In Kontakt mit Bagdad - Update 47

--- 04.04.2003 23:51 Themen: 3. Golfkrieg Militarismus
Die Bewohner Bagdads bereiten sich auf den Einfall der Amerikaner vor - Die Menschen sind verängstigt, ganze Familien haben sich mit den letzten Vorräten in ihren Wohnungen eingemauert - In den Straßen bauen die Bewohner Bagdads Schutzwälle aus Sandsäcken, überall sind Schützengräben, Fensterscheiben werden mit Klebeband gesichert. - Durch den totalen Stromausfall der vergangenen Nacht war die Stadt in gespenstische Dunkelheit getaucht - Die Schlacht am Flughafen war und ist immer noch so heftig, dass man sie von der Stadt aus hören und sehen kann - Ein Mann, der seine Familie aus der Stadt bringen konnte, hat die unabhängigen Reporter zu sich genommen und teilt nun sein Haus und seine Vorräte mit ihnen - Seine hämmernde Frage, ob es heute Nacht sein wird,vermögen seine Gäste nicht zu beantworten.
In Kontakt mit Bagdad - Update 47

Stand: Friday April 04, 2003 at 07:15 PM

 http://italy.indymedia.org/news/2003/04/246675.php

Wird es heute Nacht sein?

Dieser Tag ist in Bagdad nicht wie die anderen. Das Gefühl, das etwas bevorsteht, das nicht wieder rückgängig gemacht werden kann,ist nicht nur in der Luft, sondern in den Straßen und in den Gesichtern der Iraqis geschnitten. Man kann es förmlich fühlen, es ist sichtbar.

Die Telefonverbindung, die ein Freizeichen gab, auf das nach so vielen Stunden nicht mehr zu hoffen war, bringt mir Kunde von einem Bagdad, das am Ende ist. Oder am Anfang von etwas, das für immer die Stadt und die Bevölkerung zeichnen wird.

Tausende Soldaten haben sich inzwischen an den Randgebieten der Hauptstadt angesammelt. Die ganze Nacht sind wieder die Lkws ohne Planen voller Miliz in Uniform aufgetaucht, die von einer Seite zur anderen des Flusses rannte. Die Bomben und die Raketen sind ununterbrochen weiter gefallen und explodiert, sie haben weiter Brände verursacht und Wohnviertel, Baumreihen, noch mal die Universität und einen Flügel des Nationalmuseums zerstört.

Und doch war die Stadt in der vergangenen Nacht voller Leute, die entlang der Mauern und der Flussufer und sogar auf den Dächern der Altstadt liefen und rannten. Die Altstadt und das gesamte urbanisierte Territorium Bagdads sind im Dunkeln geblieben, in einer furchteinflößenden, undurchdringlichen Dunkelheit.

Wer mit mir spricht packt gerade seine Sachen, verschließt Rucksack und Taschen, um woanders hinzugehen. Man vertraut dem Verbleib in kleinen Hotels nicht mehr, sie ziehen es vor, sich so gut viel wie möglich zusammen zu tun. Zum einen aus Sicherheitsgründen, zum anderen um etwas der Spannung und der Angst, die einem den Hals verschnüren, entgegenzusetzen.

Am frühen Morgen sind die bewaffneten Männer in Zivil, die oft während der Nacht die Straßen patrouillierten, mit am Gürtel befestigten Gasmasken gesehen worden. Nicht alle hatten welche. Man sagt mir aber, dass der Eindruck schrecklich gewesen ist.

Das Haus in dem sich meine Kontakte versammeln ist nicht weit von Shaab, wo der von den amerikanischen Raketen zerstörte Markt war. Die Fensterscheiben sind durch Holzbretter ersetzt worden, und jeder einzelne Gegenstand, der irgendwie nicht niet- und nagelfest war, wurde auf den Boden gelegt. Unter dem Haus befindet sich ein Corinthenlager, der überall einen fast berauschenden Duft verbreitet, bis in die Räume des Hauses.

Dem Besitzer ist es gerade gestern früh gelungen, seine Familie aus der Stadt hinaus zu schaffen, bis zum Bauernhof des Bruders, der kaum außerhalb Bagdads liegt. Er ist überzeugt, dass sie dort sicherer seien. Aber er verlässt sein Haus und das Lager nicht, wo er die Trauben trocknen ließ und für die Konditoreien aufarbeitete, in dem er sie mit anderen Trockenfrüchten mischte. Er bereitete Dosenobstsalat zu und brannte, trotz des formalen Verbots, einen Schnaps, der von wohlverdienter Bekanntheit war.

Von Mund zu Mund kommen die Nachrichten über die große Schlacht am Flughafen, die die ganze Nacht andauerte und ganz und gar nicht zu Ende ist. Nachrichten, die Mal euphorisch waren "wir haben sie zurückgeschickt, die Amerikaner", und Mal, die meisten Male, nicht. "100 Tote, nein, 300, wegen der Bomben der Invasoren".

Die Schlacht am Flughafen konnte man bis in die Stadt hören. Man hat sie gehört und gesehen, mit diesen Explosionen, die nicht mehr am Boden stattfanden, sondern zehn, fünfzehn Meter oberhalb der Einrichtungen und Gebäude. Es war, als würden die Bomben und die Raketen unter Verbreitung eines extrem starken gelbgrünen Lichts explodieren, das Kilometerweit alles, was drum herum war, erleuchtete. Mit einem Krach, mit einem Lärm, mit einem Explosionsgedonner, den man noch nie gehört hatte, so sehr war er gigantisch laut.

