"Bundesdeutsche und ihre tödlichen Folgen" 10 Jahre im Rückblick

Antirassistische Initiative Berlin 29.01.2003 19:51 Themen: Antirassismus
Die Dokumentation ist eine chronologische Sammlung von Einzelschicksalen,
in denen Menschen körperlich, in besonderen Fällen auch seelisch zu Schaden gekommen sind.
Diese Menschen sind Flüchtlinge, also Menschen im oder nach einem Asylverfahren oder Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere für die BRD. Menschen, die sich im Lande aufhalten oder aufgehalten haben.

Die Zusammenstellung umfaßt:

Todesfälle und Verletzungen bei Grenzüberquerungen; Selbsttötungen, Selbsttötungsversuche und Verletzungen von Flüchtlingen aus Angst und auf der Flucht vor Abschiebungen; Todesfälle und Verletzungen vor, während und nach Abschiebungen.
Sie umfaßt auch Berichte über Fluchtversuche, die deutlich machen, welche lebensbedrohlichen Bedingungen Flüchtlinge auf sich nehmen müssen, um heute in die BRD zu gelangen. Fluchtversuche, die oft nur durch Zufall nicht tödlich für die Flüchtlinge endeten.
Diese Zusammenstellung umfaßt Brände in Flüchtlingsunterkünften und Anschläge auf Flüchtlingssammellager.
Die Aufzählung rassistischer Angriffe auf Flüchtlinge auf deutschen Straßen beinhaltet wohl die größte Dunkelziffer.

Nicht mit aufgeführt sind die Menschen, die durch Arbeitsverbot, durch Beendigung der Aufenthaltsgenehmigung oder durch Fluchthilfeschulden in sogenannte nicht legale Arbeit gedrängt wurden und dabei zu Tode kamen oder verletzt wurden. In den letzten Jahren wurden mindestens 50 Menschen bei Verteilungskämpfen im Zigarettenhandel getötet (TS 24.4.99).
10. aktualisierte Auflage der Dokumentation

"Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen "
10 Jahre im Rückblick - 1993 bis 2002 -
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Die Zahl der Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Asyl beantragten, war 2002
mit 71.127 die niedrigste seit 1987. Zugleich ist die Anerkennungsquote für
politisches Asyl von 1,8 Prozent die niedrigste denn je. Das "Kleine Asyl"
(Abschiebeschutz aus politischen oder humanitären Gründen) erhielten nur noch
3,2 Prozent der AntragstellerInnen. Diese "erfreuliche Entwicklung"
(Bundesinnenminister Schily) ist das Ergebnis der immer restriktiver umgesetzten
Asylgesetze zum einen und der geschlossenen Grenzen des Landes zum anderen.
Der 10-Jahres-Rückblick der vorliegenden Dokumentation, in der über 3000
Einzelschicksale beschrieben werden, macht deutlich, daß die Chance, in der BRD
Schutz und Sicherheit zu finden gegen Null läuft. Die Lebensbedingungen für
Flüchtlinge sind heute brutaler denn je.


DIE DOKUMENTATION UMFASST DEN ZEITRAUM DER LETZTEN 10 JAHRE:
VOM 1.1.1993 BIS 31.12.2002.

137 Flüchtlinge starben auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an
den Grenzen,
davon allein 106 an den deutschen Ost-Grenzen*,
389 Flüchtlinge erlitten beim Grenzübertritt Verletzungen, davon 229 an den
deutschen Ost-Grenzen*,
111 Flüchtlinge töteten sich angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben
bei dem Versuch,
vor der Abschiebung zu fliehen; davon 45 Menschen in Abschiebehaft,
385 Flüchtlinge haben sich aus Angst vor der Abschiebung oder aus Protest gegen
die drohende
Abschiebung (Risiko-Hungerstreiks) selbst verletzt oder versuchten, sich
umzubringen; davon
befanden sich 243 Menschen in Abschiebehaft,
5 Flüchtlinge starben während der Abschiebung und
206 Flüchtlinge wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Mißhandlungen während der
Abschiebung verletzt,
18 Flüchtlinge kamen nach der Abschiebung in ihrem Herkunftsland zu Tode und
mindestens
337 Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und
gefoltert,
44 Flüchtlinge verschwanden nach der Abschiebung spurlos,
10 Flüchtlinge starben bei abschiebe-unabhängigen Polizeimaßnahmen;
272 wurden durch Polizei oder Bewachungspersonal verletzt,

57 Menschen starben bei Bränden oder Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte,
582 Flüchtlinge wurden z.T. erheblich verletzt,
11 Menschen starben durch rassistische Angriffe auf der Straße.


