Utopie-Camp in Giessen

AbwehrspielerIn der Ordnung 27.08.2003 00:46 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Lust und Laune statt Law and Order ? eigentlich sollte unter diesem Motto am 26.8.2003 eine alternative Stadt inmitten von Gießen aufgebaut werden. Geplant waren ein Umsonstladen, Essen und einen Frisörladen für umsonst, eine offene Bühne, ein Direct-Action-Zelt, Utopie-Tafeln zum ständigen Ideensammeln für eine Stadt von unten usw. Wichtig war auch ein Lernort für eine andere Praxis von Lernen: Hier sollten alle ihre Bedürfnisse (?Ich will ... lernen?) notieren und sich verabreden mit Menschen, die das als Wissen weitergeben können. Ein nettes Workshopprogramm entwickelte sich ? und Aktionen wären sicherlich nicht zu kurz gekommen. Schließlich war das Ganze aus dem kreativen Widerstand im Winter und Frühjahr gegen innere Sicherheit und die neue Gefahrenabwehrverordnung entstanden. Doch es kam alles ganz anders: Die Stadt Gießen verbot die als Demonstration angemeldete Veranstaltung, Polizei griff von in den Tagen vorher Aktionen in Gießen an und sicherte mit einem bemerkenswerten Aufgebot die Innenstadt.
Hintergründe
Am 12. Dezember 2002 verabschiedete die Gießener Stadtverordnetenversammlung die Gefahrenabwehrverordnung. In den Wochen vorher kam es zu erheblichen Protesten, Demostrationen genauso wie kreativ-subversive Aktionen, z.B. ein Fake, das den Ort der Sitzung zur Sperrzone erklärte (siehe  http://www.projektwerkstatt.de/gav/aktionen/121202.html). In den Wochen danach kam es zu vielen Innenstadtaktionen, u.a. zum ?legendären? Kameragottesdienst ( http://www.de.indymedia.org/2002/12/37826.shtml). Die Bullen eskalierten immer mehr, u.a. versuchten sie am 10. Januar, die Projektwerkstatt technisch komplett zu zerschlagen. Die Beschlagnahme aller Rechner und Technik wurde aber für rechtswidrig erklärt. Auch Festnahmen mit dem Ziel längerer Inhaftierung scheiterten bisher. In der Innenstadt war ständig ein Großaufgebot an Polizei, vor allem Zivil, zu finden. Die Nachttanzdemo, viel Straßentheater, viele Fakes usw. bereiteten Gießen einen interessanten Frühling. Mit militanten Anschlägen vor allem auf Gerichtsgebäude (siehe z.B. auf das für Abschiebung zuständige Verwaltungsgericht unter  http://www.de.indymedia.org/2003/06/55544.shtml) spitzte sich die Lage im Sommer wieder zu.
Parallel zu diesen Protestaktionen, die immer inhaltlich viel vermittelten, dabei auch immer visionäre Ideen, entstanden Projekte, die konkrete Veränderungen bringen sollten, z.B. der Umsonstladen im Infoladen ( http://www.ak44.de.vu) oder Kooperativen im Bereich der Lebensmittelbeschaffung.
Das Utopie-Camp sollte für alles einen größeren Rahmen schaffen und erstmals in der Stadt einen Punkt schaffen, an dem Ideen für konkrete, auf Visionen hinzielende Veränderungen schon jetzt ausprobiert werden können. Doch die Stadt lehnte ab ... dazu finden sich Texte verlinkt unter  http://www.abwehr-der-ordnung.de.vu.

Service: Wo geht's hier bitte zum Utopie-Camp?
Es gibt eine kleine Camp-Wiese für Zelte auf dem Gelände der Fachhochschule in der Wiesenstrasse. Zelte mitbringen ist super, zur Zeit gibt es aber auch noch Platz in einem Gruppenzelt für alle, die das wollen und kein Zelt schleppen können bzw. wollen. Ab Mittwoch besteht zudem die Möglichkeit, ganz in der Nähe Computer zu nutzen für Zeitungsprojekte, Indymedia usw. Der Frisuerladen ?Verhaarlosung?, T-Shirt Malecke, Direct Action Plattform sind auch in der Mache ? die genaue Umsetzung ist allerdings noch unklar. Jeden Tag finden Workshops auf dem Kirchplatz statt bzw. starten dort ? je nach Lage und Lust verlagern sich diese dann in Geschäfte, Parks, die Innenstadt, Arbeitsämter, Kreuzungen oder was euch sonst so einfällt ... also pünktlich sein! Abends gegen 19h gibt es Volxküche auf dem Kirchplatz, geschnibbelt und gekocht (wenn sich Leute finden!) wird auf Uni-Gelände direkt gegenüber der linken Kneipe ?Domizil? (Braugasse 6, nur ein paar Schritte vom Kirchplatz entfernt. Es gibt Stadtpläne mit spannenden Aktionsorten, Treffpunkten usw. Diese finden sich wie alle weiteren Infos, Utopie-Zeitung und Programmpunkten unter  http://www.projektwerkstatt.de/gav/texte/uto_zelt01.html). Infotelefon: 0171-8348430 und 0162-1920415.

