UtopieCamp in Giessen zwischen Verbot+Protest

AbwehrspielerIn der Ordnung 20.08.2003 15:32 Themen: Soziale Kämpfe
?Lust und Laune statt grauer Normalität!? - so könnte das Motto des ab dem 26.8. geplanten Utopiecamps in Gießen abgewandelt werden. Denn das Camp, als visionäre Gegenwelt zu Herrschaft und Verwertung inmitten der Stadt Gießen geplant, stößt auf Widerstand der Politik und auf die Unfähigkeit der Chefstrukturen und Schafherdenverhalten gewöhnten Geschäfte, AnwohnerInnen usw., die Idee eines offenen Festes überhaupt zu begreifen. Dabei wäre das Camp ein bemerkenswerter bunter Punkt. Fest steht schon, dass für die Dauer von ca. 10 Tagen der Umsonstladen, Umsonstessen, ein Cafe, ein Umsonst-Frisörladen, ein Direct-Action-Zelt, eine unabhängige Zeitungsredaktion, eine offene Bühne, eine Kinderecke und ein selbstorganisierter Lernort für Kurse z.B. zu Gitarre, Trommeln sowie Workshops unter anderem zu Direct Action, rechte Frauen, Schule oder kreativer Antirepression am oder auf dem Kirchenplatz stehen sollen, doch die Stadtverwaltung und die Kirche (als Grundbesitzer) wollen nicht. Verbote sind angedroht.
Die Idee des Camps entstand im Frühjahr 2003 aus den Auseinandersetzungen um die Gefahrenabwehrverordnung in Gießen. Nach wochenlangen Innenstadtaktionen, Öffentlichkeitsarbeit und Protesten vor und in Parlamenten sowie den heftigen Reaktionen der Staatsmacht. Einen guten Überblick bieten die Internetseiten www.abwehr-der-ordnung.de.vu, auf denen neben den Aktionen und Forderungen auch die Informationen zum Camp zu finden sind.
Die Ideen des Camps
Mit dem markigen Satz "Law and order statt Lust und Laune" meldete sich Bürgermeister Haumann Im Frühjahr in der Presse. Damit versuchte er zum einen, seine eigenen Lügen und Täuschungen wie die erfundene Bombendrohung hinter einem Klangteppich aus Kraftmeierei zu verbergen. Zum anderen machte er deutlich, dass nach seiner Ansicht Leben keinen Spass machen solle, sondern die Menschen nur dafür leben, um ihre Rolle in der Arbeitsgesellschaft zu spielen. Genau das Gegenteil wollen wir: Ein freies, gleichberechtigtes Leben ohne Zwänge und Zurichtung. Wo Menschen nach Lust und Laune handeln - kooperativ statt konkurrierend, weil die Entfaltung aller Menschen genau der Rahmen ist, in dem alle sich am wohlsten fühlen können. Wie aber könnte eine Stadt Giessen aussehen, in der die Menschen sich entfalten - und nicht Sicherheit, Ordnung, Profitmaximierung? Wie kann ein Leben jenseits der Marktwirtschaft, ohne Arbeit und Behörden, ohne Rathäuser und Knäste funktionieren? Wie sieht Lernen ohne Zwang aus? Das und vieles mehr wollen wir im Utopiecamp in Giessen diskutieren und ausprobieren.
Das Camp soll ein offener Raum für die Ideenvielfalt vieler werden. Bisher stehen schon als Ideen:
· Infozelt mit während des Camps wachsender Ausstellung zu Utopien für Gießen
· Umsonstladen
· Umsonstessen, offene Küche
· Direct-Action-Zelt für kreativen Widerstand
· Umsonst-Frisörladen ?Verhaarlosung?
· Kinderchaosecke
· Workshops und offener Lernort mit vielen Kursen und Sessions
· Aktionen wie die Nachttanzdemo am Freitagabend, 29.8., ab 20 Uhr
· Offene Bühne für Musik, Theater und mehr
· Zeitungsprojekt ?Lust und Laune statt Law and Order? (ca. alle 2 Tage erscheinend)
· und alles, was Menschen noch hinzufügen ...



