6. Grenzcamp in Köln einbuchstabiert

David Campista 02.08.2003 23:40 Themen: Antirassismus
Am Donnerstag begann das sechste antirassistische Grenzcamp auf den Pollerwiesen in Köln-Poll. An den ersten beiden Tagen war ein "Forum" angesetzt: "Antirassismus ausbuchstabiert". Ein erstes Kommentar über die stattgefundene Einbuchstabierung. Aber ansonsten ist alles klasse hier. Wirklich.
Ein Versuch, eine Innovation, ein Theorieteil sollte das Forum zu Beginn des diesjährigen Grenzcamps werden. Neu war in diesem Zusammenhang auch die Einladung von Spezialisten für einzelne Workshops.

Vier Gruppen aus der Vorbereitung bereiteten je einen Beitrag für die Forums-Eröffnung vor. Die in der Vergangenheit aufgekommenen Konflikte zwischen Antiras, Autonomen, weiteren Antiras, Flüchtlingen, MigrantInnen, organisierten Antiras und anderen über das Verständinis von "Antirassismus" sollten zum Thema gemacht werden. Elexira stellte sich als Gruppe, die eigene Ideologie und Praxis vor. Überraschend deren Aussage, dass man irgendwie auch eine andere Gesellschaft wolle; das "Wie?" erschloss sich nicht, trotz langem Wortbeitrag. Die Gruppe überschritt dabei die ihnen vorgegebene Sprechzeit ohne dass die Moderation eingriff. Diese freundliche, moderatorische Vorgehensweise wurde auch bei der Vorstellung der Karawanegruppe konsequent fortgesetzt. Auch aufgrund der offenbar notwendigen Übersetzung ins Englische waren viele der zur Zuhörerschaft verdammten TeilnehmerInnen mit ihrer Aufnahmefähigkeit am Ende. Kanak attack war im Anschluss daran regelrecht erfrischend, weil man ihren ersten Sätzen bereits anmerkte, dass sie keinen Standartvortrag vorlesen, sondern sich Gedanken gemacht haben, wo und mit wem sie sprechen. Sie griffen beispielsweise das Camp-Motto "out of control" auf und man war zum ersten Mal als Camp-Teilnehmer angesprochen. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit hat schließlich die antirassistische Gruppe Leipzig auf ihr Thesenpapier verwiesen und kurz klar gemacht, dass Rassismus nicht ohne Kapitalismus gedacht werden kann. Gut so!

So. Jetzt sollte es endlich losgehen mit dem Austausch und der Diskussion, die Widersprüche benannt und ausgefochten werden. Bisher standen die Beiträge einzeln nebeneinander. Ins Gespräch kam man trotzdem erst mal nicht. Zuerst mussten noch weitere TeilnehmerInnen ihre Meinung daneben stellen. Auch hier war es Kanal attack, die positiv auffielen, indem sie der Position von The Voice und einer Fürrednerin laut widersprachen, an Aktivitäten festzuhalten, die Einzelpersonen bspw. in Abschiebehaft zum Thema machen. Es müsse nach 15 Jahren antirassistische Praxis doch mehr geben als das. Solche "Einzelaktionen" ändern nichts groß an den schlechten Verhältnissen. Dass Teile von Kanak attack allerdings selbst leider wenig Kritik ertragen konnten, zeigt sich an dem Auszug eines Mitglieds aus dem Saal mit den Worten an einen vermeintlich Deutschen "Du bist kein Kanake - und dein Opa auch nicht".

Gemessen am Anspruch und der Entstehungsgeschichte des Forums muss noch eines angemerkt werden. Die im vergangenen Jahr stattgefundenen Camps in Hamburg (Land in Sicht) und Jena (5. Antira-Grenzcamp) gab es aufgrund von unterschiedlichen Vorstellungen von Antirassismus und dessen Wichtigkeit in der Linken. Dieses Jahr gibt es wieder nur ein Camp in der BRD, die angebliche Wiedervereinigung und die dennoch weiter vorhandenen Widersprüche sollten auf dem Forum Thema sein. Leider war die Hamburger Position gar nicht vertreten. So wurde das Forum seinem Anspruch nicht gerecht, die vergangenen Widersprüche aufzugreifen. Das mag mit ein Grund für die larme Harmonie gewesen sein.

