Erstes Mapuche-Parlament in Patagonien

Kh. 18.05.2003 15:18 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Feature von Indymedia Argentina, Übersetzung
(Primer Parlamento Mapuche en la provincia del Chubut)
 http://argentina.indymedia.org/features/pueblos/

Am 15. März 2003 zerstörten 20 Polizisten das Wohnhaus der Familie Fermín in Vuelta del Río (Departement Cushamen, Prov. Chubut). Anderthalb Monate danach, am 25./26. April, trat an derselben Stätte das erste Mapuche-Parlament in der Provinz Chubut zusammen.
Erstmals seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als der junge Staat Argentinien Patagonien angriff, kamen Gemeinschaften und Organisationen der ganzen Region, dh. aus den Provinzen Chubut, Río Negro und Santa Cruz zum Futra Trawun (Volksversammlung) zusammen. Das Parlament hatte zum Ziel, über die aufgezwungenen Verwaltungsgrenzen hinweg einen weiteren Schritt hin zur Rückbesinnung (od. Wiedergewinnung) auf das Wissen der Vorfahren und die eigenen Organisationsformen zu vollziehen. So erklärten die Anwesenden am Ende des Treffens in einem Dokument, "daß wir nur ein Volk sind: weder Chubutenser, noch Rionegrinos, noch Santacruzenos, Chilenen oder Argentinier."

Eines der wichtigsten Themen, die dabei zur Sprache kamen, betraf die Frage, wie der Vormarsch des Bergbaus gestoppt werden könnte. Diesbezüglich wurde davor gewarnt, daß die in Chubut und Río Negro durchgeführten Schürfungen nicht mehr nur auf "Ländereien des Fiskus" stattfinden, sondern direkt auf dem Boden der eigenen Gemeinschaften, was alle geltenden Rechte und Gesetze auf nationaler wie auf internationaler Ebene, die sich auf die indigenen Völker beziehen, verletzt.

Auch die Offensive des Tourismus- und Forstwirtschaftsunternehmen, die gleichzeitig die Hauptakteure der Usurpation der indigenen Territorien sind, und andere Aktivitäten wurden behandelt. Außerdem wurde dem Austausch mit Companeros, die nicht den Mapuche angehören, Raum gegeben und das Bündnis hinsichtlich des Goldminenprojekts in Esquel mit ihnen gefestigt.

Die Einberufung des Parlaments war von den Organisationen '11. Oktober' (Esquel), Pu Weche Lafkenche (Bariloche) und der Gemeinde Vuelta del Río (Cushamen) organisiert worden.
Die Anwesenden setzten den Termin für das nächste Futra Trawun auf den 11. Oktober fest, mit dem erklärten Ziel, den Prozeß der Reorganisation des Mapuche-Volkes fortzusetzen und zu vertiefen.

Fotos:  http://argentina.indymedia.org/news/2003/04/105065.php
 http://argentina.indymedia.org/news/2003/04/105069.php

ÖFFENTLICHE ERKLÄRUNG DES PARLAMENTS DER MAPUCHE
(Puelmapu: Pronunciamiento del Parlamento Mapuche)
 http://argentina.indymedia.org/news/2003/04/104489.php
von Org. 11 de Octubre - Monday April 28, 2003 at 01:53 PM -  puelmapu@terra.com.ar

Am 25. und 26. April trat in der Mapuche-Gemeinde Vuelta del Río das erste Parlament der Mapuche zusammen. Diese Institution zur Erörterung und zum Austausch von Kenntnissen ist von unserem Volk nach mehr als einem Jahrhundert der Besetzung durch den argentinischen Staat in dieser Region wieder eingeführt worden. Zu dieser Zusammenkunft erschienen Mapuche aus ganz Chubut, dem Süden der Provinz Río Negro und auch aus Santa Cruz, zusammen etwa 130 Brüder und Schwestern (pu peni ka pu lamuen).

Vuelta del Río, Prov. Chubut, 26. April -
Das erste Parlament mit Vertretern von Gemeinschaften und Organisationen aus Chubut, Río Negro und Santa Cruz definiert sich als ein Ort der Aussprache des Mapuche-Volkes, das versucht, seine eigenen Organisationsformen wiederzufinden, ohne an den Verwaltungsgrenzen haltzumachen, die ihm von den zwei Staaten aufgezwungen wurden, die unser Territorium usurpiert haben, mit den jeweiligen Provinzen und Regionen. So bekräftigen wir, daß wir nur ein Volk sind: weder Chubutenser, noch Rionegrinos, noch Santacruzenos, noch Neuquiner, Chilenen oder Argentinier.

