SPIEGEL hetzt gegen Sozialhilfeempfänger

Thomas Meyer-Falk 21.08.2003 19:10 Themen: Medien Repression Soziale Kämpfe
SPIEGEL hetzt gegen Sozialhilfeempfänger
SPIEGEL hetzt gegen Sozialhilfeempfänger

In seiner Ausgabe 34/2003 vom 18. August 2003 hetzt der SPIEGEL derart gegen ? Zitat ? ?gerissene Sozialhilfeempfänger?, dass wir regelrecht den Beifall der alten STÜRMER-Schreiberlinge aus dem Jenseits hören können (Anmerkung: ?Der Stürmer? war eine Zeitung des NS-Regimes).

Angeblich ?plündern? gewitzte Sozialhilfebezieher den Wohlfahrtsstaat, lassen sich das Potenzmittel Viagra ebenso finanzieren, wie einen Marken-Schulranzen für den Sprössling einer alleinerziehenden Mutter, oder eine Strandwohnung in Florida für 875 Dollar pro Monat. Besonders bemängelt der SPIEGEL dass Bedürftige es wagen, gegen ablehnende Bescheide der Sozialämter vor Gericht zu ziehen und sei es gegebenenfalls durch alle drei Instanzen bis hin zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (vgl. ?Der Spiegel?, vom 18.8.2003, Seite 40-41)

Eine ?Absurdität? sei es, dass z.B. einem homosexuellen Sozialhilfeempfänger schon 1994 ein Anspruch auf Extrageld für Kondome zugesprochen wurde vom Bundesverwaltungsgericht, um sich vor AIDS zu schützen! Stramm stände die ehemalige STÜRMER-Redaktion in ihren Gräbern ? wären ihre Gebeine nicht längst vermodert.

Anstatt gegen finanziell am Existenzminimum lebende Menschen, die so gut wie keine Lobby haben, zu agitieren und so Neid und Missgunst zu schüren, sollte viel eher kritisch hinterfragt werden, weshalb Sozialämter Leistungen vorsätzlich verweigern und erst Gerichte zur Durchsetzung der Ansprüche bemüht werden müssen! Schließlich soll die Sozialhilfe ein menschenwürdiges Leben, sowie das sozio-kulturelle Minimum gewährleisten. Und wenn dem Herrn Bankdirektor die Privatkasse die Viagrapillen bezählt, soll dann der Sozialhilfeempfänger auf dieses Medikament verzichten müssen?
Zeugt ein Armer vielleicht weniger wertvolle Kinder?

Meiner Meinung nach sollte es nicht nur eine Kampagne ?Gesicht ? zeigen ? gegen Rechts? geben, sondern ebenso eine ?Gesicht ? zeigen ? für ? menschenwürdiges Leben?. SozialhilfeempfängerInnen müssen raus aus der Ecke der Scham und selbstbewusst auftreten; Armut darf kein Stigma (mehr) sein!

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA Z.3117, Schönbornstraße 32, D-76646 Bruchsal, Germany
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Ergänzungen

Nun mal langsam...

vivo 21.08.2003 - 22:58

Differenzierung ist eine geeignete Methode, um Vorurteile abzubauen.
Was spricht deshalb dagegen, diejenigen Sozialhilfeempfänger
anzuprangern, die mehr als fragwürdige Leistungen erschleichen
oder überhaupt keine Hilfe benötigen? Geholfen wird damit
denjenigen, die wirklich Hilfe benötigen und darauf kommt es an!

Leistungen wie Kondome oder Viagra sind diskussionswürdig. Wenn
der Autor diese Leistungen als "absurd" bezeichnet, dann ist das
seine Meinung und keineswegs ein Grund, seinen Artikel mit
Nazi-Propaganda zu vergleichen! Durch den ständigen Vergleich
mit dem "Stürmer" raubst Du Deinem Artikel die Seriosität.

Springer auch übel - wie gewohnt

Mr.X 22.08.2003 - 00:00
Seit einiger Zeit wird in Springer-Blättern gegen Sozialhilfeempfänger gehetzt und diese pauschal als "Sozialschmarotzer" beschimpft. Ein Sozialhilferatgeber wird groß als "Sozialschmarotzerfibel" diffamiert. Springer spricht Menschen mit geringen oder keinem Einkommen das Existenzrecht ab.

Sätze wie der von vivo: "Was spricht deshalb dagegen, diejenigen Sozialhilfeempfänger anzuprangern, die mehr als fragwürdige Leistungen erschleichen oder überhaupt keine Hilfe benötigen?" sind typische Schreibtischtätersätze! Ein Sozialhilfeempfänger ist bestimmt nicht aus Faulheit ohne Einkommen. Ein Sozialhilfeempfänger zahlt Steuern (z.B. Mehrwertsteuer) und soll nicht mal ein paar hundert Euro monatlich zum Überleben erhalten. BMW und Daimler Benz zahlen nicht einen Cent Steuern, sondern bekommen noch Geld von der Bundesregierung, welches den einfachen Leuten abgenommen wurde!
Wenn ich keine Leistung mehr erhalte, will ich auch keine Steuern mehr zahlen - Aufkündigung des Staatsvertrages! Das Steuergeld geht in Rüstung, Polizei, Überwachung, Konzern-Subvention und korrupte Großprojekte.

