Wahnmache ... Bilder, Berichte, Perspektiven

Wahn-Sinn-ige aller Länder ... 06.04.2003 00:04 Themen: 3. Golfkrieg Freiräume Militarismus
5 Tage "Zelt gegen Normalität". Eine Berichte der ersten Tage waren schon auf Indymedia. Hier folgt der Bericht des vierten Tages mit dem Workshops zu kreativ-offensivem Umgang mit Repressionsorganen sowie der daran anschließenden Aktion zu Kameras, Überwachung und Bullenkontrollen. Fotocollagen zeigen das Geschehen, hinzu kommen einige kritische Anmerkungen sowie Aussichten nach diesem Versuch, der zweifelsfrei ein Experiment darstellt - und das ist bereits ein grosser Wert an sich: Inmitten der ständigen Langeweile politischer Aktivitäten, sichtbar gerade auch in den Positionen und Aktionen gegen den Krieg, wagte ein bunter Zusammenhang von Menschen eine neue Form der Aktion. Mitten in Frankfurt.
Offensiver Umgang mit Repression und kreative Aktion

Am Freitag gab es einen Workshop zum Umgang mit Polizei, Vorladungen und Repression. Dabei ging es weniger um rechtliche Grundlagen (die auch wichtig sind!), sondern um die Möglichkeiten, die in linken Zusammenhängen weit verbreiteten und häufig auch zielgerichtet geschürten Ängste gegenüber Repression abzubauen und die eigene Handlungsfähigkeit zu erhöhen - eben Subjekt bleiben und agieren statt eingeschüchtert zu reagieren. Und jeden Herrschaftsdurchgriff, ob Festnahme durch Bullen oder rassistischer BGS-Kontrolle, zu einer Aktion zu machen. Nicht gemeint ist damit, einfach mal so unverbindliche Gespräche mit Bullen usw. einzugehen - grundsätzlich gilt: Keine Aussaugen gegenüber Polizei, VS & anderen Repressionsbehörden ... auch keine negativen ("Ich war's nicht") - denn auch das bringt den Bütteln verwertbare Infos, engt den Kreis potentieller "TäterInnen" ein usw. Techniken der Kommunikation, um die Repression selbst zu thematisieren und nach außen zu vermitteln - denn fast immer findet diese in öffentlichen Räumen wie Bahnhöfen, Konsumeilen u.ä. statt, wo zahlreiche Menschen davon mitbekommen. In paar Beispiele: Bei rassistischen Kontrollen kann die Diskriminierung aufgrund nicht-deutschen Aussehens mittels verstecktem Theater & Überidentifizierung offen gelegt werden, d.h. durch das völlig überzogene "Bejubeln" der Aktion ("Endlich greift hier mal wer durch") - noch besser ist natürlich, wen sowohl GegnerInnen als auch "Fans" des staatlichen Rassismus agieren. Skuril ist es, bei drohenden Verhaftungen als Turbo-DemokratIn aufzutreten und erst mal eine Abstimmung über den Vorgang zu fordern. Mit Konfetti, Parfümproben, Luftschlangen und respektlosem Auftreten kann die Autorität der Bullen "dekonstruiert" werden - oder auch mit offensiver Nicht-Beachtung. Denkbar sind auch Debatten über die Einbindung der einzelnen PolizistInnen in eine hierarchische Herrschaftsstruktur usw. Wichtig ist, jede Situation aufmerksam zu beoabachten und klar zu kriegen, wann z.B. Bullen überreizt sind, den in der Regel wird mensch keine Lust auf Knüppel und blaue Flecken haben ... Und mitzudenken, dass kreative Antirepression kein Allheilmittel ist oder immer und überall vor Repression schützt.

