Ostermarsch in Fretzdorf beim Wittstocker Bombodrom: Reportage

Svennie d. R. 21.04.2003 05:10 Themen: 3. Golfkrieg Militarismus
Reportage zum Bericht über den 11. Ostermarsch in Fretzdorf an der A24 zum Wittstocker Bombodrom.
 http://de.indymedia.org/2003/04/49383.shtml
Ostermarsch in Fretzdorf beim Wittstocker Bombodrom: Reportage

Das große Peace-Zeichen rechts vor der Autobahnabfahrt Herzsprung ist mir schon immer aufgefallen, wenn ich mit dem Auto nach Hamburg, Lübeck oder an die Ostsee gefahren bin. Heute war es mein Zielpunkt. Etwas über 100 km hatte ich schon zurückgelegt. Es war kurz nach 14 Uhr.
Die Sonne schien wie man es von ihr an einem Ostersonntag erwartet. Ich setzte den Blinker und rollte in Fretzdorf ein. Ich erblickte ein selbstgemaltes Pappschild: "PARKEN DEMO". Ich war also richtig ohne einen Blick auf eine Karte geworfen zu haben. Der provisorische Parkplatz war bereits restlos überfüllt. Zweihundert Meter vor mir erblickte ich schon den bunten Demonstrationszug.
Bald lief ich zwischen Kinderwagen, Omis und jungen Papas und Muttis. Viele trugen Luftballons in den Händen und grelle Aufkleber gegen Krieg und Militär an den T-Shirts.

Manche trugen Bilder von einer typisch brandenburgischen Landschaft, über der ein schwarzer Vogel kreiste, der keiner war. Ein Düsenjäger, so ein falscher Vogel hat über der Ruppiner Heide nichts zu suchen. Mir schien es, als hätten mehrere Leute die gleiche Idee gehabt. Die Menschenmassen hatte ich anfangs auf der kleinen Landstraße extrem unterschätzt. Wir ließen das Ortsschild hinter uns und begaben uns in ein waldiges Stückchen. Für mich war es das erste Mal, daß ich auf einer Demonstration die Vögel zwitschern hörte. Links und rechts der Straße waren Krötenschutzzäune und krötengrüne Dorfpolizisten aufgestellt worden. Diese erhielten heute auch etwas Unterstützung von ihren Potsdamer Kollegen.
Für die Freiwillige Jugendfeuerwehr muß es auch ein besonderer Tag gewesen sein. Stolz posierten bei der Hitze die Teenage-Mutant-Feuerwehrboys in ihren reflektierenden Jacken und funkten sich alle möglichen sinnlosen Nachrichten zu. "Ja, wir sind hier auf Kontrollgang. Alles ganz cool hier. Ja Du mich auch. Over and out."

Der Demonstrationszug bog in einen Sandweg ein. Die Demonstranten waren nun von gelben Nebel umhüllt. Plötzlich sah ich ein Schild, daß mich davor warnen wollte, daß ich mich nun in einen militärischen Sicherheitsbereich begebe. Doch ich folgte wie alle anderen der klassischen Musik, die durch die Bäume schallte.
Zweihundert Meter weiter, in sicherer Entfernung stand auf einem Waldweg ein Bundeswehr-Jeep, ein Wagen der Feldjäger und ein Wagen des Wachschutzunternehmens Sicherheit Nord GmbH, mit SL-Kennzeichen.
Wir gelangten auf eine riesige Wiese mitten im Wald. Sie schien extra gemäht worden zu sein. Eine Menge Stände und Transparente und eine noch viel größere Menge Menschen füllte die Heide.
Ich hätte auf drei oder viertausend getippt. 5000 waren es. Ein bunter Haufen mit vielen bunten Pace-Fahnen, Attac-, PDS, FAU-Fahnen und Flaggen, die ich nicht zuordnen konnte.

Ich freute mich insgeheim, daß keine schlimmeren Politsekten-Bernds den Weg nach Fretzdorf gefunden hatten.
Ich fühlte mich erinnert an die bewegten Monate zwischen Oktober 89 und September 90. Der Kirchenchor trat vor die kleine Wagenbühne und sang vom Himmel, vom Himmel über der Heide, über die der Adler, aber nicht der Tiger, Tornado oder Eurofighter fliegen soll. Dahinter - Transparente mit Aufschriften wie:
"Stalins Schießpaltz = Euer Schießplatz.". Rechts davon: Kuchenbasar, Infostand, Bierausschank und Eiswagen.
Links das Heidepsotamt der Bürgerinitiative FREIe HEIDe.
Hier lagen die Adressen von Platzeck, Schröder, Struck und Müntefering aus. Man konnte gleich eine Postkarte und eine Briefmarke kaufen, um ihnen zu schreiben.

