Die Gewaltfrage

Neutraler Beobachter 18.09.2002 16:26
Diskussionsbeitrag zum Thema Gewalt bei Demonstrationen
Die Gewaltfrage

Ich beobachte seit geraumer Zeit die Entwicklung in der antikapitalistischen Szene. Insbesondere fallen mir die Diskussionen auf Indymedia bezüglich der Gewaltfrage auf. Hier erwächst ein immer größerer Konflikt zwischen gewaltbereiten und friedlichen Demonstranten.

Zu diesem Thema möchte ich nun auch einige Worte verlieren.

Ich war schon auf vielen Demonstrationen. (u.a. Berlin 1. Mai, Genua, Brüssel anti EU Demos, München gegen die Sicherheitskonferenz und zuletzt in Salzburg gegen das WEF)

Auf diesen Demos stellt sich ein großer Konflikt zwischen gewaltbereiten Demonstrationsteilnehmern ("Black Block", Punks...) und friedlichen Teilnehmern (Attac, Gewerkschaften...) dar. In Brüssel kam es sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen beiden Parteien.

Diese Spaltung führt zu einem Niedergang der antikapitalistischen Bewegung. Die Bewegung begann mit dem Summer of Resistance 2001. Legendäre Veranstaltungen wie in Stockholm, Seattle oder Genua führten zu einer enormen Medienwirksamkeit.

Vereine wie Attac haben einen enormen Zulauf erhalten und sind zu gewaltigen NGO's geworden. Die Themen wie Nord-Süd Konflikt, Macht der weltweiten Organisationen wie WTO, Globalisierung waren plötzlich in aller Munde. Langsam wird es wieder stiller. Die Demos werden kleiner und uninteressanter, die Medien berichten nicht mehr, die gemeinen Bürger hinterfragen nicht mehr.

Wie kam es zu dieser Entwicklung? Alle diese Großveranstaltungen in 2001 haben eines gemeinsam: Sie wurden von Krawallen "überschattet"! Die bürgerliche Presse regte sich über die wildgewordenen Chaoten auf und alle waren empört. Durch diese Berichterstattung wurden jedoch die Demos dem Volk vor Augen geführt und nachdem sich die Menschen nicht mehr über die sinnlose Gewalt aufregten,fragten sie sich warum eigentlich demonstriert wurde. Dieses Interesse führte wiederum zu einer Berichterstattung in bürgerlich linken Medien über die Globalisierung. Viele Menschen stellten fest, dass die Globalisierung vielleicht doch nicht so toll ist und begannen dagegen zu sein. Ein großer Teil fand sich beispielsweise bei Attac wieder.

Diese Menschen wollten nun auch protestieren. Natürlich gewaltlos... Ihre Demos waren anfangs sehr groß (Brüssel)und die Gewalttäter wurden an den Rand gedrängt beziehungsweise verbannt und beschimpft. Doch irgendwie haben sie diesmal niemanden interessiert. Kein Schwein hat darüber gelesen oder berichtet. Man hatte das Gefühl es sei sinnlos zu demonstrieren, wenn es eh keiner mitbekommt.
Dieses Gefühl ist gar nicht so falsch. Ohne Berichterstattung in den bürgerlichen Medien kann es zu keiner Änderung kommen, weil die Menschen in ihren Häusern auf die Probleme gar nicht aufmerksam werden.

Die Ausschreitungen bringen die Aufmerksamkeit die dazu führt, dass die Probleme, gegen die demonstriert wird, auch zur Kenntnis genommen werden.

Warum meint ihr, dass niemand von der Demo gegen die EU in Brüssel spricht, jedoch Genuzu einer europaweiten Diskussion über Globalisierung geführt hat?

Es gibt viele Beispiele: Die Anti Castor Bewegung in Deutschland hat bewirkt, dass der Atomausstieg beschlossen wurde und das Zwischenlager in Gorleben immer noch nicht benutzt wird.

