Neonazis kein Problem in nordberliner Jugendeinrichtungen?

Antifaschistisches Aktionsbündnis III [A3] 24.02.2003 01:22 Themen: Antifa
Im Anschluß an die [A3]-Demonstration am 1. Februar gegen neofaschistische Tendenzen im Berliner Nordosten, bei der auch Kritik an mehreren Jugendeinrichtungen im Kiez erhoben wurde, entwickelte sich eine erhitzte Debatte, die vorwiegend von SozialarbeiterInnen der betreffenden Clubs und Mitgliedern des Jugendhilfeausschusses angestoßen wurde. Von "Diffamierung" gegen die Einrichtungen durch die DemoveranstalterInnen war da ebenso die Rede, wie von "Krawall vor Jugendclubs" wegen einiger Silvester-Knaller. Mit letzterem Zitat (und zahlreichen weiteren) hetzte ausgerechnet eine Kiezzeitung (Berliner Wochenblatt) gegen AntifaschistInnen, die bisher Rechtsextremismus im Bezirk fast gänzlich verschwieg und damit verharmloste.

Zu den erhobenen Vorwürfen möchten wir hier in Form einer Pressemitteilung Stellung nehmen.
Antifaschistisches Aktionsbündnis III [A3],
Postfach 580724,
10415 Berlin,
 http://a3.antifa.de,
 a3.berlin@firemail.de

Richtigstellung der Berichterstattung über die antifaschistische Demonstration am 01.02.2003 und die Vorwürfe gegen Weißenseer Jugendklubs

Kurze Zusammenfassung

Die Berichterstattung im „Berliner Abendblatt Weißensee“ vom 12.02.03 und im „Berliner Wochenblatt – Lokalzeitung für Weißensee“ vom gleichen Tag sowie in der Lokalzeitung „Nordberliner“ (06.02.03) und der „Berliner Morgenpost“ über die Antifa-Demo vom 01.02.03 in Weißensee und die Auseinandersetzung zum Thema rechtslastiger Jugendklubs (Hosemannstr., HOF 23, Mahlerstr. 20) war voller Lügen und Fehler. Aufgrund von vor Zeugen getroffenen Aussagen von Polizeivertretern und Mitarbeitern des Jugendklubs Mahlerstr. 20 können wir AntifaschistInnen belegen, daß die Demo weitestgehend friedlich war, die als „Krawall“ bezeichneten Vorgänge diesen Namen bei weitem nicht verdienen und die Mitarbeiter der Jugendklubs Mahlerstr. 20 in der Presse falsche Angaben über die Situation in ihrer Einrichtung gemacht haben.

Untenstehendes beweist, daß die Kritik des [A3] in allen wesentlichen Punkten berechtigt war und führt diese Kritik noch einmal kurz und mit den wesentlichen Antifa-Informationen aus.

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Am 01.02.03 fand im Rahmen der diesjährigen Antifa Aktionswochen eine antifaschistische Demonstration des [A3] statt, bei der die rechte und neofaschistische Vormacht in Weißensee anhand von Wohnorten prominenter Nazikader, anderen Orten des Rechtsextremismus sowie des mehrfach geschändeten Weißenseer Jüdischen Friedhofs thematisiert wurde. Insbesondere riefen wir zur Solidarität mit dem alternativen Jugendklub „Bunte Kuh“ (Parkstr. 16) auf, der in der jüngeren Zeit zweimal schweren Angriffen von Neonazis ausgesetzt. Außerdem zog die Demonstration an drei Jugendklubs (Hosemannstr., HOF 23, Mahlerstr. 20) vorbei und kritisierte sie wegen ihres Umgangs oder vielmehr Nicht-Umgangs mit rechten BesucherInnen. Danach kam es im „Berliner Abendblatt Weißensee“ vom 12.02.03 und im „Berliner Wochenblatt – Lokalzeitung für Weißensee“ vom gleichen Tag zu falschen Darstellungen der Vorgänge. Verzerrte Schilderungen waren ebenso in der Lokalzeitung „Nordberliner“ (06.02.03) und der „Berliner Morgenpost“ zu lesen. Diese Verzerrungen wollen wir AntifaschistInnen aus Nordostberlin richtig stellen.

