ARTIKEL 270 - EIN GESETZ DER FASCHISTEN

Roter Faden 17.11.2002 17:38 Themen: Weltweit
Zu den "rechtlichen Grundlagen" der Verhaftungen und Ermittlungen in Italien. Hintergründe unf Informationen.
BILDLEGENDE: Dieser Banner eröffnet zurzeit das Thema auf der selbst schwer von den Berlusconi-Medien kriminalisierten zivilgesellschaftlichen Infoseite Informationguerrilla.

Der Text lautet: WIE IN LATEINAMERIKA - Zuerst geschlagen, dann verhaftet. [ Mehrere der Betroffenen steckten in Napoli 2001 und Genua 2001 sehr brutale Schläge durch Polizisten ein, A.d.Ü.]

15. November 2002

Gefangen oder angeklagt wegen umstürzlerischer Vereinigung - 42 Militante der rete Sud Ribelle - Nach der Tötung von Carlo Giuliani der schwerste Einschüchterungsakt des Staates gegen die Bewegung der Bewegungen - Italien aber wird nicht wie das Chile Pinochets werden.

DER ARTIKEL 270 IST EIN NIE ABGESCHAFFTES, NACH DEM 11. SEPTEMBER VERSCHÄRFTES GESETZ DER FASCHISTEN

"42 Männer und Frauen sind von der Initiative der Staatsanwaltschaft Cosenza betroffen. 13 von ihnen wurden in das Hochsicherrheitsgefängnis von Trani und die Frauen in das Gefängnis von Latina gebracht. Sieben befinden sich im Hausarrest. Am Montag werden einige der Gefangenen nach Viterbo verlegt, wo sie verhört werden sollen, wie Anwälte mitteilten.

Die Vorwürfe lauten umstürzlerische Vereinigung mit terroristischen Zielsetzungen und Konspiration durch Konspiration durch Vereinigung. Immer öfter wird gegen Kommunisten, Revolutionäre und die Bewegung die gegen die kriminellen Politiken des Kapitals opponiert der Artikel 270 angewendet." So beginnt die Analyse einer italienischen Arbeiterorganisation zu den Verhaftungen.

Die Ermittlungen, die zu der Verhaftungswelle der letzten Tage in ganz Italien geführt haben, waren seit anderthalb Jahren in Gang. Anlass für die Ermittlungen waren Ermittlungen der Polizia und der Carabinier im Umfeld der süditalienischen no global Gruppen und ein Flugblatt gewesen, das im April 2001 der Rsu (Basisgewerkschaftliche Organisation) des Unternehmens Zanussi in Rende zugespielt worden sein soll, das ein Bekennerschreiben zu einem Anschlag auf das Institut für auswärtige Angelegenheiten enthhalten habe.

Im Laufe dieser Ermittlungsmonate ist es zu umfassenden Observations- und Abhörmaßnahmen, darunter die Einsicht und Auswertung von 60.000 e-mails, die Überwachung von Internetseiten, Beschattungen, Filmaufnahmen und Verwanzungen gekommen. Das Ganze geht ein in die 360 Seiten umfassende Ermittlungsakte. Zehntausende Worte, um Beweise für das Konstrukt zu untermauern, dass no global-Bewegungen, Disobbedienti und "black bloc" eine einzige, in enger Verbindung mit den Roten Brigaden und ähnlichem stehende terroristische subversive Ursuppe seien.

Die Cosentinische Staatsanwaltschaft sieht in dem am 19. Mai 2001 gegründeten Netzwerk "Rete del sud ribelle" das Werkzeug einer großen Konspiration. Die Untersuchungsrichter halten das Netzwerk aufgrund des "gewalttätigen Charakters der zur Umsetzung von Bestrebungen, die ökonomische Ordnung zu stürzen eingestzten Methode" für "eine kriminelle Vereinigung umstürzlerischer Natur", welche sich nach den "gleichen von den Roten Brigaden propagierten Prinzipien des gewaltsamen antidemokratischen Kampfes richten".

