Studi-Spitzel gesucht: VS wirbt in Brandenburg um InformantInnen

Inforiot 23.04.2003 20:54 Themen: Repression
Die Anzeige, die der 21-jährige Martin* in der Wochenendausgabe der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 22. März entdeckte, sah vielversprechend aus: "Nebenjob! Suche politikinteressierte junge Leute ab 18!". Der Oranienburger Student meldete sich sogleich bei der Kontakt-Telefonnummer des "Arbeitskreis Wissen und Fortschritt", der die Annonce geschaltet hatte. Schnell war ein Termin für ein Vorstellungsgespräch ausgemacht.

Was Martin damals noch nicht wusste: Den "Arbeitskreis Wissen und Fortschritt" - vorgeblich ansässig in Essen - gibt es nicht wirklich, er ist eine Briefkasten-Firma. Es ist zu vermuten, dass dahinter der Verfassungsschutz oder eine andere staatliche Behörde steckt, die versucht, auf zunächst betont harmlose Art, MitarbeiterInnen im Land Brandenburg zu gewinnen. Beim Betrachten der Arbeitsweise, mit der Spitzel zum Auskundschaften sozialer Bewegungen gewonnen werden sollen, drängen sich Vergleiche mit den Methoden der Stasi auf.
Das Vorstellungsgespräch von Martin findet Ende März in einem Café am Potsdamer Platz in Berlin statt. Die Frau mit der er sich trifft, ist dieselbe, mit der er einige Tage zuvor den Termin ausgemacht hat. Es gehe um Recherchen für eine Politstudie, sagt die etwa 25 Jahre alte Frau. Der "Arbeitskreis Wissen und Fortschritt" unterstütze Autoren und Institutionen bei ihrer Arbeit. "Wir wollen wissen, was Jugendliche dazu bewegt, Politik zu machen. Wir wollen herausfinden, warum sie in Opposition zum Staat gehen." Die Aufgabe von Martin sei es, Veranstaltungen zu besuchen und darüber Berichte anzufertigen. Weil Martin eine Dreadlock-Frisur trägt, erklärt die Frau vom "Arbeitskreis Wissen und Fortschritt", dass für ihn "ja wohl eher die linksgerichtete Szene in Frage komme." An der rechten Szene sei man aber ebenso interessiert. Martin stimmt zu, er geht ja ab und an auf Demos der "Achse des Friedens". Der Job sei für Studierende eine ausgezeichnete Gelegenheit, ein wenig Geld zu verdienen, erklärt die Frau weiter: "Ich mache das selber auch schon einige Zeit."

Martin freut sich über das Angebot und die gute Bezahlung, die in Aussicht steht: 10 Euro gibt es pro Stunde Zeitaufwand für das Besuchen von Veranstaltungen, fünf Euro Stundenlohn für das Schreiben der Berichte. Spesen werden auch übernommen. Stutzig wird Martin erst, als ihm erklärt wird, dass es nicht möglich sei, einen Arbeitsvertrag abzuschließen und der Lohn bei regelmäßig stattfindenden Treffen bar ausgezahlt werden soll. Trotzdem soll alles seine Ordnung haben und "schon versteuert" sein. Das Arbeitsverhältnis soll längere Zeit dauern - auf drei bis sechs Jahre sei die Studie angelegt. Im Laufe der Zeit würde es allerdings keinen pauschalen Stundenlohn mehr geben, sondern nach "Qualität der Informationen" gezahlt werden.

Um sich zu überlegen, ob er den Job haben will, kann sich Martin ein paar Tage Zeit nehmen. Dann, schlägt die Frau vor, soll es ein zweites Treffen geben, zu dem sie ihm eine Liste mit Veranstaltungen mitbringen will ("zum Beispiel aus der Friedensbewegung"), die Martin besuchen soll.

Aus dem Treffen wurde nichts. Wieder zuhause in Oranienburg, kam Martin das Jobangebot nach einigem Zweifeln zu dubios vor. Er besprach den Vorfall mit der linken Rechtshilfe- Organisation Roten Hilfe, die seine Vermutung bestätigen konnte: Zum Beispiel sind ähnliche Vorfälle aus Berlin bekannt (siehe "Suche Spitzel nicht Heinzelmann", TAZ vom 7.11.2002, Seite 21). Dort wollte der Verfassungsschutz im Herbst 2002 über Anzeigen Studenten als Spitzel werben, um das Kreuzberger Alternativzentrum Mehringhof auszuspionieren. Auch damals sollten die Jobsuchenden anfangs angeblich lediglich Recherchen für eine Studie anstellen. Das Coming Out der Sicherheitsbehörde folgte später.