EIN FAZIT:
Durch staatliche Maßnahmen der BRD kamen 281 Flüchtlinge ums Leben -
durch rassistische Übergriffe starben 68 Flüchtlinge.


Beispiel aus der Dokumentation:

ASYLANTRAG ABGELEHNT - ABGESCHOBEN - ZUM TODE VERURTEILT

Der heute 37 Jahre alte Dozent der Ingenieurwissenschaften Professor Davinder
Pal Singh Bhullar wurde am 18. Januar 1995 mit einer Lufthansa-Maschine nach
Indien abgeschoben. Am Indira Ghandi International Airport in Neu Dehli erfolgte
seine Übergabe durch Lufthansa-Personal an die indische Einwanderungsbehörde.
Hier wurde er sofort festgenommen und kam in Untersuchungshaft.
Herrn Bhullar wurde die Beteiligung an einem Bombenattentat vorgeworfen. Unter
Folter entstand ein "Geständnis", das er später widerruft.
Am 24. August 2001 wurde Davinder Pal Singh Bhullar allein aufgrund des
erzwungenen "Geständnisses" zum Tode verurteilt. DIE ERGEBNISSE EINER LETZT-
MÖGLICHEN REVISION UND EINES GNADENGESUCHES AN DEN PRÄSIDENTEN VOM 16. JANUAR
2003 WERDEN TÄGLICH ERWARTET. BEI NEGATIVER ENTSCHEIDUNG IST DAMIT ZU RECHNEN,
DAß DIE HINRICHTUNG UNMITTELBAR NACH DEM URTEIL ERFOLGT.
Davinder Pal Singh Bhullar war vor seiner Flucht aus Indien als
Führungsmitglied der Khalistan-Liberation-Force und der Sikh Student Federation
politisch aktiv. Ab 1983 war er mehrere Male von der Polizei festgenommen und
zum Teil wochenlang mißhandelt worden. Als er 1994 erfuhr, daß sein Vater und
sein Onkel umgebracht worden waren, beschloß er, nach Kanada zu fliehen.
Im Frankfurter Flughafen fielen seine gefälschten Papiere auf, und er wurde -
diesmal von deutscher Polizei - festgenommen. Er beantragte Asyl, das abgelehnt
wurde.
AM 6. OKTOBER 1997, KNAPP ZWEI JAHRE NACH DER ABSCHIEBUNG, STELLTE DAS
FRANKFURTER VERWALTUNGSGERICHT RECHTSKRÄFTIG FEST, DAß DIE ABSCHIEBUNG VON
DAVINDER PAL SINGH BHULLAR NICHT HÄTTE STATTFINDEN DÜRFEN, WEIL DROHENDE FOLTER
UND TODESSTRAFE EINDEUTIG ABSCHIEBEHINDERNISSE DARSTELLEN.


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Die Dokumentation ist bei uns auf Papier (DIN A4 - 265 Seiten, Ringbindung) und
demnächst auf CD-Rom erhältlich
zum Preis von 10,00 EUR (bei Versand: plus 1,60 EUR für Porto & Verpackung);
im Netz ab Februar unter der Adresse: www.berlinet.de/ari/titel.htm
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* die Angaben für 2002 werden sich noch erhöhen, weil die offiziellen Zahlen
des Bundesinnenministeriums noch nicht vorliegen
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Ergänzungen

Dank an die Verfasserinnen

Uwe Kurzbein 14.02.2003 - 09:38
Ich kann nur die nunmehr über lange Jahre immer wieder aktualisierte Ausgabe jedem, der wissen will, was in Deutschland heute wieder und immer noch möglich ist, dringend ans Herz legen. Wer diese Broschüre gelesen hat, wird nicht mehr sagen können, von nichts gewusst zu haben. Die Aufzählung all dieser menschenverachtenden Behandlungen an Menschen, denen es ohnehin saumiserabel geht, ist so fürchterlich, dass es kaum zu glauben ist, wie wir mit diesem Wissen nicht massiv helfend eingreifen. Und damit meine ich nicht nur politisch, sondern in erster Linie auch persönlich, direkt, sofort.
Einen ganz großen Dank und ausdrückliche Solidarität mit den Verfasserinnen dieses Werkes in der Hoffnung, dass diese Broschüre überall dort gelesen wird, wo es erforderlich ist.
Uwe Kurzbein