Brief an den Vater oder :

rapid eye movement 22.08.2003 - 00:50
warum kann ich mir keine tägliche Apfeltasche leisten ?
Ja,sparen.
Weißt du,was ich ESE ?
50 Cent,Nudeln.Manchmal renne ich nicht dahin,wo sie 39 Cent kosten,
wegen der Mehrkalorienverbrennung.
%0 Cent Weißbrot.Leere Kalorien,aber Vollkornbrot kostet in vergleichbarer Menge das Vierfache.Ich spare mir jetzt die Absätze.
Fertigpaprikamark für 2,95 das große Glas(vielleicht könte ich was an den Mengen ändern,löffelweise weniger als Geschmack an die Nudeln machen .).Ab und zu eine Knolle Knoblauch.(50)Cent.Öl habe ich meistens gehabt (Flasche 3,99,manchmal nur Planzenöl, Euro.).Ich rauche an einem Päckchen Tabak zwei,nein inzwischen sind es drei Tage,erlaube mir nichtmehr bei Licht zu lesen (30 Euro Strom,laut Einschätzung des Amtes Geringverbrauich )Aprikosen in Anzahlen von 3 bis vier,einmal eine Handvoll Kirschen.ich leiste mir gelegentlich eine Sojamilch(1,99),weil ich auf Milchprodukte ganz verzichte.gelegentlich abber ein Eis(Kugel 60 Cent,nie mehr als zwei Kugeln ).,oder ein Stück Kuchen (Schnecken aller Art 50 Cent,alles andere teuer,so ab 90 Cent,1,10.Schichttorten und Schokostücke fallen aus.Ich ese Kuvertüre statt Schokolade.Bin dazu übergegangen,Zeitungen statt Klopapier zu kaufen,gehe in Kneipen,wo ich nicht bestellen kann und meine Sünde heißt Kafffee.Zwischen einem Euro und einem Euro ,siebzig.Ich leiste mir damit ein bischen Aufenthalt an der Öffentlichkeit.Jenseits der Parkbank.Zwei,dreimal die Woche.Dafür benutze ich Spülmitel Tropfenweise,auch nur,wenn ich fettiges Geschir abwasche,was imer seltener vorkommt. (...)

@Mr. X

vivo 22.08.2003 - 01:00
Danke für den Schreibtischtäter.

"Ein Sozialhilfeempfänger ist bestimmt nicht aus Faulheit ohne Einkommen."

Nein, die meisten sicherlich nicht. Dennoch gibt es unbestritten
Menschen, die Sozialhilfe beziehen, obwohl sie diese beim besten Willen
nicht benötigen. Und es gibt Menschen, die sich auf trickreiche Art
und Weise Leistungen erschleichen, die bestimmt nicht zur nötigen
Grundversorgung gehören.

Diese Menschen sorgen dafür, dass der zur Verfügung stehende Sozialteat
nicht sozial gerecht verteilt wird. Und diese Menschen sorgen auch
dafür, dass die Sozialhilfeempfänger von vielen Leuten als Schmarotzer
pauschalisiert werden.

"Ein Sozialhilfeempfänger zahlt Steuern (z.B. Mehrwertsteuer) und soll
nicht mal ein paar hundert Euro monatlich zum Überleben erhalten."

Lesen lernen. Es geht nicht um die Abschaffung der Sozialhilfe,
sondern um sozial gerechte Verteilung.

"BMW und Daimler Benz zahlen nicht einen Cent Steuern, sondern bekommen
noch Geld von der Bundesregierung, welches den einfachen Leuten
abgenommen wurde!"

Mit Stammtischparolen, die Du mit Sicherheit nicht mit Fakten
hinterlegen kannst, untermauerst Du Deine Argumentation nicht
unbedingt nachhaltig.

@vivo

Peter 22.08.2003 - 01:06
die Leistungen, die Sozialhilfeempfänger normalerweise erhalten, bewegen sich (gesetzlich gewollt) auf niedrigstem Niveau. Die Diskussion, die durch die Springer-Presse mit Hilfe dieses Typen aus Florida in Gang gesetzt wird, ist reine Propaganda zur Unterstützung des schröderschen Kahlschlages, mit der in den Augen der Öffentlichkeit die Ausnahme zur Regel gemacht wird.
Sozialhilfeempfänger werden als Schmarotzer dargestellt, denen wir mal so richtig zeigen müssen, wo's lang geht.
Macht dich das nicht misstrauisch?
Meiner Meinung nach ist hier das Selbstverständnis der BILD-Zeitung "diskussionswürdig". Sonst nichts.
Und was die Vergleiche mit Stürmer betrifft:
Du solltest nicht bewerten, was der Stürmer damals geschrieben hat, sondern was er heute schreiben würde.
Und meiner Meinung nach würde er genau das schreiben.
Wenn hier was angeprangert werden muss, dann sind das nicht die Schwächsten der Gesellschaft, sondern das System, das diese Schwäche erst erzeugt und die Politiker und Trittbrettfahrer, die davon leben.

Ein Sozialhilfeempfänger ist genauso gierig nach dem Leben, wie du. Und wenn er die Möglichkeit hätte, etwas mehr davon zu bekommen, dann würde er sie nutzen.
Hier geht es nicht um Moral sondern um Propaganda und Politik, also um den niedrigsten Schleim, den es auf dieser Welt gibt.
Und du bist darauf hereingefallen.

bild wars

zigarettenkäufer und schlagzeilenleser 22.08.2003 - 01:51
so weit ich das mitbekommen habe, hat die bild zeitung die schlammschlacht losgetreten.