Der Streß mit der Obrigkeit
Das Utopiecamp - diese Mischung aus visionären Kleinprojekten, einer Debatte um Stadtpolitik von unten, selbstbestimmtes Leben und Lernen sowie kreativen und direkten Aktionen - war den Eliten der Stadt (Regierung, Verwaltung, Presse, Polizeiführung usw.) sofort ein Dorn im Auge. Der folgende Überblick zeigt, wie in einer Stadt verhindert werden soll, dass überhaupt abweichende Meinungen ans Tageslicht kommen.
Stadtverwaltung: Von Beginn an versuchte die Stadt Gießen, das Projekt zu torpedieren. Erst hieß es, der ins Auge gefasste Termin ginge nicht, weil da eine andere Veranstaltung wäre. Als wir dann den Termin verschoben, hieß es plötzlich, die Stadt sei gar nicht zuständig, sondern die Kirche, der ein Teil des Kirchenplatzes gehörte. Die Kirche aber mauerte ganz, wollte sich gar nicht äußern und verwies wieder auf die Stadt. Schließlich erfand die Stadt plötzlich die Regelung, dass auf den öffentlichen Plätzen nur noch zwei Veranstaltungen bis zum Jahresende stattfinden dürfen. ?Zufällig? waren schon zwei andere genehmigt auf dem Kirchenplatz. Doch in anderen Parks, wo es keine anderen Veranstaltungen gibt, wollte die Stadt dann auch nichts genehmigen.
Schließlich meldeten AktivistInnen einige Demonstrationen an, um verschiedene Themen öffentlich kundtun zu können. Doch inzwischen zeigt die Stadtverwaltung, dass sie auch das Grundrecht auf Demonstration interessiert: Fast alle AnmelderInnen haben inzwischen einen Brief erhalten, dass sie sich zum darin angekündigten Verbot der Demonstrationen noch mal äußern dürfen ... wir sind ja keine AnhängerInnen des Rechtsstaates, weil das Gesetz im Interesse derer ist, die sie machen. Aber in solchen Situationen wird immer wieder deutlich, dass selbst diejenigen das Recht mit Füssen treten, die es gemacht haben - wenn es halt mal so in ihren Kram passt. Die Begründungen für die angekündigten Verbote der Demonstrationen sind abenteuerlich: Irgendwelche Flächen seien zum Parken da, das Feiertagsgesetz erlaube keine Veranstaltungen am Sonntagvormittag (natürlich machte die Kirche selbst wenige Tagen später einen OpenAir-Gottesdienst auf dem Kirchenplatz am Sonntagvormittag ...) oder die Busse kämen dann eine Zeitlang nicht mehr durch.
Kirche: Ein Teil der Fläche des Kirchenplatzes gehört zwei Kirchengemeinden. Die mauerten von Beginn an. Ihr Grund: Einige der AktivistInnen, die jetzt auch beim Camp mitmischen, hatten im Jahr 2001 einen Weihnachtsgottesdienst mit einem unangemeldeten Theaterstück ?bereichert?, was die Kirchenobermänner dazu brachte, im Gottesdienst auf die ?StörerInnen? einzuprügeln! Nicht ihr Verhalten war ihnen nun peinlich, sondern sie wollen vor allem die Projektwerkstatt nicht mehr auf Kirchengelände lassen. Richtig schlecht war der Satz ?Veranstaltungen auf dem Kirchenplatz müssen zum Geist der Kirche passen?. Darum mauerten sie beim UtopieCamp (entschieden gar nicht, machten nur hinhaltende Äußerungen und wollten alles vertagen auf eine Gemeinderatssitzung, die nach dem Camp beginnen würde!), ließen aber die Polizei und die Menschenjäger vom BGS am 12. Juli eine Selbstdarstellungsshow auf der Rasenfläche machen. Auch Pastoren und Kirchen insgesamt gehören halt zu den elitären Strukturen in dieser Gesellschaft - und ihr Verhalten ist entsprechend eklig.
Presse: Die Medien in Gießen sind in Bezug auf den seit ca. einem Jahr stattfindenden kreativen Widerstand bis auf wenige Ausnahmen komplett gleichgeschaltet. Aktionen, Demonstrationen, Veranstaltungen, Veröffentlichungen usw. der herrschaftskritischen Gruppen werden komplett verschwiegen. Offensichtlich ist, dass dazu ständig Rückklärungen zwischen RedakteurInnen, Stadtführung und Polizeiführung erfolgen, während mit den AktivistInnen nicht gesprochen wird. Das UtopieCamp bildet keine Ausnahme - ob nun Goltze, Lemmer & Co. vom Giessener Anzeiger, Tamme, Möller oder andere von der Giessener Allgemeine, Kronenberg von der FR, Gust usw. vom Hessischen Rundfunk (alle genannten Namen gehören zu elitären Kreisen in Gießen) oder die platten Anzeigenblätter Sonntagmorgenmagazin oder MAZ - das Camp, die Vorbereitungstreffen, die AnwohnerInnenversammlungen usw. wurden komplett verschwiegen.
Firmen und AnwohnerInnen rundherum: Zum UtopieCamp sollte auch der gleichberechtigte Umgang mit den AnwohnerInnen gehören. Statt über die Stadt eine Genehmigung zu erlangen und auf diese dann zu pochen, wollten wir die AnwohnerInnen einladen, Anregungen oder Bedenken direkt einzubringen bzw. auch beim Camp mitzumischen. Zweimal luden wir zu AnwohnerInnenversammlungen auf den Kirchenplatz ein - aber nur sehr wenige kamen. Das ist sicherlich wenig überraschend angesichts einer Gesellschaftsformation, in der die Menschen darauf zugerichtet sind, im öffentlichen Raum als Rädchen und Schafe zu funktionieren, gleichzeitig aber ihren Machtbereich, das Private, abzutrennen von dem des Nachbarn, der Bekannten, der Menschen auf der Straße usw. Nichtsdestotrotz wird das Camp offen bleiben und die Hoffnung besteht, dass auch bei Ärger nicht die Polizei gerufen wird, sondern der direkte Kontakt gewählt wird. Noch vor dem Beginn des Camps werden alle AnwohnerInnen erneut eine Infozeitung zum Camp erhalten mit dem Programm und den Möglichkeiten, mitzuwirken.
Ein gutes Beispiel für das Desinteresse ist auch die örtliche BI Burggrabenviertel. Sie streitet gegen den Bau einer riesigen Einkaufsmall, für die große Teile des Stadtteils abgerissen werden sollen. Das würde passen zum Utopiecamp. Doch die BI-Oberen hatten kein Interesse, reagierten auf Einladungen gar nicht, stattdessen grenzten sie politische AktivistInnen bei ihren Veranstaltungen selbst aus. Das ist nicht überraschend, denn wie die meisten BIs heute gehören auch die Führungspersonen dieser BI zu den Eliten der Stadt - und fühlen sich deshalb auch wohler an den Tischen der Regierenden, der Presse und der Geschäftsleute.

