Rechtsbeugung bei NATO-Prozess?

Anti-Repressiva 12.09.2003 22:28 Themen: Militarismus Repression
Eigentlich hätte am Donnerstag der letzte (?) der Prozesse wegen Anti-NATO-Aktionen 2002 in München laufen sollen. Doch es kam ganz anders. Der Angeklagte und einige Aktivistis kamen umsonst - Richterin und AnklagevertreterInnen hatten in einem einzigartigen Gemauschel den Prozeß auf ihre Weise bereits mit einem Urteil abgeschlossen, bevor er überhaupt losging. Nur hatte das niemand mitbekommen - selbst die Saalbewacher und Polizisten, die gut vertreten waren, nicht.
Einige Hintergründe deuten darauf hin, daß das ein abgekartetes Spiel war. Bleibt offen, ob das Folgen haben wird - Anzeige wegen Rechtsbeugung und Dienstaufsichtsbeschwerden sind gestellt ... und ob das Gerichtsverfahren selbst zuende ist, wird sich weisen. Sonst gibts eine zweite Instanz - und dann hoffentlich auch mit mehr Protesten! Macht Gerichtsprozesse zu Aktionen, bis sie nicht mehr stattfinden und Strafe, Knast, Justiz und Polizei abgeschafft sind!
Taktische Winkelzüge der ?Recht-ExtremistInnen?
in München!
Zur Verurteilung im Anti-NATO-Prozeß

Am Donnerstag, den 11.9.2003, sollte in München vor dem Amtsgericht der letzte der Prozesse wegen der Proteste gegen die NATO-Sicherheitskonferenz 2002 stattfinden. Auf der Anklagebank ein kämpferischer Angeklagter, der schon beim ersten Prozesstermin deutlich vermittelte, was er von rechtsstaatlichen Drohkulissen, willfähriger Justiz und Macht insgesamt hält. Etliche AktivistInnen mussten von der Richterin aus dem Saal entfernt werden. Doch der Prozeß kam nicht zum Ende. Die Richterin versuchte den Angeklagten vergeblich unter Druck zu setzen, seinen Einspruch gegen das Bußgeld zurückzuziehen. Der aber argumentierte offensiv für politischen Protest und gegen die wackelige Anklage. Die Zeugen mussten gerufen werden - waren aber alle gar nicht erschienen. Da es sich um Polizeibeamte handelte, dürfte das kein Zufall gewesen sein, sondern bereits damals eine informelle Absprache zum Hintergrund haben - das Gericht spielte.
Ein zweiter Prozesstermin wurde dann kurzfristig verschoben. Der dritte für den 11.9.2003 um 15 Uhr angeraumt. Doch als der Angeklagte, leicht verspätet in Absprache mit dem Gericht, auftauchte, wurde ihm beschieden, dass der Prozeß schon vorbei sei und er verurteilt. Doch alles weist darauf hin, dass das eine Lüge der Richterin war. Wahrscheinlicher ist, dass diese im Einvernehmen mit Staatsanwaltschaft und Kreisverwaltungsreferat den Prozeß erfand, um einen Freispruch zu verhindern. Das war wichtig - denn zwei Tage vorher hatte das Kreisverwaltungsreferat schon öffentlich geprahlt, dass kein Prozeß mit einem Freispruch geendet hatte. Rechtsbeugung im Amt?

Der Angeklagte hat Anzeige wegen Rechtsbeugung im Amt und Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht. Außerdem wird er in die nächste Instanz zu gehen versuchen. Ob das wieder mit schmutzigen Justiztricks verhindert wird, ist offen.