Obwohl die Frau von "Wissen und Fortschritt" beim ersten Treffen Martin den Job zugesagt hatte, rief sie ihn wenige Tage später an und erklärte, dass es nun doch kein Interesse an einer Zusammenarbeit mehr gebe. Es drängt sich so der Verdacht auf, dass Martins Handy abgehört wurde.

Wie viele Menschen sich auf die Anzeige von "Wissen und Fortschritt" gemeldet haben und wie viele davon nun in Brandenburg politische Gruppen bespitzeln ist nicht bekannt. Ebenso wenig weiß man, ob es nicht mehrere solcher Anzeigen gegeben hat. Menschen, die mit ähnlich dubiosen Angeboten konfrontiert waren, können sich an Inforiot wenden.

Für das Land Brandenburg ist das Werben von Spitzeln über Zeitungsanzeigen neu (zumindest ist seit dem Ende der DDR dergleichen nie bekannt geworden). Des öfteren hingegen wurde dokumentiert, dass der Verfassungsschutz direkt bekannte AktivistInnen ansprach, um von ihnen gegen Bezahlung Informationen zu erhalten. Der letzte derartige Fall, der bekannt wurde, ereignete sich in Neuruppin. Umfassend bekannt geworden hingegen sind die Umtriebe des Brandenburger Landesamts für Verfassungsschutz im Zuge der Affäre um den Nazi und VS-Informanten Toni Stadler.

* Name und persönliche Daten sind geändert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Also wenn wir schon mal beim Thema sind

... 24.04.2003 - 00:54
Pressemitteilung (HU-PE 2003/01) der HUMANISTISCHEN UNION e.V.

Berlin, 17.04.2003 - Freigabe: sofort -

-------
Neues von der Spätzle-Stasi:

Verwaltungsgerichtshof zwingt das Landeskriminalamt zur Auskunft an einen Betroffenen, ob er durch verdeckte Ermittler 1½ Jahre lang überwacht worden ist
-------

Der Verwaltungsgerichthof Baden-Württemberg (VGH) hat in einer kürzlich bekannt gewordenen Entscheidung (AZ.: 1 K 1478/99) vom 04.12.2002 das Landeskriminalamt in Stuttgart in letzter Instanz dazu verurteilt, einem Betroffenen mitzuteilen, ob er vor 12 Jahren Gegenstand polizeilicher Überwachung durch einen verdeckten Ermittler (VE) gewesen ist.

Wörtlich führt der VGH aus:

"Es wäre mit den Grundsätzen des Rechtsstaats unvereinbar, dem Betroffenen, dem ein hohes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt worden ist, den Zugang zum Gericht und damit die Chance zu versagen, über die gerichtliche Rechtswidrigkeitsfeststellung eine Art Genugtuung (Rehabilitation) und damit wenigstens einen - wenn auch unvollkommenden - Ausgleich für eine rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung zu erlangen."

Weiter führt der VGH aus, dass eine Einschränkung der Unterrichtungspflicht wegen einer Gefährdung eines verdeckten Ermittlers nicht schon bei pauschalem Hinweis auf gesteigerte Risiken in bestimmen Einsatzbereichen, etwa den Staatsschutzbereich, in Betracht komme.

Nach Ansicht der die Klage unterstützenden Bürgerrechtsorganisation HUMANISTISCHE UNION und ihres Freiburgers Rechtsanwaltes Dr. Udo Kauß stellt das Urteil eine wichtige Etappe zum Schutz der Bürgerrechte vor polizeilicher Allmacht dar. Nur wenn polizeiliches Handeln überhaupt bekannt werde, so Dr. Kauß, seien solche geheimpolizeilichen Ermittlungen überhaupt gerichtlich überprüfbar.

