Der Fall Sherman: Mit seinen eigenen Worten

von:  http://la.indymedia.org/news/2003/08/75675.php

Der Fall Sherman: Mit seinen eigenen Worten

1. Mein Name ist Sherman Austin. Am 24. Januar 2002 wurde ich von meiner Schwester aus einem Nickerchen geweckt. Sie sagte mir, dass ein Haufen Menschen, die "nach FBI aussehen" , Polizeiautos und andere Personen in der ganzen Straße herum stehen und auf unser Haus sehen würden. Es war 4 Uhr am Nachmittag und ich hatte ein wenig gedöst. Ich stand auf, ging ins Wohnzimmer um aus dem Fenster zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt war unser Haus schon von 20-25 FBI-Agenten und Menschen vom Sicherheitsdienst umstellt, die mit einer Art Maschinengewehren, Handfeuerwaffen, schußsicheren Westen und was sonst noch ausgestattet waren. Dann sah ich zwei Männer in Anzügen, die zur Tür kamen. Also ging ich zur Tür um zu sehen was los war und sie fragten mich, ob mein Name Sherman Austin sei. Ich sagte ja und sie forderten mich auf zur Seite zu treten. Ich fragte sie warum ich das tun sollte woraufhin sie mich an meiner Schulter packten und mich zur Seite drückten. Dann sah ich ca. ein Dutzend FBI-Agenten in blauen Windjacken im Vorgarten stehen. Es tauchten noch mehr von den Seiten des Hauses auf.

Alle hatten ihre Waffen gezogen und trugen schußsichere Westen. Einer der Special-Agents gab mir einen 25-seitigen Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsbefehl. Die übrigen Agenten kamen mit gezogenen Waffen ins Haus und durchsuchten alle Räume. Die zwei Beamten in Anzug zwangen mich mich zu setzen und begannen damit mich über die Internetseite www.raisethefist.com auszufragen. Sie wiesen mich darauf hin, dass sie das ganze Haus auf den Kopf stellen würden und dass sie meine ganze Computer-Anlage beschlagnahmen würden, auf der meine Seite lief.

Während dieses Prozesses waren mehrere FBI-Agenten in meinem Zimmer damit beschäftigt meinen Computer auseinander zu nehmen und luden ihn in einen draußen geparkten weißen Transporter. Sie nahmen sogar meine Politlektüre und Protestschilder mit. Während all dem wurde ich von den beiden Agenten in Anzug und einem Sicherheitsbeamten verhört. Der Sicherheitsdienst stellte eine Reihe Fragen wie z. B. ob ich den Präsidenten tot sehen wolle. Das FBI stellte mir Fragen über die Zeit als ich 14 Jahre alt war. (Zu der Zeit war ich 18). Sie stellten mir auch Fragen zu meiner Internetseite, wie z. B. wo ich die Log Files gespeichert hatte, ob ich der einzige war, der daran arbeitete, ob ich Menschen kennen würde, die sie regelmäßig besuchten.. etc. Sie sagten mir, dass ich noch nicht verhaftet sei aber in großen Schwierigkeiten steckte. Sie fragten mich auch ob ich vor hatte am 2. Februar zu den Protesten gegen das Welt Wirtschafts Forum in New York zu gehen (was auch auf meiner Seite veröffentlicht war). Nach ungefähr 7 Stunden zogen die Agenten wieder ab, mein Zimmer war komplett auseinander genommen und meine ganze Ausrüstung war in ihren weißen Transporter gestopft worden.

Trotz allem was geschah ging ich zu den Protesten gegen das Welt Wirtschafts Forum in New York. Als ich ankam stand ich auf dem Columbus Circle und wartete dass sich der Protestzug in Bewegung setzte. Und ganz plötzlich sah ich die Hand eines Polizeibeamten die sich nach mir ausstreckte, als mehrere 20 Polizisten aus dem Nichts auf uns zustürmten. Ich wurde von 3 Beamten zu Boden gedrückt und mit anderen 26 Leuten festgenommen. Ungefähr 7 Stunden saß ich in einem Bus bevor sie mich ins Brooklyn Navy Yard Gefängnis brachten, wo ich für ungefähr 30 Stunden festgehalten wurde, bevor ich in Handschellen in ein Hinterzimmer abgeführt und dort von einem FBI-Beamten und einem Menschen des Sicherheitsdienstes für mehrere Stunden verhört wurde. Sie stellten mir Fragen, als ob ich ein Terrorist wäre oder MItglied einer terroristischen Vereinigung. Sie fuhren auch damit fort mir Fragen über den FBI-Überfall auf mein Haus in Kalifornien zu stellen doch ich verweigerte die Aussage.

