"Putzaktion" in Göttingen

Picco Bello 29.03.2003 11:34 Themen: 3. Golfkrieg Freiräume Repression
Neue "Sauberkeitskampagne" der Stadt Göttingen verlief nicht ungestört
„Putzaktion“ in Göttingen

Die Stadt Göttingen hat eine neue Sauberkeitsoffensive gestartet. Unter dem Motto „Göttingen putzt sich raus“ sollte diesmal nicht nur der alljährliche „Frühjahrsputz“ mit tatkräftiger Hilfe von Schulen und Kindergärten laufen, sondern eine weitreichendere Kampagne anlaufen. Ab Mai gilt nämlich ein neuer Bußgeldkatalog: wer Kippen oder Kaugummi auf die Strasse wirft, muß dann zahlen. Am teuersten wird das Graffiti-Sprühen und das Plakatieren (50 Euro). Eine Müllpolizei soll dann auf die Sauberkeit Göttingens achten. Am Samstag, den 22.März, sollte für die willigen HelferInnen eine Abschlussparty stattfinden. Da wollten wir natürlich mitfeiern.

Mit 12 Leuten haben wir deshalb eine kleine „Putzparade“ durch die Stadt hin zur Abschlussparty veranstaltet. Mit Kitteln gekleidet und diversen Putzutensilien versehen, zog die Parade laut „singend“ durch die Fußgängerzone:

Deutsche Waffen, deutsches Geld
Schaffen Ordnung in der Welt
Nur zu Hause liegt der Dreck
Und den machen wir jetzt weg
Chaos darf es nirgends geben
Danach wolln wir alle streben
Leute zeigt die Schuhe her
Dreck verteilen ist nicht mehr
Unsre Front die ist jetzt hier
Wer schafft Ordnung – Wir!

(Melodie: wie das Militär in den USA: Eine singt eine Zeile vor, alle anderen wiederholen die Zeile)
Bei der Abschlussparty angekommen, zog die Parade direkt auf die Bühne, wo gerade der Rechtsdezernent seine Ordnungsrede hielt. Mit Gesang, Parolen und Transpis (Es gibt keine saubere Stadt in einem dreckigen Krieg, gegen klinische Sauberkeit und chirurgische Schläge) wurde die Bühne in Beschlag genommen. Meyer gab auf und verließ die Bühne, ohne seine Rede beenden zu können. Nachdem das Flugblatt verlesen und viele Parolen gerufen wurden, verließ die Parade nach ca. 15 Minuten die Bühne wieder und zog durch die Fußgängerzone zurück.

Folgendes Flugblatt wurde dabei verteilt:

Liebe Mitbürger und liebe Mitbürgerinnen,
sehr geehrte Besucher und Besucherinnen Göttingens

„Göttingen soll sauber werden“ – das ist ein zentrales Anliegen unserer Politiker/innen und der Stadtverwaltung. Dieses Ansinnen finden wir sehr erstrebenswert. Wir möchten daher die Sauberkeits- und Ordnungsoffensive mit allen unseren Kräften unterstützen.
Zonen der Unordnung dürfen nirgends geduldet werden. Was unser Außenminister Fischer schon für die ganze Welt konstatierte, muss doch erst recht innerhalb Deutschlands gelten. Wenn die BRD sich anschickt in der Welt Ordnung zu schaffen, können wir nicht zulassen, dass die eigenen Städte in Müll und Chaos versinken. Erklären wir deshalb nicht nur anderen Regierungen den Krieg, sondern der eigenen Gesellschaft! Sorgen wir hier wie dort für Ordnung und Kontrolle. Keiner soll sich mehr unbeobachtet fühlen können, denn nur wer nicht kontrolliert wird, wirft seinen Müll einfach auf die Straße. Es reicht eben nicht, mehr Papierkörbe aufzustellen. Wie die Stadtverwaltung ganz richtig erkannt hat, gibt es zu viele Uneinsichtige. Daher wird folgerichtig eine Müllpolizei diesen Unbelehrbaren eine gelbe Karte zeigen. Bei wiederholtem Verstoß gibt es die rote Karte und ein Verwarngeld bis zu 50 Euro.
Wir können nur hoffen, dass die Stadt in naher Zukunft auch mehr Überwachungskameras in der Stadt anbringen wird. Auch die Müllpolizei kann ihre Augen nicht überall haben. Überwachungskameras bieten darüber hinaus die Möglichkeit, endlich auch ein einkaufsgerechtes Verhalten in der Stadt durchsetzen zu können. Schließlich ist die Innenstadt eine Konsummeile und nicht dafür gedacht, rum zu stehen oder zu sitzen oder gar zu demonstrieren und dadurch den Fußgängerverkehr zwischen den Geschäften zu behindern. Das trübt alles nur die Einkaufsfreude.
Bis es soweit ist, sind wir alle aufgefordert, mitzuhelfen. Die „Putzkolonne – Wir helfen mit“ will genau diese Unterstützung leisten.
Damit die Innenstadt sauber wird und bleibt, gelten ab sofort folgende Verhaltensregeln:




Verhaltensregeln für die Innenstadt:

1. Vor dem Betreten der Innenstadt sind die Schuhe auf selbst mitgebrachten Matten sauber zu machen oder Überzieher anzuziehen.

