noch ein paar Eindruecke aus Porto Alegre

alegra 25.01.2003 00:18 Themen: Globalisierung
Stress bei der offiziellen Eroeffnung - Lula auf dem WSF - MST zur Situation nach den Wahlen - Antikriegsmobilisierung als Thema
Bei der gestrigen (23. Januar) Eroeffnung des dritten Weltsozialforums in den Raeumlichkeiten der Universitaet PUC gab es massiven Aerger, als Leute von draussen die Rede des neuen rechten Gorvernadors des Bundesstaats Rio Grande do Sul Rigotto (verantwortlich fuer die grosse Polizeipraesenz auf Forum und Jugendcamp) stoerten und Zugang zum Saal verlangten. Im vergangenen Jahr fand die Eroeffnung noch vor zehntausenden von Leuten im Freien statt. Ein paar huntert BuhruferInnen sind wohl noch besser als ein paar zehntausend...

Heute (24. Januar) war der erste Tag, an dem Workshops, Seminare, Konferenzen etc. stattfanden. Die gedruckten Programme waren am Vormittag immer noch nicht fertig, inzwischen wurden sie verteilt, allerdings nur in portugiesischer Sprache und vorerst nur fuer Delegierte. Ueberhaupt zieht sich die unsaegliche Spaltung in Delegierte und "Ouvintes" (HoererInnen) auch in diesem Jahr durch das Forum. Die grossen Konferenzen stehen auch in diesem Jahr nur Delegierten offen.

Einer der Hoehepunkte des Tages war der Auftritt des neu gewaehlten brasilianischen Praesidenten Lula. Vor zehntausenden von Leuten rechtfertigte er sich (angesichts von "Fica" Fica!" - "Bleib hier! Bleib hier" - Sprechchoeren) fuer seine Entscheidung, nicht nur nach Porto Alegre, sondern auch nach Davos zu fahren. Dort moechte er gegen den Irakkrieg eintreten und eine neue Weltwirtschaftsordnung fordern. Mal sehen was daraus wird. Die "Ole ole ole ola Lula Lula"-Begeisterung von riesigen Menschenmassen ist etwas gewoehnungsbeduerftig.

Am Nachmittag hatte der bekannteste Sprecher der brasilianischen Landlosenbewegung MST, João Pedro Stedile, auf einer Konferenz zum Thema Land zur Rolle des MST in der neuen Situation nach dem Regierungswechsel Stellung genommen. Manche meinten, dass MST jetzt an der Regierung sei, dem sei aber nicht so: MST werde weiter ArbeiterInnen mobilisieren, organisieren und Land besetzten - nicht um Lulas Regierung anzugreifen, sondern um ihr beim Regieren zu helfen. Das ist deswegen bemerkenswert, weil viele eine zunaechst zurueckhaltende und abwartende Haltung des MST erwartet hatten.

Ansonsten zieht sich das Thema Krieg und Antikriegsmobilsierung durch das die kleinen und grossen Veranstaltungen des Forums - mit dem Irakkrieg als "groteskestes Symbol IHRER Globalisierung und dem Widerstand dagegen als maechtigstem Symbol UNSERER Globalisierung", wie es Nicole Bullard von Focus on the Global South auf einer anderen Konferenz ausdrueckte.

alegra, Porto Alegre, 24. Januar
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Ergänzungen

ausserdem...

TLC, Recife 27.01.2003 - 19:13
...scheint mir ein wichtiger Aspekt zu sein, dass die PT sich bemueht, die politische Aussenwirkung des WSF fuer sich einzusacken. Lula und die PT sind sicherlich besser als z.B. die deutsche SPD, aber sie tun ihr Bestes, sich ganz sozialdemokratisch den staatlichen Machtapparat zueigen zu machen und gleichzeitig den Rueckenwind der sozialen Bewegungen fuer sich auszunutzen. Lula/PT machen das, wovon Teile von Attac-Europa traeumen, die Umformung der global-kritischen Energie in reformistische partei- und herrschaftspolitische Strategie. Folgerichtig Lulas Auftritt in Davos beim WEF, wo er beklagt, dass doch eigentlich beide Foren miteinander sprechen sollten... Brasilien ist nun mal ein "global player", und ein Meeting mit Bill Gates hat irgendwie mehr Sex als eines mit olle Bové (der sich ja auch nicht angemeldet hatte vorher). Lulas Vision ist so etwas aehnliches wie eine neue Formation der "blockfreien" (armen) Staaten auf globaler Ebene - sicher nicht gerade gerne gesehen von den G8-Staaten, aber auch nicht unser Terrain. Das WSF muesste sich konsequenterweise von der PT emanzipieren - nicht gegen sie, sondern auf anderer Ebene, wie es MST (die Bewegung der Landlosen) versucht: radikaler und basisorientierter. Denn zumindest im brasilianischen Nordosten ist momentan von einer grossen Aufbruchstimmung nicht viel zu spueren, es herrscht eher der Eindruck vor, die PT uebernehme den Staatsapparat und setze altbekannte Politikformen fort: Es gibt Probleme, dagegen werden Kampagnen ausgerufen, Ausschuesse gegruendet, Nachforschungen angestellt, Angestellte beschaeftigt, Gelder lockergemacht, die dann irgendwo versickern. Hoffen wird, dass es mit den Kampagnen gegen den Hunger ("Fome zero"), gegen Sextourimus ("Operacao Carnaval") besser weitergeht. Was hier bisher zum Projekt "Reforma do Estado" zu lesen war, klingt ganz genauso wie bei uns: Oeffentliche Ausgaben kuerzen, Privatinitiative foerdern... und das angesichts einer Schwemme von "Ich-AGs" (Vorstufe zum Betteln) in den Strassen, von der jede Hartz-Kommission nur traeumen kann...

dazu der film

AK KRAAK 27.01.2003 - 20:36
Letztes Jahr war Lula noch nicht Präsident, aber Du konntest bereits die große Hoffnung in den Gesichtern der Leute erkennen, die sich von ihm Reformen und eine konkrete Steigerung der Lebensqualität versprechen. Auch solche Szenen sind übrigens in dem 60 minütigen Film von AK KRAAK zu sehen, über das letzte Weltsozialforum in Porto Alegre. "Arme, reiche Welt" kann bestellt werden unter:  akkraak@squat.net

Habt ihr.....

dr,. evil 28.01.2003 - 18:32
mal davon gehört, daß zwischen (ehrichen) Reformisten und Revolutionären ein politisches "spanungsfeld" oder wie man das nennnen will existiert. daß nicht einiges was meist linkssozialdemokratische Reformregierungen unter fairer und offner Kritik der Linken beidee Lager stärken und die Reaktion schwächen kann. das führt meist zu zerwürfnissen im Reformerlager. Wo sich Spreu von WEizen in der politischen tat trennt. Und welch neue erkenntnis: eine Partei versucht Stimungen für sich zu nutzen. tolle analyse, käme ja gar keiner drauf. gut daß du das geschrieben hast. ich gebe sofort mein Parteibuch zurück ;)
ihr kämpft in einer ehr einfachen welt

Wo liegt der Unterschied

jemand 28.01.2003 - 22:57
Der Unterschied ist nicht so zwischen reformistischen und radikalen, sondern zwischen autoritären und nicht-autoritären Ansätzen zu sehen.