Die gewaltsamen Demos gegen das WEF in Davos haben erstens bewirkt dass beim WEF mittlerweile auch soziale Probleme diskutiert werden (müssen) und die NGO's eingeladen wurden.(obwohl sie ja eigentlich gegen Gewalt sind) Zweitens wurde das WEF treffen sogar zeitweise (oder ganz) aus Europa vertrieben.
(Von der friedlichen Demo in Salzburg hat niemand etwas gehört und die mächtigen können sich nächstes mal wieder ungestört unterhalten... zum Glück hat sich das Salzburg Social Forum sehr schnell vom radikalen Block distanziert bevor dieser seine Art des Protestes entfalten konnte. So weiß heute niemand, dass in Salzburg die Zukunft der Osterweiterung zwischen Kapital und Politik vereinbart wurde)

Die Ausschreitungen in Genua haben bewirkt, dass sich die Mächtigen überlegt haben das Treffen wesentlich zu verkleinern oder sogar ganz abzuschaffen weil die Proteste nicht mehr kontrollierbar seien.

Ein Beispiel der Gegenseite: Die NPD hat mobil gegen die Wehrmachtsausstellung gemacht (mit teilweise großem Erfolg). Die bürgerlichen Medien waren erschüttert. Wieder Nazis auf Deutschen Strassen. Nachdem sich die Erregung gelegt hatte begannen bürgerlich konservative Medien jedoch zu hinterfragen wie denn das mit der Wehrmachtsausstellung eigentlich sei... Die Konsequenzen sind bekannt.

Alle diese Konsequenzen wären ohne Berichterstattung der Medien (ohne Gewalt ?!?) nicht so eingetreten.


Was ist zu tun? Man kann sich mit Gewalttätern nicht solidarisieren. Dies würde zu einem kompletten Verbot der Organisationen und Demonstrationen führen. Man muss sie aber tolerieren und ihr verhalten im Nachhinein in direktem Zusammenhang mit dem Demonstrationsgrund bringen. Die Gewalttäter sind im allgemeinen keine dummen Hooligans. Es handelt sich zumeist um frustrierte Jugendliche die ihrem Anliegen gehör verschaffen wollen. Sie erwarten bestimmt nicht, dass der 40 Jährige Gewerkschafter mit ihnen die Polizeikette angreift um eine Veranstaltung aktiv zu stören. Man verrät sie aber, wenn man ihnen in diesem Falle den Rücken zudreht und sie ihrem Schicksal überlässt.

Der Glaube sie würden die Demo in eine sinnlose Gewaltorgie verwandeln ist verkehrt. Sie haben eine andere Art des Protestes gewählt. Durch ihren Protest wird aber erst dem Anliegen der friedlichen Demonstranten Gehör verschafft.

Um einigen Gegenargumenten vorzubeugen die vielleicht aufkommen könnten.

Die hohen Kosten die durch die Krawalle entstehen könnte man doch auch hungernden Kindern spenden:

Erstens würde das Geld nie gespendet und zweitens sind die Kosten (auch wenn sie hoch scheinen) marginal. Der Schaden der durch dumme Politiker und korrupte Firmenchefs angerichtet wird ist unendlich mal höher. Der wirtschaftliche Schaden stellt keinen Faktor dar, die Wirkung ist aber enorm.

Das Bankgebäude kann doch auch nichts dafür das alles so schlimm ist:

Wenn diese Symbole angegriffen werden kommt kein Mensch zu schaden. (Der ESSO Tankstellenpächter ist versichert) Die Symbolkraft die hinter solchen Aktionen steht ist groß.
(zuerst findet der Bürger doof, dass die Allianz Filiale demoliert wurde, in einem zweiten schritt fragt er sich warum sie demoliert wurde und kommt zum Schluss, dass es zwar nicht richtig war das Schaufenster einzuschlagen, dass man aber trotzdem etwas gegen die globalen Konzerne tun muss)

Die Polizisten können doch nichts dafür:

Die Mehrzahl der Polizisten ist stockkonservativ. Sie hassen die Autonomen und bemitleiden die Linken. Außerdem ist ihre Existenz von den Gewalttaten abhängig. Sie haben diesen Beruf freiwillig gewählt. Ohne gewalttätige Demonstrationen könnten sie wegrationalisiert werden. Das klingt jetzt vielleicht nicht glaubwürdig, aber ich bin sicher die Zahl der Polizisten könnte in Deutschland ohne das Gewaltpotential der Linken deutlich reduziert werden. (BGS, BEPO) Die Demonstranten sind quasi der Garant für ihren Arbeitsplatz bzw. ihre Einstellung.