An den Beratungen nahmen aus der Provinz Chubut die Gemeinschaften Vuelto del Río, Costa del Lepá, Chacay Oeste und Laguna Fría, außerdem Prane, Mariano Epulef und die Gebiete Buenos Aires Chico und Ranquilhuao teil, sowie die Organisationen Katrawiletrayin und die Mapuche-Tehuelche-* Gemeinschaften '11. Oktober'; sowie aus der Provinz Río Negro das Koordinierungskomitee des Parlaments des Mapuche-Volkes von Río Negro (Andenzone), die Organisationen Pu Weche Lafkenche, Kollektiv Mapurbe und Nagmapu, außerdem die Brüder aus den drei Provinzen, darunter Mitglieder der Mapuche-Gemeinschaft von Dolavon, Cushamen, Kamusu Aike und Makunchao.

Dieses Futra Trawun (Volksversammlung) stellt fest, daß das Mapuche-Volk seine eigene Kultur hat, das heißt seine eigene politische, soziale und spirituelle Organisation. Von der Bejahung der Wesensmerkmale, die unsere Identität ausmachen, hängt die Stärkung unserer ganzen Arbeit ab. In der Rettung und Entwicklung unserer Spiritualität sehen wir die Basis unseres Kampfes und die Garantie zur Erfüllung unserer Ziele.

Unsere spirituelle Vision ist einzigartig, verschieden von der des Westens. Alles was sich in unserem Land (Wallmapu) befindet, ist für uns mit Leben erfüllt. Zum Beispiel wohnen in der Erde (Nagmapu) die Kräfte (newen), mit denen wir unsere eigenen Kräfte als Menschen (che)** vereinen. Folglich hat die Erde (für uns) keinen ökonomischen Wert.

Wenn wir zulassen, daß sie die Mineralien aus unserer Erde (Nagmapu) herausholen, zerstören sie die Kräfte der Erde (pu newen) und beschädigen das Verhältnis zwischen jedem von ihnen und zwischen ihnen und den Menschen (che**). Damit greifen sie unser Kräftegleichgewicht als Mapuche an, auf diese Weise ist unsere Existenz und Selbstverständnis(?) als Volk in Gefahr.

Deshalb lehnt dieses Parlament mit Entschiedenheit die Ausweitung des Bergbaus und der Öl- und Gasförderung ab; es fordert das Ende der Schürfungen, der Suche nach Bodenschätzen und deren Ausbeutung im ganzen Territorium (Wallmapu). Wir wissen, daß diese Arbeiten auf dem Territorium unserer Gemeinschaften in den Provinzen Chubut und Río Negro durchgeführt werden. In diesen Rahmen müssen wir den kürzlich von José Vicente El Khazen in der Gemeinde Vuelta del Río unternommenen Versuch stellen, die Familie Fermín zu vertreiben. Diese Tat gehorcht einer Strategie des Staates und von Multinationalen wie der Meridian Gold.

Diese Strategie verfolgt eine neue Conquista (Eroberung Amerikas im 16. Jh.), da es sich hierbei nicht um "Ländereien des Fiskus" in nationalem oder Provinzbesitz handelt, sondern um das Territorium der Mapuche. Bei dieser Offensive ist der Bergbausektor nicht der einzige Akteur. Die spezielle Form des Abenteuer-Tourismus, der Vormarsch der Forstwirtschaftsunternehmen, der Kauf von Wasserquellen und andere Aktivitäten münden in den beschleunigten Ausverkauf Patagoniens. Wir haben dafür in der letzten Zeit sehr schmerzliche Beispiele: Gesellschaften wie Benetton versuchen, den Prozeß der Reorganisierung unseres Volkes durch Vertreibung unserer Familien unter allen Umständen zu blockieren, wie es mit den Curinanco-Nahuelquir in Leleque geschah.