Um es nicht bei der Theorie zu belassen, zogen anschließend ca. 20 mit weißen Laken eingehüllte Leute als fanatische Kamera- und Überwachungsfreunde über die Zeil .... mit Megaphon, Plakaten (Download als .pdf:  http://www.projektwerkstatt.de/gav/download/plakat_kameras.pdf) und vielen spontan ausgedachten, skurilen Slogans ("Kein Film ist illegal - Überwachung überall", "Kamaras nie ohne Mirkophone", "Kamera, Kamera ... Überwachung ist doch wunderbar") und "Kameraaaaa"-Chören. Vor auf dem Weg liegenden Kameras ließ sich die Anhängerschar R. Kochs Law and Order Phantasien nieder zur Anbetung selbiger - dabei wurden Gebete und Gesänge vorgetragen, die für einige Lacher und verwunderte Gesichter bei umstehenden PassantInnen sorgten (Getetstexte ... als Giessener Version - einfach umschreiben:  http://www.projektwerkstatt.de/gav/download/kamera_songs.html). Irgendwann tauchte ein Zivibulle bei einer Anbetaktion auf und sprach einen Aktivisti an - nachdem über?s Mega auf die lang erhoffte Präsenz des zivilen Odungshüters informiert wurde, wurde dieser von der Kamera-Sekte verfolgt und ständig angebetet (?Ohne Polizei ist keiner frei?) ... trotz Weglaufens wurde jede Funk-Durchsage verunmöglicht, bis der Typ sich dann verpisste. Nach einer weiteren Kamera-Anbetung bei Karstadt (die dortigen Securities standen einfach nur verdutzt da und machten mit ihren Walkie-Talkies runm) trafen wir draußen wenig später auf vier bis fünf Bereitschaftsbullen, denen ein ähnliches Schicksal widerfuhr ... bei ihrer Anbetung bildete sich eine fette Menschentraube auf der Zeil - leider fehlten hier Flugblätter, um die Aktion zu vermitteln .... teilweise gab es sehr offensive Nachfragen durch PassantInnen und manchmal auch Lob. Naja, auch diese Bullen gngen nach etwa 5-10 Minuten. Traurig am Rande war nur, dass einige Punks die Aktion anpöbelten und sogar die Bullen aufforderten, uns abzuräumen ... dann später auch mit ekligen Sprüchen und Handgreifllichkeiten gegenüber einigen Teilnehmis (?Bist kein richtiger Punk?) - die Aktion nicht in ihre Normalität passte ... schade.

Fazit: Mich gefreut hat die Verbindung von Theorie & Praxis, d.h. dass aus dem Workshop tatsächlich eine Aktion mit Elementen kreativer Antirepression hervor ging. So viel Spontaneität seitens der beteiligten Aktivistis, Spass und ungewohnte Frechheit gegenüber Securities und vor allem den Bullen habe ich selten erlebt - mehr davon in Frankfurt und überall! (Bericht über ähnliche Aktion in Gießen:  http://www.de.indymedia.org/2002/12/37826.shtml)

Weitere Berichte von der Mahnwache:
- Berichte vom 1. und 2. Tag:  http://www.de.indymedia.org/2003/04/47885.shtml
- Berichte von der Esso-Aktion und einiges mehr:  http://www.de.indymedia.org/2003/04/48010.shtml