Wie weiter?
Keine Frage: Das UtopieCamp wird es geben. Das angekündigte Verbot der Stadt ist ein Totalverbot für alle Veranstaltungen aus einem von ihnen so ausgemachten politischen Spektrum. Dass auch Demonstrationen eben mal verboten werden sollen mit Hinweis auf Parkplätze oder Feiertagsruhe zeigt, dass hier reine Macht und nicht einmal das selbst recht machtförmige Recht zum Zuge kommt.
Unsere Antwort darauf ist klar: Wir werden die 10 Tage in Gießen gestalten. So oder so. Wenn die Stadt tatsächlich das Camp verbietet und auch die Kirche weiter einfach das Ganze aussitzt, wird das UtopieCamp wohl spontaner auflaufen müssen. Workshops lassen sich gut überall in der FußgängerInnenzone machen, aber auch im Foyer von Rathäusern, Ämtern, Banken, Restaurants oder in den Kleiderabteilungen von Kaufhäusern. Auch der Frisörladen, der Umsonstladen, Gratisessen können flexibel immer wieder überall auftauchen. Wir gehen davon aus, dass bei einem Verbot sich einige Gruppen noch mal mit Aktionsvorschlägen äußern werden.
Wenn die Stadt das Camp doch noch genehmigt, wird alles wie geplant am Kirchenplatz laufen. Die Stände stehen dann um die Rasenfläche oder auf naheliegenden Flächen, viele Aktivitäten können auf der Rasenfläche stattfinden.