Die Räume
Das Forum fand - auch das was neues - nicht auf dem Camp statt, sondern an einer Kölner Hochschule. Die Trennung von Theorie und Praxis auch räumlich vorzunehmen war ein Fehler. Nicht nur weil die Räume warm, stickig, ermüdend waren und an Schulzeit ohne Hitzefrei erinnerten. Nicht nur weil sich jedeR um seine Versorgung mit flüssiger und fester Nahrung größtenteils selbst kümmern musste. Nein, die akademischen Räumlichkeiten haben auch den TeilnehmerInnen einen Zwang auferlegt, sich entsprechend zu verhalten: Sitzenbleiben trotz Langweile um nicht zu stören oder aufzufallen. Aus einem Versammlungszelt kann man sich leichter verdrücken, eventuell mal unter die Dusche springen oder zwischendurch mit den am Zelt gebliebenen sich austauschen. Auch das Reden war ein anderes als auf dem Camp, zum Teil akademisch, zum Teil darauf schweigend antwortend.

Die Spezialisten
Das lag auch an den eingeladenen Spezialisten. Menschen, die zu bestimmten Themen wissenschaftlich publiziert haben, sollten den Campistas ihre Forschungen nahebringen. Die Idee ist eine Absage daran, selbst so schlau zu sein, um die eigenen Vorstellungen und Gedanken zu formulieren und zur Diskussion zu stellen. Und das Verhalten der meisten TeilnehmerInnen, die Experten zu fragen, was richtig ist resp. was man denn denken soll, war entsprechend.

Resümee
Langjährige, alte CampteilnehmerInnen kennen die Positionen der OrganisatorInnen und der zum Teil bereits lange teilnehmenden Gruppen. Ihre AGs und Workshops sind für alte Hasen entsprechend langweilig. Der Trennung Theorie/Praxis und Hochschule/Campwiese kam auch eine inhaltliche hinzu: Viele Themen hatten mit dem an das Forum anschließenden Camp nichts zu tun. Eine theoretische Basis für die kommenden Tage zu legen, gelang nur Info- und Mobilisierungsveranstaltungen zu geplanten Aktivitäten sowie der Presse- und der Direkt-Aktion-AG. Beide hatten sich zur Aufgabe gemacht die kommenden Camptage und die eigene Praxis dabei anzukucken. Warum und wie machen wir Pressearbeit oder eben Protest-Aktionen. Am Sonntag Vormittag (3.8.2003) geht das Forum im großen Zelt auf dem Camp mit einer Abschlussdiskussion zu Ende. Dann beginnen die Camp-Tage, der Ferienkommunismus und der Sonnenschein, die mehr versprechen als ein Kongress, der auch in einem Wintermonat in lauter überdachten, beheizten Räumen mit vier Wänden stattfinden kann.
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Ergänzungen

"Spezialist" Mark war ein Lichtblick

xy 03.08.2003 - 00:13
Am Freitag Nachmittag sprach Mark T. Er war ein regelrechter Lichtblick des Forums. Aber er wäre auch auf Camp gekommen um seinen Vortrag zu halten und um mit uns zu diskutieren. Dann hätte er auch mal mitgekriegt, wie wir uns hier vergesellschaften. Nächstes Mal bitte wieder ohne Auftakt-Kongress

Antifa-Touris & theoretische Diskussion

Anne 03.08.2003 - 16:18
Es stimmt schon das sich das diesjährige Camp wieder einmal zwischen "Wenig-Bock-auf-Politik" (ein konstantes Pendeln zwischen abhängen und dumfpen Aktionismus Drang) und theoretischen Diskussionen an denen Jugendliche ohne Hochschulabschluß oder Zeit, Muse und Geld für jahrelange autodidaktische Bildung kaum etwas von verstehen, assimilieren, sich konstruktiv an der Diskussion beteiligen, etc... Eine Sprache die jeder versteht wäre vielleicht angebrachter, zumindest eine gute, ausbalancierte Mischung wo etwas für jeden dabei ist. Der einzige Lichtblick waren bisher Kanak Attac, schade dass wenn sie sonst in Köln auftreten nur ca. 4% der "deutschstämmigen und den Antifa Diskurs beherrschenden" auftauchen.