Das LKA hat zwischenzeitlich eingeräumt, dass der Betroffene tatsächlich über den Zeitraum von 1½ Jahren Opfer einer Überwachung durch einen auf ihn und seinen Freundeskreis angesetzten Ermittler gewesen ist. Das Landeskriminalamt hat vorsorglich jedoch gleich hinzu gesetzt, dass eine exakte Angabe zum Umfang der Datenerhebung sowie Dauer der Maßnahme nicht mehr nachvollziehbar sei, da alle personenbezogenen Daten im Zusammenhang mit der Maßnahme zwischenzeitlich gelöscht worden seien.

Damit hat das LKA erneut gegen geltendes Recht verstoßen. Gemäß § 45 des Polizeigesetzes hat die speichernde Stelle einem Betroffenen eine vollständige Auskunft zu geben über die im Zeitpunkt des Eingangs seines Antrages ab Auskunftserteilung gespeicherten Daten. Entgegen dieser klaren gesetzlichen Bestimmung hat das LKA durch Löschung aller entsprechenden Daten sich selbst die Möglichkeit zu einer Auskunft im gesetzlichen Umfange genommen.

Da der Betroffene nach wie vor der Auffassung ist, dass die Polizei ihn seinerzeit rechtswidrig überwacht hat, will er dies nun gerichtlich feststellen lassen.

--------------
Für Rückfragen:
HU-Bundesgeschäftsstelle
--------------

HUMANISTISCHE UNION e.V.
Bürgerrechtsorganisation seit 1961

Zusammenstellung ähnlicher Fälle

Medienkompetenz 24.04.2003 - 01:18

Verdeckte Ermittlerin des Verfassungsschutzes in Hannover
von Aufarbeitungsgruppe Hannover - 26.08.2002 20:58
Von Herbst 1998 bis Januar 2002 befand sich unter dem Namen Kirsti Weiß eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes in den Strukturen der linken Szene in Hannover. Mitte August 2002 hat sie sich gegenÜber einer befreundeten Person selbst enttarnt.
 http://de.indymedia.org/2002/08/28324.shtml

----------------------

Hannover: Neues von der V-Frau Affäre
von jeweils AStA Hannover und Antifa Aktion Hann. - 18.09.2002 18:25
Auf der AStA-Pressekonferenz am Montag, 16.09.2002 erläuterten Referentinnen und Referenten des damaligen und des amtierenden AStA und deren juristische Vertretung ihre Einschätzung zur Tätigkeit der verdeckten Ermittlerin und die rechtlichen Schritte, die der AStA in Erwägung zieht.
 http://de.indymedia.org/2002/09/30057.shtml

----------------------

RCDS begrüßt V-Frau in Hannover
von anonymous Duisburg - 19.09.2002 18:53
RCDS kritisiert Verhalten der Grünen im angeblichen "V- Frau- Skandal"
Der angebliche Skandal um die V- Frau in der linken Studentenszene hat
die Landtagsfraktion der Grünen dazu bewogen, den Verfassungsschutz
stark anzugreifen. Grund sei der Verdacht, ebenfalls von der sogenannten
Kirsti Weiß bespitzelt worden zu sein. Nun fordern sie eine "lückenlose
Aufklärung" durch das geheime parlamentarische Kontrollgremium (PKG).
 http://germany.indymedia.org/2002/09/30119.shtml

----------------------

VS-Spitzel beim AStA Hannover  http://www.taz.de/pt/2002/09/17/a0076.nf/text

----------------------

Verdeckte Ermittlerin des VS in Hannover Verdeckte Ermittlerin des Verfassungsschutzes in den linken politischen Strukturen von Hannover

Von Herbst 1998 bis Januar 2002 befand sich unter dem Namen "Kirsti Weiß" eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes in den Strukturen der linken Szene in Hannover.
 http://www.puk.de/puk/article.php?sid=123

----------------------

Anquatschversuch in Berlin
von berta&bernd - 08.11.2002 22:22
Der VS fährt in Berlin eine neue Strategie, um Infos zu bekommen, die ihnen scheinbar niemand freiwillig geben will. In den letzten Wochen gab es Anquatschversuche über eine Jobagentur, die Praktikumsplätze und Arbeit vermittelt.
 http://www.de.indymedia.org/2002/11/33654.shtml

----------------------

sogar die DEUTSCHEN Kommis haben was zum Anquatschversuch in Berlin auf ihrer webseite
VS sucht Studis
Suche Spitzel, nicht Heinzelmann
 http://www.dkp-darmstadt.de/antifa/vs-sucht-studis.htm

----------------------

die Liste hab ich schon mal veröffentlich in dem thread
Rechter AStA an der TU Braunschweig
unter "ein Kessel Buntes zu Asten, Burschis, VS"
 http://de.indymedia.org/2003/02/40417.shtml

und natürlich nicht zu vergessen . . .

