Freie Heide: Die finstersten Zeiten der schönen Prignitz

Svennie der Reifenwechsler 29.07.2003 19:14 Themen: Freiräume Militarismus Soziale Kämpfe
Zur Geschichte des Wittstocker Bombodroms
Dort, wo Ende des 2. Weltkriegs KZ-Häftlinge beim Todesmarsch ums Leben kamen und in Massengräbern verscharrt worden, dort wo sowjetische SS 20 Raketen stationiert waren, wo Düsenjäger und Kampfhubschrauber die Natur der Prignitz-Ruppiner Heide zerstörten, möchte Verteidigungsminister Peter Struck den attraktivsten Bombenabwurfplatz Europas entstehen lassen, der durch alle NATO-Bündnispartner angemietet werden kann. Bauern und Gemeinden wurden enteignet, um zuerst einen Schiessplatz, dann ein riesiges Bombodrom zum Üben von Luftangrifen zu schaffen, dass ein Sechstel so groß wie Berlin ist. Auch zu DDR-Zeiten wehrte man sich gegen die militärische Nutzung der Heide, mit Beschwerden, Eingaben und zivilem Ungehorsam.

Todesmarsch Mahnmal in NeuruppinDie Geschichte der schönen Ostprignitz hat auch ihre dunklen Kapitel, auch vor der Inbetriebnahme des Bombodroms. Durch diese Region führte der Todesmarsch der KZ-Häftlinge in der letzten Phase des zweiten Weltkrieges. Auf dem heutigen Gelände des Bombenabwurfplatzes befinden sich meherere Massengräber von umgekommenen KZ-Inhaftierten.

Durch die Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone nach dem zweiten Weltkrieg gelangten Bauern und Neusiedler 1945 in der Kyritz-Ruppiner Heide an Ackerland. Drei Jahre später wurden die Bauern von Schweinrich ihr Land wieder los. Ein Schiessplatz für die sowjetische Artillerie sollte eingerichtet werden. Dafür wurde anfangs ein Gebiet von vier Quadratkilometern abgesteckt. Die Bauern zwängte man in Pachtverträge. Eine weitere zivile Nutzung des Areals war nicht mehr in Aussicht. Über die Jahre wurde das Gelände zwischen Schweinrich und Flecken Zechlin ohne vorherige Absprachen immer weiter ausgedehnt. Die Übungen des sowjetischen Militärs zerstörten grosse Teile der Landschaft. Die Pachtzahlungen, aber auch die landwirtschaftlichen Schäden vegrösserten sich ständig.

SS20 Raketen, wie sie sich auch auf dem Bombodrom befandenIm Frühjahr 1959 wurden die Landbesitzer, die kaum noch ihre Normen erfüllen konnten, zum Verkauf ihrer Flächen gezwungen. In den Sechziger Jahren fielen die Pachtzahlungen durch die Sowjetarmee ganz weg. Die Verbindungsstrasse zwischen beiden Gemeinden wurde geschlossen und blieb bis 1992 Niemandsland. Nur mit einem Propusk, einer schriftlichen Erlaubnis durfte man die Strasse befahren. Die direkte Verbindung zwischen den Städten Wittstock und Rheinsberg war damit gekappt. Das Gelände des Truppenübungsplatzes vergrösserte sich und gewann an militärischer Bedeutung, nicht nur für Übungszwecke. Wenige tausend Meter von Schweinrich entfernt wurden später SS 20 Raketen stationiert. Das neue Gelände zwischen Basdorf, Fretzdorf, Gadow, Rossow, Pfalzheim und Neuglienicke wurde zum Bombenabwurfplatz. Doch hier gab es mehr als nur zerbombte Heide. Die sowjetischen Streitkräfte richteten hier eine Komandantur mit einem Wohnkomplex, einem Versorgungsladen und einer Sauna ein. Die Fläche des neuen Bombodroms entsprach mit 14.200 Hektar etwa einem Sechstel der Fläche Berlins. Hier konnte man nun die Bombardierung von Städten trainieren.

ehml. sowjet. Militärflugplatz in NeuruppinIn Neuruppin, Werneuchen, Sperenberg und einigen anderen Liegenschaften in Brandenburg hatte die Rote Armee Kampfflugzeuge stationiert. Bei den meisten Militärflugplätzen handelte es sich um Bauten der Reichswehr und der Wehrmacht, die einfach unter sowjetischer Flagge weiter genutzt wurden. Die Bürger der angrenzenden Gemeinden hatten zu DDR-Zeiten wenig Handlungsspielraum, um ihren Unmut über den dauerhaften Kriegszustand vor der eigenen Haustür auszudrücken. Es wurden Beschwerden eingereicht und Eingaben gemacht. Proteste wie wir sie heute kennen, schienen damals unmöglich, doch es gab sie.