Gerade wegen seiner Arbeit mit dem Obst verwahrte der Besitzer in großen eisernen und steinernen Wannen sehr viel Wasser. Das bis vor zwei Tagen zum Kochen diente, und zum Trinken, nachdem es abgekocht worden war. Heute hat er es den Reportern, die bei ihm sind, gezeigt, und ihnen Seife und nach frisch Gewaschenem duftende Handtücher zugeworfen. Sie haben sich nicht zwei Mal bitten lassen und einander mit einem Eimer aushelfend geduscht.

Bagdad sieht aus wie befestigt, wie ein Schützengraben, wie ein Vorposten. In dem sich fünf Millionen verschreckter Stadtbewohner befinden. Die nicht mehr damit beschäftigt sind, die von den Bomben Verursachten Trümmer und den Schutt auf den Gehwegen und vor den Hauseingängen zu beseitigen, sondern damit, große und kleine Sandsäcke als schwachen Frontlinien-Schutz gegen das Einbrechen des Krieges bis in ihre Häuser, in die Gassen und in die Straßen der Hauptstadt aufeinander zu stapeln.

Meterweise rollen sie Klebeband auf, das sie über Kreuz auf die Fenster der Geschäfte und der Häuser kleben. In manchen Fällen, berichtet man mir, werden sogar die Eingänge zu den Wohnungen wortwörtlich zugemauert, in denen unheimlich viele Familien Zuflucht gesucht haben, die wie Gefangene der eigenen Häuser sind, mit letzten Nahrungs- und Wasservorräten um auf diese Nacht, die kommen muss, zu warten. Eine endlos lange Nacht.

Das Haus in dem sich die Reporter befinden, ist wie in seinem Inneren "verschoben" und weit mehr einem möglichst sicheren Beobachtungs- und Warteplatz ähnlich. Die umgekippten Betten bilden mit den am Boden liegenden Matratzen, die mit den Kissen der Sofas zusammengelegt sind, eine Art riesiges Bett, so wie die, die Kinder bauen, wenn sie spielen oder Angst haben. Fahez´s Teppiche, so heißt der Hausherr, sind ebenso im größeren Zimmer auf dem Boden ausgelegt, so dass man "weich gebettet" sitzend oder liegend essen und die Radionachrichten hören kann.

Ziegenkäse, in der Pfanne gekochtes Hühner- und Lammfleisch, mit pikanten Gewürzen und Gemüse. Die Vorratskammer von Fahez war voll, aber jetzt, wo die Familie "in Sicherheit" ist, will sie Fahez mit diesen Fremden teilen, die er für etwas verrückt hält, und immer noch in Bagdad sind, um einen Krieg zu erzählen, der jetzt wirklich nah ist. Als würde der Krieg der Bomben und der Raketen, die weiter die Stadt in Stücke reißen, nicht reichen.

Der Krieg ist jetzt wirklich nah. Der Krieg mit dem Krach der Kanonen, der Gewehre, der Panzer, mit dem Blut in den Straßen. Der Krieg des Widerstands der Stadtbewohner und der Bevölkerung gegen die Invasoren.

Aber der Krieg, wird er schon diese Nacht sein? fragt Fahez eindringlich die Reporter, während sie Gemüse putzen und wirklich nicht wissen, was sie ihm antworten könnten. Heute Nacht? Sie schauen sich gegenseitig an und vermögen es nicht einmal Worte für eine Antwort zu finden.

Möge die Nacht leicht sein.

r.
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Ergänzungen

Danke, Danke, Danke

John 06.04.2003 - 15:49
Vielen Dank für deine Übersetzungen!
Die "In Kontak mit Baghdad"-Berichte sind ein informatives Gegengewicht zu dem Einheitsbrei, der in anderen Medien zu hören ist.

Danke Euch allen...

--- 06.04.2003 - 18:07
...die ihr ein Herz habt, das Ende all dieser Opfer dieser wahsinnigen Brutalitätswelle zu sehen, wie es ist. Die großen Proteste bleiben augenblicklich aus, aber ich habe die Hoffnung, dass sich dennoch in vielen Herzen was tut. Ich glaube, der Schock ist nun doch für viele groß,(und der drohende Zeigefinger der Repression gegen Kriegsgegner weltweit tut auch, neben dem medialen Propagandaslam und den Fetzen Wirklichkeit, die bis zu uns durchdringen, seinen Teil daran) aber vielleicht werden wir alle das, was wir erfassen konnten, noch lange mitnehmen, und daraus zumindest individuell Stärke und Klarheit gewinnen, um es wenigstens innerhalb unserer eigenen Wirklichkeiten umzusetzen. Die "Eroberer" und die etablierten Medien haben sowohl moralisch als auch Image-mäßig schon längst verloren. Es wird hoffentlich in den vielen kleinen Wirklichkeiten dort in der Welt, wo gegen die Verhältnisse gekämpft wird, und auch überall dort, wo immerhin immer stärker die Zweifel am Bestehenden wachsen, auf tausenfache Weise noch zum Ausdruck kommen. Zu tun dafür gibt´s noch viel.