Lula auf dem Forum, Lula in Davos?

Übersetzung Günter Melle 24.01.2003 22:18 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Zur Entscheidung von Ignacio Lula da Silva am WEF in Davos teilzunehmen. Die Übersetzung eines Artikels in der italienischen Zeitschrift Carta.
Danke Brasilien. Das ist kein Ruf von den Wällen des Maracaná, doch die Feststellung, dass mit der Wahl von Lula ein Land der ganzen Welt gezeigt hat, dass die Überwindung der Angst möglich ist. Der warme Januarwind - kurz nach dem Siedlerfest - zusammen mit dem Echo des Samba, trägt Ideen und v.a. Fakten mit sich. Konkrete und unmittelbare Fakten: Bis 2004 die Aussetzung des Programms zum Erwerb von 12 Jagdbombern. Das sind hunderte Millionen Dollar, die für das andere Programm, Hunger Zero, eingespart werden. Diese Maßnahme hat eine kräftige Wirkung in einem weltweit geführten Kampf. Fünf Milliarden Reais werden nicht wie vorgesehen in Regierungsprogramme zum Bau neuer Bundesstraßen gesteckt, sondern um die schon existierenden zu reparieren. Der Weg der großen Werke gefällt dem Brasilien Lulas nicht. Und dann die Verteidigung des Mercosur gegen die Alca und das Dekret, das den Plan autorisiert die Menschen der Favelas zu Eigentümern ihrer Wohnstätten zu machen. Und es gibt weitere schnelle und ernste Maßnahmen wie die zur sozialen Wiedereingliederung der Meninhos da Rua (Straßenkinder)...

Es ist die Zeit der Hoffnung für Millionen Brasilianer und linke Politik in der halben Welt, die mehr oder weniger wie im Konzert in Lula einen Marsmenschen sehen, der Türen und Fenster zu einem neuen Raum öffnet. Die Ära von Luis Ignacio da Silva wird also zum gefälligen und enthusiastischen Ritt in Richtung Demokratie werden? „Ruhig, ich habe keine magischen Lösungen“, hat Lula am ersten Tag seiner Präsidentschaft gesagt. „Er wird sehr viel Mut brauchen“, bemerkt um ein weiteres Mal Joao Stédile, Stimme der Sem Terra (Ohne Land), der heute auf der gesamten Welt eine Bezugsperson für die sozialen Bewegungen ist (darüber wird auch gut in der nächsten Ausgabe von Carta in einem video berichtet).

Bereits im vergangenen Sommer, als der Erfolg der PT und Lula nicht mehr wegzudiskutieren war, sind eiligst auf den Siegeskarren alte korrupte Politiker gestiegen, Manager jeglichen Schlags und auch viele Vertreter der Finanzmächte. Auch und vielleicht vor allem ihnen und ihren omnipotenten Verbündeten außerhalb Brasiliens wird der Präsident des drittgrößten Landes der Ungleichheit in der Welt antworten müssen. Die Schuldenfalle, die Kapitalflucht, die falschen Befindlichkeiten der internationalen Märkte werden nicht den Schlaf desjenigen, der davon überzeugt ist, ein Land ändern zu wollen, indem er eine Regierung durch eine andere ersetzt und Lula hat zu viel gelitten, um die Probleme unterzubewerten.

Einige Wochen zuvor hat die Washington Post direkt gedroht: „Lula hat gesagt, dass er sich nicht zuweit von der Politik des freien Marktes entfernen will, die seinem Land acht Jahre lang Wachstum und Stabilität gebracht haben. Vielleicht sagte er es deshalb, weil in seiner Nähe Lektionen gegeben werden, die zu Vorsicht mahnen!“ Die Tageszeitung schrieb es mit erhobenem Zeigefinger auf Argentinien und Venezuela. Bei vielen Anlässen hat Lula gezeigt, dass er auf diesem Ohr sehr gut versteht. Ein Beispiel für alle: „Die Wahrheit ist, dass die Ernennung von Henrique Meirelles, Expräsident der Bank von Boston uns alle vor den Kopf stieß. Sie schürt in uns Mißtrauen und Frustration.“ sagte Raúl Pont, der ehemalige Bürgermeister von Porto Alegre und einer der Gründer und heute noch einflussreichsten Personen in der Arbeiterpartei (PT). Doch die Bauchschmerzen und die Kritiken werden nicht zum Schweigen gebracht, wie es in einer Partei Tradition ist, die schwierig zu lenken ist.

Und es ist gerade in Porto Alegre, wo die letzte Polemik entfacht wurde, welche die neue Regierung und die öffentliche Meinung erschüttert, die ihn mit außerordentlicher Leidenschaft unterstützt. Nicht weil die PT die Regierung des Bundesstaates Rio Grande verloren hat, der nach Jahren staatlicher und städtischer Verwaltung in der halben Welt als Modell angesehen wurde, sondern wegen der Ankündigung Lulas am World Economic Forum in Davos teilzunehmen. Er will dort zusammen mit dem Kulturminister Gilberto Gil und der Bürgermeisterin von San Paolo, Marta Suplicy, anwesend sein.

Wenn ein triumphaler Auftritt von Lula, am 25 Februar, bei der dritten Auflage des Welt Sozial Forum allen „natürlich“ erscheint, bedeutet die Absicht von Davos eine schottische Dusche. Der bedeutende brasilianische Ökonom Emir Sader, eine der anerkanntesten Personen auf dem forum von Porto Alegre hat dazu gesagt: „In seiner goldenen Epoche, in den 90iger Jahren, war Davos der Ort der Versammlungen großer Magnaten des Neoliberalismus in der Welt. Dort stellten sie ihre Reichtümer als Beweis der Richtigkeit ihrer eigenen politischen Optionen zur Schau. Es war die Epoche des Exhibitionismus eines Bill Gates, der spekulativen Überschwenglichkeit an den Börsen, der Verachtung von Armut und des Hungers in der Welt. Gegen diese Welt wurde unter großen Schwierigkeiten das Welt Sozial Forum organisiert, um zu behaupten, dass eine andere Welt möglich ist.“

Der sorgenvolle Appell von Sader richtet sich an Lula, nicht die Teilnahme an dem abgehalfterten Meeting in dem Schweizer Schikurort zu bestätigen (auch dieses Jahr wird es wieder von Protesten und Demonstrationen begleitet, die sogar sein Bürgermeister unterstützt, weil er es leid ist, die unsympathischste Stadt der Welt zu verwalten), ist ernst und begründet: Es ist uns gelungen einen Sieg über Davos davonzutragen. Dies nicht nur, weil der expansive Zyklus des nordamerikanischen Kapitalismus zu Ende geht, sondern weil wir gezeigt haben, dass die lebenswichtigen Themen für die Welt derzeit in Porto Alegre und nicht in Davos diskutiert werden.“ Und es ist darauf zu wetten, dass wenn Lula und seine Immagepfleger heute nicht auf Sader hören, werden es zehntausende Menschen sein, die seine Worte vor der halben Presse der Welt auf dem Forum in Porto Alegre wiederholen werden.
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Ergänzungen

25.01.2003 - 23:18
Ob er wohl was zur Förderung von OSS macht? Immerhin kommen viele wichtige Hacker aus seinem Lande. Das wäre eine Art wie der Süden dem Nordenhelfen kann und umgekehrt...