Nein zum Bombodrom: Geschichte einer Bewegung

Svennie der Reifenwechsler 05.08.2003 04:52 Themen: Freiräume Globalisierung Militarismus Repression
Ein kurzer Abriss der Geschichte des Kampfes für eine FREIe HEIDe. Vom zivilen Ungehorsam einzelner Menschen in der DDR in den Siebzigern bis zur Struck-Entscheidung vom 9. Juli 2003 und der 84. Protestwanderung der Bürgerinitiative.
Nein zum Bombodrom: Geschichte einer Bewegung

Zu DDR-Zeiten hatten die Menschen in den umliegenden Gemeinden nur wenig Handlungsspielraum, um sich gegen den sowjetischen Truppenübungsplatz zu wehren. Eingaben und Beschwerden auf Kreis- und Bezirksebene waren die einzige Möglichkeit, auf den Dauerkriegszustand in den Gemeinden rund ums Bombodrom aufmerksam zu machen.
Der Protest gegen die militärische Nutzung der Prignitz-Ruppiner Heide geht zurück bis in die siebziger Jahre. Der damalige Bürgermeister von Schweinrich kappte die Telefonleitungen der sowjetischen Besatzer. Am durchtrennten Kabel befestigte er einen Brief, in welchem er auf die erheblichen Beeinträchtigungen durch die russischen Panzer aufmerksam machte. Schnell hatte man ermittelt, von wem dieses anonyme Schreiben stammte. Der Bürgermeister verlor daraufhin all seine Ämter.

Die Wende in der DDR gab auch den Menschen in der Prignitz-Ruppiner Heide die Kraft, für ihre Interessen aufzustehen. Am 11. Februar 1990 kam es in Schweinrich zu ersten Aktionen unter dem Motto: "Rettet den Dranser See". Das war die Initialzündung für eine Bewegung, die auch 13 Jahre nach der Wende noch aktiv ist. Nach der Veröffentlichung des Truppenübungsplatzkonzeptes des damaligen Verteidigungsministers Volker Rühe, demonstrierten 1992 viertausendfünfhundert Menschen in Schweinrich gegen eine weitere militärische Nutzung des Bombodroms. Besondere Empörung löste das Ignorieren des nahegelegenen AKW Rheinsberg bei der Erstellung des Nutzungskonzeptes aus. Die Bürger rückten der Landesregierung "auf die Pelle", demonstrierten in Potsdam vorm Landtagsgebäude und schickten Delegationen zum damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe.

Man drang auf verschiedenste Arten in die Öffentlichkeit. Auf über zwanzig Autobahnbrücken in der Prignitz wurden Transparente mit Slogans gegen die Weiternutzung des Bombodroms aufgehängt. Infostände, Public Screanings, Offene Briefe, Klagen, Wandzeitungen, Protestschreiben, symbolische Besetzungen und Demonstrationen bestimmten von nun an das öffentliche Erscheinungsbild der frisch gegründeten Bürgerinitiative FREIe HEIDe. Bis Ende 1992 wurden über 40.000 Unterschriften gesammelt. Die erste Protestwanderung fand am 13. Sptember 1992 statt. An dieser beteiligte sich auch der jetzige Ministerpräsident Matthias Platzeck, der damals noch als Umweltminister von Brandenburg amtierte.

Das Nutzungskonzept von 1992 sah vor, dass in Wittstock eine Garnision stationiert wird und der Platz nicht nur für die Luftwaffe, sondern auch für das Heer der Bundeswehr genutzt werden könne.
Zum Jahreswechsel 1992/93 beteiligten sich 5000 Menschen an einer Lichterkette entlang der Verbindungsstrasse zwischen Schweinrich und Alt-Lutterow, die quer durch das Bombodrom führt, und feierten mit den Soldaten der GUS-Streitkräfte ein Versöhnungsfest.

Auch 1993 wollte der Protest nicht abreissen. Rühe hatte Wittstock nicht aus seinem Nutzungskonzept entfernt. Währenddessen nahmen die Grünen die Schliessung des ehemaligen sowjetischen Militärgeländes mit in ihr Programm auf. Das Land Brandenburg klagte gegen die Übernahme des Forstes durch den Bund. Die CDU setzte sich aus Gründen der "politischen Gerechtigkeit" für eine erneute Inbetriebnahme des Bombodroms ein, da Ost und West die Aufgaben der Landesverteidigung gleichermassen zu tragen hätten. Ministerpräsident Stolpe sprach sich öffentlich gegen das Bombodrom aus. 3500 Menschen kamen 1993 zum Ostermarsch in die FREIe HEIDe. Die erste Aktionswoche wurde durchgeführt.

