Irak-Tagebuch von Hironobu Kubota 19.-23.3.

DS 23.03.2003 18:01 Themen: 3. Golfkrieg Militarismus
Teil 10 des Irak-Tagebuches von Hironobu Kubota, übersetzt aus dem Japanischen. Original:  http://m17n.cool.ne.jp/kubota/2003/iraq8

Hironobu Kubota ist ein Japaner unter den menschlichen Schutzschilden, die sich derzeit im Irak aufhalten, um zivile Einrichtungen vor der Bombadierung zu schützen. Er veröffentlicht seine Eindrücke in einem Foto-Tagebuch auf seiner Homepage.

Dies ist eine Übersetzung ins Deutsche.
Teil 10 des Irak-Tagebuches von Hironobu Kubota, übersetzt aus dem Japanischen.
Link zum Original:  http://m17n.cool.ne.jp/kubota/2003/iraq8
Link zur Hompage:  http://m17n.cool.ne.jp/kubota/home-ja

Hironobu Kubota ist ein Japaner unter den menschlichen Schutzschilden, die sich derzeit im Irak aufhalten, um zivile Einrichtungen vor der Bombadierung zu schützen. Er veröffentlicht seine Eindrücke in einem Tagebuch auf seiner Homepage.

Hironobu Kubota arbeitet als unabhängiger Reporter für japanische Massenmedien, insbesondere für TBS TV  http://news.tbs.co.jp. Schon früher ist er in dieser Funktion in Krisengebieten gewesen.

Folgend sind die ins Deutsche übersetzten Einträge vom 19. bis 23. 3. 2003. Für den Originaltext und Fotos sei auf seine verwiesen.



Irak Tagebuch März 2003
Ein Report aus dem Irak

Fotos und Text: Hironobu Kubota

19. 3. 2003 - Herzlichen Dank!

Gestern gabe es einen Sandsturm. Der starke Wind hielt an, und Sand wehte bis in das Zimmer hinein. Ich benutzte zum ersten Mal Ohrwatte zum Schlafen, seit ich in das Hotel XXX kam. Ich dachte "Gut geschlafen!", doch als ich einmal aufwachte, war es 3:00 Uhr morgens. Es war nach langer Zeit eine Beruhigung für mich und meine übersensitiven Sinne nach den Erfahrungen in Afghanistan. Aber dieses erste Mal wird wohl das letzte Mal sein. Ab heute ist die Gefahr der Luftangriffe groß, deshalb kann ich keine Ohrwatte benutzen. Es war nur ein einziger Tag der Ruhe.

Die japanische Botschaft nervt! Gestern, als ich schon im Schlaf lag, rief die Botschaft in Annan ab. Beim Schlafen! Und dabei war es wieder und wieder das gleiche Thema! "Was auch kommt, ich verlasse das Land nicht. Nein ich bin kein Detektiv, deshalb werde ich die Aktionen der anderen Japaner nicht überwachen." Liebe Angestellte der Botschaft: Wenn Sie auf meine Homepage schauen, werden Sie feststellen, daß ich mir Anrufe in der Nacht verbitte. Es ist nicht gut für Ihr Ansehen, wenn es dann heißt, daß ich in einem gefährlichen Land durch Anrufe von der Botschaft an Schlaflosigkeit gestorben bin. Und wenn Sie von mir unbedingt Informationen über die Aktionen der anderen Japaner wollen, dann nicht ohne Gage. ;-)

Heute gibt es auch eine Schaltung zu mir in "Nachrichtenwald" und "News 23". [zwei Nachrichtensendungen bei TBS TV]

[Es folgt eine Beschreibung zu einem Foto.]

Soldaten in einem Bus

Die öffentlichen Verkehrsmittel fahren doch. Als ich in den Bus einstieg, waren die Hälfte der Fahrgäste Soldaten. Ich dachte daran, schnell meine Kamera zu verstecken, doch die Soldaten drängten plötzlich darauf, von mir fotografiert zu werden. Es war kaum zu glauben, wie nett sie alle waren. Einer meinte auf Arabisch zu mir so etwas wie: "Schicke diese Bilder via Satellit nach Japan!"

[hier Foto, siehe  http://m17n.cool.ne.jp/kubota/2003/iraq8]


20. 3. 2003

Ich möchte mich bei allen Lesern herzlich bedanken. Allein am 19. habe ich 92 Mails bekommen. Bei dem langsamen Internet hier, war es schwierig, allen zu antworten. 70% der Mails kam von Leuten, die ich noch nie getroffen habe. Ich freue mich für die Kontaktaufnahme über diese weite Distanz.

Bisher hatte ich nicht an Heimkehr gedacht, doch bei den Mails von so vielen Menschen habe ich Heimweh bekommen. Es scheint mir, daß wir alle zusammen mit unserer Kraft etwas erreichen können. Ein Friedensbewegung, die von keinerlei Interessen getrübt ist.