@zigarettenkäufer und schlagzeilenleser

Besserwisser !??? 22.08.2003 - 02:30
soweit ich s mitbekommen habe war s zuerst der Kölner Express aus dem Du Mont Imperium,
 http://infoladen.de/koeln/fnb/camp/dumont.htm
 http://www.google.de/search?q=cache:43h4wzAX28YJ:home.t-online.de/home/koelner.appell/%25F6ggex.htm+K%C3%B6lner+Express++DuMont&hl=de&ie=UTF-8
 http://www.beucker.de/2002/taz02-11-19.htm
 http://www.rasscass.com/templ/te_bio.php?PID=109&RID=1
 http://www.dumontverlag.de/

Der Springer Konzern mit seinen Hetzblättern ist dann aufgesprungen.

Welcher rechte Medien Konzern zuerst gehetzt hat ist jedoch zweitrangig.
Die Kampagne läuft und ist POPULÄR !!!

Neo-Kommunisten bekämpfen!
 http://www.de.indymedia.org/2003/08/59872.shtml

Ich leb nicht von Rührstücken ...

rapid eye movement 22.08.2003 - 02:44
Ich gehe manchmal essen.Eine Minipiza kostet zwischen 1 Euro und einen Euro fünfzig,ein Börek ist zwischen 1,50 und 2 Euro zu haben,aber nicht überall.In Vierteln,in denen ich umsonst ins Kino gehen kann,kan ich mir oft nichts zu essen auf die Hand leisten.Ich kaufe selten Bahnfahrkarten und lege Strecken von einem bis zu mehreren Kilometern zu Fuß zurück.Ich gebe zu,ich habe diesen Monat zwei,drei Taschenbücher gekauft,zwei aus den siebziger Jahren ,zwischen zwei und vier euro,und zwei die mich wirklich interessieren,,knapp über zehn Euro,die Buchhändlerin hat mir einen Extrapreis gemacht.Bücher sind festgelegtes Kapital,die kannst du am Monatsende mit einem Wertverlust von über 50 % Verlust verkaufen.
Meine Chancen,einen reichen Mann kennenzulernen,sinken,da ich mich kaum noch an Orten aufhalten kann,die von reichen Männern frequentiert werden.
Außerdem seh ich langsam so aus,als interessiert mich nur noch ihr Geld.
Ich lass mich nicht gerne einladen,Freunde halten mich mit Kleingeld und geschenkten Klamotten über Wasser.
Ich kann auf Bücher und eine Wochenzeitung im Monat nicht völlig verzichten,weil ich sonst verblöden würde,ich hab keinen Fernseher und kein Radio,zahle also kein GEZ,und ich habe kein Telefon.Gelegentlich benutze ich Münztelefone,nur zu organisatorischen Zwecken,nicht mehr oft zu kommunikativen.Ich frage mich imer,wovon andere Leute das Bier bezahlen,das sie in der Hand haben.
Ich zahle 12 Euro von 290 Euro für Briefmarken,um sie auf 2 Euro teure Briefumschläge zu kleben,um Bewerbungen zu schreibendie ich schreiben muß,um 290 Euro zu erhalten,erhalte also 276 Euro minus Arbeitsaufwand,das sind 14 Euro weniger als 290 Euro nominell,das ist der Gegenwert von 28 Packungen Nudeln,das sind
28 Packungen Nudeln,Spaghetti oder Varianten,das ist die komplette Grundlage für die Abendmahlzeiten für den Monat Februar,wen kein schaltjahr ist.Wir nennen das Spaghetti blank,Spaghetti blanco,wenn wir zynisch sind.
Einschnitte,manchmal schmerzhafte Einschnitte,empfinde ich im kulturellen Bereich,und das die Verkehrsmitel so teuer sind,das ist schade .(...)

...denn wovon lebt der mensch?

Brechtknecht 22.08.2003 - 04:03
.... wie ihr`s immer dreht und wie ihr`s immer schiebt-
erst kommt das fressen , dann kommt die moral.
erst muß es möglich sein auch armen leuten,
vom großen brotlaib, ihren teil zu schneiden.
....
denn wovon lebt der mensch?
indem er andere stündlich,
auszieht, anfällt, abwürgt und frißt!
nur dadurch lebt der mensch,
das er so gründlich vergessen kann,
was er ein mensch doch ist ...........

mit sozialistischen grüßen

Mahnung

Mahner 22.08.2003 - 05:34
Ich würde mal sagen, wer die ärmsten der Armen angreift, egal wie, entlarvt sich damit doch nur selbst. Unter Linken sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, nicht in das Gehetze der Herrschenden mit einzustimmen.
Letztendlich laufen Sätze wie: "Was spricht deshalb dagegen, diejenigen Sozialhilfeempfänger
anzuprangern, die mehr als fragwürdige Leistungen erschleichen
oder überhaupt keine Hilfe benötigen?"
in letzter Konsequenz doch nur auf Selektion und Vernichtung hinaus.
(Schöne Wortwahl "anprangern")

Ich kann solchen Vollidioten nur raten, mal ein Sozialamt aufzusuchen, dann sollte wohl schnell klar werden, dass es verdammt hart ist, das zu bekommen, was einem rechtlich zusteht.

An alle Schmarotzer!

Voll-Klumpfuss 22.08.2003 - 09:12
Also, wenn ihr weiterhin, den lieben Vater Staat aubeutet, sag ich das der Polizei! Ich stelle mich vor Vater Staat, ich bin sein Bodyguard!

Lieber ihr seid Opfer als unsere mächtige Nation, ist das klar? Eure Bedürfnisse sind ein Scheissdreck!

Wenn Euch der Kapitalist ruft, habt ihr euren Arsch aus der Koje zu wuchten und auf der Baustelle zu stehen oder auf dem Müllabladeplatz und mit euren schmutzigen wunden Fingern zu graben bis ihr schwach und traurig seid!