Zwei Tage nach dem Absturz einer russischen MIG in der Nähe von Tetschendorf im Kreis Wittstock kündigte Generalleutnant von Scheven NATO-Flüge über der Wittstock-Ruppiner Heide an. Im November 1993 wurde eine von der BI FREIe HEIDe aufgestellte Mahnsäule abgesägt und gestohlen. Kurz vor Weihnachten erinnerten die Aktivisten der Bewegung während einer Pressekonferenz im Berliner Reichstag an die finstere Geschichte der Heide, an die Massengräber, die in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges in den Wäldern entstanden. Der Bundesrat zeigte trotz der massiven Proteste und Aktionen gegen Ende 1993 keinerlei Verständnis für die Belange der Bürgerinitiative FREIe HEIDe.
Am 22. Dezember 1993 übertrug das Bundesvermögensamt das Bombodrom-Gelände an die Bundeswehr. Einen Monat später rauschten bereits die ersten Tornado-Kampfjets im Tiefflug über das Bopmbodrom. Erneut wurden von den anliegenden Gemeinden Klagen eingereicht.

1994 reiste Kanzlerkandidat und späterer Verteidigungsminister Rudolf Scharping in die Heide und erklärte, dass es im Falle seines Wahlsieges kein Bombodrom mehr geben werde. Der Protest ebbte nicht ab. Der Ostermarsch von 1995 in Fretzdorf am Südende des Bombodroms wurde zum grössten in ganz Deutschland. Im August 1996 wird vorm Bundesverwaltungsgericht den Klagen der Gemeinden stattgegeben und die Bundeswehr zur Durchführung eines förmlichen planungsverfahrens verpflichtet. Im März 1999 ging die Verhandlung der Klage der Gemeinde Schweinrich gegen die Bundesrepublik in die zweite Instanz. Das OVG Frankfurt /Oder gab der klagenden Gemeinde statt. Eine Revision war nun nicht mehr möglich.
"Entscheidend war die Klage der anliegenden 14 Gemeinden, die sie mit ihrem grundgesetzlich verankerten Planungsrecht begründeten. Sie bekamen in der ersten und zweiten Instanz recht, weil der Einigungsvertrag, auf den sich die Bundeswehr berief, keine expliziten Weiternutzungsrechte für Flächen der Alliierten vorsah. Die Bundeswehr müsste somit die Neueinrichtung des Truppenübungsplatzes und ein Planungsverfahren anstreben. Alle eigentumsrechtlichen und anderen Fragen wurden dem oben beschriebenen Verfahren untergeordnet.

Bereits vor dem Verfahren am BVG war klar, daß auf eine Bestätigung der Vorinstanzen nicht zwingend eine zivile Nutzung des Geländes folgt. Die Bundeswehr kann sich auf die grundgesetzliche Aufgabe der Landesverteidigung berufen und im Rahmen eines Planungsverfahrens einen Truppenübungsplatz einrichten. Dazu gibt es das "Landbeschaffungsgesetz", das ihr bei entsprechender Begründung den Zugriff auf jede Fläche in der Bundesrepublik sichert. Die Enteignungen wären hier aber eine Festschreibung des stalinistischen Unrechts und diese politische und emotionale Brisanz in Ostdeutschland war sicher ein Auslöser für die ausgedehnten Proteste." (Quelle:  http://www.freieheide.de/geschichte.html )

Das ehemalige Aussiedlerheim Kuhlmühle, nur einige Kilometer von Schweinrich entfernt, wurde im Jahr 2000 durch die Bundeswehr vom Bundesverwaltungsamt übernommen. Hier wurde nun die Kommandantur des Truppenübungsplatzes Wittstock eingerichtet. Am 9. Juli 2003 gab Verteidigungsminister Peter Struck bekannt, dass das Bombodrom nun doch wieder in Betrieb genommen werden solle. Damit diskreditierte er den zehnjährigen Protest der Bürgerinitiativen Freie Heide und Freier Himmel, die sich für eine zivile Nutung des 144 qkm grossen Areals nördlich von Berlin eingesetzt hatten. Struck gab damit seinen persönlichen Grundsatz auf, die Weiternutzung von ehemaligen Anlagen der Sowjetarmee und GUS-Truppen auf dem Territorium der DDR nicht wieder militärisch zu nutzen. Von einer sofortigen Inbetriebnahme wird im Bundesverteigungsministerium zur Zeit jedoch abgesehen, da erst ein Zaun um das gesamte Areal gezogen werden soll, um das Betreten des Geländes durch Zivilpersonen zu verhindern. Nicht nur während der Resist-Now Aktionstage war dies etliche Male geschehen. An der 84. Protestwanderung durch das Sperrgebiet haben sich am 3. August 2003 etwa 1000 Menschen beteiligt. Ein Zaun um das Gelände würde die Bundeswehr pro Kilometer etwa 3 Millionen Euro kosten. Diese Gelder kann sie derzeitig aber nicht aufbringen.
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Ergänzungen

wann...