@ sunny sunny time

kölnA 03.08.2003 - 19:30
War gestern aufm Camp. Habs nicht zur FH geschafft (ich war bis Samstagmorgens sleepless out of town), aber ein Punkt scheint mir ein mögliches Problem: die angesprochene Theorielastigkeit. Wie können wir es erwarten, daß die Leute, um die es sich hier letztlich dreht, bei Akademikerkram mitkommen? Theoretische Aspekte in allen Ehren, aber der Bezug zur ''Zielgruppe'' sollte nicht verlorengehen (correct me if I'm wrong, aber das ist der Eindruck, den ich aufgrund Davids Beitrag hatte). Oder, um's mit den Worten von Campisto Anton Nonym auszudrücken: ''Ich würd' gerne direct action machen, Kommunikationsguerilla oder den Shoppern in der Innenstadt was zum Nachdenken geben, aber ich fürchte, dazu kommen leider wieder zu wenig Leute zusammen.''
Die meisten Menschen interessieren sich heutzutage hierzulande für Politik und die rassistische Realität einen Scheißdreck, solange ihr Konto im Plus ist, und wenn dem nicht so ist, laufen sie eher zur CDU, FDP oder Fulltimefaschos. Das anzugehen wäre die Herausforderung (bzw. EINE Herausforderung), aber das ist schwierig zu erreichen, wenn so viel Zeit für Vorträge draufgeht. Aber im Ganzen betrachtet ist es vielleicht gar nicht so schlecht, die Theorie zu konzentrieren; damit bleibt mehr Zeit 'am Stück' für die Praxis übrig. Naja, wir haben noch 'ne Woche, um's knacken zu lassen. Jedenfalls scheint mir nach 10 Jahren aktivem und passivem (szenebeobachtendem) Antirassismus die Zeit überfällig für eine Charmeoffensive als Zusatz zur Eindämmung rassistischen Alltags: die Ausbreitung von nichtstaatlichem Rassismus zu blockieren haben wir ganz gut drauf; die explizit rechtsradikale Szene in Deutschland stagniert seit Jahren. Nun kommt es darauf an, dem staatlichen (sprich: den 'etablierten Parteien', allen voran den mittlerweile schon bedenkenlos NS-Vokabular auffahrenden* Konservativen/Reaktionären) Rassismus die Anhängerschaft (sprich: die WählerInnen und MitläuferInnen) abspenstig zu machen. Das erreicht man aber nicht, indem man draufhaut und demonstriert (ersteres führt zu einer Antihaltung bei den fraglichen Leuten, letzteres zu Verständnislosigkeit, denn obwohl sie formell Rassisten in Nadelstreifen unterstützen, sehen sie sich im privaten Leben nicht als Rassisten - und SIND es auch, wenn man NUR dieses Element betrachtet, meist nicht). Also den passiven Rassismus ebenso vehement bekämpfen wie den aktiven. Da aber eigenständiges rassistisches Handeln im Rahmen von politischem Radikalismus für die Handelnden eine fundamental andere Sache ist, als passive Unterstützung von bürgerlichen Rassisten, müssen zu ihrer Bekämpfung auch fundamental andere Herangehensweisen und Mittel gefunden werden: während der aktive Rassist nur mit Wort und Tat selbst bekämpft werden kann, müssen passive Rassisten auf die Unverantwortlichkit ihres Tuns hingewiesen und dazu gebracht werden, sich einen echten Antirassismus anstatt eines durch die von ihnen unterstützte Obrigkeit direkt wieder zunichte gemachten Scheinantirassismus zu Eigen machen: 'du bist doch gegen Rassismus - warum hältst du dann zur CDU und unterstützt sie mit deinem Geld, anstatt mal etwas Neues auszuprobieren?' Die lokale ebene ist als Sprungbrett für die langfristige Etablierung alternativer politischer Kräfte bestens geeignet, und ebenso eine Zeit des Umbruchs, wie wir sie vor uns haben; letzteres beiweisen Grüne und PDS. Das Wichtigste ist hierbei allerdings, die Fehler zu vermeiden, die letztere strukturkonservativ werden ließen.