Dann guckt nach Feierabend auf die reichen in ihren Limousinen, das ist euch Trost genug. Ihr aber habt die Ehre der arbeitenden Faust in eurer Tasche und davon könnt ihr eurer Mutti erzählen, die zu Hause den Müll abwäscht, damit ihr Nudeln mit saurer Tomatensuppe löffeln könnt, die auch noch schlecht gewürzt ist.

Dann Günter Jauche gucken und lachen *ha ha ho ho* dann ab in die Koje und am nächsten schwarzen Morgen sich wieder freuen auf die Grube, in der ihr Arbeitswürmer seid.

Wenn ihr keine Grube findet, in der ihr kratzen könnt, dann braucht ihr Stütze, meint ihr?

Aber es gibt schlaue Journalisten mit fein gebügelten Anzeigen und modischen Brillen, die sitzen in sauberen Büros ganz oben über euren vergammelten Köpfen und schreiben das, was ihr verdient:

Ihr seid Schmarotzer und beutet Vater Staat aus. So ist das.

Du dreckiger Schmarotzer! Sieh zu, dass Du arbeitest, damit Du irgendwann in einer Limousine fahren kannst oder über die Grubenkratzer schreiben kannst.

Du scheiss Schmarotzer! Irgendwann kommt ein Trupp mit Glatzen und der bringt Dich um, wenn Du gerade wieder auf der Parkbank hängst und nicht im Müll herum krabbelst, damit Du müde und traurig wirst.

Pass bloss auf! Wir beschützen unseren Vater Staat vor einem dreckigen Schmarotzer wie Dir!

Die wirklichen Sozialhilfeschmarotzer

Maik 22.08.2003 - 09:54
... sitzen in den Chefetagen der Wirtschaft.

Nach Lektüre von Michael Moore´s neu auf Deutsch erschienenen Buch "Querschüsse - Downsize this" (eigentlich älter als "Stupd white Man" aber erst später übersetzt), in dem Moore hauptsächlich die Geschäftspraktiken der Großkonzerne anprangert (Gesundschrumpfung / Stellenabbau trotz Rekordgewinne ect.) stellt er auch einen wirklich passenden Vergleich zwischen Hilfeempfänger "Klischee vs. tatsächlich" auf.
In den Köpfen des weißen Durchschnittsamerikaners sind die schlimmsten Sozialhilfeempfänger schwarze Frauen mit mind. 6 Kindern. Diese, wirklich benötigte Unterstützung, fällt aber zu den Summen, die der Staat/Städte und Bundesstaaten in die Wirtschaft zur "Standortsicherung" pumpen, mehr als gering aus.

Für Deutschland wird so etwas ähnlich sein. Riesige Ausfälle der Gewerbesteuern, Unsummen in die Wirtschaftsförderung, dieses auch an wirklich gut florierende Unternehmen!
Was in den Medien aber breit getreten wird, ist der (angeblich übertriebene) Markenschulranzen für das Kind einer alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerin.

Ich "liebe" unsere Medienwelt!

aus Sicht eines Sozialhilfeempfängers

W. 22.08.2003 - 12:05
Ich möchte den Artikel mal aus Sicht eines Sozialhilfeempfängers kommentieren.
Ich war selbstständig, auf Grund schlechter Zahlungsmoral konnte ich nicht überleben. Arbeitslosengeld gibts nicht- also Sozialamt.
Ich bin weder dumm noch faul, habe Abi und kann körperlich schwer arbeiten. Aber wenn man sich als eigentlich auch nur Arbeitsloser bewirbt und hat die Chance auf ein Vorstellungsgespräch, in dem der Chef auf Fördergelder durch das Arbeitsamt hofft, muss man sagen, nein, ist nicht, bekomme kein Geld vom Arbeitsamt, somit auch keine Förderung.
So bekommt man einfach keine Chance, seinen Arbeitswillen zu zeigen.....

Zu Viagra: Ich selbst würde mich nicht trauen, so etwas zu beantragen.
Ist ja nicht lebensnotwendig, wie z. B. Herztabletten oder aber auch Kondome. Da widerum verstehe ich, dass dies ein Sozialamt zahlt. Schließlich wird uns allen suggeriert von den ach so tollen Medien, dass gerade die Armen dreckig und krank sind (Hepatitis, AIDS, oder auch nur verlaust).
Aber darf man wirklich dem Antragsteller hier die Schuld zuschieben? Ist es nicht eher die Schuld der Regierung, dass es Gesetze gibt, die nicht eindeutig zu deuten sind bzw. Schlupflöcher im Sozialen System bieten?

Diese Antragsteller nutzen lediglich die Schlupflöcher aus, handeln also nicht illegal. Und deshalb sind sie vielleicht dreist, aber auf alle Fälle nicht dumm und erlauben sich nur das, was die Steuerflüchtlinge sich im großen Rahmen leisten.

Die wirklichen Betrüger sitzen z.B. ...

Peter Wütig 22.08.2003 - 12:08
in den Sozialämtern. Wer fragt nach den Milliarden, die eingespart werden, indem die Klienten nicht die Informationen bekommen, um überhaupt auf irgendetwas einen Antrag zu stellen? Außerdem ist die ganze Diskussion Krümelkackerei. Existenzgeld für alle! Ohne Antrag! Sonst Selbstmordattentate in Einkaufszentren!

