Samstag, 12 Uhr: Innenstadtaktion GI: Gegen Kameras!

jemand aus der projektwerkstatt 28.12.2002 17:48 Themen: Freiräume Repression
Zum dritten Mal fand in der Innenstadt von Giessen der Aktionstag gegen innere Sicherheit und Ordnung statt. Themenschwerpunkt waren diesmal Überwachungskameras. Um 13 Uhr begann dann eine Prozession zum Marktplatz mit einem "Gottesdienst" für mehr Kameras - Überidentifikation pur!
Die bösen "Autonomen von außerhalb" waren diesmal recht zahlreich vertreten ... zusammen mit Menschen aus Giessen waren es etwas über 30 Leute. Ab halb eins gab es einige kleinere Aktionen in der Innenstadt - Entwertungsaufkleber in Läden und Musik in der FußgängerInnenzone. Dafür gab es die folgenden zwei Lieder:

Madagaskar

Wir standen am Marktplatz Giessen
und hatten die Zwille dabei.
Wir wollen auf die Kamera dort schiessen,
danach wär der Marktplatz wieder frei.
Ahoi Kamera da, leb wohl leb wohl
jetzt ists aus, Überwacher, lebt wohl, lebt wohl.
Ja wenn die Zwille Dich trifft,
unds Objektiv zerspringt
ja fühlen wir uns wieder wohl - ja so wohl.
Weil dann jeder von einem Gießen nur träumt,
wo es Herrschaft und Macht nicht mehr gibt.


Freiheit

Alle Bilder sind gemacht,
haben manchem Knast gebracht,
Demokratie setzt sich zur Wehr ...
Freiheit, Freiheit - ist das einzige was fehlt.

Manch Politsau blablabla
war wie Bouffier schon da
Staatsschutz-Puff lief vorneweg
Freiheit ...

Die Polizei ist nicht naiv, die Polizei ist präventiv
Freiheit, Freiheit - wurde wieder abgewählt.

Alle die von Freiheit träumen,
sollen sich mit uns aufbäumen,
sollen tanzen auch auf Straßen
Frechheit, Frechheit - ist das einzige was zählt.


Ab 13 Uhr begann dann der Gottesdienst, mit dem der neue Gott Sicherheit gehuldigt wurde. Die Prozession ging zum Marktplatz, wo Lieder gesungen, "Gebete" gesprochen wurden usw.

Der Ablauf:

1. Anfangsansage

2. Kamerabekenntnis
Ich glaube an Roland Koch, Volker Bouffier, Otto Schily, Heinz-Peter Haumann, Klaus-Peter Möller, Manfred Mutz und alle Hirten, die Allmächtigen,
den Schöpfern der Gesetze und Verordnungen.

Und an die Überwachungskamera, ihren eingeschworenen Helfer,
unseren Kontrolleur.
entstanden durch den machtgeilen Geist,
geboren in einem profitablen Konzern,
legalisiert unter Regimus Demokratus,
befestigt, beworben und protzig eingeweiht,
hinabgestiegen in das Reich der Kontrolle,
ständig Bilder aufgenommen von den Leuten,
übermittelt in das Polizeipräsidium,
welches sitzt zur Rechten der Ferniestraße als allmächtige Kommandozentrale,
von dort wird der Befehl kommen, zu filmen die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den demokratischen Rechtsstaat,
die heiligen parlamentarischen Entscheidungen,
Gemeinschaft der Schafe,
vergeblicher Wunsch nach Leben,
Auferstehung der Gleichschaltung
und das ewige Arbeiten.
Amen.

3. Lied ?Danke?
Danke für diese scharfen Bilder
danke, daß du uns alle siehst,
dank, daß du all deine Blicke auf uns werfen magst

Danke für Überwachungsstaaten,
danke für dieses kleine Glück,
danke für alle Bilder, Fotos und für diesen Film.

Danke, daß ich dein Bild erkenne,
danke, daß deine Macht es gibt,
Danke, daß Du in Fern und Nähe all die Menschen siehst.

Danke, dein Objektiv kann zoomen,
danke, so sind die Bilder scharf.
Danke, ach Kamera, ich dank dir, daß es Kameras gibt.

4. Lesung aus Psalm 23

Der Staat ist mein Hirte,
an Kontrolle solls nicht mangeln.
Er überwacht mich beim Spaziergang im Stadtpark und beim Wasserlassen auf dem Marktplatz.
Er erquicket mein Sicherheitsgefühl.
Er zwingt mich zur Demokratie, um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn die Kamera läuft auch bei Nacht. BGS und Polizei trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht mit den Richtern.
Du untersuchst mich von Kopf bis Fuß und haust mir voll eine rein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben in den Klauen des Machtapparates immerdar.

