Innenstadtaktionen und absurde Bullen in Giessen

AbwehrspielerIn gegen die städtische Ordnung 14.12.2002 19:33 Themen: Freiräume Repression Soziale Kämpfe
Heute war erstmals nach der vorgestrigen Verabschiedung der Gefahrenabwehrverordnung Innenstadtaktionstag angesagt. Um 12 Uhr (einige Gruppen hatten leider 13 Uhr gedacht ...) war Treffen an den "Drei Schwätzern" (Bronzeplastik in der Fußgängerzone) - von dort sollte es mit vielfältigem "unangepaßten Verhalten" losgehen. Geplant waren: Fußwege säubern und dabei laut nach Sauberkeit und Ordnung rufen +++ Nichtkonsumierende PassantInnen zu verscheuchen +++ Trinken und Lagern in der Innenstadt usw. Einiges davon geschah auch ... und noch mehr. Aber zunächst gehörte die Bühne der Gießener Polizei und dem anwesenden, die Befehle gleich direkt erteilenden Bürgermeister Haumann: Personalienkontrollen, drei Projektwerkstättler wurden gleich an die Wand gestellt, einige Platzverweise, Knastandrohungen und neben dem Uniformierten jede Menge Zivis in den Straßen von Gießen. Lohnt sich also, nächsten Samstag dabeizusein.
Genauerer Bericht unten ...
Genauer: Eingeladen war zu dem Aktionstag als Vermerk auf den ganzen Flugis zur Donnerstagsdemo und auf der Internetseite gegen die Gefahrenabwehrverordnung ( http://www.abwehr-der-ordnung.de.vu) bzw. dem Giessener Terminkalender ( http://www.projektwerkstatt.de/giessen). Also nicht groß. Kurz vor 12 Uhr war die erste Person vor Ort und wurde sofort von der mit vier Fahrzeugen und etlichen Zivilbeamten präsenten Polizei auf Personalien überprüft. Gegen 12 bogen dann drei Projektwerkstättler auf den Platz mit den Drei Schwätzern ein. Da kamen sie aber nicht mehr an. Die Pozilei stürzte sich sofort auf sie, drängte sie zu einer Wand, wo sie dann mit breiten Beinen und erhobenen Händen stehen mußten und durchsucht wurden. Natürlich fanden die Bullen nix außer Flugblätter, einer deutschlandfarbenen Klobürste usw. - was mensch halt so braucht für Straßentheater gegen Recht und Ordnung. Während der gesamten Aktion redeten die so Behandelten aber sehr laut über Polizeiwillkür, demokratische Herrschaft usw. zu den umstehenden PassantInnen, so daß die Bullenmaßnahme auch eine politische Aktion wurde. Allerdings zeigte sich die Obrigkeitshörigkeit der "willigen" Deutschen - von "Geht arbeiten" bis zu "werdet schon was gemacht haben, wenn die Polizei Euch Ärger macht" war alles gut dabei. Danach erhielten alle vier da schon Anwesenden Platzverweise für den Innenstadtbereich bis 19 Uhr. Für ein einziges Nichtbefolgen wurde die sofortige Inhaftierung angedroht. Stück für Stück kamen weitere AktivistInnen hinzu. Einige Zeit standen jetzt mehrere am Rande der Fußgängerzone - trinkend und unangepaßt herumstehend. Es gab einige Gespräche, u.a. mit dem PDS-Bundestagskandidaten, der nach der Info, daß die Story um die Verhaftung von Projektwerkstättlern (sie hätten gesprüht) gänzlich ausgedacht war, gleich den entsprechenden Redakteur zur Rede stellte (der nur stammelte, daß die Bullen ihm das so gesagt hätten ... naja, war wieder keiner schuld ... Demokratie halt).
Erst nach ca. 80min des reichlich zögerlichen Rumstehens (schade um die Zeit ...) und des ebenso skeptischen Beäugens durch Uniform- und Zivilbullen kam dann die Idee, so einfach in die Hauptfußgängerzone ein Stück um die Ecke zu gehen und so mittendrin zu sein. Das brachte Bewegung ... schnell folgte die Idee, immer von einer Ecke zu nächsten zu gehen, rumzustehen. Jetzt wurden auch PassantInnen offensiv angesprochen, Flugis verteilt, die Besen kamen zum Einsatz, Menschen (die nur herumstanden) wurden zum Kaufen oder Verlassen der Innenstadt aufgefordert usw. Die Reaktionen waren meist interessiert oder erheitert. Die Bullen (bestätigt die Theorie, daß sie immer schlecht werden, wenn kreativ gehandelt wird!) folgten der Gruppe, wobei aber immer Abstände auftraten. Die Gruppe wurde auch immer mutiger, ging in große Kaufhäuser und putzte da herum ... und schließlich legte sie einen kleinen Zwischensprint ein, wonach die Bullen erstmal abgehängt waren.
Vielmehr als das passierte nicht mehr - aber das allein zeigte schon: Wo kreative Aktion geschieht, werden Rahmenbedingungen bereits verändert. War vorher eher "hier geht nix mehr" die Stimmung, so war das jetzt ziemlich egal. Schade, daß nicht noch mehr Leute mit konkreten Ideen, Besen, Liedern oder sonstwas gekommen sind.

Das ganze endete an den drei Schwätzern. Danach löste es sich auf und mensch verabredete sich für ein Auswertungs- und Planungstreffen für die Vokü am Dienstag, den 17.12., ab 20 Uhr im Infoladen (also: alle kommen!).
Nur die Projektwerkstättler hatten noch einigen Spaß. Zunächst ging es Richtung Walltorstraße, um das dort bei der Verhaftung Mittwochnacht zurückgelassene Fahrrad zu holen. Dahin folgte schon eine Polizeistreife. Geläster der Verfolgten. Die Streife drehte und folgte den Dreien, die zum Bahnhof wollten und unterwegs noch ein paar der Terminkalender "Abriss" aufhängen. Daraus entstand ein Spaß. Jetzt ging es immer um ein paar Häuser rum, wo Autos nicht durchpaßten, mal zwischendurch ein Sprint ... dann rückten wieder mehr Bullen an, mal ein Fahrzeug dazu (verzweifelte Frage aus dem Autofenster: "Wann machen Sie denn Feierabend" - Antwort: "Ach, wie haben noch einiges vor ..."), bis die Projektwerkstättler wieder gefunden wurden. Im Bahnhof mit den Fahrstühlen lustige Spielchen mit dem überwachungsmanischen Staat. Zwischendurch ein Oberbulle: "Wenn Ihr noch einmal Richtung Innenstadt geht, nehmen wir Euch fest". Als die drei dann im Zug saßen, hatten die Bullen sie verloren. Also durchsuchten sie Zug für Zug. Dann setzten sie zwei BGSler mit in den Zug, um zu kontrollieren, daß die Projektwerkstättler auch wirklich Gießen verlassen. Jetzt ist Gießen wieder sauber und ordentlich ... aber die Irren aus Saasen kommen wieder! Und hoffentlich werden es noch mehr Irre, kreative, unnormale Menschen, die dem grauen, manchmal "grün-weißen" Gießen einen Contrapunkt setzen.

Wir sehen uns ... Dienstag 20 Uhr bei der Vokü und nächsten Samstag bei den Drei Schwätzern oder einfach selbst loslegen in der Innenstadt. Es braucht keiner Vorgaben, R.EdelsführerInnen - Kreativität ist das Gegengift zur Herrschaft!
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Ergänzungen

Coole Sache, ich mach mit!

lulalina 14.12.2002 - 22:31
Coole Sache mit dem Putzen etc., leider leider bin ich Di nicht da, aber nächsten Samstag komme ich in jedem Fall!

?

peppistolero 14.12.2002 - 23:25
naj, die die 13.00 uhr dachten, das waren halt die unagepassten. ansonsten seid ihr schon ganz hübsche nervbeulen, gell? aber was das ganze mit widerstand, revolution etc zu tun hat frage ich mich. wenn die bullen nicht so unrelaxt wären und euch an der etwas längeren leinen laufen lassen würde, dann würde sich doch herausstellen, dass euer kreatives gewese nicht mehr als heisse luft und absolut wirkungslos ist

Gute Aktion!

Passant 15.12.2002 - 02:43
Ist zwar nicht mein Protest-Style, aber Respekt vor den Leuten die sowas machen!

idee?

mal schauen 15.12.2002 - 14:14
in der Gefahrenabwehrverordnung steht auch, dass Schnee nicht mehr in den Rinnstein geschoben werden darf, wenn die Gehwege geräumt werden. Wird es nun in Giessen Zeit für eine "Weisse Tonne"?

ja aber

t-vermisser 16.12.2002 - 20:45
ja aber müssen da leute mitmachen, die mit t anfangen und in erlangen vermisst wurden?

Neueste Infos

AbwehrspielerIn 16.12.2002 - 22:52
Hier folgen:
- Gießener-Allgemeine-Text zum Stand der Dinge ... unter anderem mit der klaren Aussage, daß es rund um den Donnerstag nach Aussagen der Polizei KEINE Anzeigen u.ä. gegeben habe – die Behauptung, daß zwei Projektwerkstättler beim Sprühen erwischt wurden, also von den beiden Tageszeitungen ERLOGEN wurde, um deren grundloses, eintägiges Unterbindungsgewahrsam zu kaschieren.
- Link zu Anzeigertext mit historischer Parallele in Gießen.

Achtung!
Es gibt viele neue Ideen für Innenstadtaktionen, u.a. die, jeweils Samstag auch einige Kurz-Demos anzumelden, um z.B. die Verhaftung von bekannten Kneipenschlägern (wie CDU-Chef Möller) jeden Freitagabend für 24 Stunden zu fordern usw. – so als interessante subversive Nutzung des Demorechts für die Samstagsaktionen. Das alles und noch viel mehr .... tiri ... gibt’s zu Besprechen am Dienstag, 17.12. um 20 Uhr nach der Vokü im Infoladen Gießen (also nachher!!!).

Alle kommen!


Keine polizeilichen Ermittlungen nach
denkwürdiger Stadtverordnetensitzung Auch vier Tage nach der denkwürdigen Stadtverordnetensitzung vom vergangenen Donnerstag geht die Diskussion um den außergewöhnlichen Rahmen der Versammlung, die von einem großen Polizeiaufgebot geschützt wurde, weiter. War ein Polizeieinsatz in dieser Größenordnung gerechtfertigt? War der Auszug der Opposition auf diese Präsenz der Polizei eine verhältnismäßige Reaktion? War die Öffentlichkeit bei der Sitzung hergestellt oder nicht? Fragen, die die Gemüter der Stadtpolitiker und anderer Beteiligter weiter erregen. Fest steht: Nach dem Erkenntnisstand von Montagvormittag sind die Vorgänge polizeilich abgearbeitet. Bei Polizei und Staatsanwaltschaft sind keine Ermittlungsvorgänge anhängig oder Strafanzeigen eingegangen. Allerdings war es noch am Wochenende zu Schmierereien im Bereich des Stadthauses gekommen. Gegen den Glasbau im Untergeschoss waren Farbbeutel geworfen worden. In diesem Zusammenhang ging bei der AZ-Stadtredaktion ein anonymes Bekennerschreiben ein.

Gießener Allgemeine im Internet, 16.12.2002, 22.45 Uhr


 http://www.giessener-anzeiger.de/sixcms/detail.php?id=704738&template_id=996&_next=GA_Stadt

artikel aus der heutigen jungen welt

18.12.2002 - 18:03
Giessen bekaempft statt der Armut die Armen: Rechtsstaatliche Prinzipien gaenzlich
unbekannt?
jW sprach mit Tjark Sauer
Interview: Karsten Becker

* Begleitet von starken Protesten beschloss am Freitag abend im hessischen Giessen die
rechte Stadtratsmehrheit aus CDU, FDP und Freier Waehlergemeinschaft eine neue
Gefahrenabwehrverordnung. Tjark Sauer von den Jungdemokraten/Junge Linke war an den
Protesten beteiligt

F: Was stoert Sie an dieser Verordnung?

Sie ist gespickt mit Massnahmen, die dazu dienen werden, sozial benachteiligte
Personengruppen weiter an den Rand zu draengen. Obdachlose, die auf der Strasse, in
Parks oder unter Bruecken schlafen, sollen beispielsweise kuenftig zwischen 40 und 200
Euro Bussgeld bezahlen. Auch das Trinken alkoholischer Getraenke in Gruppen von mehr als
zwei Personen in der Oeffentlichkeit soll unter Bussgeld gestellt werden. Generell soll
"grobstoerendes Verhalten" verboten sein, wobei es der Polizei ueberlassen wird, zu
definieren, was das ist.

F: Bei der Verabschiedung gab es massive Proteste. Wer war daran beteiligt?

An den Protesten gegen die Verordnung haben sich viele Gruppen beteiligt:
Gewerkschaften, Hochschulgruppen, wie die Demokratische Linke, politische
Organisationen, wie die Jungdemokraten/ Junge Linke, Parteien und deren
Vorfeldorganisationen, aber auch der Giessener Infoladen. Kirchen und
Wohlfahrtsverbaende haben sich ebenfalls zu Wort gemeldet.

F: Sie sprechen von des "Rechtsstaats unwuerdigen Szenen" in der
Stadtverordnetenversammlung. Was geschah dort?

Im Anschluss an die Proteste wollten viele Demonstranten die Sitzung der
Stadtverordnetenversammlung besuchen. Nachdem etwa 40 Personen das Gebaeude betreten
durften, hat die Polizei den restlichen Personen den Zutritt zum Gebaeude verwehrt,
obwohl die Sitzungen laut Hessischer Gemeindeordnung oeffentlich sein muessen. Im
Sitzungssaal tummelten sich uniformierte Polizeibeamte und Staatsschuetzer in Zivil.
Diese zerrten ohne Legitimation einen Demonstranten aus dem Sitzungssaal, weil er zuvor
Flugblaetter von einer Empore geworfen hatte. Vorgaenge in Parlamenten von Polizei und
Staatsschutz ueberwachen und kontrollieren zu lassen sind Polizeistaatsmethoden, die
jedem Grundsatz demokratischer Gewaltenteilung widersprechen.

F: Wie wollen Sie weiter gegen die Verordnung vorgehen?

Wir wollen kuenftig jeden Samstag in der Giessener Innenstadt Aktionen durchfuehren und
uns der Verordnung widersetzen. Den ersten Aktionstag haben wir inzwischen hinter uns.
Es beteiligten sich zwar nur 20 Personen, aber wir konnten fuer erhebliches Aufsehen
sorgen. Die Polizei war schon vor Beginn der Aktionen mit einem grossen Aufgebot zur
Stelle und verteilte willkuerlich Platzverweise. Vermeintliche Demonstranten wurden
einer gruendlichen Durchsuchung unterzogen. Aber wir werden in den naechsten Wochen
weitermachen. Fuer kommenden Samstag um zwoelf Uhr sind die naechsten Aktionen in der Innenstadt geplant.


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