Cui bono?

not me 22.08.2003 - 17:02
Wem nuetzt es?, lohnt sich immer mal wieder zu fragen. Ich fand es schon einen eher erstaunlichen Zufall, dass das staatstragende Organ Nr. 1, die Bild-Zeitung, eine derartige Kampagne genau in der Zeit lostritt, in der unsere "sozialdemokratische" Regierung sich anschickt, die letzten Reste der sozialstaatlichen Einrichtungen gnadenlos in Grund und Boden zu "reformieren"...

Thomas hat recht...

Alfons Kilad 22.08.2003 - 18:34
Vielleicht ist der Stürmer-Vergleich etwas zu stark, richtig ist daran, die Hetze gegen die Schwächeren, mit dem unsinnigen Argemunte, sie würde irgendwo dem "deutschen Ganzem" schaden. Die wirklich Kriminellen in den oberen "deutschen" Chefetagen bleiben ungeschont. Bis heute ist das Thema unbeliebt, dass Hitler ohne die Unterstützung der Deutschen Bank, Siemens-Halske usw. gar nicht möglich war. Auch damals wurden (1932) die ersten Auffanglager für "Herumlungerende" gebaut. Später wurde daraus ein riesiges System aus Juden, Kritiker und später Kriegsgefangenen von Arbeitslagern, woraus sich in land-auf land-ab die Herrscher der deutschen Wirtschaft bedienten. Und heute?
Wir haben heute eine Regierung, die vor den Kräften, die aus Profitintertesse auch mal 60 Millionen Tote, in Kauf nehmen, auf den Knienliegt, ja, eigentlich ausnahmslos deren Politik betreibt. Es ist kein Zufall, dass Herr Clement ganz laut über eine Wiedereinführung des Arbeitsdienstes, für Jugendliche, denen man keine Arbeit geben will, nachdenkt. Wenn überhaupt ein Sozialhilfeempfänger, sich nicht staatskompatibel verhält, so ist dies doch logisch: Nachdem andere ihm mehr und mehr die Lebensgrundlage rauben, wie soll er anders noch überleben?

sinn der sozikohle...

mate 22.08.2003 - 21:40
also, der sinn von sozialhilfe soll sein, menschen in einer vorrübergehenden finanziellen notsituation zu unterstützen. weiterhin soll die sozialhilfe ein "den bedürfnissen dieser gesellschaft" angepasstes leben ermöglichen. was natürlich in der theorie heißen soll: die menschen, die sozialhilfe beziehen, sollen weiterhin aktiv an dieser gesellschaft teilhaben können. kulturelle angebote (wie theater oder so), mediale angebote (wie zeitung, fernseher) müssen gewährleistet werden. also im grunde teilt sich die hilfe in zwei bereiche: einmal die benötigte grundversorgung (essen, schlafen, duschen) und dann die "menschliche versorgung" (wei0 gerad nich, wie ich es anders nennen soll). überings alles geregelt im bundessozialhilfegesetz $11 sowie $72, wenn mich gerad nich alles täuscht. das heißt also, dass in der theorie viagra schon dazugezählt werden könnte, ebenso wie kondome etc.
die sozialhilfe soll aber menschen eigentlich vorrübergehend hilfe gewährleisten, da ärgert es natürlich das system, wenn dat nich so klappt. das heißt, der staat versucht diese menschen, die die hilfe längerfristig bekommen, natürlich irgendwie wieder dort herauszubekommen, sei es über schikane, über verbreitung falscher tatsachen (so viele sozialhilfeschmarotzer kann es gar nicht geben, ich kenne im gegenteil eigentlich nur welche, denen das sozialamt nicht mal die grundversorgung garantiert, verschweigen von anspruch auf klamottengeld, ewig langes herauszögern von einmaligen anträgen für möbel oder so, das ist das, was ich so kenne) oder sonstwas. das eigentliche problem ist also nicht, dass 1000 das sozialamt betrügen, wie die bild uns weismachen will, sondern dass das sozialamt seine klientInnen betrügt, indem es ansprüche nicht erfüllt. der staat "verliert" im jahr millionen an euro an menschen, die es ihm nie durch arbeitsleistung zurückgeben können. mal ganz davon abgesehen, dass es recht unmöglich ist nach längerem bezug von sozialleistungen überhaupt wieder einen job (auf dem "1.arbeitsmarkt" (also nicht blaue karte bzw abm oder so)zu bekommen, können viele dieser menschen auch schlicht und einfach nicht (mehr) arbeiten, weil sie es körperlich und psychisch nicht schaffen. ja, und da diese menschen der gesellschaft im grunde nichts bringen, sondern sie nur was kosten, ist es natürlich ein einfaches diese menschen entweder zu übersehen (wie zB mit obdachlosen...frag mal jemanden, der gerade durch die innenstadt gegangen ist, ob er obdachlose gesehen hat...meist ist die antwort nein)oder die als kriminell darzustellen...

schnell auch mal langfristige notsituation

roter * 22.08.2003 - 22:20
und es ist gerade das kapitalistische system, welches aus der "vorrübergehenden finanziellen notsituation" eine langfristige macht. es sind die steuerlich begünstigten unternehmen, die immer mehr arbeitsplätze wegrationalisiert haben, so daß sie weiterhin eine profitmaximierung versuchen können (was aber bei der großen verschuldung vieler unternehmen wohl nicht so richtig zu klappen vermag) und das alles lustig vom staat abgesegnet. wenn nur noch wenige arbeitsplätze vorhanden sind, dann ist es natürlich auch schlecht mit der selbstversorgung bestellt - so kann dann aus einer vorrübergehenden finanziellen notsituation auch mal schnell eine langfristige finanzielle notsituation entstehen. vielleicht ein weiteres zeichen dafür, daß das kapitalistische system nicht wirklich zum wohle der ganzen menschheit beiträgt, wie es so oft propagiert wird... es kann also nur heißen, den auf gier basierenden und die gier fördernden kapitalismus abzuschaffen!