Der erste Tag
Bereits am Vortag des 26.8. war die Polizei lieber auf Nummer Sicher gegangen. Sie hatte an der Projektwerkstatt vorbeigeguckt und vor allem den Kirchenplatz intensiv bewacht. Offenbar die ganze Nacht durch standen dort Wannen und Einsatzfahrzeuge herum.
Am Dienstag kurz vor 14 Uhr versammelten sich dann die ersten Utopie-CamperInnen. Ca. 30 waren es, als dann die (nicht verbotene) Auftaktdemo losging. Die Route führte zu den verschiedenen Behörden, Zeitungs- und Rundfunkbüros, der Kirche und einigen allgemeinen Objekten der Sicherheits- und Ordnungswahnsinnigen, z.B. dem Marktplatz mit der Rundum-Überwachungskamera. An zwei Stopps in der Innenstadt wurde des denkwürdigen Samstag mit der prügelnden grünen OB-Kandidatin und den dann die Geschlagenen festnehmenden Polizei gedacht (siehe  http://www.de.indymedia.org/2003/08/60237.shtml).
Außer dem Zeltaufbau verlief der Nachmittag eher ereignislos. Verschiedene Zivifahrzeuge folgten kleineren Grüppchen und observierten den Zeltplatz, u.a. GI-HP 521 (roter Opel Vectra Kombi mit Gießener Zivis) und GI-FP 541 (dunkler BMW mit extrem unverdächtigen, uniformierten Polizisten, die den Tag über immer wieder genervt wurden). Am Abend gab es Infoladen Gießen ( http://www.ak44.de.vu) Volxküche und eine Infoveranstaltung zur Situation des autonomen Zentrums Ex-Steffi in Karlsruhe, der neoliberalen Politik der Stadt und den für 4.-6. September geplanten Aktionstagen gegen die drohende Räumung des Projekts (mehr dazu unter  http://www.exsteffi.de).
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Ergänzungen

Was letzte Nacht geschah

Utopie Zelti 27.08.2003 - 15:37
In der ersten Nacht zogen einige AktivistInnen gegen 0.30 Uhr mit einem aufgebauten Pavillon quer über die Hauptverkehrsstraße bis in die Fußgängerzone Gießens. Dort stellten sie den Pavillon ab und setzten sich auf den Boden, um einen praxisnahen Workshop zum Thema "Kreative Antirepression" abzuhalten. Ca. 30 m weiter stand ein Streifenwagen und auf der anderen Seite ein extrem "unauffälliges" Zivi-Fahrzeug. Nach ca. 10 Min. kam ein weiterer Streifenwagen und hielt direkt neben dem Pavillon. Die Polizisten fragten nach einer Sondernutzungsgenehmigung, wenn keine vorhanden wäre, dürfte der Pavillon nicht abgestellt werden. So wurde er halt von vier Personen hoch gehoben, die, nachdem die Vorgabe kam, dass man auch nicht zu lange auf einem Fleck bleiben dürfte, sich immer im Kreis bewegten. Darauf konnte die Polizei nichts erwidern und kündigte an, in einer halben Stunde wiederzukommen (vielleicht wussten sie nicht weiter, und mussten sich neue Instruktionen holen).
Weil den Campis das im Kreis laufen zu langweilig wurde, beschlossen sie, noch ein wenig durch die Stadt zu laufen. Am Marktplatz wurde der Pavillon, damit er nicht auf dem Boden abgestellt war, kurzerhand über ein Bushaltestellenschild gehängt. Der Bullenbefehl vom Kirchenplatz bezog sich wohl nur auf diesen Bereich, denn sie schritten eine Dreiviertelstunde nicht ein, obwohl sie das Ganze beobachten konnten.
Auf dem Heimweg am Kirchenplatz vorbei rastete die Polizei aber schnell aus, und erteilte einen Platzverweis (ohne Personalien aufzunehmen), obwohl die AktivistInnen den Platz gar nicht betreten hatten. So ging der Zug weiter über das Amtsgerichtsgelände, das in den letzten Wochen schon häufiger Schauplatz von Umgestaltungen und darauf folgender Bullenpräsenz war. Deshalb raste auch gleich ein Zivi-Fahrzeug herbei, um das bunte Treiben im Auge zu behalten.
Ca. 30 m vor dem heimischen Zeltplatz versuchte die Polizei dann doch noch mit einem Aufgebot von drei Streifenwagen Eindruck zu schinden, und die Campis auf den Bürgersteig zu bewegen. Durch die Breite des Pavillons glückte das aber nicht ganz und so wurden die Mitwirkenden unbehelligt zum Zeltplatz entlassen.

Die Idee von letzter Nacht wurde aufgegriffen: Zur Zeit befinden sich die Aktivistis mit dem Pavillon in der Fußgängerzone und halten einen im konkreten Sinne "Direct Action"-Workshop ab. Ab 16.00 Uhr gibt's den nächsten Workshop zum Thema "Kreative Anti-Repression" und auch in den nächsten Tagen finden immer wieder "mobile" Workshops statt (s. Programm auf  http://www.abwehr-der-ordnung.de.vu). Kontakt-Tel.: 0178/2034931 oder 0162/1920415

Verbot aufgehoben

AbwehrspielerIn der Ordnung 29.08.2003 - 17:53
Ab der Nacht von Samstag auf Sonntag ist das UtopieCamp wieder auf dem Kirchenplatz erlaubt. Siehe aktuelleren Bericht, soeben auf Indy gestellt!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Umsonstladen? — Parker Lewis