Grundlage der Falschdarstellungen scheint zum Teil die Pressemitteilung von Sascha Kummer (vom 02.02.03) gewesen zu sein, seines Zeichens jugendpolitischer Sprecher der PDS Berlin III (Nordostberlin). Das [A3] stellt klar: Entgegen den Behauptungen Hr. Kummers war das Ziel der Demo nicht die Diffamierung von Jugendeinrichtungen, sondern das Hinweisen auf rechte Anteile unter der BesucherInnenschaft und fehlende Konzepte der Auseinandersetzung mit diesem Problem. So wurde kein einziger der drei kritisierten Klubs als „Hort von Neonazis“ bezeichnet, wie von Hr. Kummer behauptet (die Redebeiträge liegen beim [A3] auf Anfrage zur Einsicht und auch Hr. Kummer wurden sie übergeben, so dass er ihren Wortlaut kennt). Verwiesen wurde lediglich darauf, dass das Nichtverhalten der Mitarbeiter der Jugendeinrichtungen zum Problem rechter Denk- und Verhaltensweisen unter „ihren“ Jugendlichen, dazu beiträgt, dass in weiten Teilen Weißensees eine rechte kulturelle Hegemonie existiert, aus der wiederum gewalttätige Übergriffe gegen alternative Jugendklubs und Jugendliche entstehen, die zum Teil lebensbedrohliche Folgen hatten und haben.

Die Erlangung kultureller Hegemonie in sozialen Räumen ist ein wichtiger Bestandteil der politischen Machteroberungsstrategie von Faschisten und Neonazis. Um solche schrittweisen Versuche der Rechten abwehren zu können, bedarf es aktiver Gegenkonzepte wie der Verdrängung organisierter und ideologisch gefestigter Rechtsextremisten aus den Jugendeinrichtungen und der Stärkung nicht-rechter Jugendszenen. Die Existenz politisch neutraler Jugendlicher in den Jugendklubs entschärft das Problem des Neofaschismus nicht, denn solange keine offene Positionierung gegen Rechte erfolgt, können diese den Trend in Jugendcliquen und –Klubs bestimmen und somit ungestört an der Festigung ihrer Machtposition und der Rekrutierung neuer Anhänger arbeiten.

Für die auf die Mahlerstr. geworfenen Knallkörper tragen die Demo-OrganisatorInnen keine Verantwortung; wir bedauern die Vorfälle. Ihre Darstellung von Seiten Hr. Kummers bzw. der Mitarbeiter der Mahlerstr. (im Wochenblatt) entbehrt aber jeder Verhältnismäßigkeit. Das dieser Pressemitteilung anhängende Demo-Beobachtungsprotokoll des „Arbeitskreises Kritischer JuristInnen“ (AKJ) wertet das Verhalten der Demonstrationsteilnehmer als „besonnen“ und belegt, dass bei den turbulenten Szenen vor dem HOF 23 vom Lautsprecherwagen der Demo zum Weitergehen aufgefordert wurde. Ähnlich äußerte sich der Polizei-Einsatzleiter bei der Demo, Hr. Würger vom Polizeiabschnitt 75, beim jugendpolitischen Runden Tisch am Montag, dem 10.02.03 im Bezirksamt Fröbelstr. Hier war auch Sascha Kummer anwesend und hätte sich ein wahrheitsgemäßes Bild machen können. Die überzogene und Vorgänge falsch darstellende Reaktion Hr. Kummers beweist, dass dieser den politischen Hinweis auf ein Problem mit Rechtsextremismus offensichtlich nur als „Diffamierung“, „Belagerung“ und Ähnliches verstehen kann.