Marcus Stölb Spiegel 20.8. zu "MIAMI-ROLF"

Dokumentation 23.08.2003 - 04:25
PSYCHO-GUTACHTER VON "MIAMI-ROLF"
"Es hätte auch Polen sein können" Von Marcus Stölb
Er ist der Mann, der "Miami-Rolf" das Attest geschrieben hat: Dem Gutachter Dr. Jürgen Lotze verdankt der Sozialhilfeempfänger Rolf J. die Staatsknete für sein Leben in Florida. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt der 61-jährige forensische Psychiater die Hintergründe für seine Beurteilung.
 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,262038,00.html

Instanzenzug

Christof Faber 23.08.2003 - 13:24
Hallo Herr Meyer-Falk,
zunächst möchte ich Ihnen raten, etwas vorsichtiger mit "Stürmer" Vergleichen umzugehen. Abgesehen davon, dass dies eine Beleidigung darstellt begeben Sie sich damit rhetorisch auf eine Ebene mit Herrn Berlusconi.
Zur Sache aber: Sie können nicht verstehen, dass der SPIEGEL den Kopf darüber schüttelt, dass Sozialhilfeempfänger Verfahren bis zum BVerwG betreiben. Ich kann dieses Kopfschütteln aber durch aus nachvollziehen: Finden Sie es nicht auch anstössig dass hier mit fremdem Geld Verfahren betrieben werden, die jemand, der das Kostenrisiko selbst trägt, niemals angehen würde? Das Verfahren bis zum BVerwG kostet um die 20.000 ?!
Faiererweise sollte allerdings auch hinzugefügt werden, dass auch die Anwälte, die sich über den Rechtsberatungsschein ihr Honorar verdienen, ihre Mitschuld tragen.
Herr Meyer-Falk, wenn ich obdachlos bin und Sie mir für eine Nacht ein Dach über dem Dach anbieten und sagen "Fühl Dich wie zu Hause", gebe ich mir Mühe, Ihnen so wenig Umstände wie möglich zu machen und werde nicht versuchen, alles rauzuholen was geht und ggf. Ihr Versprechen einzuklagen.

Dabei

smashcapitalism 23.08.2003 - 14:50
haben nur ein fünftel der Leute Sozialhilfe beantragt, denen es auch zustehen würde.
(Diese Statistik kommt von einem Bundesamt, dessen Namen ich gerade nur vergessen habe.)

Sozialhilfe für gefangene Deutsche im Ausland

Svennie 24.08.2003 - 13:35
In letzter Zeit wurde vielfach in verschiedensten Medien betont, dass eine ganze Reihe Deutscher im Ausland leben und Sozialhilfe kassieren. Bei vielen handelt es sich um im Ausland gefangene Deutsche, die dort im Gefängnis z. Bsp. für Wasser und Essen selbst zahlen müssen, da sie sonst nichts bekommen.Viele im Ausland lebende Sozialhilfeempfänger sind durch Kriegswirren dort gelandet. Zwischen der Schweiz und Deutschland gibt es zum Beispiel Verträge, die solche Sachverhalte regeln. In Berlin ist ein Sozialamt, so weit ich weiss, dass von Steglitz für die Betreuung von Sozialhilfeempfängern mit Wohnsitz ausserhalb von Deutschland zuständig.

Zur Zeit wird die Einführung de ALGII promoted. Als Grundlage für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe will die CDU/CSU das hessische Reformmodell von Ministerpräsident Koch durchsetzen. Es lehnt sich an eine Reform des US-Bundesstaates Wisconsin an und sieht individuelle Hilfe für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger, aber auch starken Druck auf Arbeitsunwillige vor.

ja wo isses denn?

fundbüro.für.geld 25.08.2003 - 23:40
... schon übel, dass diese ganzen diskussionen immer darum gehn, dass menschen den es meistens schon schlecht oder schlecht gestellt geht als schmarotzer, betrüger, bla bla bla etc hingestellt werden. wo ist das große viele geld denn hin - bestimmt nich bei durchschnittlichen rentnern, bafög-profitierenden, arbeitslosengeld-hilfe-oder-wie-auch-immer-sich-das-jetzt-schimft und na die ganz schlimmen sozialhilfeempfänger. also: WO IST DAS GELD HIN???

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Wo ist bitte unser Beitrag ?

r.e.m. 22.08.2003 - 02:58
Literarischer Restbeitrag ? Tippen ist Arbeit !

Was ist denn soooo schlimm..

...daran... 22.08.2003 - 15:51
...von Vater Staat zu schmarrozen? Der Staat muss zerstört werden!!! Auserdem zahle ich schon genug Steuern auf alle Lebensmittelprodukte die ich kaufe, die dann auch für irgendeine Scheiße draufgehen die ich absolut nicht unterstützen will (Aufrüstung, Überwachung etc.)!!!