- 24.04.2003 - 10:43
nicht mehr so neu, aber dennoch lesenswert:

der Fall Schlickenrieder

enttarnt vom Revolutionären Aufbau Schweiz

siehe Dossier:

 http://www.geocities.com/~aufbau/Gruppe2/Inhalt.htm

Danke für den link

24.04.2003 - 21:36
ich hatte verzweifelt nach diesem Typen
(Manfred Schlickenrieder) gesucht und wußte nur noch Filmprojekt München, Schweizer Gruppe (die aufklärte) und die Publikation "Tatort" mit Schwerpunkt Broschüren z.B. zu Waffenlieferungen deutscher Firmen, im Kontext mit dem Golfkrieg 1991

Super fetten Dank,daß du die Überblickssammlung der letzten Zeit vervollständigt hast.

Wobei anzumerken ist, daß meine Zusammenstellung oben, den Schwerpunkt V-Leute und Uni hat,denn es gab ja bei Weitem noch
mehr Fälle, abgesehen von den unzähligen
(öffentlich gemachten)Anquatschversuchen

Christine Schindke Berlin

26.04.2003 - 22:40

Kleine Anfrage der Abgeordneten
Judith Demba (Bündnis 90/Grüne)
über Verdeckte Ermittlerinnen der Polizei
(Christine Schindke)
interim: 286/1994

Spitzelanwerbung: Propaganda und Realität

22.05.2003 - 00:56

Spitzel an Lüneburger Castor-Aktion beteiligt

03.06.2003 - 20:47

von Heidewerkstatt - 23.11.2002 12:35
 http://de.indymedia.org/2002/11/35153.shtml

Günter Schachtschneider (Stasi/VS- Berlin)

03.06.2003 - 21:14
einige sehr eigenwillige Dokumente zum Fall des ehemaligen MfS- Mitarbeiters und späteren BfV Agenten, der die kleine an die PDS "angedockte" Gruppe "BdA die PrenzelbergerInnnen"
(Bund der AntifaschistInnen) in Berlin auskundschaftete

damals erschienen Artikel dazu im Spiegel, in der Interim

Carsten Hübner PDS
 http://www.google.de/search?q=cache:goUfpaKpElgJ:www.carsten-huebner.de/presse/2000/0402_1.html+%22G%C3%BCnter+Schachtschneider%22&hl=de&ie=UTF-8

der "Revolutionäre Funke"
 http://www.members.partisan.net/revfunke/k020400.html

Ex Stasis
 http://www.mfs-insider.de/Erkl/VERFSCH.htm

das Querfront Projekt ("von links") Kalaschnikow
 http://www.kalaschnikow.net/de/presseschau/2000/04-00/p03-04-00.shtml

Kurzmeldung zum Thema in einer Zusammenstellung des
Nazi Querfrontprojekts "die Kommenden"
 http://die-kommenden.net/dk/wochen/00/maerz00_25_31.html

ne Zusammenfassung der Anwerbungen in Berlin

ein Überblick 23.07.2003 - 21:20

DER SPIEGEL 30/2003 Seite 41
Geheimdienste: Der Verfassungsschutz wirbt Studenten als Spitzel in der linken Szene


der Scheiss Spiegel will Geld für jeden Satz, zum Kotzen

da hat wohl jemand bezahlt - für uns

Verlinker 25.07.2003 - 00:26

hier geht es zum Spiegel-Artikel;
 http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,257907,00.html

VS Tour de Ruhr II

Verlinker 25.07.2003 - 00:29

Der VS besuchte am gestrigen Mittwoch erneut AntifaschistInnen in NRW
 http://de.indymedia.org/2003/07/57919.shtml

betriift den Spiegel Artikel

Verlinker 21.11.2003 - 00:48
Scheiße ich hät den Spiegel Artikel hier reincopieren sollen,
der war anscheinend nur kurzzeitig freigeschaltet