In diesem Sinne lehnt der Futra Trawun den von zwei Provinzgouverneuren betriebenen Regionalisierungsplan ab, denn es handelt sich dabei natürlich nur um ein neues Geschäft zwischen den Staaten und den Multinationalen. Die geplante politische Reform wird für die Mapuche nur in der Verschärfung der Ausplünderungsmechanismen bestehen.

Das Parlament meint, daß der Staat Beihilfe bei den jüngsten Angriffen gegen unser Volk geleistet hat. Dieser Tage ist die Familie Sepúlveda in Buenos Aires Chico, Provinz Chubut, den Drangsalierungen von seiten des Grundbesitzers Héctor Guajardo, eines Bruders des Bürgermeisters von El Maitén, ausgesetzt. Der Platz gehört zum Ejido (Genossenschaftseigentum) dieser Kommune, was direkte Auswirkungen auf den Streitfall hat.

Solche Ungerechtigkeiten, wie die hier geplanten, führen am Ende zur Verarmung der Menschen unseres Volkes und zu ihrer Vertreibung in die Städte - eine Situation, die dem Staat erlaubt, uns durch politische Klüngel- und Pfründewirtschaft unter Kontrolle zu halten. Wenn unsere Familien beabsichtigen, durch Wiederinbesitznahme (od. Rekultivierung) von Feldern oder ihre Rückkehr in die Gemeinschaften selbständig zu werden, reagieren die Grundbesitzer, Multinationalen und der Staat mit Unterdrückung und juristischer Verfolgung.
Deshalb fordert der Futra Trawun nicht nur den Stop aller Räumungsverfahren (Familie Fermín, Gemeinschaften Prane und Ranquehue), sondern verlangt auch die Rückgabe genügender und geeigneter Grundstücke, die unserem Volk gestatten, sich gemäß dem, was Artikel 75 Abs. 17 der nationalen Verfassung vorsieht, selbständig zu entwickeln.

Dieses Parlament ist Teil der Reorganisation unseres Volkes, die sich überall in Wallmapu vollzieht, ausgehend von unserer Weltanschauung, Philosophie und Spiritualität. In Übereinstimmung mit diesen Werten hat das Parlament Organisationsformen diskutiert, die dem Denken der Mapuche entspringen und von der Tradition der Horizontalität (? - horizontalidad) unserer Vorfahren ausgehen, abseits der vom Staat und den aufgezwungenen fremden Institutionen verschriebenen Rezepten, und es wird weiter nach ihnen suchen.

Das Futra Trawun wird am 11. Oktober wieder zusammenkommen, um den soeben eingeschlagenen Weg zu vertiefen. Wir künden Widerstandsaktionen an.

FÜR LAND, GERECHTIGKEIT, AUTONOMIE UND FREIHEIT!
MARICHI WEU! (Zehnfach werden wir siegen!)

(Unterschrift der Teilnehmer)

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* Tehuelche - ein anderes indigenes Volk Patagoniens nahe der Atlantikküste, größtenteils in der Provinz Santa Cruz
** Die Araukaner, zu denen außer Mapuche (= 'Menschen des Landes') noch Picunche, Huilliche und Chilote gehören, bezeichnen sich einfach als "che" = Menschen
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Ergänzungen

Cool

Bleichgesicht 19.05.2003 - 14:29
Nagmapu steh Deinen Kindern bei!

Neugierig

Antifascist tick 19.05.2003 - 17:38
Was hat es denn mit dem 11. Oktober auf sich?

11. Oktober

Kh. 20.05.2003 - 23:24
Der 11. Oktober wird bei den Indiovölkern Amerikas als letzter Tag ihrer Freiheit begangen, da am 12. Okt. 1492 Kolumbus zum ersten Mal in Amerika landete. Die offiziellen lateinamerikanischen Staaten (oder manche) feiern diesen Tag als "Día de la Raza". Aus Protest dagegen wählten die Indiovölker den 11. Okt. als ihren Gedenktag, mit Gedenkmärschen, Mahnwachen und Protestdemonstrationen.
Am 11./12. Okt. 2000 gab es z.B. Demonstrationen der Mapuche in Santiago de Chile, mit Protesten gegen den bevorstehenden Abschluß des Freihandelsvertrages vor europäischen Botschaften.
(Quelle: "Mapu Express", ich mußte selbst erst nachschauen)