Rapid eye

Warhead 22.08.2003 - 16:56
Dafür lebst du in einem Rührstück.
So viele Nudeln sind übrigens nicht gesund,ist eine etwas eintönige Kost,die auf Dauer den Magen ruiniert.Wenn du das dann geschafft hast,gibts auch mehr Geld für Diät.
Klamottengeld kann man beim Bezahl ähh Sozialamt übrigens auch abgreifen,für den Sommer wie auch den Winter.Es gibt nicht wenige Secondhandshops wo man für wenig Geld Designerklamotten abgreifen kann die einen aussehen lassen als käme man gerade aus einer Vorstandssitzung.Das Geld liegt praktisch auf der Straße,aber es will ja partout keiner aufheben.Drei Colaflaschen sind schon wieder eine Nudelpackung mehr...oder auch Kerzen,dann sparst du Strom.
leg am besten deine Sozikohle in schmutzige Geschäfte an,z.B.Drogen...Pillen,Pappen,Peppen,Gras...das verhökerst du dann,ich garantiere dir:Drogen wollen alle
Geld wird immer da sein...eine goldene Zukunft leuchtet dir entgegen.
Und falls ich mich zynisch anhören sollte,ich hab auch schon Sozikohle bezogen.

allet schweine?!

antivanillegespenst 23.08.2003 - 04:59
na prima da haben wir wieder die "gespensterdebatte":
wieviele der soz-empf sind schweine?
wieviele der politiker sind das auch?
wieviele unternehmer bekommen x-millionen und was ist das im vergleich
zu irgendeinem soz-hlfe-schwein?
gibt es in der derzeitigen diskussion noch irgendwer,
der nicht (gerne) beim staat absahnen würde (kohl bundeschanzi hat es sehr gut vorgemacht: spenden für die eigene gang(!))

also wollen wir uns wirklich den kopf zumüllen mit diesen (blödzeitungs-)debatten?

oder besser schauen wo die wirklichen schweinereinen abgehen...

(..klar natürlich in israel...hehehe!)

Unsere Woche mit „Florida-Rolf“

Dokumentation 25.08.2003 - 03:08
23.08.2003
Der Sozial-Störfall
Unsere Woche mit „Florida-Rolf“ – ein Fehler im System?

Er schaut direkt in die Kamera. Ein wenig trotzig vielleicht, weil er mit Zuneigung nicht rechnen kann – aber auch kämpferisch-selbstbewusst, weil er starke Verbündete an seiner Seite weiß: die höchsten Gerichte des Landes. Betrüger sehen anders aus – die sieht man höchstens auf Paparazzi-Bildern, auf der Flucht erwischt, mit gehetztem Blick. Hier aber tritt ein selbsterklärter Sieger auf. Und dem Wunsch der Fotografen, die Attribute des schönen Lebens zu präsentieren, kommt er gerne nach. „Florida-Rolf“ ist braun gebrannt. Er trägt eine lässige Baseballkappe. Er führt seine Wohnung mit Meerblick vor, und im Hintergrund scheint die Sonne von Miami. Oder „Viagra-Kalle“: Der hängt zwar momentan im hessischen Bad Soden fest, aber im Vorgriff auf 21 Tage Urlaub, die ihm zustehen, zieht er schon mal ein Hawaii-Hemd an. Auch die Wohnzimmerpalme im Hintergrund verweist zeichenhaft auf das kommende Schlaraffenland. Genau wie die jüngere Ehefrau an seiner Seite, mit der er von nun an – das Sozialamt zahlt die Potenzpille – jeden Tag Sex haben will.

In dieser Woche ist er nachhaltig in unser Bewusstsein getreten: der Sozial-Störfall. Nicht nur vom Titel der Bild-Zeitung kam er uns entgegen, auch aus den Seiten des Spiegel und aus dem Kommentar der Welt trat er in unsere Welt. Zuletzt nötigte er sogar Ulla Schmidt, die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, zu energischen Statements. Quer durch die Gesellschaft löste er eine große Wut aus: Nicht durch eine offene Verletzung des Systems, die man ahnden könnte, sondern gerade deshalb, weil er bestehende Möglichkeiten, gestützt von Gerichtsurteilen, bis an ihr konsequentes Ende ausreizte. Nur so konnte aus Rolf J., 64, dem schwerbehinderten Ex-Bankier mit „Deutschland-Allergie“, der in Miami leben darf und dort 1906,20 Euro Sozialhilfe bezieht, „Florida-Rolf“ werden. Seine Vorgänger, Aufreger für einen Tag, waren einfach nur Betrüger: Wilfried E. aus Hannover, der trotz dreier Villen Sozialhilfe bekam, schaffte es eben nicht zu „Villen-Willi“; Dietrich M., der auf zwei Ämtern gleichzeitig kassierte, blieb der „Doppel-Didi“ verwehrt, und Knut F. aus Hamburg, der ein Anwesen in der Karibik vor dem Sozialamt verschwieg, wurde nie zum „Karibik-Knut“ geadelt.

Der Moment der Wut

Gerade weil er als Teil des Systems legitimiert ist, kann der Sozial-Störfall das Funktionieren dieses Systems beleuchten. So könnte die Wut, die er auslöst, in ein Nachdenken verwandelt werden, das nicht nur darauf zielt, ein paar Sonderregelungen abzuschaffen, sondern die Entwicklung als Ganzes in den Blick nimmt. Ein Analytiker der Sozialsysteme, der mit dem Florida-Fall sogar persönliche Berührung hatte, ist Albrecht Brühl, Professor für Sozialrecht an der Fachhochschule Darmstadt. Er geriet, als Autor des Standardwerks „Mein Recht auf Sozialhilfe“, Anfang der Woche gleich mit unter Medienbeschuss. In seinem Buch verrate er „alle Tricks, mit denen sich der moderne Wohlfahrtsstaat plündern lässt“, tönte der Spiegel – was den Verfasser der juristisch präzisen Fallsammlung dann doch verletzt hat. Brühl fühlt sich aufgerufen, an ein paar Tatsachen zu erinnern: Die weitaus überwiegende Zahl der Sozialhilfeempfänger reize das System gerade nicht bis zum Letzten aus, sondern verzichte im Gegenteil aus Scham auf Leistungen. Und muss man es nicht als Errungenschaft der Demokratie betrachten, dass selbst ein Mittelloser heutzutage Rechtssubjekt sei – im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo er als Objekt behandelt wurde, das auf Almosen angewiesen war? Albrecht Brühl jedenfalls billigt dem Sozial-Störfall einen Erkenntniswert zu – weil er den Staat beim Wort nimmt und eine gewisse Hybris der Gesetzgebung aufdeckt: „Wenn Sie den ersten Paragraphen des Sozialgesetzbuchs lesen, müssen Sie meinen, Ihnen würde das Paradies versprochen“, sagt er. „Nur im Detail fehlt dann jede Präzision – was zwangsläufig in ein juristisches Chaos mündet.“