Auswertung (subjektiv, unvollständig, aber doch ...)
Gut war:
- der Ausbruch aus der Normalität politischer Aktionsformen
- der Verzicht auf ein vorgegebenes Programm. Das Zelt gegen Normalität war als Aktionsplattform gedacht, d.h. die Aktiven und Hinzukommenden waren nicht die Füllmasse für die vorstrukturierten Planungen der Eliten, sondern konnten/sollten selbst ihre Ideen umsetzen. Das gelang zu guten Teilen, so unter anderem beim offenen Kino mit den Filmen der Menschen, bei der offenen Musikbühne, wo teilweise spontan Bands hintereinander auftraten, beim Essenkochen und -organisieren (Hintergründe zu offenen Aktionsplattformen auch allgemein unter  http://www.projektwerkstatt.de/hierarchNIE/reader/plattform01.html). Solche offenen Plattformen kann es auch dauerhaft geben - halt als Räume mit einer allen gleichberechtigt zugänglichen Arbeitsinfrastruktur. Ohne Schlüssel, Passwörter und weiteren Einschränkungen, die Grenzen ziehen zwischen wichtigen und unwichtigen Menschen.
- das Engagement doch recht vieler Menschen ohne eine zentrale Steuerung oder Koordinierung. Zwar gab es doch immer wieder einen Hang zu Plena und dem Versuch, dass doch alle irgendwie alles mitentscheiden sollen, aber das war gegenüber dem Prinzip autonomer Organisierung angenehm weit in den Hintergrund getreten. Viele kleinere Runden agierten nach eigener Lust und Laune, bauten Zelte oder Hütten, kochten oder malten, zettelten Workshops an oder organisierten das Kino. Hierarchien waren noch da, aber ich hatte deutlich das Gefühl, dass hier Menschen einander den Freiraum gaben, selbst aktiv zu werden. Ständig rumcheckende und kontrollierende Eliten waren nicht zu sehen.
- der oben beschriebene Workshop zu kreativ-feindlichem Umgang mit Repressionsorgane brachten einen bemerkenswerten Wandel. War vorher noch oft Einschüchterung und Ratlosigkeit sowie der Trend, kollektiv zu reagieren, deutlich spürbar, so entwickelten die Menschen in der Aktion eine fast unfassbare Frechheit.
- nirgendwo hingen Fahnen, Embleme u.ä. von Gruppen und Organisationen. Deutlich war sichtbar: Hier zählen die Menschen, ihre Ideen und Wünsche. Und die Inhalte.
- der Umgang der Menschen auf der offenen Plattform war solidarisch und meist von dem Bemühen um Transparenz und Gleichberechtigung geprägt. Ich habe nur einige wenige Male Hinweise auf ?der ist aber verantwortlich? oder ?das gehört aber der? gehört.
- die weitgehende Gratisökonomie mit dem Umsonstessen, dem offensiven Bruch von Urheberrechten und dem Umsonstladen (?importiert? aus dem Giessener Infoladen ... wird Zeit, dass Frankfurt mal selbst sowas bekommt!) war ein spannender Kristallisations- und Anziehungspunkt - gut verbunden mit den politischen Aussagen gegen Markt und Kapitalismus.
- am Ende war spürbar, dass viele den Willen hatten, die Idee offener, kreativer Organisierung von unten weiterzuentwickeln und mehr zu machen in Sachen Direct Action.

Passend dazu an dieser Stelle ein paar Termine und Infos für alle, die jetzt erst recht loslegen oder auch neu einsteigen wollen:
- Direct-Action-Camp vom 14.-21.4. in Burg Lutter ... da fahren auch viele hin, die auf der Wahnmache mitwirbelten. Infos:  http://www.da-camp.de.vu.
- Utopie-Seminar (25.-27.4.) und anschliessende Utopietage (bis 1.5.) in der Projektwerkstatt Saasen (siehe dort:  http://www.projektwerkstatt.de/saasen)
- Direct-Action-Seminar auch in Frankfurt geplant (Termin noch offen)
- Direct-Action-Infoseite:  http://www.direct-action.de.vu
- Infoseiten zu kreativer Antirepression:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression

Ich fand, es gab auch Schattenseite. Auch hier subjektiv ...
- Wortwörtlich: Gemein war die Sache mit dem Wetter - schönster Frühling bis genau zum Beginn. Kälte, Wind und z.T. Regen frassen eine Menge Energie und Zeit auf. Sichtbar wurde das am Freitag, dem einzig schönen Tag ... und schon gab es einige Aktionen und bessere Stimmung.
- Zwischen kreativ-frecher Organisierung von unten und der klassischen Zurichtung in doitscher Linker auf kollektives Handeln, Plena und Einschüchterung schwankte es ständig hin und her. Es wäre schön, wenn sich da noch Weiterentwicklungen ergeben, z.B. durch Trainings immer mehr Handlungsfähigkeit für einen widerständigen Alltag zu gewinnen.
- Etliche Aktionen klappten nicht. Nicht immer war es das Wetter. Vereinbarungen wurden nicht eingehalten und so andere enttäuscht, die Aktionen vorbereitet hatten, die nun nicht laufen konnten.
- Richtig wütend haben mich einige Reaktionen aus dem Umfeld gemacht. Als die Bullen am Freitagabend anrückten (nach Räumungsankündigung), wurde die Presse angerufen. Und (inzwischen nicht mehr überraschend) schafft die Frankfurter Rundschau die Topnummer an Ekligkeit: Der Redakteur beschwerte sich, dass er angerufen wurde (?woher hast Du meine Nummer? ... ?bin von der Zentrale durchgestellt worden? ... ?achso, dann tschüß? und aufgelegt). Da zeigt sich, daß die Arroganz zur Zeit ganz stark dort vorhanden ist, wo früher eher kritischer Geist herrschte und heute die Normalität dominant mitgestaltet wird. Erschreckend fand ich die Auftritte einer Gruppe von Punks in der Zeil. Dass einige Punks vor allem den Oberarm und die Sprechmuskulatur entwickelt haben, aber das Hirn ziemlich runtergefahren halten, ist nicht neu. Auch Beschimpfungen spiessigster Art sind nicht neu - so wurde ein Mensch angeschnauzt: ?Du hast einen Iro und keine Stiefel, Du bist gar kein Punk?. Aber dass Punks, wie bei der Aktion gegen Kameras und Bullen geschehen, sich mit den Bullen verbünden und diese auffordern, andere aus ihrem Blickfeld zu räumen, ist unfassbar. Wer in dieser Zeit alles so auf den starken Staat setzt ...
- Bleibt noch zu hoffen, dass die Abwesenheit vieler älterer politischer Gruppen aus Frankfurt und Umgebung nicht bedeutet, daß der kreative Versuch unter die Räder elitärer Ausgrenzungsdebatten gerät, die leider oft genug ?linke? Organisierung dominieren ...

Auf dass aus dem Hauch von kreativer Widerständigkeit ein Sturm werde ...
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Ergänzungen

startseite

bitte! 06.04.2003 - 00:37
prima !!! und weiterso..

Dieses Aktionspaket

ist 06.04.2003 - 09:19
ja echt super! Kriegt man auf einmal gerade zu Lust drauf, nach Frankfurt umzuziehen, wenn's da Leute gibt, mit denen man sowas machen kann.

Ein paar Ergänzungen

küsschen 06.04.2003 - 09:33
Erst die schlechte, dann die gute Nachricht:

Ich teile Deine positiven Erfahrungen nur zum Teil.

Mit Deiner Bewertung:

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"Zwar gab es doch immer wieder einen Hang zu Plena und dem Versuch, dass doch alle irgendwie alles mitentscheiden sollen, aber das war gegenüber dem Prinzip autonomer Organisierung angenehm weit in den Hintergrund getreten."
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als positiven Aspekt stimme ich nicht überein, im Gegenteil:
Plena sind als Kommunikations- und Koordinationsinstrument in einer freien Gesellschaft unverzichtbar. Für Projekte, die dorthin zielen, ist ein exemplarischer Umgang damit Voraussetzung.
Ein Plenum an jedem Tag zu einer festen Zeit hätte einen integrativen Effekt mit der ("[dienst?]älteren")linksradikalen Szene gehabt.
Es gab an diesem Verhalten berechtigte Kritik; das Orga-Team (zu dem ich auch gehöre, ist also auch Selbstkritik) und wenige andere Gruppen haben Aktionen gestartet. Es gab jedoch kaum Möglichkeiten für Personen oder Gruppen, sich nach "Konsolidierung" des Orga-Teams und dem Beginn der Wahnmache in das Geschehen einzuschalten. Das hatte mehrere Ursachen:
- zum Einen wurde die Aktion in der "Alt-"linken Szene zu wenig bekannt gemacht. Das kam, ganz praktisch gesehen, auch daher, dass niemand da war, um sich darum zu kümmern. Zum nächsten kam es daher, dass wir auf Überraschungseffekte setzten und deshalb wenige Personen "einweihten" - im Nachhinein ist man immer schlauer und die Verbindung zur Szene herzustellen wäre wohl mein Job gewesen. Sei es drum, das nächste mal läuft's besser. Dieses Versäumnis wäre für mich bereits ein Grund, das in der Negativliste zu verbuchen.
- zum Nächsten liegt das auch an einer Verbohrtheit in der Szene. Ich fand (und finde) das Projekt Wahnmache toll. Wenn ich davon erzählte und zum Mitmachen aufrief, kam immer wieder die selbe Frage: "Wer macht das?" Meine korrekte Antwort: "XX* bis YY* Personen aus verschiedenen Zusammenhängen* und Gruppen* sowie Einzelpersonen*" rief fast durch die Bank Missmut hervor. Wenn man nicht wisse, wer da _wirklich_ dahinterstecke, würde man auch sicherheitshalber mal lieber nicht mitmachen. Mensch hat ja einen Ruf zu verlieren.
Bedaure, aber so kam es zumindest bei mir an.
Insofern teile ich die Kritik an der "Alt-"Linken.
- Ein Drittes war der räumliche Aufbau der Wahnmache. Wir hatten nur begrenzt Platz. Wir waren eingezwängt zwischen dem RMV**-Infopoint, zwei U-Bahn-Treppen und einem Mäuerchen. Weniger als ein Zehntel der Randfläche des Camps war als Zugang geeignet. An den ersten zwei Tagen haben wir sogar diesen Zugang weitgehend durch Infotische verbaut, dann wurde zum Glück umgeräumt (fällt mir erst im Nachhinein auf).
- Ein Viertes war die persönliche Struktur. Es gab, wie Du richtig bemerkt hast, Hierarchien. Diese Hierarchien gab es auf verschiedenen Ebenen. Zum einen waren da natürlich die Obdachlosen und Süchtigen, die froh waren, einen weichen Platz zu haben, an dem sie in Ruhe gelassen werden und kostenlos was futtern oder einfahren können, ohne betteln zu müssen und an dem direkte Anpisse durch Repressoren von anderen etwas abgefangen wurde.
Aber das war nicht die einzige Hierarchie. Es gab zum Beispiel einen öffentlichen Kalender, in den Termine für Veranstaltungen eingetragen werden konnten. Es liegt natürlich in der Natur der Sache, dass dort nicht alles eingetragen werden kann, eben WEIL dieser Kalender öffentlich ist. Aber selbst innerhalb des Orga-Teams gab es eine Elite (schnaub!), die intern Aktionen abgesprochen hat und erst wenn's losging Bescheid gesagt hat.
Das ändert übrigens nichts an der hervorragenden Qualität der Aktionen.

Als Negatives hast Du angeführt:

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Bleibt noch zu hoffen, dass die Abwesenheit vieler älterer politischer Gruppen aus Frankfurt und Umgebung nicht bedeutet, daß der kreative Versuch unter die Räder elitärer Ausgrenzungsdebatten gerät, die leider oft genug "linke" Organisierung dominieren
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Nun gut. Man kann sich die älteren politischen Gruppen natürlich vom Leib halten, indem man sie schlichtweg nicht informiert. Und vor Debatten kann man sich schützen, indem man kein Plenum hält. Diese Entziehung einer Diskussionsplattform läuft auf eine Spaltung hinaus. Ist es das, was wir wollen?

Das können wir alles bei der Nachbereitung noch näher besprechen. Falls das nicht nur lokale Interessenten findet, fasse ich das Ergebnis der Debatte gerne auch noch einmal zusammen.

Im Ergebnis fand ich die Wahnmache, abgesehen von den Kritikpunkten, gelungen. Ich hätte mir ein paar mehr und etwas krassere Aktionen gewünscht. Der Effekt einer Integration von jungen Leuten und die Möglichkeit, sich außerhalb des Alltags und außerhalb abgegrenzter Zusammenhänge kennen und schätzen zu lernen, war äußerst wertvoll. Die Wahnmache hat mir sehr viel gebracht und war ein wichtiger Ansatzpunkt, um eine alternative Gesellschaft nicht nur möglich erscheinen zu lassen, sondern ein Stück weit zu realisieren. Ich habe viel gelernt und Kraft geschöpft.
Meine wichtigste Erkenntnis ist, dass das bestehende System am Absterben ist und wir eine bessere Alternative kennen.

(*) Keine Details, weil der Feind mitliest
(**) Rhein-Main-Verkehrsverbund

Plenum???