Der tatsächliche Grund der Demonstration gerät durch die Gewalt in den Hintergrund:

Dieses Argument ist wie oben erwähnt kurzsichtig. Erst durch die Krawalle werden die Probleme den Menschen bewusst. (nur zeitlich versetzt)

Alle Demonstranten werden mit den Gewalttätern über einen Kamm geschert:

Auch das ist nicht richtig. Trotz der enormen Krawalle in Genua hat die bürgerliche Presse zwischen Gewalttätern und friedlichen Demonstranten differenziert. Nur wirklich bornierte Menschen können das nicht unterscheiden. (sie wird man jedoch nie erreichen)

DIESES POSTING IST KEIN AUFRUF ZUR GEWALT

Er soll bloß zum Denken anregen, ob die arrogante Haltung einiger Demonstranten gerechtfertigt ist und ob man nicht versuchen sollte auch den radikalen Gruppen den nötigen Spielraum zu lassen.
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Ergänzungen

platt

18.09.2002 - 17:01
ok, einiges korrekt beobachtet, sonst ist der beitrag so platt, daß er eher als provo verstanden werden kann. tut mir leid. wer so unreflektiert von "gewalt" spricht, der soll erst seinen inneren fernseher abschalten. die sogenannte gewaltdiskussionen wird von den hegemoniellen medien aufgezwungen um die bewegung zu diffamieren.

bevor du von gewalt redest, sag erstmal was das überhaupt sein soll. du hast lediglich den hegemoniellen begriff übernommen und reproduzierst den von der macht (hegemonie) eingeführten diskurs.

ist gewalt wenn eine scheibe zu bruch geht oder ist gewalt wenn tausende todesopfer als kollateralschaden zynisch abgehakt werden?

aber auch jenseits der proportotionen, der soziologische gewalt-begriff wurde hier mehrmals gepostet. also weg mit dem propaganda-begriff und bitte keine stumpfe disko beginnen.

google anschmeißen und "gewalt definition" eingeben. oder "strukturelle gewalt". "property destruction".

was sagst du zum bush-besuch? null gewalt außer von der polizei, riesenprotest, großes medienecho?

zweierlei Gewalt

soc.rev 18.09.2002 - 17:06
Gewalt auf Demonstrationen, bzw. die Aktionsform "black bloc" ist nicht nur Ausdruck von Frustration irgendwelcher Jugendlicher. Gewalt gegen Sachen (und in bestimmten Fällen auch gegen Menschen) ist schon lange ein heissdikutiertes Mittel autonomer bzw. linksradikaler Politik. Dass der Globalisierungsbewegung jetzt erst auffällt dass es so etwas gibt ist ziemlich dürftig, schliesslich kämpfen KommunistInnen/AnarchistInnen schon seit Jahrzehnten mit dem Mittel der Gewalt für einen grundlegenden Wandel. Zugegeben, nicht immer besonders schlau oder verhältnismäßig.
Was der obige Artikel (u.a.) auch vernachlässigt ist eine vernünftige Definition des Gewaltbegriffs zu liefern. Von black block - AktivistInnen wird ihre Gewalt als Reaktion auf die strukturelle Gewalt des kapitalistischen Systems definiert - so betrachtet sind ein paar Pflastersteine, brennende Autos und verletzte Cops auch nicht mehr als ein verzweifelt-hilfloser Versuch den Protest gegen die Unmenschlichkeit der Verhältnisse einigermassen angemessen zu gestalten. Zwei Drittel der Welt hungern und sterben und die metropolitane Linke hat nichts besseres zu tun als sich über Gewalt zu streiten.
Dem sei ein herzliches "smash capitalism!" entegengesetzt - auf diskursiver wie auf materieller Ebene.

Gewalt ?!?

neutraler beobachter 18.09.2002 - 17:21
OK, OK, Der Begriff Gewalt ist etwas allgemein gewählt. Jedoch müßte jeder Leser (hier) wissen welche Art von Gewalt hier gemeint ist.