anti 05.08.2003 - 13:43
... wird auch diese bewegung ähnliche ausmaße annehmen wie die proteste gegen die waa wackersdorf, gegen die startbahn west oder gegen das akw brokdorf? leute, das ist gerade mal 20 jahre her!!! und heute denken die deutschen linken nicht einmal daran, einen ähnlich großen widerstand aufzubauen. als jemand, der erlebt hat, wie unsere europäischen genossInnen in frankreich, italien und auch der schweiz drauf sind, bin ich echt geschockt!

Spanien bombt im Naturpark

Ralf 06.08.2003 - 00:01
Spanien bombt im Naturpark

Heiß flimmert die Luft über den kahlen Tafelbergen der Bardenas, die sich gelb und rot im gleißenden Sonnenlicht aufrichten. Alles scheint friedlich im Naturpark am südlichen Zipfel der spanischen Provinz Navarra. Plötzlich schießen zwei Bomber bodennah heran und laden ihre tödliche Fracht ab: Mitten im Naturpark. Die Bardenas sind das einzige Schutzgebiet in Europa, das einen Bombenabwurfplatz beherbergt. Hier können die Nato-Bomber, wegen der besonderen klimatischen Bedingungen, fast das ganze Jahr ohne Sichtbehinderungen üben.

Die Bardenas Reales (Königsbardenas) liegen am Fuß der Pyrenäen, wo die Provinz Navarra auf die Provinz Aragon trifft. Die einzigartige Felslandschaft entstand, nach dem der Mensch die Gegend in den letzten eintausend Jahren fast restlos abgeholzt hat. Auf etwa 500 Quadratkilometern hat sich in einem äußerst trockenem Mikroklima eine durch Erosion geprägte wüstenähnliche Mondlandschaft gebildet. In dessen bizarren Gesteinsformationen überlebten viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten.

„Wenn die Nato irgendwo in der Welt eingreift, wissen wir es zuerst“, sagt die Sprecherin der Antibombodrom Initiativen, Milagros Rubio. Wenn auch Nachts in den Bardenas geübt werde, stehe ein Nato-Einsatz, wie in Jugoslawien, unmittelbar bevor. Rubio sitzt für die linke Gemischte Gruppe im Parlament von Navarra und hat schon unter der Franco-Diktatur gegen das Bombodrom gekämpft. Jeden ersten Sonntag im Juni kommen einige tausend Menschen zusammen, um einen kilometerlangen Protestmarsch zum Bombodrom zu unternehmen. Der Marsch erinnert auch an die Gegnerin Gladys de Estal, die von der Guardia Civil bei einer Sitzblockade in Tudela vor 18 Jahren erschossen wurde. Dieses Jahr sollte es eigentlich der letzte Marsch sein, denn der Vertrag mit dem Militär lief im Juni nach 50 Jahren aus.

Die Bevölkerung um das Übungsgelände hat Angst oder ist genervt. Fast 75 Prozent der Bewohner von Navarra lehnen das Bombodrom ab. Scheiben bersten, wenn Tiefflieger die Schallmauer durchbrechen, mehr als 30 Piloten starben bei Unfällen.

Für den Lehrer, Lucio Tabar, ist der Bombenabwurf nicht gefährlich. Viel gefährlicher seien die Manöver der Flugzeuge davor und danach über bewohntem Gebiet. Davon können die Bewohner von Ejea de los Caballeros ein Lied singen. In der Nähe der Kleinstadt, etwa 25 Kilometer vom Bombodrom entfernt, stürzten im vergangenen Jahr drei Maschinen ab. Zwei Jets waren in der Luft kollidiert, ein anderer rammte in extremen Tiefflug einen Mast mit Mobilfunkantennen in der Stadt. Dazu kommt eine Unruhe, seit die Gefahren der Uranmunition bekannt sind. "Vor kurzem wurde bekannt, dass in den Teilen Aragons, die nahe am Bombodrom liegen, die Krebsrate erhöht ist“, sagt Tabar. Nie sei untersucht, ob es hier auch chemische oder radioaktive Verseuchungen gibt.