HierarchNIEst 06.04.2003 - 14:24
Zwei Anmerkungen:
Wieweit "altlinke" Gruppen informiert wurden, weiss ich nicht selbst - auf den Vorbereitungstreffen wurde berichtet, dass das sehr wohl in deren "üblichen" Vernetzungstreffen berichtet wurde. Prinzipiell finde ich es auch nicht komplett verkehrt, wenn es eher eine breite Information gibt statt der üblichen Info für die Wichtigen - und deren jeweiligen "Schafe" in der Gruppen bekommen dann nur das mit, was die CheckerInnen für gut halten.
Soweit ich weiss, sind einige Veröffentlichungsmöglichkeiten in der Breite (z.B. die "No law, no war!"-Zeitung mit Ankündigung auf Friedens-Demos) verpennt worden.

Aber zum Plenum: Ich finde, Du verkennst Plena komplett. Ein Plenum dient zwar der Identitätsfindung, aber nur in Bezug auf eine "von oben" organisierte Kollektivität. Da sitzen immer (fast) alle zusammen und hören meist den wenigen zu. Plena sind die ideale Dominanzstruktur für intransparente Eliten. Sie sind gerade nicht die Chance für Neue, sich zurückzufinden - es sei denn, Du begreifst "Zurechtfinden" als Vorgang, bei dem Menschen eingetrichtert wird, wofür sie da sind. (eine lustige Metapher dazu im Text "Werdet zickig!" unter  http://www.projektwerkstatt.de/von-unten/ziegen/ziege.html).

Richtig ist aber, daß offene Plattformen zwar einen selbstorganisierten Zugang, d.h. das Einbringen nach eigenen Interessen und Ideen ermöglichen, aber nur dann, wenn sie offensiv offen sind, d.h. die Strukturen durchschaubar und auch tatsächlich nutzbar sind. Da fehlte es noch an vielem ...

Plenum!

06.04.2003 - 16:57
Der Hierarch nieste zwei Anmerkungen:

> Wieweit "altlinke" Gruppen informiert wurden, weiss ich
> nicht selbst - auf den Vorbereitungstreffen wurde
> berichtet, dass das sehr wohl in deren "üblichen"
> Vernetzungstreffen berichtet wurde.

In einigen schon, andere Plena haben wir verschlafen.

> Soweit ich weiss, sind einige
> Veröffentlichungsmöglichkeiten in der Breite (z.B. die
> "No law, no war!"-Zeitung mit Ankündigung auf
> Friedens-Demos) verpennt worden.

Eure Zeitung hatte ich das erste und einzige Mal bei einem Vorbereitungstreffen in der Hand. Ich dachte eigentlich, dass Ihr das Ding im Vorfeld in Auflage mitbringen wollt.

> Aber zum Plenum: Ich finde, Du verkennst Plena komplett.
> Ein Plenum dient zwar der Identitätsfindung,

Das klingt fast so, als wäre ein Plenum nichts als eine Selbsthilfegruppe.

> aber nur in Bezug auf eine "von oben" organisierte
> Kollektivität.

Kapiere ich nicht. Vielleicht meinst Du ja, dass der Termin des Plenums von oben festgelegt wird, ohne Plenumsbeschluss? Da hast Du natürlich recht.

> Da sitzen immer (fast) alle zusammen und hören meist den
> wenigen zu. Plena sind die ideale Dominanzstruktur für
> intransparente Eliten.

