Spiegel+Staatsanwaltschaft fallen auf Fakewebsite zur Wahl herein

Luther 15.09.2002 16:29 Themen: Medien Netactivism
Zum Kaputtlachen: Cashvote.com ist eine gelungene Kommunikationsguerilla-Website eines Kieler Untergrundkünstlers, auf der angeblich Stimmen für die Bundestagswahl gehandelt werden können ("Wählen lohnt sich wieder"). Nach wenigen Minuten dort merkt jeder einigermaßen intelligente Mensch, dass hier etwas nicht stimmt. Nicht so Spiegel und Staatsanwälte!
Noch steht dieser Artikel auf der Spiegel-Startseite (!), wahrscheinlich wird er aber bald ganz verschwunden oder korrigiert sein, deshalb hier zur Dokumentation im Wortlaut  http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,214038,00.html

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14. September 2002
WAHLFÄLSCHUNG
"Staatsanwalt ermittelt gegen Stimmen-Händler"
Manche Nichtwähler lassen ihre Stimme einfach verfallen, andere verkaufen sie. Eine kleine Kieler Firma namens "Fortschritt" treibt den Handel auf die Spitze - und bietet Wahlstimmen im Zehntausender-Paket an.
Frankfurt/Main - Wer Stimmen nicht klammheimlich unter Chiffre-Anzeigen oder in Chat-Foren, sondern gleich im Paket einkaufen will, kommt zu Cashvote.com. "Wählen lohnt sich wieder", heißt es da in dicken Lettern. Was damit gemeint ist, erfährt der Besucher im Nachsatz: "Ab sofort können Sie hier Ihre Stimme für die Bundestagswahl 2002 verkaufen sowie Wählervoten im Paket erwerben. Am 22. September sind Wahlen - machen Sie Ihre Stimme schon jetzt zu Geld!"
Da gibt es das "Ecopaket" mit 1000 Zweitstimmen für 6250 Euro. Wer die Partei seiner Wahl noch weiter nach vorn bringen will, kauft das "Powerpaket" mit 10.000 Zweitstimmen, das - die Menge macht's - schon für 59.900 Euro zu haben ist. Und Nachschub ist reichlich vorhanden, glaubt Cashvote-Betreiber "Fortschritt", ein Kieler Unternehmen, das sich im Mai dieses Jahres gegründet haben will. Auf 7,3 Millionen Stimmen beziffert "Fortschritt" das "jährliche Vermittlungspotenzial". Man sucht verzweifelt nach Anzeichen, dass Cashvote nur eine Satire ist. Allein, es finden sich keine.
Für wen die gekauften Stimmen abgegeben werden, bleibt ganz der Wahl des Käufers überlassen: Er kann jede Partei anklicken, die zur Bundestagswahl antritt - von der " Alternative spirituelle Politik im neuen Zeitalter", auch als "Die Violetten" bekannt, über SPD und CDU bis hin zur NPD. Auch im Internet-Auktionshaus eBay werden immer wieder Wählerstimmen angeboten, die nach eBay-Angaben gelöscht werden, sobald sie auftauchen.


Doch das Geschäft könnte für Stimmenkauf und -verkauf könnte die Beteiligten teuer zu stehen kommen: "Wer einem anderen dafür, dass er nicht oder in einem bestimmten Sinne wählt, Geschenke oder andere Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt", heißt es im Strafgesetzbuch, "wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft."
Eigentlich sollte mittlerweile bekannt sein, dass nur der seine Wahlstimme zum Kauf anbieten sollte, der keine Angst vor dem Staatsanwalt hat. Dennoch ermitteln derzeit gleich mehrere deutsche Anklagebehörden gegen Unvorsichtige, die im Internet und über Zeitungsanzeigen ihre Wählerstimme zum Kauf angeboten haben.
Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Job Tilmann hat einen entsprechenden Bericht der "Bild am Sonntag" jetzt bestätigt. "Mir sind mehrere Fälle aus dem Internet bekannt", sagte Bundeswahlleiter Johann Hahlen der Zeitung. "Wir haben sofort die Betreiber der betroffenen Foren angemahnt und die zuständigen Staatsanwaltschaften eingeschaltet. Diese haben sofort Ermittlungsverfahren eingeleitet." Perverse und hochkriminell sei diese Art, die Demokratie zu schädigen.
Deshalb droht jetzt gar der Frankfurter Rundschau Ungemach. In dem Blatt soll ein Arbeitsloser seine Stimme im Tausch gegen einen Job angeboten haben. Ermittler Tilman will jetzt die Anzeigenabteilung der "Frankfurter Rundschau" durchsuchen lassen, um den Mann ausfindig zu machen. Ziel der Ermittlungen sei aber nicht die Zeitung, beteuerte Tilmann. Nur der Inserent.

