Jugendevent Prora03 auf Rügen

Karl der Käfer 26.08.2003 20:19 Themen: Kultur
Vergangenes Wochenende fand in Prora auf Rügen das bundesweit größte Jugendevent statt. Initiator war Papa Staat, der reichlich Gesandte vor Ort hatte.
Am vergangenen Wochenende fand im ehemaligen "Kraft-durch-Freude"-Bad Prora auf Rügen das bundesweit größte Jugendevent mit ca. 15.000 Teilnehmern statt. Und Papa Staat als Initiator zeigte sich generös: 3 Tage Zelten, Essen und 13 Sonderzüge, alles komplett für anfangs 15, dann 30 Euro - am Geld sollte ein Besuch nicht scheitern. Sogar "Paula" und "Massive Töne" waren auf den Bünen vor Ort und sorgten für gute Laune.

Ziel des Festivals war neben Spaß am Zusammensein, den Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern zu zeigen, daß die Politik sie nicht allein läuft: denn mehr als die Hälfte der Schulabgänger möchte inzwischen nicht mehr im Osten Deutschlands bleiben, sondern im Westen sein Glück suchen. So erschienen auch eigens Angela Merkel zum Frühstücksplausch sowie der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, um sich den Fragen der Teilnehmer zu stellen und ihnen Mut zuzusprechen, sich der Zukunft zu stellen.

Was die Jobsuche nach dem Ende der Schule angeht, wurde sogar dankenswert gleich Hilfestellung angeboten und konkrete Angebote offeriert: so waren beispielsweise unsere Jungs von der Marine da, die von ihrem Werbe-Reisebus aus, hinter dem sich ein riesengroßer aufblasbarer Marshmallow-Mann versteckte, Kugelschreiber an die Kiddies verteilten, man konnte sich modernste Rü¼stungstechnik in 3D anschauen, an Verlosungen teilnehmen und sich natürlich auch über eine Karriere zur See informieren...
Tja, wär ja auch gemein wenn nach so einer Top-Vorstellung alle nur zur Marine gehen, wo bleibt denn dann das Heer?
Nun, auch dieses war in ausreichender Zahl vertreten, eine ganze Kompanie mit einer kleinen tarnfarbenen Zeltstadt, die trotzdem gut zu sehen war, genau neben der Hauptbühne. Morgens und abends wurde effektvoll ("bitte hinten rumgehen! Danke!") der Hauptverkehrsweg des Zeltplatzes für einen Appell mit Strammstehen kurz umgeleitet, alles ein wunderbar schneidiger Eindruck. Auch die Ausgabe der Frühstücks- und Abendbrotrationen übernahmen unsere Kameraden, man muß ja schließlich was sinnvolles tun, und letztendlich waren alle so nett und freundlich, daß man sich glatt an ihren Anblick gewöhnen könnte.
Deshalb verstand ich auch nicht so recht die Reaktion des Publikums, das seltsamerweise mit Pfiffen reagierte, als der Moderator auf der Bühne bei seiner Laudatio auch ein herzliches Dankeschön an diese unsere Kameraden sandte - sollte da etwa grober Undank oder gar ein Hauch von Kritik und Auflehnung bei all diesen noch lebensunerfahrenen Minderjährigen zu erkennen sein? Haben sie denn noch nicht begriffen, daß es für sie eigentlich gar keine andere Alternative gibt, die Berufsaussichten betreffend, als heldenhaft unser aller Wohlstand im Ausland zu verteidigen, damit keine bösen Terroristen kommen und uns unser schönes Leben vermiesen? Und auch was das Verhältnis der Jugend zu den hohen Politikern angeht, die extra mit dem Hubschrauber angereist waren, unser Bundespräsident, der Vorstand einer großen Werft auf Rügen, und ein Mann, der die NGOs (war es Greenpeace? Amnesty International?) vertrat, außer dem NGO-Mann, der einen fetten Applaus einheimste, warum hatten die anderen so einen schweren Stand? War doch das Thema der Gesprächsrunde "Wer regiert die Welt"? Kamen doch immer wieder sehr kritische Fragen aus dem Publikum, den Irakkrieg betreffend? Kamen doch immer wieder die gleichen (unbefriedigenden??) Antworten zurück?
Vielleicht sollte man ja echt mal als junger Mensch zur Marine gehen, dann sieht man was von der Welt und braucht dann auch nicht mehr solche Fragen zu stellen, dann weiß man ja, wie es in der Welt zugeht.
Na ja, und wenn es nicht ganz so weit sein soll, auch im Inland ist schließlich Bedarf: das zeigten die 65 eingesetzten Polizisten und Grenzschützer, die mit ihrer mobilen Wache für Ordnung sorgten und in der Nacht an der Käste mit einem Schiffchen Patroullie fuhren, um ab und zu mal mit einem Scheinwerfer in Ufernähe nachzuschauen, ob nicht doch ein angetrunkenes Pärchen das Nacht- (nicht nackt!-) Badeverbot mißachtet.