Dass eine gesetzliche Regelung nicht allein tragfähig ist, sondern auf einem kulturellen Fundament ruht, ist das Thema von Stephan Leibfried, Professor für Sozialpolitik an der Universität Bremen. Insofern könne man die Sozialgesetzgebung als eine Maschinerie verstehen, die auf einer „Kultur des Maßhaltens“ aufbaue. „Florida-Rolf“ tritt exemplarisch an, um diesen Konsens aufzukündigen. „Schwachstellen, die auf diese Weise öffentlich gemacht werden, wird der Gesetzgeber mechanisch korrigieren. Die Folge aber ist, dass wir in einen Zustand der Übermechanisierung eintreten. Das Gesetz wird unempfindlicher gegen Missbrauch, aber auch unflexibler angesichts wahrer Not.“ Fälle wie „Florida-Rolf“ seien neu in der bundesdeutschen Sozialgeschichte, sagt Leibfried. „Florida-Rolf“ ist das Fanal einer Zeit im Umbruch. Die Politik ringt um die Grundprinzipien eines neuen Gesellschaftsvertrags, aber dieses Ringen gleicht bisher einem Stochern im Nebel. Dem Sozial-Störfall steht die Sozial-Unfähigkeit der Individualgesellschaft gegenüber, positive Kriterien zu benennen: Was ist das rechte Maß? „Trotz aller Probleme“, sagt Leibfried, „waren wir noch nie so reich – und so unfähig, zu teilen.“

Noch grundlegender geht der Theologe und Philosophieprofessor in Witten-Herdecke, Jürgen Werner, an das Thema heran. Er erinnert an den Hegelschen Grundsatz, dass jedes System, das konsequent zu Ende gedacht und damit verabsolutiert werde, sich selbst zu Grunde richte – genau dies werde im Sozial-Störfall sichtbar. Das grundlegende Merkmal dieser Entwicklung ist, dass notwendige Unschärfen nicht mehr zugelassen werden – die Tatsache beispielsweise, dass man Exzesse einkalkulieren und im Einzelfall tolerieren muss, um allgemein sinnvollen Gebrauch erst möglich zu machen. Die Bild-Zeitung, in ihrer akribischen Auflistung der Sozialhilfe-Bezüge von Rolf J., arbeitet sich demnach an der Beseitigung von gesellschaftlichen Unschärfen ab. Damit übernimmt sie eine Funktion, die in der Wirtschaft dem Controlling zufällt - und Werner, der auch als Managerberater arbeitet, sieht in der allgemeinen Dominanz des Controlling-Gedankens eine fatale Entwicklung. „Die Controller haben die Macht, alles, was man messen kann, ans Licht zu zerren“, sagt er. „Aber in einer Firma, die nur vom Geist des Controlling regiert wird, ist ein sinnvolles Arbeiten kaum möglich. Wir brauchen ein neues Bewusstsein für den Wert der Unschärfe und des Unmessbaren.“

In der Tat wird „Florida-Rolf“ erst in dem Moment wirklich zum Störfall, in dem er öffentlich sichtbar wird, indem die Inszenierung seiner Siege über den Staat ein Publikum findet. Er taugt weder als Rezept, noch sind seine „Erfolge“, infolge ihrer Komplexität, überhaupt wiederholbar. Er kann braun gebrannt von den Titelseiten lächeln, so lang er will – seine Bedeutung gewinnt er erst in dem Moment, in dem wir wütend zurückstarren, die Politik zu Stellungnahmen nötigen, seinetwegen Gesetze ändern. Sollte der Staat hier vielleicht von anderen Systemen lernen, die ebenfalls ständig auf ihre Schwachstellen getestet werden? Einem Betrüger wird sein Wissen in der Wirtschaft schon mal abgekauft, wenn er im Gegenzug Schweigen garantiert; und einen Hacker, der Sicherheitssysteme der Computerwelt geknackt hat, heuert die betroffene Firma als Berater an. Vermutlich ist Lärm tatsächlich das Gefährlichste: Nur dann entfaltet der Sozial-Störfall seine ganze Symbolkraft – und vermutlich bekämpft man ihn in Zukunft am Wirkungsvollsten, indem man ihm die Öffentlichkeit einfach aberkennt. Auf die Bestrafung seiner Dreistigkeit, auf den öffentlichen Pranger und die Ächtung seiner Taten, die unser Blut zum Kochen bringen – darauf müssten wir verzichten.

TOBIASKNIEBE

 http://www.sueddeutsche.de/sz/feuilleton/red-artikel1063/

Schmarotzertum
Schöne Grüße aus Florida
Warum der deutsche Staat auch im Ausland Sozialhilfe zahlt.
 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/536/16520/
 http://www.sueddeutsche.de/sz/wirtschaft/red-artikel625/