Wenn ich es schaffe, zurückzukommen, müssen wir uns unbedingt alle treffen. Wenn nicht, trefft Euch trotzdem und bitte denkt an mich. Ich glaube daran, daß wir ein neuer Anfang sind. So, ich habe alles geschrieben, was mir am Herzen lag. Nun bleibt nur noch, auf das Ergebnis zu warten.

20. 3. 2003 (Forsetzung)

4:00 am Die 48 Stunden des Ultimatums vergehen, die Zeit der letzten Aufforderung naht. In der Nacht konnte ich nicht gut schlafen, da ständig ein Hund bellte. Wenn die Raketen kommen, stirbt der wohl auch. Und auch die Katze unter der Mülltonne... all das dachte ich im Halbschlaf.

Ich muß gestehen, ich mag Katzen. In meinem Haus lebte ein 3 1/2 Jahre altes Kätzchen. Doch als ich nach Afghanistan ging, ist es von zu Hause fortgelaufen. Das war traurig. Ihr Name war Chobi. Diejenigen, die oft meine Seite besuchen, haben sicher schon verstanden. Meine Email-Adresse habe ich von meinem Kätzchen.

Huch, in dieser Situation schweife ich vom Thema ab! Es ist jetzt 4:35 Uhr, in japanischer Zeit fällt die "letzte Aufforderung" wohl auf den Abend. Hier ist es kurz vor Mittag. Die Luftangriffe sind wohl erst für die Nacht geplant, deshalb habe ich noch etwas länger zu leben.

Am Morgen kamen auf Kanal 1 des irakischen Fernsehens Bilder von japanischen Kindern, die an Anti-Kriegs Demonstrationen teilnahmen. Ich dachte: Ein bißchen zu spät. Erst gestern ist die Zahl der täglichen Mails auf 92 gestiegen. Hättet Ihr doch früher schon Interesse gezeigt! Wenn wir jetzt 100 Japaner im Irak wären, hätten wir den Krieg vielleicht aufhalten können. Jetzt denken alle nur an den Irak, aber ich glaube, Afghanistan ist wohl schon vergessen. Es gibt keine Nachrichten mehr über Afghanistan. Doch in Afghanistan entscheiden sich jetzt wichtige Dinge. Naja im Irak auch. Bitte verliert Euer Interesse nicht. Wenn Ihr Euer Interesse verliert, folgen weitere unmenschliche Kriege.

5:30 am In Bagdad heulen zum ersten Mal die Sirenen!

5:40 am Es beginnt! Obwohl keiner da war, habe ich geschrien. Schnell hole ich die Kamera und das Telefon und stürze auf den Balkon. In diesem Moment sehe ich das orange Leuchten der Luftabwehr. Und wenige Sekunden später höre ich den Krach eines Einschlags in unmittelbarer Nähe. Das war nah! Ich schrie wieder. Und wieder die Luftabwehr. In diesen wenigen Sekunden wurden 36 Tomahawk-Raketen und 2 Bunker Buster auf Bagdad abgeschossen.

8:05 am Zum dritten Mal heulen die Sirenen, doch es folgt kein Angriff.

11:00 am Ich bin müde. Trotz Schlaflosigkeit habe ich seit dem Morgen schon den sechsten Telefon-Report abgegeben. Wenn ich ständig nur am telefonieren bin, komme ich gar nicht zum Aufnehmen von neuen Informationen. Von den Gesprächen mit Tokyo erlaube ich mir 20 Minuten Pause. Ich habe sogar das Glück einen englisch Sprechenden zu finden, der für mit mir Interviews mit Irakern macht. In nur 20 Minuten Interviews! Auch den Tabak, den ich nicht rauchen will, habe ich brav geraucht. Und zum Tee wurde ich dabei eingeladen. Ein Blick in die Mailbox: 72 Nachrichten. Ich freue mich, aber ich werde wohl nicht dazu kommen, sie alle zu lesen.


20. 3. 2003 - auf der anderen Seite der Information

Ich bin müde. Wenn das so weiter geht, sterbe ich nicht im Bombenhagel sondern an einem Nervenzusammenbruch. Seit heute morgen 3 Uhr habe ich durchgehend mit Japan telefoniert. Ich hatte nicht mal Zeit, auf Toilette zu gehen, vom Essen ganz zu schweigen. :-)

Einen Telefonbericht an TBS [japanischer Fernsehsender]. Im Irak, dem Ziel der Raketen, bin ich - und auf einem der angreifenden Schiffe ist ein anderer TBS-Reporter. Irgendwie ein seltsames Gefühl. Der eine winkt den abfliegenden Raketen hinterher - und ich, der andere, schickt einen Report vom Einschlagsort. Bin ich ein Glückspilz, daß ich diese Erfahrung machen darf? Oder ein Unglücksrabe?