Der Ort, an dem das Event stattfand, ist übrigens ein ganz besonderer: hier wollte Adolf Hitler einmal das größte reichsdeutsche Urlaubsparadies errichten und hätte es auch fast geschafft. Alle 2 Jahre sollte man als Arbeiter die Gelegenheit bekommen (und das war für damalige Verhältnisse wirklich sensationell), für 10 Tage hier in der Ostsee planschen zu dürfen, immer 20.000 auf einmal. Kam dann leider der Krieg dazwischen.
Danach war noch lange Zeit die NVA drin in diesen 5 Riesenklötzen, die der Anlage zusammen mit den 2 Ruinen eine Gesamtlänge von 4,5 km geben, in den 90er Jahren war auch das zu Ende und seitdem verfallen diese aus gutem Grund denkmalgeschützten Häuser in bester wertvoller Strandlage.
Ein privater Verein versucht momentan gerade, die Gebäude zu erhalten, was nur möglich ist, wenn sie in irgendeiner Weise genutzt werden. Aus den Mieten (ca. 1,- /m2) soll Sanierung und Erhalt bezahlt werden. Geplant sind Wohnungen, Ateliers, Läden und eine Jugendbegegnungsstätte oder -herberge. Leider kommt vom Bundesvermögenssamt Rostock kein Entgegenkommen, denn anscheinend hat sich schon jemand gemeldet, der das ganze ein wenig kommerzieller nutzen möchte, z.B. indem man die beiden Ruinen abreißt und dort ein gigantisches Luxushotel errichtet. Denn der Strand von Prora ist (Rügen lebt zum allergrößten Teil vom Tourismus) finanziell eine wahre Goldgrube. Mit Denkmalschutz könnte es da schon mal schwierig werden aber das (Land?) braucht halt Geld.
Und dann die Katastrophe, daß kurz vor dem Event von Unbekannten alle Türen und Fenster der Anlage zerstört wurden und die komplette Elektroinstallation herausgerissen. In die Gebäude hat es mittlerweile tüchtig reingeregnet, es steht teilweise das Wasser, der Beton hat sich vollgesogen. Erfolgt bis zum Winter keine Trockenlegung, wird die Frostsprengung das Ihrige tun, das Ende der ohnehin schon arg verwahrlosten Anlage zu besiegeln. Der Blick auf die Ostsee- in ein paar Jahren wieder frei? Das wäre sehr schade, denn es gibt in der BRD nur noch sehr wenige Objekte, an denen man den größenwahnsinnigen Gigantismus, die Lebensverplanung und Kälte im Umgang mit den Menschen im dritten Reich so unmittelbar spüren kann, wie beim "Koloß von Prora". Wer noch nicht da war, sollte sich wohl lieber beeilen.

Und wo wird sie nun hingehen, unsere Jugend? Nach 3 Tagen Sonne, Spaß und wästen Gelagen bleibt die Beobachtung, daß alle Veranstaltungen, die nach Politik rochen, eher weniger besucht waren, von den Leuten, die da waren, aber eigentlich ganz hoffnungsvolle Kommentare kamen.... und viele werden wohl auch wiederkommen, 2005, dann ist das nächste Recruitment-Event in Prora geplant, um sich abermals in die Ostsee zu stürzen, sich mit Alkoholika die Birne vollzuknallen und dann abends im Zelt noch ne kleine Orgie zu feiern. Business as usual also.

Infos:
www.prora03.de
www.jaminprora.de
www.oneworldcamp.de

Sanierungskonzept: Prora Block 3 Liegenschaftsgesellschaft mbH, Objektstra�e 10, 18609 Prora auf Rügen
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Ergänzungen

Zum Luftbild

Karl 26.08.2003 - 20:34
...natürlich sind nicht die beiden auf dem Bild gezeigten Blöcke 4,5 km lang. Das ist die Gesamtlänge der Anlage, die 8 Blöcke (davon 2 Ruinen) umfaßt. Prora ist also 4x größer als der Teil, dem man auf dem Bild sehen kann.

Artikel bei Telepolis

.... 26.08.2003 - 21:29
 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/15494/1.html

Kein Woodstock auf Rügen

Von einem Woodstock auf Rügen konnte wirklich keine Rede sein, als am vergangenen Wochenende in Prora ca. 15000 Besucher das laut Veranstalter größte Jugendfestival Deutschlands in diesem Jahr feierten.

Berliner Zeitung + Tagesspiegel

Zeitungsleser 26.08.2003 - 23:02
Party in Prora
Wer jung ist in Mecklenburg, geht weg. Damit sich das ändert, lud das Land zu einem Festival des guten Willens nach Rügen
Wolfgang Kohrt Montag, 25. August 2003
 http://www.berlinonline.de/.bin/mark.cgi/berliner-zeitung/seite_3/271183.html

Zukunft wird aus Mut gemacht
In Prora auf Rügen, ehemals Hitlers Volksseebad, trafen sich fast 15000 Jugendliche zur erbaulichen Sommerfrische mit Politikern, Bischöfen und einem Model Von Kerstin Decker Kultur 25.08.2003
 http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/25.08.2003/712732.asp

war kein heer

ex-bundi 27.08.2003 - 13:41
abgesehen das hier `nen paar kleine fehler drin sind, ist der artikel nicht schlecht. war selber vor ort, jedoch ist der veranstallter prora03 und nicht papa staat. auch war das heer nicht vor ort - tarnfleck haben die jungs auch, jedoch (wie eben die in prora) dann goldene schulterklappen. aber ich werd jetzt mal nicht weiter mit der luppe gucken...