Also: Auf nach Gießen!
So oder so werden es spannende Tage ab dem 26.8. in Gießen. Spannende Workshops, direkte Aktionen und die vielen Stände mit Umsonstladen, Frisör usw. sollen 10 Tage Gießen deutlich verändern. Bringt noch eigene Ideen mit oder verwirklicht gar eigene Projekte auf dem Camp. Guckt auf www.abwehr-der-ordnung.de.vu, was sich Aktuelles tut. Ruft noch mal an, z.B. in der Projektwerkstatt unter 06401/903283.

Das bisherige Programm (viele Teile davon können auch stattfinden, wenn der Kirchenplatz verboten wird ... Treffpunkt ist auf jeden Fall immer dort):

Ständig bzw. nach Vereinbarung: Umsonstladen, Frisörladen, Cafe, Direct-Action-Plattform, Kinderecke, Zeitungsprojekt, offene Bühne. Ämter, Wahlplakate, Polizei (vor allem wohl Zivibullen) werden auch überall rumstehen ...

Dienstag, 26.8., 14 Uhr ab Kirchenplatz: Auftaktdemo mit einem Rundgang zu verschiedenen Objekten Giessener Machtstrukturen (Presse, Rathaus, Überwachungskameras, Ordnungsamt, Polizei usw.)
· ab 17 Uhr: Aufbauen am Kirchenplatz (wenn möglich)

Mittwoch, 27.8.: 12 Uhr Einführungsworkshop Direct-Action (ab Mi dann jeden Tag um diese Zeit)
· 16 Uhr: Workshop ?Kreative Antirepression? (wie kreativ umgehen mit Bullen, Gerichten usw.)
· 19 Uhr. Vokü draußen

Donnerstag, 28.8., 14 Uhr: Aktionen für Kinder
· 19 Uhr: Debatte mit BürgermeisterkandidatInnen im Karstadt

Freitag, 29.8., 16 Uhr: Workshop ?Geschlechterdekonstruktion & Crossdressing?
· 18 Uhr: Stylen für die Nachttanzdemo
· 20 Uhr: Nachttanzdemo rund um den Anlagenring (anschl. Ska/Reggae im Domizil)

Samstag, 30.8., 8-16 Uhr: Umsonstladen und Portraitphotographie im ALI-Cafe
· 10 Uhr: Aktionen für Kinder

Sonntag, 31.8., abends: Soundsafari unterwegs

Montag, 1.9. ca. 8 Uhr ... die Schule fängt wieder an - willkommen im Lernknast!
· event. Schulschwänzcafe und/oder Aktionen vor Schulen
· 19 Uhr: Filmnacht im Jokus

Links und Infos:
· Die Seite zum Camp: www.abwehr-der-ordnung.de.vu
· Direct-Action-Tipps: www.direct-action.de.vu

Vorher noch ... Aktionen in der Innenstadt am Samstag, den 23.8.!
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

@psychiatrien

Amok 22.08.2003 - 15:51
Wenn Du etwas über Kritik an Psychiatrien erfahren willst, empfehle ich Dir  http://www.antipsychiatry.org - insbesondere diesen Text:  http://www.antipsychiatry.org/ge-weitz.htm

Aktulle Infos zum Camp

utopie-putzel 22.08.2003 - 15:57
Aktuelles Programm, Info-Utopiezeitung usw. finden sich unter:  http://www.projektwerkstatt.de/gav/texte/uto_zelt01.html

Camp ist verboten!

Grrr ... macht nix! 22.08.2003 - 21:18
Sie habens wahr gemacht: Das Utopie-Camp und alle Teile können auf dem Kirchenplatz "und sonst wo" in Gießen nicht stattfinden. Aber eine Utopie jenseits von Herrschaft konnte halt nicht auf den Beifall der Herrschenden rechnen ... :-)

Viel Glück!

Ein freier Heide 23.08.2003 - 21:25
Viel Glück für das Camp!
Ihr wart schon in der "FREIEN HEIDE"(bei Wittstock)sehr kreativ,es wird
bestimmt lustig und spannent!
Wir bleiben in Kontakt!
T.O.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

"psychiatrien" — ???

@??? — !!!

Berliner mit dabei! — Peter Lustig

Kölna auch — Daniel Düsentrieb