Wie auch immer, der erste Luftangriff war schrecklich. Und dabei geht es jetzt erst richtig los. Ob ich den über 3000 Tomahawk-Raketen auch gut ausweichen kann? Heute habe ich über 130 Mails bekommen. Ich werde wahrscheinlich nicht allen antworten können. Das tut mir leid. Ich bin jetzt schon fast am Einschlafen. Und an all die Zeitungen und Nachrichtenagenturen: Bitte mit den Telefonaten zurückhalten. Für dringende Angelegenheiten kontaktieren Sie bitte Herrn Itamura von Asia News. Wenn das so weiter geht, bricht meint Körper zusammen. (21. 3. 2003 1:50 am (GMT +9:00))


23. 3. 2003, 0:00 (GMT +9:00) Update

Nach den Luftangriffen dämmerte es zur Nacht. Es war ein furchtbarer Abend. Seit meiner Zeit in Cambodia hatte ich nicht mehr so viel Angst! Auch als ich im Bett lag, heulten die Sirenen weiter. Ich bilde mir ein, nichts mehr damit zu tun zu haben, und versuche zu schlafen. Aber schon beginnt das nächste Bombardement. Nicht gerade eine Situation, in der man gut schlafen kann. Das Bomben dauert 5 Stunden an, dann in der Morgendämmerung ist es endlich vorbei. Trotzdem es hell wird, gehen die Angriffe in verminderter Intensität weiter - aber ich kümmere mich nicht mehr darum und schlafe.

Während ich hier es hier irgendwie geschafft habe, noch am Leben zu sein, bekam ich unten stehende Mail. Ich bange in den intensiven Luftangriffen um mein Leben. Ich möchte mir solche Urteile verbitten, wenn man die Situation in Irak nicht kennt und nur die [japanischen Mainstream-] Nachrichten sieht. Niemand [von uns den menschlichen Schutzschilden] ist hier, weil er sterben will. Leute, die die Schrecken von Luftangriffen nicht erlebt haben, die mit den Menschen hier im Irak nicht gesprochen haben, solche Leute haben nicht das Recht so etwas von sich zu geben:

> Ich habe deine Website gesehen. Bist ja ein Held.
> Die Mehrheit der Japaner denkt über dich: "Stirb doch!".
> In der Netz-Community [wohl  http://www.2ch.net] bist du schon zur totalen Lachnummer geworden.
> Wenn du unbedingt sterben willst, mußt du nicht erst in den Irak,
> bleib hier in Japan als "menschlicher Schutzschild" gegen nordkoreanische Raketen!

Japan vor nordkoreanischen Raketen schützen?

Nur Japan?

Wer so denkt, schreit nach Krieg.

Sicher, Iraks derzeitige Administration ist nicht gut. Aber das normale Volk hat sich keines Verbrechens schuldig gemacht. Die Menschen in Irak, natürlich auch die Menschen in Japan, alle Menschen auf der Welt leben - und der Wert des Lebens ist überall gleich! Japan zu schützen ist wichtiger - aus solchen Denkweisen entstehen Kriege.
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Ergänzungen

Weiter übersetzen?

DS 23.03.2003 - 14:30
Falls Interesse besteht, kann ich die ersten neun Teile auch noch uebersetzen. Es dreht sich um die Zeit von Mitte Februar bis zum 20. Maerz, mit Eindrücken von der irakischen Bevölkerung, von Anti-Kriegs Demos in Bagdad, etc., Besuch in einem Krankenhaus, ...

Eine Einleitung auf Englisch:  http://m17n.cool.ne.jp/kubota/2003/iraq3-en

Ansonsten hoffe ich, daß Kubota sein Tagebuch weiterschreibt...

ja bitte!

jemand 23.03.2003 - 23:11
ich denke, daß solche berichte jetzt sehr wichtig sind und von vielen gelesen werden. ich würde mich freuen.
hab den link zu dieser übersetzung gleich an ein paar leute weitergeschickt.
vielen dank für die arbeit!!!

Update 2

DS 24.03.2003 - 00:22
Irak-Tagebuch von Hironobu Kubota, Update 2

Hier geht es weiter:
 http://de.indymedia.org/2003/03/46284.shtml


Update 3

24.03.2003 - 12:28
Tagebuch von einem weiteren freien Reporter, Kosuke Tsuneoka, 22.3. bis 24.3.

Hier geht es weiter:
 http://de.indymedia.org/2003/03/46312.shtml

Weiter übersetzen? Ja

edgar 25.03.2003 - 08:54
aber natürlich ein bischen aufpassen/prüfen, ob das nicht von den AMI-Killern ausgenutzt werden kann.

Ich sitze *hier oder da * mit hunderten hochmotivierten, mit xy-ausgerüsteten Kämpfern wäre z.B. nicht ganz so gut;)

Jedes Wort bzw. Beschreibung darauf prüfen, was die Killer damit machen könnten und entschärfen.

Wie schauts mit Fotos aus?

Gruß
eka