2. Sterile Handschuhe und Putzlappen sind ständig bei sich zu tragen. Alle Personen sind angehalten, Flecken oder ähnliches sofort zu beseitigen.

3. Das Mitbringen von Tieren in die Innenstadt ist untersagt. Sie machen den meisten Dreck.

4. Für Kinder werden extra Einkaufszonen eingerichtet. Außerhalb dieser Zonen dürfen sie ebenfalls nicht in die Innenstadt mitgebracht werden. Kinder machen Dreck.

5. Jugendliche dürfen die Innenstadt nur betreten, wenn sie ordentlich und sauber gekleidet sind, damit der ästhetische Gesamteindruck nicht beeinträchtigt wird. Außerdem müssen sie mindestens 30 Euro bei sich haben. Die Innenstadt ist eine Einkaufsmeile. (Dies gilt natürlich auch für Erwachsene!)

6. Ältere Personen sollten die Innenstadt nur betreten, wenn sie ein zügiges Gehtempo durchhalten können. Sie beeinträchtigen sonst den Einkaufsstrom.

7. Erledigen Sie zügig Ihre Geschäfte. Jedes Schlendern und Rumlungern behindert den Einkaufsstrom.

8. Wenn Sie von Mitbürgern/innen angehalten werden, weil Sie sich nicht an die Regeln halten, haben Sie den Aufforderungen Folge zu leisten. Jede Unterstützung unserer Müllpolizei ist wertvoll und willkommen.
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Ergänzungen

Saubere Städte! Saubere Gerechte Kriege!

Heike 29.03.2003 - 11:47

Und was ist daran falsch?

NettAttraktivZielstrebigIntelligent 29.03.2003 - 14:33
Gegen in jeder Hinsicht saubere Städte kann ja nun wirklich niemand etwas haben!

Sperrmüll

Schanzenratte 29.03.2003 - 14:51
Doch ich. Ich will den Sperrmüll wieder haben.

Die Saubersten Saubertreiber ist die CDU!

Julie 29.03.2003 - 22:00
Auf betreiben der Sauber CDU wurde in Vielen Komunen die Gesetzgebung dahin gehend geändert, das Graffitti und Freie Plakatierung immer Schärfer kriminalisiert wird.

Wenn dies als Aussichtslos erkannt wurde, dann wurden die Entsprechenden Flächen, meist in Ballungsräumen, als Werbefläche Privatisiert, womit auch die Interessen der Verfolgung der Wilden Plakatierung Privatisiert wurde.

Sowie die Genehmigung für Nicht Gewerbliche Plakatierung Repressiven Reeln sanktioniert, und auf betreiben der CDU Saubermänner mit Unangemessenen Gebühren belegt wurde.

Sauber!

Lust und Laune Purzel 30.03.2003 - 05:37
Schön, dass es auch in anderen Städten subversiv, lustvoll und kreativ gegen Innenstadtvertreibung, Sauberkeitswahn und Ausgrenzung angestänkert wird. Die Aktion zeigt, dass gerade für Überidentifizierung (->  http://www.contrast.org/KG) viele Ansatzpunkte gegeben sind.
Und nach den Erfahrungen, die es hier in Gießen gibt, können auch einige kleine Gruppen mit Phantasie und frechen direkten Aktion in die öffentliche Debatte um law and order eingreifen und für ausreichend Wirbel sorgen - vielleicht als Anstoss für andere Gruppen und Einzelmenschen, sich mit eigenen Ideen und bunten Aktionen in das Stadtgeschehen einzumischen. Nach einigen Monaten Widerstand gegen die Gefahrenabwehrverordnung in Gießen gehen bei einigen Leuten hier die Debatten eher dahin, Utopien und Visionen stärker zu benennen, in Diskussionen und Aktionen umzusetzen ... also Grünflächen aneignen, mit versch. Gruppen umgestalten, Arbeitsämter zu Wohnraum machen usw.

Nazipostings

Leksey 30.03.2003 - 13:19
Wieso postet hier eigentlich ständig irgendjemand unter dem namen "NettAttraktivZuverlässigIntelligent"? Abkürzung für Nazi? Wie wär´s mit Löschen?