Während der Verhörung fiel mir auf, dass immer mehr FBI-Agenten in dem Raum ein und aus gingen. Der Beamte erzählte mir dann, dass ich das Gefängnis nicht verlassen würde bis sie mein Auto gefunden hätten. Ich widersprach, sie könnten mich ohne Anklage nicht länger festhalten. Der Beamte meinte, dass ihm das egal wäre und wollte dass nach meinem Auto gesucht wird. Offensichtlich dachten sie, dass dort Bomben und andere Waffen zu finden seien. Ich wollte nur aus dem Knast raus und nach Hause, deshalb sagte ich ihm die Gegend wo ich ungefähr meinen Wagen abgestellt hatte und übergab ihm die Schlüssel. Ich wurde in meine Zelle zurück gebracht und 5 Minuten später wurde ich auch wieder heraus gebracht und zum Gericht gefahren um entlassen zu werden. Als mich der Knastwärter aus dem Gefängnisgelände bis in den Gerichtssaal eskortierte, stoppten uns 3 FBI-Agenten und hielten ein Foto von mir hoch. Sie fragten mich, ob ich wüßte, wer die Person auf dem Foto sei und ich antwortete dass es ich war. Dann lachten sie und sagten, "okay". Also ging ich weiter und wurde dem Gericht übergeben.

Ich machte einen Telefonanruf, so dass mich jemand abholen kam und wartete ca. 30 Minuten bis ungefähr 5 FBI-Agenten in das Gebäude kamen und mir unterbreiteten, ich wäre verhaftet wegen der Verbreitung von Informationen über Sprengkörper im Internet. Sie drängelten mich aus dem Gericht hinaus in einen schwarzen Wagen der Special Victims Unit, als ein Beamter mich am Hals packte und sagte ich solle das "Maul halten" da ich versuchte Menschen zu erklären, dass ich wieder verhaftet war. Dann fuhren sie mich in ein Staatsgebäude am Ende der Straße und wollten mich befragen. Ich verweigerte die Aussage auf all ihrer Fragen. Ich wurde ins Staatsgefängnis in Lower Manhatten gebracht und in eine 24-Stunden Hochsicherheitszelle gesteckt.

Am nächsten Morgen hatte ich meine Anklageverlesung, die um ein paar Tage verschoben wurde, so dass mein Anwalt den Haftbefehl mit mir durchgehen konnte. Einige Tage später hatte ich eine Kautionsanhörung und meine Kaution wurde abgelehnt, da das FBI behauptete ich sei "ein Mann mit einer Mission", ich sei 3.000 Meilen gefahren um mein "Anschlag" durch zu ziehen und auf dem Nachhauseweg würde ich "die olympischen Spiele in die Luft zu jagen". Ich wurde als eine "öffentliche Bedrohung" eingestuft und wurde in der Obhut der U.S. Marshals nach Kalifornien zurück gebracht um meiner Anklage entgegen zu treten.

