Neuer Geschichte der Kriminalisierung von baskischen Medien

Ralf Streck 01.03.2003 10:08 Themen: Medien Repression
Ich habe mal ein Feature zusammen gestellt, wo man sich über die Entwicklung der Pressefreiheit im spanischen Staat und deren Beschneidungen ein Bild machen kann. Es geht über die Schließung des Egin, Ardi Beltza bis zum neuen Fall Egunkaria. Damit, vor allem das erstmals Journalisten Folter anzeigen, ist eine völlig neue Qualität des Angriffs deutlich geworden, der noch dadurch verschärft wird, dass gegen die vorgegangen wird, die die Folter denunzieren.
Der Nationale Gerichtshof in Madrid hat mit einem Trick gestern eine Entscheidung über die vorläufig geschlossene „Euskaldunon Egunkaria“ (Baskische Tageszeitung)  http://germany.indymedia.org/2003/02/42140.shtml vertagt. Die Zeitung traf das gleiche Schicksal wie die Zeitung und Radio „Egin“ 1998  http://www.jungewelt.de/1998/07-18/007.htm oder die Monatszeitschrift Ardi Beltza (Schwarzes Schaf).  http://www.jungewelt.de/2001/04-04/006.shtml Dabei wurde deren Chef, Pepe Rei, gar zum vierten Mal wegen angeblicher Unterstützung oder Mitgliedschaft in der ETA verhaftet.  http://www.jungewelt.de/2001/01-20/006.shtml Er selbst wies diese Vorwürfe weit von sich.  http://www.jungewelt.de/2000/11-20/015.shtml Nach Monaten wurde er frei gelassen und der Nationale Gerichtshof bescheinigte ihm und einem Video, dass angeblich der ETA zur Vorbereitung von Anschlägen gedient haben soll, als „legitime journalistische Arbeit“.  http://www.jungewelt.de/2001/06-14/005.shtml Tatsächlich will der umstrittene Ermittlungsrichter, Baltasar Garzón, den streitbaren Journalisten aus dem Weg räumen, weil der auch zahlreiche Verwicklungen des Richters in merkwürdige Vorgänge aufgedeckt hat.  http://www.jungewelt.de/1999/11-23/008.shtml

Tausende Persönlichkeiten im gesamten spanischen Staat protestieren gegen die Schließung des Egunkaria, selbst in der französischen Polizei und bei höchsten Politkern werden die Verbote von etlichen Gruppen, Medien und sogar einer Partei als „Delikte gegen die Meinungsfreiheit“ abgelehnt. Alle Organisationen der baskischen Linken die in Spanien verboten worden sind, arbeiten in Frankreich bisher legal weiter. Daran wird sich offensichtlich auch nichts ändern, wie der Bernard Squarcini, der zweite Mann der französischen Polizei.  http://www.jungewelt.de/2003/02-20/006.php Daran änderte sogar nichts, dass Spanien die Gruppen teilweise auf die „Terror-Liste“ der EU setzen ließ.  http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/11582/1.html

Es ist sicher kein Zufall, dass die Staatsanwaltschaft ausgerechnet den Chef der „vorläufig verbotenen Partei“ Batasuna (Einheit), www.batasuna.org Arnoldo Otegi, ausgesucht hat, um die Kriminalisierung derer zu beginnen, welche die Folter der Journalisten angreifen  http://germany.indymedia.org/2003/02/42843.shtml Batasuna ist es ebenso ergangen wie der Tageszeitung. Noch bevor ein offizielles Verbotsverfahren abgeschlossen wurde, hat Garzón die Partei schon mal vorläufig verboten, weil sie angeblich Teil der ETA ist.  http://www.jungewelt.de/2002/08-27/001.php Dabei sieht es in dem Verfahren alles andere als gut aus. So kommen neue Beschuldigungen mehr als gelegen.  http://www.jungewelt.de/2003/01-15/010.php

Die Staatsanwaltschaft wirft Otegi vor, den spanischen König bei seinem Besuch am Mittwoch als „Chef der Folterer“ genannt zu haben. Da in Spanien schon Menschen wegen Beleidigung des Königs verurteilt wurden, weil sie eine Briefmarke mit dessen Kopf umgekehrt auf einen Brief geklebt hatten, muss Otegi mit harten Konsequenzen rechnen.

Dabei ist die Äußerung völlig korrekt. Etliche Organisationen wie die UNO, der Europarat und Amnesty International kritisieren die Folterpraxis der Guardia Civil seit vielen Jahren.  http://heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12359/1.html Sogar in Spanien sind, wie der Guardia Civil-Chef Galindo immer wieder Militärangehörige wegen Folter verurteilt worden, dass die meist schnell begnadigt werden, steht auf einem anderen Blatt.  http://www.jungewelt.de/2002/08-27/001.php Zwar sind nach Artikel 14 der Verfassung alle „Menschen vor dem Gesetz gleich“, doch um den König vor einer möglicher Strafverfolgung zu schützen, wurde Verfassung ganz auf den zu geschnitten, dem der sterbende Diktator die Macht 1977 übergeben hatte.

So legt die spanische Verfassung in Artikel 56 die absolute Straffreiheit des Königs fest. Schließlich hatte Juan Carlos de Borbón bei einem „Unfall“ seinen Bruder erschossen, was ihm den Weg zum Thron von Diktator Francos Gnaden ermöglicht. Mit in keiner Demokratie vereinbar besagt der Artikel: „Die Person des Königs ist unangreifbar und er kann für nichts verantwortlich gemacht werden“. Da auch noch ein paar Frauen in der Thronfolge übersprungen werden musste, wurde in Artikel 57 noch postuliert, der „Mann hat Vorrang vor der Frau“.