Adolf Hitlers Urlaubsresidenz für das Volk

Strandmatte 27.08.2003 - 16:02
Etwa 13000 Jugendliche beteiligten sich am vergangenen Wochenende am vom Land Mecklenburg-Vorpommern ausgerichteten Jugendfestival Prora 03. Nach den Vorstellungen von Landespolitikern sollte die Festivität dazu dienen, um Jugendliche dafür zu interessieren, im Lande zu bleiben bzw. Möglichkeiten der politischen Diskussion zu entdecken. Tatsächlich aber entpuppte sich Prora 03 als ebensolche Verlade, wie die sogenannte „Jobparade“ am 1. Mai in Schwerin.

Wenn jemand von diesem Festival profitiert hat, so bestenfalls der Einzelhandel, dessen Preise für Speisen und Getränke überwiegend als überzogen empfunden wurden. Zwar ließ sich auch Politiprominenz wie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kurz blicken, doch hoffnungsvolle Zukunftsperspektiven konnte der auch nicht verheißen. Woher auch. So blieb es denn bei einem dreitägigen Amüsierspektakel, bei dem man sich zwar belustigte und eine Menge Geld ausgab, am Ende über berufliche Perspektiven im Lande genauso schlau war als vorher. Es ist daher wohl nicht falsch, wenn man diese Veranstaltung als das bezeichnet, was es in Wirklichkeit auch ist, nämlich ein Manöver um die Jugendlichen von ihren sozialen Problemen abzulenken, damit sie nicht auf politisch unkorrekte Gedanken kommen.

In der vergangenen Woche war das Jugendfestival etwas ins Zwielicht geraten, weil der SPD-Landtagsabgeordnete Mathias Brodkorb angekündigt hatte, aus Hitlers „Mein Kampf“ vorlesen zu wollen.Ob er es nun tatsächlich auch tat, von Seiten der CDU war es deshalb zu Protesten gekommen, ist bis dato nicht bekannt. Die Presse schwieg sich jedenfalls dazu aus ...

ganz persönliche Ansichtsweise

Verlinker 27.08.2003 - 16:57
einfach lesen:

 http://www.streiflicht-online.de/142003.htm


stimmt zwar auch alles nicht, jedoch ist eben auch die meinung des autors.

@ex-bundi

Karl 27.08.2003 - 21:48
Also, ob nun das "Heer" da war oder irgend was anderes militärisches, da kann ich nur sagen, da hab ich tatsächlich unsauber recherchiert, für mich Ex-Zivildienstleistenden sah das so aus wie die Zufußtruppe, aber nun gut.

Veranstalter ist natürlich der Verein Prora03, initiiert hat das Event aber tatsächlich das Finanzministerium von Mecklenburg-Vorpommern, das einen entsprechend bereitgestellten Betrag von "Papa Staat" sinnvoller Verwendung zukommen lassen sollte.
(siehe:  http://www.prora03.de/prora_guide/15.htm )

ja,

mdma 28.08.2003 - 02:28
der freak vonner spd hat tatsaechlich gelesen.
sehr schlecht auch, wie man bei polylux im tv sehen konnte. empfehle, was wiglaf droste(auch wenn hated) dazu gesagt hat.
ansonsten kann ich nur sagen:
wenn schon, dann haette zb walter moers (chhr, chhhr, de jodn!) lesen muessen.

Kommerz und fehlende Meinungsfreiheit

xxx 15.09.2003 - 18:05
Prora03 war so ziemlich die schlechteste Veranstaltung, die ich je besucht habe. Außer dass jegliche Alkoholmitnahme verboten war, weil die Standbetreiber sich am 2. Abend beschwert hatten, dass sie nich genug Umsatz machen, war auch noch jegliche freie Meinungsäußerung unerwünscht. Nach einer Protestaktion gegen die Massen von anwesenden Soldaten, wurden uns Plakate entrissen und wir vom Sicherheitsdienst verwarnt. Soviel zum Demokratie leben. Mangelnde Aufklärung über das Gelände und Werbung, wo man hinsah tat sein übriges. Nie wieder Krieg, nie wieder Prora03!

fotodokumentation "prora"

bilder 08.07.2010 - 19:10
siehe anderen artikel:

 https://linksunten.indymedia.org/de/node/22554

 https://linksunten.indymedia.org/de/node/22555

 https://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/2010/07/4030292714.pdf

jpegs in zipdatei.
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