Schweiz+WEF/G8-Evian: Armeeeinsätze unterhalb der Kriegsschwelle

bgfz 23.12.2002 15:40 Themen: G8 Globalisierung Militarismus Repression
"WEF und G8 in Evian wären sehr interessantes Turngerät für die Schweizer Armee, um mit einem Nachbarland komplexe Raumsicherung zu üben..."
Ungefähres Zitat von Divisionär Christophe Keckeis, Ende Oktober 2002 nach seiner Ernennung zum neuen Generalstabschef und zukünfigem "Friedensgeneral".
WEF und WM: Armeeeinsätze unterhalb der Kriegsschwelle

Am WEF in Davos werden 1500 Armeeangehörige eingesetzt. Turnübung oder Ernstfall?

"WEF und G8 in Evian wären sehr interessantes Turngerät für die Schweizer Armee, um mit einem Nachbarland komplexe Raumsicherung zu üben..."
Ungefähres Zitat von Divisionär Christophe Keckeis, Ende Oktober 2002 nach seiner Ernennung zum neuen Generalstabschef und zukünfigem "Friedensgeneral".

"Der nächste Krieg wird anders sein..."
Mitte der 90er Jahre lösten merkwürdige Armeeübungen Proteste aus: Da übten zum Beispiel Soldaten wie eine Demo aufzulösen ist. Die "Demonstranten" trugen Schilder mit der Aufschrift "Arbeit für alle". Nach mehreren solchen Einzelfällen (Feinbild mal Flüchtlinge, mal streikende Eisenbahner) befahl die Armeeführung in Zukunft solche Szenarien zu unterlassen und es wurde stiller um die Armeeeinsätze gegen Innen. Ideologisch wurden die Übungen mit Erscheinen eines Buches der Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere (VSN) begleitet. "Armee-Einsätze unterhalb der Kriegsschwelle. Überlegungen, Fallbeispiele, Ausbildungsideen, Checklisten" war der Titel des Band 10 in der Reihe "Strategische Studien" und bot auf 291 Seiten "eine Übersicht über die Einsatzmöglichkeiten der Armee" und diskutiert deren rechtliche Grundlagen. "Fallbeispiele, Schilderung entsprechender Einsätze ausländischer Armeen, praktische Hinweise für die Ausbildung (...) ergänzen die Ausführungen."
Es gehe darum, mit der Studie aufzuzeigen, "wie die verstärkte Partnerschaft zwischen Armee, zivilien Behörden und Milizorganisationen aussehen könnte."
Unter dem Motto: "Der nächste Krieg wird anders sein als der letzte, anders als der zur Zeit tobende und anders als wir heute glauben." wurden der LeserInnenschaft die neuen Feindbilder präsentiert:
"Verfolgt man die Entwicklung in Deutschland, Frankreich oder Italien (Stellvertreterkriege im Ausland, Islamisten, PKK, gesellschaftspolitische Entwurzelung, Arbeitslosigkeit, italienische und russische Mafia, militante und europaweit vernetzte Antifa-Gruppen, Überschwemmung mit Kriminalität), ist es leicht auszumachen, dass diese Entwicklung nicht an der Schweizer Grenze haltmachen."
Oder noch schöner: "Ein bewährtes Mittel der indirekten Kriegsführung sind Spezialtruppen (SPEZNAZ, SAS, usw.) mit besonderer Ausbildung oder speziell ausgebildete ?private? Terrorgruppen (IRA, PKK, RAF, PLO, HAMAS, FIS, Antifa-Gruppen usw.)."
Neue sicherheitspolitische Risiken? "(...) innere Unruhen als Folge der Aufweichung des Rechtsstaates (Drogenproblem, Hausbesetzerunruhen, autonome Stadtteile)..."
Anhand dieser Bedrohungsbilder wurde (nicht nur) in Schweizer Armeekreisen mal laut mal leise über den Einsatz gegen Innen nachgedacht - die Rolle der Armee während z.B. Demos, bei Grossanlässen, der Einsatz von nicht-tödlichen (nonlethal) Waffen, etc.

Die Armee im Jahr 2003: Turngerät WEF
"2000 Soldaten unterstützen Bündner Kantonspolizei an WEF und WM" lautete der Titel einer SDA-Meldung vom 9.12.02, die sich auf eine VBS-Mitteilung stützte: 1500 Armeeangehörige für das WEF und 500 für die WM.
"Am WEF werden Teile der Territorialbrigade 12, das Gebirgsschützenbattaillon 3 und Milizangehörige der Luftwaffe zum Assistenzdienst eingesetzt. Dazu kommt eine Anzahl von Bundesangestellten aus Generalstab, Festungswachtkorps und Luftwaffe. Der Luftraum über Davos wird verschärt kontrolliert."
"Weil sich das WEF und die Vorbereitungsphase für die Ski-WM in St. Moritz zeitlich überschneiden und das Gros der Kantonspolizei Graubünden im Raum Davos eingesetzt ist, werden zwischen dem 21. und 31. Januar im Oberengadin maximal 500 Armeeangehörige Bewachungs-, Überwachungs- und Kontrollaufgaben übernehmen."

Die Territorialbrigade 12 muss vorturnen
Während dem WEF eingesetzt werden soll unter anderem die Territorialbrigade 12, die sich als ?Bindeglied zur Zivilbevölkerung? versteht. Eng verbunden ist die Ter Br 12 v.a. mit dem zivilen Sicherheitsapparat. LeserInnen der Brigadezeitschrift ?Kristall? konnten in einem Bericht über den ?Brigaderapport 2002? (Januar 2002) u.a. auch ein Zitat von Markus Reinhardt, dem Kommandanten der Bündner Kantonspolizei zur Kenntnis nehmen:
"Warum wird der Polizei mit dem Antirassismusgesetz gedroht, wenn sie kommuniziert, dass über die Hälfte aller Kriminaltaten von Ausländern begangen werden? Warum wird der Polizei diejenige Munition vorenthalten, die sie selbst und die Bürgerinnen und Bürger besser schützen kann? Warum ist es einfacher, den Datenaustausch über die Landesgrenzen hinweg zu tätigen als innerhalb der Schweiz?"

Ein Teil des Ter Br 12, die Ter Br Stabskp II/12 wurde am 14.10.02 informiert, dass ihr WK nicht wie geplant im November 2003, sondern schon im Januar 2003 stattfindet. Dies auf Entschluss des Armeeführungsstabs. Nachdem sich das Battaillon vom 13.-15.1.03 im Raum Lenzerheide (Kommandozentrale wohl wie immer im Hotel Schweizerhof) sammelt, hat es bis 30.1.03 die Aufgabe, ?die Führungsinfrastruktur der Ter Br 12 einzurichten und zu betreiben. Zu Beginn des Dienstes werden Sie in einem Repetitorium im Wachdienst ausgebildet. Weiter werden beide KP im neuen Sprechfunkgerät SE-135 geschult. Während dem Einsatz werden wir mit anderen Truppen, mit dem Festungswachtkorps und mit der Polizei zusammenarbeiten.? informiert Kommandant Oberstlt. R. Philipp seine Truppe in einem Brief. Und eher schon tragisch: ?Es ist möglich, dass wir unsere Dienstleistungen auch über die Wochenenden 18./19.1. und 25./26.1. aufrechterhalten müssen.?

Laut der truppeneigenen Homepage komme der Ter Br 12 im ?Rahmen der subsidiären Einsätze der Armee für die Zivilbevölkerung? eine ?Schlüsselrolle? zu. Ihr ?Grundauftrag? lautet: Die logistischen Belange im Kanton Graubünden sicherstellen, die kriegs- und lebenswichtigen Objekte schützen, die Verbindung zu den zivilen Behörden sicherstellen.
Die ?Hauptaufgaben? z.B. des Ter Rgt 12 (Geb Füs Bat 148, Geb Füs Bat 236) sei die ?Abwendung von Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle? durch Schutz von zivilen Gesamtverteidigungs-Objekten von nationaler und regionaler Bedeutung, Übernahme von Aufgaben im Rahmen des militärischen Betreuungsdienstes, aktive Unterstützung ziviler Behörden, sofern diese eine Situation nicht mehr selber bewältigen können (subsidiäre Hilfeleistung), Übernahme von Überwachungsaufgaben zugunsten anderer Armeeteile.

Direkt gegen WEF-DemonstrantInnen eingesetzt werden die Armeeangehörigen (AdA) wohl kaum. Denn schon im o.e. Buch zu den Armeeeinsätzen unterhalb der Kriegsschwelle steht geschrieben: ?Es fehlen bei der Truppe die Kenntnisse über Abläufe und Einsatztaktik bei Demonstrationen und Unruhen. Es fehlt zudem die Ausbildung und das psychologische Training im Aushalten von Steinbeschuss und Flaschenhagel usw. (...) Führung und Einsatz bei Demonstrationen belasten sehr. Die Truppe ist einem hohen Verletzungsrisiko und einem extremen psychischen Druck ausgesetzt. Es entstehen unübersichtliche Situationen, wie die Vermischung von Störern und Zivilpersonen, welche die AdA emotional extrem belasten. Sie wird aus der Bevölkerung von Gaffern und Störern möglicherweise beschimpft, provoziert oder mit gefährlichen Gegenständen beworfen.?

Auf nach Davos 2003!

bgfz


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Weiterführende Links

Medieninfo VBS zum WEF 2003:
 http://www.admin.ch/cp/d/  3df48faf_1@fwsrvg.bfi.admin.ch.html

Die Homepage des Ter Br 12
 http://www.armee.ch/terbr12

Die Homepage der Ter Br Stabsbat 12
 http://www.armee.ch/terbr12/terbrstabsbat12

Brief von Oberstlt. R. Philipp zur Verschiebung des WK 2003
 http://www.armee.ch/terbr12/terbrstabsbat12/service/Info_0211_red.pdf

Wer die Truppe in Action sehen möchte:
 http://www.armee.ch/terbr12/terbrstabsbat12/aktuell/wk2002/wk2002.html

Truppenzeitung Kristall
 http://www.armee.ch/terbr12/kristall/index.html

Brigaderapport 2002
 http://www.armee.ch/terbr12/infos/br_2002.html

Befehle WK 2002
 http://www.armee.ch/terbr12/terbrstabsbat12/service/service.html

Email-Adressen
 http://www.armee.ch/terbr12/terbrstabsbat12/aktuell/personelles/personelles.html

Eingesetzte Funkgeräte:
 http://www.gr.admin.ch/rp2002_d/funkgeraete_d.asp?menuId=426


Hintergrundinfos zu den Armeeeinsätze unterhalb der Kriegsschwelle
Buchtipp: ?Armeeeinsätze unterhalb der Kriegsschwelle?
 http://www.vdf.ethz.ch/info/2368.html

Artikel in der ASZM:
Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle - eine grosse Herausforderung
 http://www.asmz.ch/hefte/1998/07/199807_31.html

Nichtletale Waffen
 http://www.asmz.ch/dbif/artikel.html?Heft=200105&Path=2001/05&Seite=40

Homepage von Christoph M.V. Abegglen (irgendso einem Armee-Fuzzy)
Vom operativen Zusammenhang im Umfeld der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle
 http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/operativer_zusammenhang.htm

Phänomen der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle. Darstellung der Wurzeln, Mittel, Bedrohung und Gegenmassnahmen
 http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/gewalt_unterhalb_der_kriegsschwelle_fr.htm

Die Schutzinfanterie-Gründe wieso das Know-How der Ter Füs grundlegend für Truppen in friedensunterstützenden Operationen ist
 http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/schutzinfaterie.html
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Ergänzungen

Was ist das Ziel?

Besorgter 23.12.2002 - 19:25
Der Artikel verdeutlicht einaml mehr, wie diese Diskurse um Militär-Einsatz gegen Oppositionelle und Randgruppen nicht nur in Deutschland geführt werden und daß es eine gesamteuropäische Strategie gibt. Die EU-Minstertreffen und informelle Treffen bereiten den Boden für sowas. IWF in Prag und G8 in Genua gaben ja erste Vorgeschmäcker. Aber auch bei Häuserräumungen werden heute andere Töne angeschlagen: Die Räumung der Kadterschmiede in Berlin-Friedrichshain vor einigen Monaten wurde von Scharfschützen (!!!) begleitet. Merkürdigerweise gibt es in der Gesellschaft überhaupt keinen Widerstand mehr (errinnert Euch mal an die Volkszählung!). Der 11.September sorgt zusätzlich für eine Vereinfachung dieser Politik.

24.12.2002 - 01:25
Da merkt mal man, dass Rechtsstaat, nicht von "Recht", sondern von "Rechts" kommt

Ziel

Rambazamba 24.12.2002 - 08:06
Armeeeinsätze im Innern sind nicht so eine leichte Sache, wie man denkt. In der Vergangenheit erwies sich oft die spontane Solidarisierung mit aufständischen Massen als in der Konsequenz größeres Problem, als der Aufstand selbst. Um Armeeeinheiten für Einsätze gegen die Bevölkerung zu züchten, bedarf es eines Selektionsprozesses, der die folgsamen von den gewissenhaften Kämpfern trennt. Ergo braucht es viele, viele Einsätze im Innern, um eine im Notfall verläßliche Spezial-Truppe aufzubauen, was der nächste Schritt sein dürfte.

Die Herrschenden scheinen mit ziemlich ungemütlichen Zeiten zu rechnen, der Einsatz von Soldaten im Innern wird daher bereits frühzeitig zur staatlichen Routine.