Die Regierung von Navarra beschränkte sich darauf, die Militärs zu fragen, ob Geschosse mit abgereichertem Uran benutzt wurden. Mit deren nein war die Untersuchung beendet. Mit statistischem Material versuchte man im Frühjahr die Ängste in der Bevölkerung zu zerstreuen. Es sei keine Besonderheit festzustellen. Für die Gegner war eher die Tatsache erhellend, dass die Regierung nur Daten zwischen 1993 und 1996 benutzt hat.

Tabar befürchtet, dass auch in den Bardenas massiv Uranmunition verschossen wurde. "Es ist kurios, das mit Uranmunition geübt wurde, ist in England, Frankreich, Deutschland und den USA zugegeben worden, im besten Übungsgelände der Nato in Europa aber nicht“.

José Antonio Gayarre hat keine Angst. Für den Chef des Bardenasrats ist es auch kein Widerspruch ein Bombodrom im Naturpark zu haben. „Man muss bedenken, dass der Luftwaffe schon 1951 die Nutzung gewährt wurde, der Naturpark aber erst 1998 gegründet wurde“. Der Rat vertritt die 19 Gemeinden, zwei Täler und ein Kloster, die schon im 9. Jahrhundert die Rechte zur Nutzung der Bardenas erhielten. Gerade in dem 2220 Hektar, für Menschen unzugänglichen Geländes des Bombodroms, fänden bedrohte Tierarten Schutz.

Gayarre ist Bauer, seit 20 Jahren Chef des Bardenasrats und als Parlamentarier der Volksunion Navarras (UPN) Mitglied der Regionalregierung. Die UPN ist die Schwester der Spanien regierenden konservativen Volkspartei (PP), die in Navarra auf eine Kandidatur zu Gunsten der UPN verzichtet. Weil die Bevölkerung das Bombengelände ablehnt, spricht sich offiziell auch Gayarre und die UPN gegen das Militärgelände aus. "Da wir das Bombodrom bisher nicht auflösen konnten, haben wir die Bardenas zum Naturpark erklärt“. So solle das Militär unter Druck gesetzt werden, die Bardenas zu verlassen. Als nächster Schritt würden sie gar zum weltweiten Biosphärenreservat erklärt, sagt Gayarre.

Dabei wäre es einfacher gewesen, den Nutzungsvertrag mit den Militärs am 10. Juni auslaufen zu lassen. Doch Gayarre verlängerte ihn einen Tag vor Ablauf um weitere acht Jahre. Nicht einmal die definitive Räumung des Geländes für 2008 ist vorgesehen. Mit viel Geld und dem Druck einer möglichen Enteignung wurde der Rat überzeugt. Die Nutzungsentschädigung wurde auf über sieben Millionen Mark im Jahr verzehnfacht. Etwa die gleiche Summe will die Zentralregierung in Madrid jährlich zusätzlich in die Gegend fließen lassen

Milagros Rubio, glaubt nicht, dass die Regionalregierung das Bombodrom auflösen will. "Wir Umweltgruppen und Antimilitaristen haben immer auf den Widerspruch hingewiesen, der sich daraus ergibt, die Bardenas zum weltweiten Biosphärenreservat zu erklären und darin ein Bombodrom zu unterhalten.“ Das sei lachhaft.

Die Parlamentarierin kennt das zweideutige Verhalten der Regionalregierung. Die sei fähig die Bardenas zum Biosphärenreservat zu erklären, obwohl sie am Verfassungsgericht gegen die Entscheidung des Parlaments klagt, die den Naturpark Bardenas auch auf das Bombodrom ausgeweitet hatte. Statt der Auflösung des Militärsgeländes gehe es vielmehr um Werbung für den Tourismus: "Ein Biosphärenreservat ist ein Terminus ohne konkreten Inhalt, der die Regierungen zu nichts zwingt“, sagt Rubio.

Das sich bedrohte Tierarten am äußersten Rand des Bombodroms angesiedelt haben, spreche nicht für die Anwesenheit der Militärs. Es zeige sich, dass die Bardenas als absolute Naturreserve ausgewiesen werden müssten. Nur so könne die einzigartige Gegend mit ihrer Fauna und Flora effektiv geschützt werden, ohne menschliche Zerstörung, ohne Anbau, ohne Beweidung und ohne Bombardierungen.

Ralf Streck 27.06.2001