Vom Standesamt in die Abschiebehaft

PARAC - LB 20.02.2003 14:42 Themen: Antirassismus
Am 19.2. wurde die Kurdin Zerrin Gezer in Bad Canstatt (Stuttgart) auf dem Standesamt verhaftet. Sie war dort gemeinsam mit ihrem Verlobten, um Formalitäten für ihre geplante Hochzeit zu erledigen.
Artikel aus der Stuttgarter Zeitung
Quelle: www.infoladenludwigsburg.de

Vom Standesamt in die Abschiebehaft

Florian Schulz wollte eine Illegale heiraten und sucht jetzt nach Wegen zu seiner Braut

Gestern morgen noch ist Florian Schulz mit seiner Verlobten auf dem Standesamt gewesen, gestern Mittag schon war die Auserwählte in Abschiebehaft. Der 23-jährige Zimmermann versteht die Welt nicht mehr, die Behörden verweisen auf die Gesetzeslage und ein Gerichtsurteil.

Von Nicole Höfle

Um halb neun saßen Florian Schulz und die Kurdin Zerrin Gezer vor der Amtsstube im Standesamt in Bad Cannstatt. Die Papiere hatten sie in der Tasche und die fröhliche Erwartung im Bauch, in Kürze zu heiraten. Rosenmontag oder Aschermittwoch hatte sich das Paar ausgeguckt. "Wir waren sicher, dass alles gut gehen würde", sagt Schulz.

Die Standesbeamtin hatte das Paar am Morgen ins Zimmer gerufen, sich die Unterlagen durchgesehen und noch gefragt, ob sie ihre Heirat im Amtsblatt veröffentlichen möchten. Wollten sie nicht, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Denn wenige Minuten später war die 21 Jahre alte Zerrin Gezer von zwei Polizisten abgeführt worden. Die Kurdin hält sich seit drei Jahren illegal in Deutschland auf, die beiden hatten gehofft, ihren Status mit der Heirat legalisieren zu können. Was theoretisch möglich ist, funktionierte bei den beiden nicht mehr. Für den Zimmermann ein Schock, für im Ausländerrecht Bewanderte eine logische Konsequenz: Die Kurdin hätte längst freiwillig ausreisen und von der Türkei aus ein Visa für die Eheschließung beantragen müssen. Dann wäre eine Heirat in Deutschland möglich gewesen, und sie hätte bleiben dürfen.

Die beiden hatten sich an Pfingsten in der Wilhelma kennen gelernt, sich ein paar mal getroffen, und im September war sich Schulz sicher, seine Frau fürs Leben gefunden zu haben. Die beiden haben sich verlobt und mit Sekt und Freunden gefeiert. Seit Dezember hat Florian Schulz eine Wohnung im Hallschlag, seit ein paar Wochen eine Arbeit in Weilimdorf, was ihm seit gestern fehlt, ist seine Braut. Zerrin Gezer hatte sich in den vergangenen drei Jahren ohne festen Wohnsitz durchgeschlagen: Sie war für ein paar Wochen bei Freunden untergekrochen, dann wieder weitergezogen, immer in der Angst, gefasst zu werden.

Für das Regierungspräsidium (RP) ist der Fall klar: 1998 ist der Asylantrag von Zerrin Gezer abgelehnt worden, ihre Ausreisefristen waren ein paar mal verlängert worden, irgendwann dann nicht mehr. 1999 ist die Kurdin aus der Türkei untergetaucht und ist seither wegen illegalen Aufenthalts zur Fahndung ausgeschrieben. Im Januar noch hatte das Verwaltungsgericht über den Fall entschieden und die Erteilung einer Duldung zur Eheschließung per einstweiliger Anordnung abgelehnt. Auf die Gerichtsentscheidung beruft sich Marc Frank, der Sprecher des RP: "Auch das Gericht hat keinen Grund gesehen, die Aufenthaltsbeendigung außer Kraft zu setzen." Für die Stadt Stuttgart ist der Fall ebenfalls eindeutig: "Es gibt eine klare Dienstanweisung, dass die Standesbeamten in solchen Fällen die Polizei einschalten müssen", sagt Richard Schlechter, persönlicher Referent des Oberbürgermeisters. Solche Fälle seien allerdings eine "absolute Ausnahme".

Florian Schulz hat in der Entscheidung des Gerichts nicht die Schlussfolgerung, sondern eine einzelne Passage gelesen: "Auch eine beabsichtigte Eheschließung allein stellt grundsätzlich kein Abschiebungshindernis dar. Es ist indessen nicht ausgeschlossen, dem Artikel 6 des Grundgesetzes Vorwirkungen in bestimmten Fällen auch in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht beizumessen." Nach der Festnahme seiner Verlobten gibt es für ihn nur noch eines: "Einen Weg zu finden, wie wir wieder zusammenkommen können." Der aber könnte steinig werden. Wenn Zerrin Gezer nach ihrer Abschiebung ein Visa zur Eheschließung beantragt, muss sie erst einmal warten. Die Einreisesperre kann ein bis fünf Jahre betragen.
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