Ich würde die Kanak-Attack-These vom Rassismus nicht ohne Kapitalismus eher umgekehrt sehen: Kapitalismus, zumal in der heutigen globalisierten Form, ist nicht ohne Rassismus denkbar. Zu glauben, Kapitalismus abschaffen hieße Rassismus abschaffen scheint mir ein dicker Fehler, denn auch präkapitalistische Gesellschaften sind manchmal rassistisch. Auch das revolutionäre (vor-staatskapitalistische) Rußland um 1920 war rassistisch, z.B. in Bezug auf die islamisch geprägten Kulturen in Zentralasien. Hier ist nicht Kapitalismus, sondern der von der damaligen Elite als staatseinigend gepushte Nationalismus, der Ursache für den Rassismus war.

* siehe Koch, Rüttgers, Stoiber/Beckstein etc. Aktuelles Beispiel: der CDU-Politiker, der im Zuge der Diskussion um die 'Bürgerversicherung' Menschen, die sich kapitalistischer Verwertungsdoktrin entziehen, als 'Flöhe' bezeichnete. Das ist natürlich nicht nur auf die CDU beschränkt: hätten die Nazis den Begriff 'Arbeitsscheue' nicht so gern und oft verwendet, würde es Clement längst gemacht haben. So aber benutzt er andere Umschreibungen; die braune Scheiße bleibt aber braune Scheiße, auch, wenn man ein rotes Schleifchen drumbindet.

Akademikerkrimskrams vs Null-Bock-auf-Politk?

Molli 04.08.2003 - 12:46
Ich habe mehrere Veranstaltungen des Auftaktforums besucht und fand diese sehr informativ. Das Argument von"Köln A", der sich über die Theorielastigkeit und Verfehlung der Zielgruppe beschwert, finde ich allein schon dadurch entkräftet, dass sich in allen workshops, an denen ich teilgenommen hatte, auch sehr viele MigrantInnen beteiligt haben.
Dass andere Teilnehmer sich über die "Null-Bock-auf-Politik-Haltung" von manchen Teilnehmern beschweren, zeigt ebeb, dass die Bedürfnisse der Teilnehmer nicht homogensind. Ich fand das Auftaktforum sehr geeignet, um die Aktionen der folgenden Tage inhaltlich zu untermauern, da ich nichts schlimmer finde, wie Aktivisten, die nicht wissen, wofür /wogegen sie eigentlich demonstrieren, ...und Leute zu informieren, die sich mit dem Thema Grenzen, Migration,Rassismus usw. noch nicht so lange auseinandergesetzt haben.
Meiner Meinung nach müssen Theorie und inhaltliche Auseinandersetztung zwangsläufig Hand in Hand gehen -ersteres alleine ist sinnlos, letzteres kopflos -nur durch gemeinsame Aktionen (ohne Diskussion und Information- wogegen, warum, wer wo liegen die Probleme... eh schwierig ) und gemeinsames Feiern reißen wir keine Grenzen ein!

räumung des camps?!

Krenz gänger 08.08.2003 - 17:23
heute gabe es leider einen bedauerlichen Zwischenfall in der Nähe des Grenzcamps!
Einem "Zivil"-Polizisten wurde seine Waffe, eine Kammera abgenommen!

Zur Zeit formiert sich vor dem Camp die Polizei um es zu duchsuchen und zu räumen!!! Vor einigen "schützenswerten" Objekten (Amerika Haus u.s.w.)in der Stadt selbst werden auch gerade Polizeihundertschaften platziert (mal schauen was da noch so passiert!
Im moment wird gerade noch mit der Polizei über eine "friedliche" Lösung verhandelt. Diese möchte natürlich die Kammera, das Bildmaterial UND die Täter ausgehändigt bekommen!!!

Nähere Infos demnächst....

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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ey du — sunny sunny time

@ molli — kölnA