Die Diskussionen bei Indymedia gehen oftmals in Begriffstreitigkeiten und theoretischen Diskursen unter. Das tatsächliche Problem, dass die ganze Kritik ohne Medienwirksamkeit sinnlos ist wird oft vernachlässigt.

Das Problem das ich beschrieben habe ist aber real. Selbst der revolutionäre erste Mai in Berlin wird nicht mehr lange existieren, wenn der Zusammenhang von "Gewalt" und Revolution vernachlässigt wird. (Bald langweilen sich die linken intellektuellen bei Demos in der Innenstadt, während die Kinder in Kreuzberg feuerchen machen. Ohne dass beides zusammenbleibt, wird beides scheitern.

Der Bush Besuch ist das typische Beispiel für meine Ausführungen:

Die breite Medienberichterstattung (die oftmals auch amerikakritisch war) wurde nur vor dem Hintergrund drohender Ausschreitungen geführt. Dass die Aktionen im Nachhinein Beachtung fanden ist nur dem brutalen Vorgehen der Polizei zu verdanken.

Das ist pervers, ich weiss. Ich fände es auch besser, wenn es nicht zuerst zur Gewalt kommen müßte, damit die Menschen aufwachen. In unserer Sensationsgesellschaft ist das aber nuneinmal so.

Ohne die Bedrohung durch "Gewaltbereite" wäre der Bushbesuch vollkommen unkritisch abgehandelt worden. (vielleicht eine kurze meldung dass es auch Menschen gab die friedlich dagegen demonstriert haben)

Indymedia ist kein Diskussionsforum

18.09.2002 - 18:35






Indymedia ist eine Nachrichtenseite und kein Diskoforum. Die gibts hier:  http://www.indymedia.de/static/diskussion.shtml













lala

DISKOFAN 19.09.2002 - 03:40
mensch,

versteh nicht was das dauernd soll. ganz offensichtlich IST INDYMEDIA AUCH EIN DISKUSSIONSFORUM und die mehrheit der user scheint das auch so zu sehen. was ist daran denn so schlimm? hier werden berichte gepostet, ankündigungen abgesetzt, gruppenstatements der skurilsten vereine verfasst und diskussionen geführt. oft ist das niveau unter aller sau, dann mal wieder erstaunlich hoch. na und? das ist doch gerade das was indy interessant macht.

das einzige was wirklich nervt ist der "offensichtliche spam" der hier vielfach und in letzter zeit vermehrt - so jedenfalls mein subjektiver eindruck - auftaucht. da sollte von mod-seite vielleicht noch mehr dran gearbeitet werden. auch der umgangston ist teilweise recht derbe geworden - das leute hier ständig (ohne weitere begründung/fundierte argumentation) als nazi, bulle oder rassist beschimpft werden ist irgendwie ein problem das angegangen werden sollte.

ansonsten hat sich die moderationspraxis schon sehr gebessert: nazipostings stehen nicht mehr so lange drin wie früher und mensch ist für antisemitische ausfälle sensibler geworden.

Wenn Du Diskos gut findest....

Fragen über Fragen 19.09.2002 - 03:42
warum nutzt dann nicht ein Forum, wo es Baum-Struktur und alles gibt? Es gibt Foren, die sind genauso gut wie die hier besucht. Und wenn Du die Ergänzungen zu Diskussionen umfunktionieren willst (und 40 Leute sind nicht DIE User), wo sollen dann die Ergänzungen zum Artikel hin? Vielleicht auf eine Disko-Seite? URL-Tausch?

links...

ösi 19.09.2002 - 14:50
text zu gewalt/gewaltdefinition vorm hintergrund der anti wef proteste in salzburg 2001:

 http://www.antiwef.org/article.php?sid=85

auf der seite http//www.antiwef.org findet ihr unter "theorie" und "nachbereitung" noch ein paar texte zum thema...
auf at. indymedia.org entspinnen sich anhand der protese gegen das wef 2002 in salzburg auch interessante disko´s siehe mittelspalten feature!

gruss an alle die an der grenze zurückgeschickt wurden!