Im Gegenteil war die Demo am 01.02.03 laut, bunt, und nach Äußerungen der Polizei (s.o.) auch friedlich und thematisierte noch viele andere Facetten des Rechtsextremismus in Weißensee. Zu den einzelnen Jugendklubs: Wir begrüßen aufs stärkste die zumindest verbale Bereitschaft der MitarbeiterInnen des HOFs 23 sich mit der Problematik auseinanderzusetzen. Besonders bieten wir Hr. Wilfried Wild und dem HOF 23 Gespräche und Kooperation an – wie auch allen anderen Akteuren im Bezirk. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es im Zusammenhang mit Eintrittsbeschränkungen für ausländische Jugendliche im HOF 23 zu rassistischer Selektion kam. Dies wurde beim schon erwähnten jugendpolitischen Runden Tisch am 10.02. deutlich, wo Details der Vorfälle bekannt wurden.

Ein Mitarbeiter äußerte sich dahin gehend, dass Nichtdeutschen die Messer locker sitzen würden, was eine rassistische Pauschalisierung darstellt. Bekannt ist ferner, daß zur Besucherschaft des HOF 23 an Wochenenden auch teilweise namentlich bekannte Neonazikader aus dem Spektrum der „Freien Kameradschaften“ gehören (Details können beim [A3] erfragt werden). Vor diesem Hintergrund müssen wir unser Drängen nach einer veränderten, gegen Nazismus und Rassismus gerichteten Jugendarbeit im HOF beibehalten. Das ist umso bedauerlicher, als es in der Vergangenheit bereits mehrfach zu enger Zusammenarbeit zwischen dem HOF 23 und dem Antifaschistischen Aktionsbündnis III gekommen war.

Zur Jugendeinrichtung in der Hosemannstr. (Prenzlauer Berg): AntifaschistInnen haben in diesem Jugendklub Jugendliche mit Kleidungsstücken gesehen, auf denen sich eindeutig rechte, politische Aufdrucke befanden. Der einzige Kommentar des Leiters beim jugendpolitischen Runden Tisch war, dass dies für ihn kein Grund zum Einschreiten sei. Genau diese Ignoranz kritisieren wir AntifaschistInnen!

Besonders skandalös ist das Verhalten der Mitarbeiter des Jugendklubs Mahlerstr. 20. Während diese, namentlich Gordon Averdung, Andreas Sasse und Andreas Karbe, sowohl bei der öffentlichen Vorstandssitzung der PDS Berlin III am 03.02.03 (anwesend u.a.: der Vorsitzende Gernot Klemm, der Vizevorsitzende Klaus Lederer, Sascha Kummer, Vorstandsmitglied Gerd Kramer, die PDS-BVV-Abgeordnete Ines Pohl und weitere, darunter auch Vertreter des [A3]) als auch beim jugendpolitischen Runden Tisch am 10.02.03 im Bezirksamt Pankow (anwesend u.a.: Jugendstadträtin Christine Keil, Gernot Klemm, Ines Pohl, PressevertreterInnen, Leute von der Moskito-Netzwerkstelle, der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ und vom SPI-Ostkreuz, Vertreter des [A3]) zugaben, rechts orientierte Jugendliche regelmäßig im Klub zu haben, Nazisymbole (eingeritzte SS-Runen) bemerkt zu haben und kein Konzept gegen nationalistische, rassistische und antisemitische Denk- und Verhaltensmuster vorweisen zu können, leugneten sie dies im Berliner Wochenblatt vom 12.02. Man versuchte sich im Wochenblatt mit einem vor Zeiten durchgeführten deutsch-israelischen Jugendaustausch reinzuwaschen.

Fakt ist aber, dass es dabei kaum zu Kontakten zwischen Israelis und „Mahler-Jugendlichen“ kam, da der Jugendklub in dieser Zeit meistens geschlossen war. Die Äußerungen Sasses im Wochenblatt, wonach die meisten Jugendlichen in der Mahlerstr. mit dem Wort „Nationalsozialismus“ nichts anfangen könnten und noch keine politische Gesinnung entwickelt hätten (also auch keine antifaschistische oder zumindest demokratische!), sind nichts als ein Armutszeugnis für eine Jugendeinrichtung, die Träger politischer Bildungsarbeit in Pankow sein soll und will.