Es folgen:
- Gedächtnisprotokoll der Abläufe vom 11.9. des Angeklagten
- Hinweise auf die weiteren Vorgänge


Gedächtnisprotokoll des Angeklagten
Ich stand um 5 Uhr auf, startete um 6 Uhr ab Saasen mit der Bahn in Richtung München. Fahrplanmäßige Ankunft in München: 13.27 Uhr. Prozeßbeginn: 15 Uhr. Fußwegentfernung München Hbf zum Gericht: 10-15min. Also viel Zeit.
Würzburg: Ich bekomme den Anschlusszug nicht. Der nächste, den ich mit meiner Fahrkarte nehmen kann, fährt 70min später, außerdem 1x mehr umsteigen und Aufenthalt in Augsburg. Ankunft in München: 14.55 Uhr. Also 10-15min zu spät zur Verhandlung. Ich rufe das Gericht an und dort wird das o.k. gegeben, soviel zu spät kommen zu können.
14.55 Uhr Ankunft pünktlich in München. 15.08 Uhr: Ankunft am Gerichtsgebäude. Aber, oh Schreck: Intensive Eingangskontrollen (wegen mir?). Das dauert weitere 8 Minuten! Noch 2 Minuten durch die Gänge. Vor dem Gerichtssaal (die Tür ist offen) stehen viele PolizeibeamtInnen, Saalordner und ZuschauerInnen. Offenbar warten sie auf mich. Die Saalordner weisen mich auf meinen Angeklagtenplatz ein. Die Uhr im Saal zeigt 15.18 Uhr - also drei Minuten nach der telefonischen Verabredung. Die gegen auf das Konto der Eingangskontrolle. Doch Überraschung: Die Richterin sagt einfach nur ?Sie können wieder gehen!?. Nachfrage: ?Warum??. Antwort: ?Der Prozeß ist beendet!? Ich frage nach dem Grund und nach dem Ergebnis des Prozesses. Als Grund werden die drei Minuten benannt und das Ergebnis ist eine Verurteilung. Die Richterin schickt noch vier Zeugen nach Hause. Interessant - auf der Vorladung zum Gerichtstermin stand unter Zeugen: ?Keine?. Hatte mich ja gewundert. Ich rede mit Saalordnern und Zuschauern. Alle bestätigen, keinen Prozeß mitbekommen zu haben. Die Tür sei immer offen gewesen und nichts habe darauf hingedeutet, dass es einen Prozeß gegeben habe. Mir kommt ein Verdacht: Die Vorladung mit dem Vermerk, dass keine Zeugen kämen, ist genauso eine Fälschung wie der Prozeß. Der hat gar nicht stattgefunden. Haben sich Staatsanwalt, Kreisverwaltungsreferat und Richterin vorne intern abgesprochen, den Prozeß als gelaufen zu protokollieren, d.h. eine Verurteilung ohne Prozeß zu machen? Und ist die Einladung auch vielleicht absichtlich falsch gewesen, um nicht z.B. das Benennen von GegenzeugInnen zu provozieren?

Bewertung
Das riecht sehr deutlich nach Rechtsbeugung. Nur wenige Stunden später bestätigt sich, um was es hier geht. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht schon vorher (!) eine Presseinformation des Kreisverwaltungsreferates, dass es keinen Freispruch gegeben habe bei irgendeinem der NATO-Protest-Prozesse. Einige Verfahren sind eingestellt worden - das wird verschwiegen. Und das Verfahren vom 11.9.2003 barg die Gefahr des ersten Freispruchs, weil der Angeklagte eine Einstellung nicht akzeptiert hätte. Da half nur noch die Rechtsbeugung, um die bereits veröffentlichte Erfolgsmeldung nicht zu gefährden.

Folgen
Der Angeklagte hat gegen die Richterin Holstein und die VertreterInnen der Anklage Anzeige wegen Rechtsbeugung und Dienstaufsichtsbewerde eingereicht. Außerdem wird es eine zweite Instanz geben. Der Angeklagte: ?Rechtsstaat bedeutet ohnehin ständig Machtausübung, Unterdrückung bis hin zu Abschiebung, Knast und mehr Formen der sozialen Kaltstellung. Was hier aber geschehen ist, ist offensive Rechtsbeugung im Amt. Das wird ausgefochten! Solcher Recht-Extremismus richtet sich gegen die Menschen im Interesse der Herrschenden. Die Polizei- und Kontrollorgien vom Februar 2002 sollen nachträglich legitimiert werden.?


Kontakt zum Angeklagten über die Projektwerkstatt, 06401/903283.