Auf der kürzlich mit vielen anderen Gegenöffentlichkeitsseiten im Netz als Hauptangriffsobjekt selbst im Mittelpunkt einer heftigen Kriminalisierungsattacke gestandenen Seite Informationguerrilla schreibt der Autor Roberto de Simone wie folgt über die Paragrafen, nach denen die Ermittlungen geführt wurden:

"Nach dem zu urteilen, was in der Presse zu lesen ist, wird den in diesen Tagen Verhafteten die "Konspiration durch Vereinigung zum Zweck der Störung von Regierungsamtshandlungen und der Durchführung subversiver Propaganda und der gewaltsamen Zersetzung der vom Staat konstituierten ökonomischen Ordnung" vorgeworfen.

Es handelt sich um die Berüchtigten Artikel 270 und 270 b der Strafgesetzordnung, die aus einer Meinung eine Straftat machen, und zwar eine besonders schwere, angesichts der Tatsache, dass die Höchststrafe für die Initiatoren zwölf und für Unterstützer drei Jahre beträgt. Der Artikel 270 spricht explizit von Aktivitäten zum Zweck der Durchsetzung der Diktatur einer sozialen Klasse über die anderen, er wurde in dieser Form, siehe an, in der Zeit des Faschismus redigiert, um die Kommunisten zu treffen. Selbstverständlich werden eventuelle gewaltsame Akte, die zu diesem Zweck begangen werden, gesondert bestraft.

WEIL DAS, WAS IM BETREFFENDEN PARAGRAF GEREGELT IST, DIE GRÜNDUNG DER VEREINIGUNG UND DIE PROPAGANDA VON ZUR SUBVERSION TAUGLICHEN IDEEN ZUR ZERSETZUNG DER POLITISCHEN UND ÖKONOMISCHEN ORDNUNG DES LANDES IST. - ES IST DANACH GAR NICHT NÖTIG, GEWALTTÄTIGE AKTE ZU BEGEHEN, UM BESTRAFT ZU WERDEN.

Die Propaganda der Zersetzung des Staates, die in der Anordnung des Staatsanwaltes in der Zersetzung der ökonomischen Ordnung aufgeht, reicht danach, um einen Straftatbestand zu begründen. DAS IST EINE ABSOLUTE NEUIGKEIT. [ Und nicht zu verwechseln mit dem "einfachen" "Aufruf zu Straftaten" A.d.Ü.] In den dieser Ermittlung bisher vorausgegangen Untersuchungen nach Artikel 270 und 270 b ging es immer um die gewaltsame Zersetzung des Staates und der demokratischen Institutionen. Hier wir jedoch aus den staubigen Archiven der Geschichte die ÖKONOMISCHE Subversion hervorgeholt.

Woraus besteht diese Subversion und die entsprechende Propaganda? Theoretisch sollte es sich um eine nicht nur von Gewalt begleitete, sondern um eine grundsätzlich auf Gewalt gegründete Aktivität handeln. Der Klassenkampf kommunistischer Prägung und die Diktatur des Proletariats stellten auf einen gewaltsamen Umsturz der herrschenden Klassen ab, den das Proletariat innerhalb der kommunistischen Revolution herbeiführen sollte. Daher der Wortlaut des 1930 erlassenen und, weil er eben ein Gesinnungsvergehen definiert, allen Versuchen zum Trotz, ihn aus der Gestzesordnung abzuschaffen, bis heute unverändert gebliebenen Codice Rocco. [ Der Rocco-Kodex ist mit als eins der Faschistengesetzte schlechthin in die Geschichte eingegangen. ] Für den, der den Antrieb der Geschichte im Kampf der sozialen Klassen sieht, bedeutet diese Norm die Verurteilung zum Schweigen. Jedwedes Argument wird de Fakto zum subversiven Propagandaakt gemacht. Aber hier ist nicht so sehr die Rede der gesetzlichen oder demokratischen Ordnung, sondern von der ÖKONOMISCHEN Ordnung."