Zu DDR-Zeiten hatte ein Bürgermeister von Schweinrich nach den massiven Beeinträchtigungen durch russische Panzer ein anonymes Schreiben verfasst, dass dies gegen die Menschenrechte verstoße, und es an die zerschnittene Nachrichtenleitung zum Kommandeur geheftet. Das Schreiben wurde natürlich gefunden und eine Fahndung eingeleitet. Der Verfasser wurde ausfindig gemacht. Er wurde vor einen eigens dafür gebildete Parteikommission gestellt und aller Ämter enhoben, mit Einschränkungen für seine weitere Anstellung.
(Zit.: Carl Krause: Erinnerungen an den "Schießplatz" und den Weg zur FREIen HEIDe, in S.Hoch/ H.Nehls Hg., Bürgerinitiative FREIe HEIDe,, Bombodrom-nein danke, Berlin 2000, S.36)

ehml. sowjet. Militärflugplatz in NeuruppinWährend der Manöver auf dem Bombodrom versuchten russische Soldaten, denen der Kontakt mit der deutschen Zivilbevölkerung eigentlich untersagt war, ihre Biwaks immer in der Nähe der angrenzenden Gemeinden zu errichten, um so Benzin, Alkohol oder Lebensmittel tauschen zu können. Auch Diebstähle soll es gegeben haben.

Die Enteignungsprozeduren von umliegenden Gemeinden hielten bis in die späten siebziger Jahre an. Nach dem Abzug der GUS-Truppen wurde das Gelände jedoch nicht an die Gemeinden, sondern an den Bund übertragen. Das militärische Interesse der Bundeswehr an der Anlage liegt klar auf der Hand. Zwar werden die Militärflugplätze der sowjetischen Streitkräfte heute zivil genutzt, doch ist das Bombodrom nach wie vor eine durchaus attraktive Immobilie für die Luftstreitkräfte der NATO-Staaten. Ein solches Gelände ist einzigartig in Europa. Den offiziellen Status einer Verteidigungsarmee hat die Bundeswehr schon vor langer Zeit abgelegt. Über der Prignitz-Ruppiner Heide bieten sich auch für NATO-Kampfjets die besten Vorraussetzungen für das Training von Luftangriffen. Die Bundeswehr plant die Vermietung des Bombodroms an die Luftstreitkräfte ihrer Bündnispartner. Angesichts der massiven Proteste und Klagen der Menschen aus der Region ist es bis heute nicht zu einer erneuten Inbetriebnahme des Wittstocker Bombodroms gekommen. Die Struck-Entscheidung (siehe Indy-Artikel vom 9. Juli 2003) vom 9. Juli 2003 hätte im Grunde sofort in die Tat umgesetzt werd a href="/2003/06/54284.shtml">Wackersdorf und im Wendland heuerte man für diese Tätigkeit Menschen aus den umliegenden Gemeinden an und trieb so einen Keil in die Anti-Bombodrom-Bewegung. Bei Protestaktionen patroulieren Feldjäger der Bundeswehr auf dem Areal. In grossen Teilen des Geländes finden seit einiger Zeit Munitionsräumungs- und Sprengarbeiten statt, da auf dem Bombodrom mit scharfer Munition geübt wurde. Das Bombodrom ist weitaus mehr als ein einfacher Truppenübungsplatz. Es hat durch sein neues Nutzungskonzept weltpolitische Bedeutung erlangt. Den Menschen, die sich gegen die Wiederaufnahme des Flugbetriebes über der Wittstock-Ruppiner Heide wehren, geht es um wesentlich mehr als Belästigung durch Fluglärm oder eine touristische Nutzung der Ostprignitz.

Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen