Wir sind alle subversiv

Günter Melle 19.11.2002 14:37 Themen: Globalisierung Repression Soziale Kämpfe
In Italien haben sich die sozialen Widersprüche derart zugespitzt, dass in allen gesellschaftlichen Bereiche auch in der Justiz ein Grad der Politisierung erreicht wurde, der zwischen den zwei Polen Republik und Mafiastaat die Temperaturen misst.
Wir sind alle suberversiv

19.11.02 Günter Melle

In Italien haben sich die sozialen Widersprüche derart zugespitzt, dass in allen gesellschaftlichen Bereiche auch in der Justiz ein Grad der Politisierung erreicht wurde, der zwischen den zwei Polen Republik und Mafiastaat die Temperaturen misst. Als sich Berlusconi dieses Jahr anschickte, die Strafprozessordnung zu seinen Gunsten und der seiner dunklen Geschäften zu verändern, gingen die obersten Richter in Florenz auf die Straße und demonstrierten um den Erhalt der Konstitution.

Derzeit hat der Herbst politische Temperaturen erreicht, die Italien zuletzt in den siebziger Jahren erlebte. Ein Generalstreik löst den anderen ab, die Fiat-Arbeiter streiken gegen die Schließung ihrer Fabriken, die Studenten mobilisieren gegen eine Hochschulreform, die unter Vorgaben des Neoliberalismus auf Privatisierung des Bildungsbereiches abzielt, die Bevölkerung äußert ihre Unzufriedenheit gegen die Einschnitte im sozialen Netz. Und die besondere Würze dieser Tage war das Zusammentreffen der europäischen Gegner dieser Globalisierung in Florenz, das mit der mächtigen Samstagsdemonstration (9.11.02) seinen historischen Erfolg feierte. Das war in der Nachkriegsgeschichte Europas noch nie da gewesen, dass sich die nichtreformistische Linke des Kontinents so gewaltig und selbstbewußt präsentierte und als neue soziale Bewegung deutlich machte, dass die reaktionären gesellschaftlichen Kräfte mit ihr zu rechnen haben. Nirgendwo als in Italien zeigt sich aber auch deutlicher, dass die sozialdemokratischen Konzepte der Versöhnung von Kapital und Arbeit nur hohle Phrasen und Wahlpropaganda sind. Die Sozialdemokratie Europas (nebst ihrem grünen Ableger) hat sich die Konzepte des Neoliberalismus zu eigen gemacht und probt mit den konservativen Parteien den Wettbewerb um die soziale Phrase, während sie auf der Ebene der Realität die soziale Lage verschlechtert und die Partitokratie, das Bündnis von Parteien und großem Geld zementiert.

Die italienische ,,sozialdemokratische" Olivenbaumkoalition hat in ihrer Regierungszeit die nötige Vorarbeit geleistet, um Berlusconi den Wechsel von der Republik zum Mafiastaat zu erleichtern. Als Symbol dieses Prozesses sei an die derzeitige Diskussion erinnert, die darauf abzielt den Tag der Befreiung, den 25. April, abzuschaffen. Eine Republik, die in der Tradition des antifaschistischen Widerstandes steht, ist den faschistischen und reaktionären Kräften von Süd bis Norditalien ein Dorn im Auge. Doch nach 2 Jahrzehnten Dornröschenschlaf sind die Massen wieder aufgewacht und immer lauter tönt der einmütige Ruf: Mo' Basta - Jetzt ist genug! Berlusconi setzte von Anfang an auf Kriminalisierung der Bewegung. Der G8-Gipfel in Genua sollte dazu dienen, ihr einen vernichtenden Schlag zu versetzen. Doch Berlusconi ähnelt etwas dem Fiat Padrone Agnelli: er hat nicht begriffen, was Globalisierung bedeutet und nun erntet er selbst die Erfolge seiner Politik. Gelang es ihm zwar Genua zeitweilig in einen Polizeistaat zu verwandeln und erhielt er dafür auch den Applaus von Bush und seinen europäischen Hofschranzen, rechnete er nicht mit einer Bewegung, die bereits eine neue Qualität erreicht hat: eine Bewegung, die der neoliberalen Globalisierung ihr Konzept der Globalisierung von unten wirksam entgegensetzt. Sie ist mittlerweile über den ganzen Planeten vernetzt, in Lateinamerika genauso präsent wie in Asien und sie sorgte dafür, dass die Bilder, Analysen und Dokumente zu Genua um die Welt gingen.

Der zweite Ansatz, aus Anlass des europäischen Sozialforums in Florenz, die Bewegung zu kriminalisieren, scheiterte kläglich und wie es scheint, wird er auch nun beim Versuch, die Bewegung im Süden Italiens zu treffen, Schiffbruch erleiden. Im Vorfeld der Tage von Florenz wurde der Versuch unternommen, die Bewegung in Richtung Gewalt zu drängen und Spannungen zu erzeugen, die Berlusconi die Rechtfertigung für weitere Schritte hin zum Mafiastaat erlaubt hätten. Die Bewegung hat sich grandios verhalten, 40000 Teilnehmer am Forum, eine Million Demonstranten und nirgendwo nur eine Spur von Gewalt. Unter diesen Bedingungen geht das Tauziehen um eine andere Republik weiter.