Der Artikel 270 sieht wörtlich folgendes vor: "Jeder, der auf dem Staatsterritorium Vereinigungen gründet, fördert, organisiert oder führt, die darauf ausgerichtet sind, mit Gewalt die Diktatur einer sozialen Klasse über andere zu etablieren, das heißt, eine soziale Klasse gewaltsam zu beseitigen oder wie auch immer die im Staat konstituierten sozialökonomischen Ordnungen gewaltsam zu zersetzen, wird mit einer Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren bestraft. Der gleichen Strafe unterliegt jeder, der auf dem Staatsterritorium Vereinigungen gründet, fördert, organisiert oder führt, die das Ziel verfolgen, gewaltsam jede politische und gesetzliche Ordnung der Gesellschaft zu beseitigen. Jeder, der sich an solche Vereinigungen beteiligt, wird mit der Verwahrung zwischen einem und drei Jahren bestraft. Die Strafen werden für diejenigen, die die genannten Vereinigungen, auch unter falschem Namen oder zum Schein, neu gründen, erhöht."

Der Artikel 270 wurde nie abgeschafft und kommt in letzter Zeit immer massiver zur Anwendung, u.a. waren im letzten Jahr schon Angehörige der CARC, Anarchisten, und Cobas-Vertreter aus Taranto betroffen. Bei dieser neuesten Großaktion nach Artikel 270 werden den In Haft genommenen Leuten neben den Anklagepunkten nach Artikel 270 Anschläge auf die Verfassungsorgane, der Besitz von "Waffen, die zum Verletzen taugen", subversive Propaganda, Anstiftung zum Ungehorsam gegen die Gesetze des öffentlichen Rechts, Hausfriedensbruch und Widerstand gegen Staatsbeamte vorgeworfen.

Besonders stark hervorgehoben werden angebliche Aktivitäten der Gefangenen während der Ereignisse in Neapel vom März 2001 und Genua im Juli des selben Jahres. Schon in Neapel hatte es schwerste polizeigewalt gegeben, als dort heftige Proteste zum Oecd Treffen stattfanden. Obwohl der gegen die Betroffenen angewendete Artikel 270 im Zuge der europäischen Gesetzesänderungen im Rahmen der US-Initiative Enduring Freedom, also nach Napoli und Genua, verändert worden war, soll dieser nun unter Einwirkung des Strafgesetzes 1438 Anwendung auf Tatbestände finden, die sich vor Eintritt der rechtlichen Wirksamkeit der veränderten Rechsprechung ereignet haben.

Insbesonder zwei der Verhafteten drohen bis zu 15 Jahre Haft. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sollen sie die Anführer einer subversiven Organisation namens "Rete meridionale del sud ribelle"sein. Diese besteht aus einem Netzwerk von süditalienischen Gruppen und Initiativen, die sich im Mai 2001 bei einer öffentlich angekündigten und durchgeführten Veranstaltung offiziell als Netzwerk konstituierten. Zum aüßerst lästigen Dorn im Auge wurden seit der Gründung des Netwerks nicht zuletzt die Antimafia-Aktivitäten einiger Gruppen aus dem Netzwerk, die vielen Straßenaktionen der verschiedensten Initiativen, das Freie Radio Gap, das zum g8 gegründet wurde und der kapillare Medienaktivismus der Leute überhaupt. Viele hatten sich nach Genua mächtig für die Schaffung von Gegenöffentlichkeit engagiert. Von mindestens einem ist außerdem bekannt, dass er nach Genua wegen Körperverletzung geklagt hatte.

Das Auffinden in den Wohnungen der Betroffenen von "Stöcken und Eisenstangen" sowie von Wollmützen in der Art der Pasamontanas, wie sie die Zapatistas tragen, sollen Personen aus Ermittluungskreisen gegenüber Journalisten als Beleg für Verbindungen zum deutschen schwarzen Block angeführt haben. In der Ermittlungsakte sei ausdrücklich von einem deutschen schwarzen Block die Rede, insbesondere sei nach den Zusammenstößen von Genua geplant worden, dass sich die Gruppe um Rete ribelle del sud organisiere, um einen "roten Block" zu bilden, der sich hinter den "black Bloc" stelle. Die Organisation habe die Umsetzung von subversiven Aktionen und Verwüstungen in Zusammenhang mit internationalen Events wie Napoli (Oecd-Gipfel) und Genua (G8) gehabt. Nach Angaben der politischen Polizei Digos seien dabei Verbindungen mit "Black bloc" Gruppen zu Tage gefördert worden. Die Haftbedingungen wurden mit Fluchtgefahr ins Ausland begründet.