Auf Plena läuft nicht immer alles ideal, das weiß jede/r. Aber ist das allen Ernstes ein Grund, sie ersatzlos zu streichen, so dass es überhaupt keine erkennbare Möglichkeit mehr gibt, sich einzubringen? Die gab es nämlich nicht und es wurde auch nicht ernsthaft versucht, das zu vermitteln.
Es lief, überscharf formuliert, darauf hinaus, dass eine kleine Gruppe offen das Geschehen dominiert hat und sich selbst und ihre Spontaneität gefeiert hat. Der einzige Vorteil, den ich gegenüber den "intransparenten Eliten" von Plena sehe ist, dass die Eliten hier transparent waren. Weniger elitär waren sie nicht. Ansonsten sehe ich im Nachhinein das Fehlen von Plena als Fehler an. Deine Argumentation, dass auf Plena Personen gibt, die sich nicht so wirksam einbringen können, kann ich nachvollziehen. Deine Folgerung, diesen Menschen deshalb jede Möglichkeit zu nehmen, sich überhaupt einzubringen, kann ich nicht nachvollziehen. Es erfordert erheblich weniger Überwindung, auf einem Plenum die Stimme zu erheben, als selbst eine Konferenz zu eröffnen und seinen Vorschlag fünf mal gegenüber verschiedenen Personen anzubringen, weil es einfach sonst keine zentrale Möglichkeit dafür gibt.

Eine hierarchiefreiere Selbstorganisationsform als Plena konnte ich auf dem Camp nirgendwo erkennen. Also war das Fehlen von Plena (bis auf am ersten Abend) mangels Alternativen ein Fehler.

> Richtig ist aber, daß offene Plattformen zwar einen
> selbstorganisierten Zugang, d.h. das Einbringen nach
> eigenen Interessen und Ideen ermöglichen, aber nur dann,
> wenn sie offensiv offen sind, d.h. die Strukturen
> durchschaubar und auch tatsächlich nutzbar sind. Da fehlte
> es noch an vielem ...

Wir haben es nicht geschafft, das zu vermitteln. Außenstehende Einzelpersonen hatten es sehr schwer, eigene Aktionen und Aktionsvorschläge einzubringen. Mit täglichen Plena wäre die Hemmschwelle geringer gewesen und es wäre im Ergebnis mehr gelaufen. Und die Hierarchien verschwanden durch das Abschaffen der Plena nicht.

nicht zurück zum alten ... mehr experimente

espi 06.04.2003 - 22:57
Die Kritik an den Elite-Strukturen find ich auch richtig - aber ein zurück zum Plenum, weil bei einem der wenigen Versuche in Doitschland, ohne Zentrale was auf die Beine zu stellen, nicht sofort alles bestens lief, finde ich absurd - zumal es eh immer nur um den abbau von Dominanzen gibt, Hierarchiefreiheit kann mensch sich "nur" annähern. Es gibt ja viele Ideen und Ansätze für hierarchiearme Organisierungen (Prtojekt HierarchNIE), die wenig ausprobiert werden & es könnte noch viel mehr Ideen geben, wenn die Debatte darum mal kultiviert würde. Also lieber nach neuen Ideen und Verbesserungen suchen, anstatt wieder zurückzufallen. Wobei gelegentliche Info-Treffen m.E. durchaus ok sind, wenn das gewünscht wird & dort nix entschieden wird.

Alright

küsschen 07.04.2003 - 13:15
Hallo Espi,

hast schon recht, ein Info-Treffen täglich hätte in der Tat genügt und bewusst Alternativen zu herkömmlichen Plena auszuprobieren ist auch nicht verkehrt.

Wie wir mit den Elite-Strukturen umgehen halte ich letztlich für die wichtigere Frage.
Sie hat sich herausgebildet, obwohl wir alle das vermeiden wollten. Die Gründe dafür sollten wir suchen.

Ciao!

Kannste mal gucken

Froggio 07.04.2003 - 13:51
Hey, tolle Sache.
Erinnert mich an die Provos in Holland. Leider wurden die sobald die Bullen mal was spitzgekriegt hatten zusammengeknüppelt, dass es nur so krachte.
Das Prinzip ist anwendbar gegen Menschliche individuelle Angriffe, aber kaum gege´n bestehende einrichtungen wie Überwachungskameras, auch wenn diese dadurch öffentlich gemacht werden und vielleicht weniger Aktzeptanz gewinnen.
Aufgrund einer Anbetungsaktion wird keine Überwachungsklamera abgeschaltet.
Da müsste man sie schon Tag und Nacht zubeten.
vorschlag: Big brother 3 auf dem MArktplatz unter augen der Überwachungskamera in die KAmera gucken und ganz´normale Sachen machen, essen lesen, kaugummikauen, Nägelfeilen, onanieren, knutschen...