Zur Kenntnis:
Test aus der Süddeutschen Zeitung am 9.9.2003-09-12

SZ: Erfolglose Einsprüche von Demonstranten (München)
Keiner der Demonstranten, die trotz des städtischen Versammlungsverbots
gegen die Sicherheitskonferenz 2002 auf die Straße gingen, hat vor
Gericht mit dem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid Erfolg gehabt. Dies
teilte Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle jetzt auf Anfrage
der PDS-Stadträtin Brigitte Wolf mit. Insgesamt, so der KVR-Chef, sei in
60 Fällen Einspruch eingelegt worden, 47 davon seien dem Amtsgericht
München zur Entscheidung vorgelegt worden. Dabei habe das Gericht in
keinem der Fälle auf Freispruch erkannt. Elf der Verfahren wurden bei
Gericht eingestellt, aber in neun Fällen kam es zu Verurteilungen.
Weitere 22 Betroffene hätten ihren Einspruch bei der Hauptverhandlung
zurückgenommen und damit den Tatvorwurf eingestanden. Nur in einem Fall
stehe das Ergebnis des Verfahrens noch aus. Weitere 13 Bußgeldbescheide
seien nach Einspruch bereits im Rahmen des Zwischenverfahrens vom
Kreisverwaltungsreferat zurückgenommen worden, um die Betroffenen
anschließend zu verwarnen. Dies sei dann erfolgt, wenn aufgrund der
Aussagen der Betroffenen oder von deren Rechtsanwälten ¥ein Tatnachweis
der Teilnahme an einer verbotenen Demonstration entkräftet wurde´ oder
ein solcher nicht zu erbringen war. Man habe dabei keineswegs die
Einstellung der Täter zur Rechtsordnung geprüft, sondern sich nur auf
die Feststellungen der Polizei verlassen.





- Kreative Antirepression:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression
- Direct-Action:  http://www.direct-action.de.vu
- Herrschaftsfreie Gesellschaft:  http://www.herrschaftsfrei.de.vu
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Ergänzungen

Na klar!

Anti-Depressiva 13.09.2003 - 15:15
Sicher meine ich das ernst. Strafe usw. sind Formen von Herrschaft, d.h. der organisierten Möglichkeit, Entscheidungen so zu organisieren, daß die Folgen andere zu tragen haben. Polizei, Knast usw. organisieren Unterschiede zwischen Menschen und sind das herrschaftsförmige Gegenstück zu sozialer Interaktion und emanzipatorischem Prozess. Gerade die Ablehnung von Repression insgesamt kann als provozierende These die Debatte über Utopien fördern. Eine Gesellschaft mit Polizei & Co. wird immer eine des Kampfes darum sein, wer die Repression einsetzen darf.

Keine Strafe

Anti-Depressiva 15.09.2003 - 17:53
Also, wir können ja gerne streiten. Das macht aber nur dann Sinn, wenn Du liest und nciht Formulierungen bringst, die suggieren, daß Dein Gegenüber nicht denkt und nur Parolen grölt.

Zur Sache: Strafe verschlimmert die Neigung von Menschen zu gewaltförmigen Verhalten. Wer einen Vergewaltiger in den Knast steckt, ändert an ihm nur was zum Schlimmeren. Jedenfalls in den meisten Fällen. Die brutale Gewalt hinter den Knastmauern siehst Du nur nicht und denkst deshalb, Du hättest die Gewalt gebannt durch die Knaststrafe. Und hinterher???

Veränderung von Menschen läuft nur über soziale Kommunikation. Und die meiste Gewalt läßt sich verhindern, wenn Menschen aufmerksam sind, direkt intervenieren, sich gegenseitig ansprechen, hinterfragen usw. Das wird durch die Existenz des Repressionsapparates eher verhindert, weil "mensch nicht mehr zuständig ist" und zweitens ein merkwürdiger Legalitätsbegriff die Frage überdeckt, ob Gewalt oder Herrschaft ausgeübt wird.

So ... nun argumentier Du mal statt mir nur Parolen vorzuwerfen. Auch ein Besuch von Internetseiten zu Knast usw. lohnt.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Keine Strafe — Justizia

Keien Strafe II — Justizia