Ein Gesicht, daß ich in den vergangenen Monaten mehr als genug gesehen habe, rückte plötzlich in den Mittelpunkt. Ströbele war extra aus Berlin angereist und sprach nun mit seiner leicht heiseren Stimme vor den Massen. "Vor einem Jahr sah die Welt noch anders aus. Vor einem Jahr [...], Vor einem Jahr [...]"
Seine künstliche Wir-Form, seine rhetorischen Wiederholungen nervten mich recht schnell. Vor ihm standen sieben Reihen interessierter Zuhörender, doch im Großen und Ganzen - allgemeine Gleichgültigkeit.
Einige Leute schüttelten die Köpfe, blickten empört oder raunten auf, als er die Worte neue Bundesländer und Ostdeutschland in den Mund nahm.

"Wir haben einen Krieg gegen den Irak erlebt. Er scheint zu Ende zu sein." Mir blieb fast die leckere Bratwurst im Halse stecken. Ströbele scheint kein Indy-Leser und auch sonst sehr leichtgläubig zu sein. "Wir fordern, daß das Gewaltmonopol der UNO übertragen wird." Schon wieder hätte ich mich beinahe verschluckt. Ich fordere kein Gewaltmonopol für irgendwen.
Wer Gewaltmonopole fordert, für wen auch immer, fordert die Monopolisierung von Gewalt. Damit habe ich ein deutliches Problem. Ich habe mich später geärgert ihn nicht drauf angesprochen zu haben, als er unweit mir auf der Wiese saß oder vor mir am Eiswagen stand und sein rot-grünes Eis bestellt hat.

Später sprach der PDS-Umweltminister von Mecklenburg Vorpommern und betonte, daß der Krieg längst nicht zu Ende ist und gegen jegliches Völkerrecht verstößt. Das Ergreifenste war jedoch, der Augenblick, als 4000 Papierkraniche mit Hilfe von heliumgefüllten Luftballons in den Himmel stiegen.
Eine Frau aus der Region erzählte vorher die Geschichte, der kleinen Sadako aus Hiroschima, die als Symbol für Gesundheit und Hoffnung im Krankenhaus 1000 Kraniche falten wollte, aber bis zu ihrem Tod nur 644 schaffte. Als die bunten Ballons mit den Papiervögeln im Gepäck in den Himmel stiegen, flossen manchen Leuten Tränen übers Gesicht. Die Kinder freuten sich, rannten ihnen nach und streckten ihre Zeigefinger in die Höhe. Am Horizont zog sich plötzlich ein langer, weißer Kondensstreifen eines Flugzeuges in die Länge.
Durchwachsene Stimmung. Einige Luftballons blieben in den Bäumen hängen. Doch die meisten waren bald nur noch schwarte Punkte und bald gar nicht mehr zu sehen.

Es wurden noch ein paar Lieder auf die freie Heide und ein paar von Bob Dylan gesungen. Dann war Schluß. Die Wiese leerte sich. Die bunten PACE-Fahnen zogen nochmal durch Fretzdorf, diesmal einzeln. Die Fretzdorfer Jugend nutzte den Durchgangsverkehr und betrieb Fundraising für ihren Jugendraum. Der Rückweg wurde ein sonniger Osterspaziergang.
Ob dies nächstes hier auch noch so möglich sein wird, ob man Vögel zwitschern oder Düsenjäger die Schallmauer durchbrechen hören wird...? Ich weiß es nicht. Trotzdem hat mir dieser Ostersonntag Kraft geben können und mir gezeigt, daß es nicht nur im Wendland, sondern auch hier in Brandenburg fitte, engagierte Leute gibt, die sich nicht alles gefallen und sich schon gar nicht in die Knie zwingen lassen.


Weiterführende Literatur und Links:

Bericht zum Ostermarsch in Fretzdorf an der A24
 http://de.indymedia.org/2003/04/49383.shtml

 http://www.freieheide-nb.de
 http://www.freieheide.de
 http://www.freier-himmel.de
 http://www.inforiot.de/news.php?article_id=1712

Susanne Hoch, Hermann Nehls (Hg.): Bürgerinitiative FREIe HEIDe. Bombodrom - nein danke!, Berlin 2000.
Tagesspiegel vom 03.04.2003, Rainer W. During
 http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/15.04.2003/528491.asp

Sonntagskolumne auf Deutschlandradio
 http://www.freieheide.de/DLF.pdf

Pressemitteilung des stellv. Ministerpräsidenten von Mecklenburg Vorpommern
 http://www.freieheide.de/m-v030403.pdf
 http://www.freieheide.de/m-v030403.pdf

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Ergänzungen

Peace on Earth?

dieter 21.04.2003 - 23:50
Komische Kornkreise gibts in Wittstock - oder wars doch in Woodstock...?

Diese Wortspielerei

22.04.2003 - 00:33
...taucht übrigens auch ständig in Wittstock auf. Schön, was da in Brandenburg passiert.

Es gibt auch ...

Inforiot 22.04.2003 - 10:45
... eine Menge unschöner Sachen in Brandenburg, speziell in Wittstock. Der ausländerfeindliche Mord an Kajrat Batesov jährt sich in 2 Wochen das erste mal. Aber trotzdem ist das mit der FREIEn HEIDE eine super Angelegenheit.