Einige Tage später wurde ich in einer Basis der Air-Force ein wenig ausserhalb New Yorks gefahren um von dort zu einem Staatsgefängnis in Oklahoma geflogen zu werden. Meine Knöchel wurden aneinandergebunden und meine Handgelenke an die Hüfte gefesselt. Zusammen mit anderen Insassen wurde ich ins Flugzeug geladen während wir von Wächtern mit Schrotflinten und M16s umstellt waren. Ich fühlte mich wie ein Kriegsgefangener. Als ich in Oklahoma ankam wurde ich in eine normale Zelle gesperrt, was mich verwunderte, denn seit all das begann wurde ich in Isolationshaft gesteckt. Jedenfalls war mir das egal, es war besser als 24 Stunden in einer kleinen, kalten, Kackerlaken-verseuchten Zelle in der Größe eines WCs zu verbringen. Ich rief dann meine Mutter an und sie sagte mir, dass die Staatsanwälte beschlossen hatten keine Anklage einzureichen und deshalb würde sie fallen gelassen. Ich war erleichtert zu erfahren, dass ich frei gesprochen werden würde. Am nächsten Tag riefen zwei Wächter meinen Namen, legten mir Handschellen an und brachten mich zurück ins Loch (24-Stunden Hochsicherheitszelle). Ich war verwirrt, da ich dachte jede Minute entlassen zu werden. 2 Stunden später kamen sie zurück und sagten, dass ich frei gelassen würde. Meine Anwältin hatte einen Gerichtserlass eingereicht um mich mit sofortiger Wirkung zu entlassen und organisierte ein Flugzeug das mich nach Los Angeles zurück bringen sollte. Nach 13 Tagen Haft kam ich zu Hause an. All meine Sachen, Klamotten, Geldbeutel, Auto usw. waren noch in New York. Alles was ich zurück bekam, war mein Geldbeutel. Alles andere war verloren.

Einen Monat nach meiner Verhaftung brachte ich meine Internetseite wieder online und fuhr mit meiner Organisationsarbeit in der Gemeinschaft fort. Nach 6 Monaten riefen Staatsanwälte bei meiner Anwältin an und sagten dass sie auf meinen Computern nichts finden konnten, mich aber nicht vom Haken springen lassen wollten. Deshalb boten sie mir eine verbindliche Vorstrafe anm die ich sofort ablehnte, aber dann doch entschied anzunehmen. Die Vorstrafe war die Verurteilung für das Verbrechen Informationen über Sprengkörper im Internet verbreitet zu haben, 1 Jahr Knast, 5 Monate Besserungsanstalt und 3 Jahre Bewährung. Ich ging zum Richter um dem Urteilsspruch einzuwilligen doch der Richter weigerte sich sofort und sagte ich hätte für so eine Tat mindestens 12 Monate verdient. Ein Verhandlungstermin wurde für den 15. März 2003 vereinbart. Ich dachte, Scheiße, ich gehe vor Gericht. Wenn ich verlieren würde, dachte ich ich müßte höchstens 3-4 Jahre einsitzen. Nachdem meine Anwältin das USPO (Sondergericht) auf den Fall ansetzte, fand sie heraus, dass der "Terrorismus-Zusatz", der mir zusätzliche 20 Jahre kosten könnte, auf meinen Fall anwendbar sei. Ich war in keiner guten Stimmung mich zum Märthyrer zu machen. Ich entschied mich es zu versuchen und jeden möglichen Einspruch zu erheben. Meine Anwältin ging zurück zum Schreibtisch und wir arbeiteten einen Einspruch mit einer Urteilsspanne zwischen 6 und 12 Monaten aus. (Notiz: Diese Spanne liegt jetzt bei 8-14 Monaten aufgrund meiner neuesten Verurteilung, die meine kriminelle Geschichte eine Stufe nach oben setzte). Wir gingen wieder vor Gericht und der Richter akzeptierte es und der Termin für meinen Urteilsspruch wurde auf den 30. Juni gelegt.

So ungefähr sieht es also bei mir aus. Ich weiß nicht, mit wie viel ich rechnen muss ausser einem Minimum von 4 Monaten Knast und 4 Monaten Besserungsanstalt und 3 Jahren sehr intensiv "beaufsichtigter Freilassung" (Bewährung), laut dem Vor-Urteils-Bericht der USPO, den meine Anwältin und ich erst erhielten und durch gingen.

Es wäre eine Erlösung, nach einem Jahr ständiger Verfolgung, Beschattung, Schikanen und Alpträumen annehmen zu können es wäre nach dem 30. Juni endlich "vorbei". Aber alles deutet darauf hin, dass es das nicht sein wird. Ein junger, schwarzer Straftäter in Amerika zu sein sagt mir nur, dass dies erst der Anfang ist.