5. Sprechchoräle
Kyrie eleisony!

6. Kamera unser
Kamera unser am Marktplatz,
geheiligt werden Deine Bilder.
Dein Rechtsstaat komme.
Dein Wille geschehe,
wie in Bayern so auch in Hessen.
Unser täglich Sicherheit gib uns heute.
Und vergib uns keinerlei Eigensinn,
wie auch wir verpfeifen unsere Nachbarn.
Und führe uns schnell ins Gefängnis,
wenn wir dem Bösen verfallen oder eigenständigem Denken.
Denn dein ist das Reich und die Kontrolle und die Volksherrschaft
in Ekligkeit.
Film ab!

7. Segen
Die Kamera sehe dich und behüte dich,
sie lasse ihren Film laufen über dir und sende die Daten an die nächste Polizeidirektion. Sie lasse manchmal eine Film reisen, damit du in Frieden Aktionen machen kannst.
Schnitt!
Danach noch einige Schlußansagen und die Lieder auf Madagaskar und Freiheit nochmal. Währenddessen kam ein Streifenwagen - diesmal waren die Bullen gar nicht da, mal eine neue Taktik. Die suchten den Leiter (wie immer, was anderes können die nicht denken), aber irgendwie war grad die ?Freiheits?-Endzeile zuende und wurde ewig laut wiederholt: ?Frechheit, Frechheit, ist das einzige, was zählt? und später ?Mehr Polizei!? Irgendwann fuhren die Bullen einfach entnervt und ohne jegliches Gespräch mit einer Person aus der Aktion wieder ab (wieder mal war kreative Aktion das sinnigste gegen die Bullen).

Schließlich ging die Prozession wieder zurück ... immer wieder Texte vortragend und die Lieder singend. Aber diesmal gleich über den alten Treffpunkt hinaus, denn da die Bullen fehlten, war Frechheit ja viel einfacher geworden. Also ging zum Karstadt, dort hinein - singend, Parolen rufend und schließlich nochmal den ?Gottesdienst? unter einer der Kameras im Karstadt. Es dauerte ziemlich lange, bis die Karstädter genug Personal zusammenhatten, um anzufangen, die ersten Leute rauszuschmeißen. Es gab einige gute Gespräche mit KundInnen.
Weiter ging zum BGS und zur Bahn. Dort lagerten noch ein Tapeziertisch und ein Kanister, der einer Gruppe ProjektwerkstättlerInnen zwei Tage vorher in einem absurden Rauswurfversuch aus einem Zug beschlagnahmt wurde. Die sollten abgeholt werden. Und spielte sich im Hauptbahnhof Gießen das Ganze ziemlich komplett nochmal ab (Lieder, ?Gottesdienst? ...) - die BSG-Leute flehten die Gruppe an, doch den Tapeziertisch endlich zu holen und dann zu verschwinden. Nach ca. einer weiteren halben Stunde war dann die Aktion auch im Bahnhof vorbei. Das wars dann auch.

In Kürze werden wir einen Zusammenschnitt als MP3 ins Netz stellen und hier verlinken. Das kann auch in freien Radios usw. genutzt werden.

Sammlung vieler kreativer Aktionen:  http://www.direct-action.de.vu
Kreative Antirepression:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression


Nächsten Samstag gehts wieder los ... ab 12 Uhr bei den Drei Schwätzern.

Bis dahin laufen auch noch die offenen Aktionstage "Widerstand & Vision" in der Projektwerkstatt Saasen, wo auch zum nächsten Aktionstag wieder kreativ nachgedacht wird. Wäre aber auch schön, wenn noch mehr Gruppen und Menschen mit ihren Ideen die Verhältnisse zum Tanzen bringen.
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Ergänzungen

In China sind 3300 Internet Cafes geschlossen

Elvira 28.12.2002 - 20:02
worden, weil die Brandschutzbestimmungen nicht Erfüllt waren!

In der Bundesrepublik sind Internet Cafes geschlossen worden, oder stehen zur Schließung an, weil die Neuerdings erforderliche Spielhallen Genehmigung zu Betrieb von Computer Spielgeräten nicht vorhanden, oder ein Entsprechender Antrag nicht gestellt wurde, dabei ist es Unerheblich, das die Computer in Internet Cafes Ausschliesslich zur Komunikation genutzt werden, da Computer nach Entsprechender Umrüstung auch als Spielgeräte für Spielzwecke genutzt werden können.

wo ist die formatierung hin?

betrachterin 28.12.2002 - 21:17
naja ... eigentlich waren in dem text absätze und mehr. leider alles weg, warum auch immer. nicht böse sein ...

Mal so ein paar Gedanken

36erz 29.12.2002 - 00:00
Hab vor kurzem mal so eine Idee gehabt, die mir hier wieder hochkommt: 99% der Bevölkerung scheint den aufkommenden Faschismus entweder toll zu finden oder aber zumindest gleichgültig hinzunehmen. Nur eine Handvoll Leute sind dagegen. In ganz Deutschland leben vielleicht ein paar tausend Leuten, die ernsthaft eine "andere Welt" erträumen und auch so handeln (oder es zumiondest). Mein (zynischer? frustrierter? demotivierender?) Gedanke war: Warum verlassen wir nicht alle dieses Land und gründen irgendwo (Argentinien?) Kommunune oder sowas und lassen die Deutschen unter sich? Warum für die aufopfern? Wenn wir weg sind, haben die von uns ruhe (wer von den Spießern mag schon linke?) und wir müssen die nicht mehr ertragen...

Nicht jeder hat die Mittel

unsupported 29.12.2002 - 14:14
Nicht jeder hat die Mittel, um dieses Land zu verlassen. Und wenn es keine Gegenwehr mehr gibt, haben diese Idioten einen KOMPLETTEN Staat für sich, den sie infiltrieren können. Glaubst du, dass würde friedlich enden?!

@ 36erz

Knollo 29.12.2002 - 14:29
Ich kann deine Idee nachvollziehen, mir gehts manchmal auch so. Aber:

Ich finde deine Bewegründe ziemlich unreflektiert. Schon die Behauptung dass 99% aller Menschan in diesem Land nichts konkret gegen Faschismus haben halte ich schlicht und einfach für falsch.

Erstens mag ich den Begriff Faschismus nicht, denn er ist in meinen Augen eine populistische Moral-Keule, mit der alles was nicht in irgendwelche linken Ideologien reinpasst niedergemcht wird. Er pauschalisiert und beschreibt in den wenigsten Fällen den Sachverhalt treffend und trägt somit überhaupt nicht zu einer konstruktiven Debatte bei.

Zweitens haben viele Menschen was gegen Faschismus, nur werden sie von der Linken kaum wahrgenommen, weil diese Menschen sich nicht mit der in der Linken üblichen Sprache und Argumentationslogik artikulieren. (Ich denke dabei z.B. nur mal an christliche Kreise, die oft im Grunde die gleichen gesellschaftlichen Probleme ansprechen. Und wer es mal wagt außer Indymedia und TAZ auch mal Publik-Forum oder Veröffentlichungen der EKD zu lesen weiß das.) Natürlich sind die Motive zur Kritik und auch die Lösungsvorschläge recht unterschiedlich. Ich finde es nur sehr ignorant zu glauben, dass es nur eine winzige Minderheit von wirklich aufrichtigen Menschen gibt, die was gegen diesen bösen und allgegenwärtigen Faschismus haben.

Außerdem garantiere ich dir, dass, falls so eine kleine Auswanderungswelle nach Argentinien zustande käme, diese "neue Gesellschaft" sich innerhalb kürzester Zeit selber zerfleischt, angesichts der Grabenkämpfe innerhalb der deutschen Linken. Außerdem müsste die ganze Sache irgendwie mit den bereits dort lebenden Menschen geregelt werden. Denn: Glaubt ja nicht, dass in Argentinien gerade der Aufbruch in ein neues Zeitalter der Emanzipation, Freiheit, Selbstbestimmung und Herrschaftslosigkeit bevorsteht.

Nochmal kurz: Ich kann die Frustration nachvollziehen, trotzdem sind deine Motive und Wünsche ziemlich naiv. (Falls der ganze Kommentar nicht eine Ironie gewesen sein sollte.)

Heisse neue News und mehr ...

wieder jemand aus der projektwerkstatt 29.12.2002 - 23:53
Ha ... der Radiobeitrag ist fertig mit den Mitschnitten von Marktplatz, aus Karstadt und Bahnhof Giessen - 7.09 Minuten - darf angehört, gesendet, auf CDs gebracht usw. werden.

 ftp://ftp.radio4all.net/pub/radio/1228giessen.mp3

Ansonsten hat das Sonntagmorgenmagazin einen fetteren Text veröffentlicht. Allerdings haben die das ganze ernstgenommen und einen Bericht von der neuen Initiative "Sicheres Giessen", deren Gebete für mehr Kameras und die "spirituelle Verbundenheit" mit dem Innenminister. Die Dummheit von Medien und das Universum sind unendlich - nur beim Universum ists noch nicht so klar (frei nach Einstein).
Der Text wird gescannt und erscheint demnächst auf  http://www.abwehr-der-ordnung.de.vu.

Wer nächsten Samstag mitmachen will, sollte sich mal in der Projektwerkstatt melden (06401/903283). Wird Zeit, daß es auch ordentlich kreative Ideen von mehr Menschen/Gruppen gibt!