Worauf sich Otegi bezogen hat, ist, dass der Diktator und die Verfassung dem Königshaus nicht nur eine repräsentative Rolle zugewiesen hat, sondern Spanien wurde als parlamentarische Monarchie definiert (Artikel 2), deren Ordnungsgewalt die Streitkräfte inne haben, die ihre territoriale Einheit erhalten (Artikel 8), und die der König befehligt (Artikel 62).Also hat Otegi Recht, das Juan Carlos de Borbón als Chef der Streitkräfte eben auch der Chef der verurteilten und nichtverurteilten Folterer ist. (Die letzen Absätze sind zum Teil Auszüge aus dem noch zu veröffentlichen Buch)

Während also die vom Justizminister Angel Acebes angekündigte Jagd auf alle beginnt, die behaupten, in Spanien würden nun auch Journalisten gefoltert,  http://germany.indymedia.org/2003/02/42948.shtml haben sich zahlreiche Persönlichkeiten im spanischen Staat mit der geschlossenen Zeitung solidarisiert. In einer gemeinsamen Erklärung die heute veröffentlicht wurde, greifen Professoren von Spaniens Universitäten, wie Carlos Taibo, oder Schriftstellerinnen wie Lolo Rico die Schließung der Zeitung vor zehn Tagen an: „Neben jeder weiteren Überlegung, stellt die Schließung der Zeitung einen schweren Anschlag auf die Meinungs- und Pressefreiheit dar und im Konkreten auf das Recht, diese auch in baskischer Sprache auszuüben.“ Inzwischen haben sich den 2500 Erstunterzeichner Hunderte angeschlossen. Sie fordern die „Verantwortlichen“ auf, die Schließung des Egunkaria „sofort aufzuheben.“ Hier findet ihr eine Übersetzung der Erklärung  http://germany.indymedia.org/2003/02/42960.shtml während ihr bei  http://www.vientosur.info/solidaridades/egunkaria/index.php das Original mit den bisherigen Unterzeichnern einsehen und auch unterzeichnen kann.

Das Blatt wird von Solidaritätserklärungen aus der ganzen Welt überflutet.  http://germany.indymedia.org/2003/02/42427.shtml Weitere Soliadressen könnt ihr bei den Adressen  egunkaria@wanadoo.fr oder  egunaurrera@yahoo.com loswerden. Noch Wochen wird das Übergangseblatt Egunero (www.egunero.info) brauchen um im „Täglichen“ auf zwei Sonderseiten die Solidaritätsadressen zu veröffentlichen.  http://germany.indymedia.org/2003/02/42189.shtml Für die Wiedereröffnung haben sich Musiker wie Manu Chao oder Fermin Muguruza,  http://germany.indymedia.org/2003/02/42199.shtml die Gewerkschaften des Sozialforums in Florenz und sogar der baskische Regierungschef, Juan Jose Ibarretxe ausgesprochen, der sogar die Freilassung des Journalisten, Pello Zubiria, verlangte.  http://www.gara.net/orriak/P28022003/art53456.htm Zubiria wurde gestern von der Intensivstation eines Madrider Krankenhauses auf eine normale Station verlegt und nach neun Tagen endlich seinen Anwalt zu Gesicht bekommen, in den nächsten Tagen wird man Informationen über den angeblichen oder tatsächlichen Suizidversuch und die Behandlung in den Händen der Guardia Civil bekommen. Zubiria hat den Vorwurf, Mitglied der ETA zu sein, zurückgewiesen und mitgeteilt, über die „Vorgänge“ während der Kontaktsperre. Inzwischen bekam auch der Jesuit und Radiojournalist bei Herri Irratia, Juan Mari Torrealdei, einen Anwalt erhalten, der seinem Zeugnisverweigerungsrecht als Priester gerecht wird. Der Chef des Egunkaria hat in einem Interview eingeräumt Angst zu haben, ihm sei vor der Freilassung gedroht worden, „das Leben sei Lang“ und man werde sich „wiedersehen“. Trotzdem habe er die erlittene Folter anzeigen müssen, sonst hätte er das Land verlassen.  http://www.gara.net/orriak/P01032003/art53589.htm

Am Nationalen Gerichtshof wurde gestern die Entscheidung, ob die „vorläufige Schließung“ aufrecht erhalten wird, per Trick vertagt. Die zwei Vertreter der ebenfalls geschlossenen Firma Egunkaria S.A. befinden sich noch im Knast und wurden nicht vorgeladen. Sie müssen jetzt erst Vertreter benennen, damit über die Schließung weiter verhandelt werden kann. Die Staatsanwaltschaft forderte, die „vorläufige Schließung“ um sechs Monate zu verlängern, mit der Möglichkeit das Verbot weiter auszuweiten. Iñigo Iruin, von der Verteidigung forderte die sofortige Aufhebung der Maßnahme. Dieses Vorgehen sei nur in einem „Ausnahmezustand“ möglich argumentierte er. Unterstützt wird er durch ein Rechtsgutachten, dass von weit über 300 baskischen Anwälten unterzeichnet wurde. Das Gutachten stützt sich auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts von 1987. Damals urteilten die Richter, auch eine „vorläufige Schließung“ sei nur erlaubt, wenn damit direkt Straftaten verhindert würden. Da alle Vorwürfe mehr als 10 Jahre zurück lägen, seien keine vorläufigen Maßnahmen statthaft. Die Aktion die Zeitung zu schließen bezeichnen die Anwälte als „illegal“ und „verfassungswidrig“.  http://www.gara.net/orriak/P01032003/art53586.htm

© Ralf Streck, San Sebastian den 01.03.2003
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