Laut Staatsanwaltschaft Cosenza war die Wahl des Namens "Gap" für das G8 Radio außerdem kein Zufall, sondern vielmehr "von über die umstürzlerische Vergangenheit sehr gut informierten Leuten, die mit dem Gedanken spielen, die Anomie der Bewegung auszunutzen, um dem historisch gescheiterten bewaffneten Kampf neue Aktualität zu verleihen, gewollt." "Gap", schreibt der Untersuchungsrichter in der Ermittlungsakte, " - Gap, wie die von Giangiacomo Feltrinelli [Linker Verleger, der in den 70ern eines Tages auf einer Menge Sprengstoff und auf nie eindeutig geklärte Weise direkt unter einem Strommast hochging] ersonnene umstürzlerische Formation, die in Italien und Europa operierte, um die strategischen Grundlagen und die organisatorischen Prinzipien für die Stadtguerrilla zu schaffen."

Es ist angebracht, klarzustellen, dass das Logo "Gap" keineswegs eine Erfindung Feltrinellis gewesen ist, sondern vie früher schon die Bezeichnung von kleinen klandestinen bewaffneten Gruppen des antifaschisten Widerstands der "Resistenza" zur Zeit des Faschismus war, die vordergründig in den Fabriken Norditaliens operierten. Völlig spekulative Assoziationen scheinen in der Akte in Hülle und Fülle vorhanden zu sein. Einem der Verhafteten soll beispielsweise die Tatsache vorgeworfen werden, dass er mit dem Rote Brigaden Gründer Roberto Curcio zusammen gesessen hat und persönlichen Kontakt mit diesem gepflegt haben soll, wie auch mit einem anderen Protagonisten der Jahre des bewaffneten Kampfes in Italien, dem im französischen Exil lebenden Oreste Schalzone, der jedoch prompt aus Paris vie Nachrichtenagentur vehement dementierte und scharf kritisierte.

Mit der 360-seitigen Ermitllungsakte beschäftigen sich im Augenblick die Anwälte der Inhaftierten. Diese meinen, die Vorwürfe seien unthaltbar. Über die weitere Entwicklung wird im Laufe der Woche mehr zu erfahren sein.
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Ergänzungen

Bring it on!

Max 17.11.2002 - 18:15

I'm afraid our worst nightmares of yesterday weren't close to the reality that is coming. I also think it's a huge strategical error on the part of our masters. They will not be able to contain the furies they are about to unleash. And there is absolutely no reason to prefer the "gentler" methods which are proposed by "critics" of the new regime, as these methods simply drag out the agonies, destroying every last pocket of wildness and life.

In England sind drei Südländer

Cleo 17.11.2002 - 19:17
denen Konkret nichts nachgewiesen werden kann, nach dem Neuen Anti Terror Gesetz, auf Unbestimmte Zeit eingebuchte worden.

@Cleo

Quelle? 17.11.2002 - 22:02
Quelle?

In diesem Zusammenhang empfehlenswert

Leser 17.11.2002 - 22:49
Das Buch "Genua" von Dario Azzellini aus dem Verlag Assoziation A, welches es in jedem linken Buchladen gibt.
In diesem Buch ist jede Menge über die Organisation Gladio zu erfahren, die die "Strategie der Spannung" in den 60ern erfand, um Italien in eine autoritäre Dikatur zu verwandeln. Auch deutsche Behörden sind in dieses Netzwerk verwickelt. Seit den 60ern gab es kaum Zeiten, in denen nicht regelmässig Anschläge fingiert wurden, um die Linke zu treffen.

Öffentlich Allen Zugängliche Medien!

Cleo 18.11.2002 - 00:17

taz - Artikel zum Thema

erwin 18.11.2002 - 01:24
Unter  http://www.taz.de/pt/2002/11/18/a0055.nf/text gibts einen Artikel zu den Verhaftungen.