doch für Westafrikas Baumwollbauern etwa, denen die subventionierte US-Konkurrenz ihr ohnehin kärgliches Einkommen stiehlt, ist das ohne Wert. "Ich werde den Menschen in meinem Dorf sagen, dass die WTO dem Süden nicht hilft", kommentierte der Bauer Francois Traore aus Burkina Faso das Nichtergebnis von Cancún. Leider hat er Recht.

Kann mal eineR erklären?

niX-peiler (ausnahmsweise) 15.09.2003 - 19:29
nebst den Agrarsubventionen der Wunsch der EU, einige der Singapur-Themen in die Verhandlungen einzubringen

Sorry, bin leieder inalötlich nicht ganz fit,

was sind die SingapurThemen
UND
was sind die Agrarsubventionen genau?

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Großartig! — Silvia