Das [A3] verurteilt diese Vertuschungsstrategie, die einen Schlag ins Gesicht aller Neonaziopfer und aller von Neonazis gefährdeten Menschen darstellt. Wir fordern den Jugendklub Mahlerstr. 20 und seinen Träger Juventus e.V. auf, sich endlich dem Problem zu stellen, anstatt diejenigen zu diffamieren, die darauf hingewiesen haben.

Das [A3] hat nie die Schließung irgendeiner Einrichtung gefordert und wird dies auch in Zukunft nicht tun. Es geht uns nicht um Diffamierung, sondern um die politische Forderung an die Verantwortlichen in Jugendsozialarbeit und Bezirksverwaltung, endlich wirksame Konzepte gegen die rechte Jugendszene zu entwickeln und umzusetzen. Es sollen endlich einmal die Opfergruppen unterstützt werden, anstatt die Täter zu hätscheln und in Schutz zu nehmen! Ziel muß eine Situation sein, die allen Menschen unabhängig von Geld, sozialem Status, Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft eine möglichst freie Entfaltung ermöglicht. Für die Erarbeitung und Verwirklichung solcher Konzepte stehen wir AntifaschistInnen als Gesprächspartner zur Verfügung, so wie wir dies mit unserer Teilnahme am Runden Tisch praktiziert haben.

Die Reaktion der kritisierten Jugendklubs, anderer politisch Verantwortlicher und der o.g. Medien macht die Täter zu Opfern; macht in einem Bezirk, indem alle Wochen gewalttätige rechte Übergriffe stattfinden, diejenigen zum Problem, die darauf hinweisen (demonstrare heißt „hinweisen“!) und nicht die VerursacherInnen: Neonazis, ihren Anhang und eine ignorante Öffentlichkeit. Wo waren Medienberichte und Runde Tische, als der alternative Jugendklub Bunte Kuh überfallen wurde oder ein junger Punk im Sommer 2002 am Weißen See fast tot geschlagen wurde?

Anstatt das [A3] zu konsultieren, wie es journalistische Sorgfalt erfordert hätte, wurden von verschiedenen Blättern falsche Darstellungen ungeprüft übernommen. Am schlimmsten war der „Nordberliner“ vom 06.02.03. Auch hier wurden ein paar Böller zum „Krawall“ aufgeblasen, aber v.a. wurden die Bunte Kuh und ihre jugendlichen BesucherInnen fälschlicherweise als OrganisatorInnen der Demo und als KrawallmacherInnen dargestellt. Wir stellen klar: Das [A3] ist in keiner Weise identisch mit der Bunten Kuh, sondern ein unabhängiger Zusammenschluß linker antifaschistischer Gruppen aus ganz Nordostberlin und sogar darüber hinaus.

Allerdings solidarisieren wir uns mit der Bunten Kuh, weil sie mehrmals von Neonazis überfallen wurde und weil sie unseres Wissens der einzige Weißenseer Jugendklub ist, dessen Konzept sich ausdrücklich gegen Rechtsextremismus stellt. Zur Unterstützung der bedrohten „Kuh“ aufzurufen, war ein Hauptanliegen unsere Demonstration; wir wiederholen es hiermit.

Wir behalten uns vor, bei sämtlichen evtl. noch folgenden Falschdarstellungen der Vorgänge durch Personen und Medien rechtliche Schritte zu unternehmen. Desgleichen behält sich das [A3] vor, auf dem Wege journalistischer Berufsorganisationen gegen Diffamierungen vorzugehen.

Bettina Simon

Pressesprecherin Antifaschistisches Aktionsbündnis III [A3]
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Ergänzungen