Wie empört war Berlusconi vor zwei Tagen und mit ihm die bürgerliche Presse als nun das Appellationsgericht zu Perugia den ehemaligen Premier und Chef der italienischen Christdemokraten Andreotti zu 24 Jahren Kerker verurteilte und als erwiesen ansah, dass die graue Eminenz der Geheimlogen, des Kapitals und Großgrundbesitzes, des reaktionären Klerus und der amerikanischen Präsenz auf dem Stiefel, Auftraggeber des Mordes an dem Journalisten Mino Pecorelli war. Der wurde am 20. März 1979 mit zwei Pistolenschüssen beim Verlassen seiner Redaktion getötet, unmittelbar nachdem er die Veröffentlichung von brisanten Dokumenten über Andreottis Beziehungen zur Mafia ankündigte. Einhelliger Kommentar der Reaktionären Kräfte des Landes: ,,Die Geschichte der Republik soll umgeschrieben werden."

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, und auf der anderen Seite der Barrikade befassen sich die Untersuchungsrichter von Cosenza mit dem absurden Vorwurf, die Leader der No-Global im Süden verwendeten ihre politischen Energien zur Gründung subversiver, krimineller Vereinigungen. Kein Zweifel, dass dies auf Anordnung aus dem Innenministerium geschah, ist aus den Kreisen des sozialen und zivilen Widerstands zu hören. Wenn 20 von uns subversiv sind, sind wir es alle, sagen sie und seit gestern wird die Staatsanwaltschaft in vielen Städten der Halbinsel mit Selbstanzeigen bombardiert, deren Vorlage per Internet abgerufen und per email verschickt werden kann. In Ferrara z.B. bezichtigten sich 75 Universitätsprofessoren und Persönlichkeiten aus Parteien und öffentlichen Institutionen der politischen Konspiration zum Zwecke der Unterwanderung der Regierungspolitik und der ökonomischen Ordnung des Staates. Wie in Polanskis Film Tanz der Vampire halten sie dieser Regierung einen Spiegel vor und es bleibt zu hoffen, dass er auch hier das erfolgreiche Rezept darstellt, um Vampire von ihren Jägern unterscheiden zu können.
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Ergänzungen

15.30Uhr vor HU

Disobbedienti 19.11.2002 - 15:24
Heute ist Berlusconi in Berlin, kommt alle vor die HU!!!!
Solidarität mit den Gefangenen von COBAS, No Global und Dissobedienti!!!!!!

ach ja

antimovement 19.11.2002 - 15:37
Ergänzung eines Beitrags bei Indymedia


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der überschäumende antisemitismus der "bewegung" der sich u.a. in boycottisrael-kampagnen (disobidienti) oder diskussionen mit fatah-leuten (selbstmordterror-bande)zeigt, wird natürlich mit keinem wort erwähnt. toll!







nicht reformistisch???

anti-reformistIn 19.11.2002 - 15:41
attac ist nicht reformistisch? dass ich nicht lache!!!
in spätestens 8 jahren gibt es attac auch als partei und dann soll mir nochmal jemand erzählen, dass attac nicht reformistisch ist!!! und attac hat in florenz eine nicht grade unwesentliche rolle gespielt...

hä?

tz 19.11.2002 - 16:08
was soll das denn bitte? wieso zensiert ihr meinen beitrag und stellt da so ein albernes statement hin? fällt das hinweisen auf antisemitsiche tendenzen etwa unter die kategorie faschistsich oder wie?

War gerade bei der Spontandemo

Mr.iX 19.11.2002 - 17:47
Es waren etwa 20 Leute dagewesen, der kleine Haufen zog quer durch den Berufsverkehr und endete mit Sprechchören und Gesang vor der Botschaft. Unterwegs wurden Flyer an Passanten verteilt. Tja und die Polizei hat echt 20 Minuten gebraucht, bis sie uns im dichten Verkehr gefunden hatte.

Zum Text und so:
Ich selbst fand erstaunlich, wie radikal die Einstellungen beim ESF waren. Selbst attac sprach von "Vergesellschaftung" und "Überwindung des Kapitalismus".
Die Pöbeleien hier (besonders der eine Troll über mir) scheinen von Leuten zu stamnmen, die die Welt nur aus ihren Flugis kennen.
Noch ne Verbesserung: 60.000 Karten für das ESF wurden verkauft. Die Zahl 40.000 stammt vom Donnerstag.

Virtuelle Solidaritätsdemo N23

soli 19.11.2002 - 23:19
Am Samstag, den 23. November findet eine italienweite Demonstration gegen die Repression statt. NetzaktivistInnen aus verschiedenen Ländern rufen am selben Tag zu einer Solidaritätsdemonstration im Internet auf. Dabei soll die Seite des italienischen Justizministeriums www.giustizia.it massiv aufgerufen werden.

Mehr Informationen:
 http://www.onlineprotest.de.vu oder
 http://www.bushinberlin.de/onlineprotest

 http://www.netstrike.it

Und natürlich Indymedia Italien:
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