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Peinlich, peinlich, dass Spiegel und die Staatsanwaltschaft auf so eine Satireseite hereinfallen, nur weil dort nicht "Fake" beisteht. Eine kleine Recherche nach dem Domaininhaber und anschließender Suche bei einigen Suchmaschinen hätte doch schon gereicht, um Klarheit zu schaffen. Die Website gehört nämlich einem Kieler "Untergrund-Künstler".

Sie liegt auch nicht, wie zu erwarten wäre, auf einem US-Server sondern bei Schlund/Puretec in Deutschland. Der Eintrag ist vom 15.08.2002, die Website ist also allerhöchstens 1 Monat online und die "Verkaufsfrist" ist bis zum 15.09.2002 begrenzt, in so kurzer Zeit kann man wahrscheinlich nicht bekannt werden und großartige Geschäfte machen ...

Die Website  http://www.cashvote.com sieht zwar perfekt gestylt aus, aber wer lesen kann und nicht völlig blöd ist ...:

Der Verkäufer bekommt nämlich 10 Euro für die Stimme, der Käufer zahlt aber z.B. nur 6 Euro pro Stimme! Wie soll die "Vermittlungsfirma" dann Gewinn machen?

Außerdem werden Erststimmen und Zweitstimmen durcheinandergebracht usw. und die Beschreibung der "Geschäftsidee" ist auch ziemlich eindeutig...

Schnell hin und lesen, vielleicht sperrt die humorlose Stasi, äh Staatsanwaltschaft die Seite ja doch noch:  http://www.cashvote.com
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Ergänzungen

*lol*

MrPizza 15.09.2002 - 16:51
am besten finde ich die Anteile der Verkauften Stimmen.

FDP: 18 % *g*

doch gewinn

15.09.2002 - 17:03
wenn cashvote auch erststimmen verkaufen wuerde (unwahrscheinlich), dann waere schon ein gewinn moeglich. allerdings ist im formular fuer die waehler/verkaeufer (die ja 10 euro bekommen) nichts davon gesagt, dass sie auch die erststimme nach anweisung abgeben muessen.

Schade

15.09.2002 - 17:10
Schade, der Wahlfälschungs-Artikel steht ab jetzt nicht mehr ganz oben auf der Spiegel-Startseite, nur noch weiter unten bei Netzwelt...

Stimme abgegeben...

15.09.2002 - 18:22
So, ich habe jetzt meine Stimme "verkauft": Man kann im Prinzip ALLE Felder freilassen, es erscheint trotzdem immer die Erfolgsmeldung:

Vielen Dank, "Name" "Vorname"
Ihre Angaben wurden gespeichert.

Nicht einmal eine Partei muss angekreuzt werden! Spricht nicht unbedingt gegen ein Fake...

GEOUTET

Luther 16.09.2002 - 11:55
SCHADE, bei Cashvote.com gibt es heute zwar noch die Originalseiten  http://www.cashvote.com/index_.php zu sehen, auf der Startseite  http://www.cashvote.com erscheint aber nun zunächst eine Klarstellung, dass es sich um ein Fake handelt.

Aus der Presseauswertung dort ergibt sich, dass nicht nur der Spiegel offensichtlich zu Deutschlands cleversten Medien gehört sondern ganz vorne natürlich die Bild am Sonntag sowie die FAZ, AP, n-tv, Stuttgarter Nachrichten und der Stern (Hitler-Tagebücher... gennant werden müssen! Alle entsprechenden Artikel sind heute (Montag 16.09.2002, 10:30) immer noch so im Netz, auf eine Satire wird nicht hingewiesen - schnell hin...

Interessant auch, dass Bundeswahlleiter Johann Hahlen voll auf ein so relativ einfaches Fake hereingefallen ist - aber deutsche Spitzenbeamte gelten im internationalen Vergleich ja bekanntlich als die mit Abstand Intelligentesten ...

Es bleibt zu befürchten, dass Hahlen und die Staatsanwaltschaft aus Rache dafür, dass ihre eigene Cleverness so deutlich herausgestellt wurde ;) jetzt weiterhin massiv gegen die Betreiber vorgehen. Es finden sich dafür sicher irgendwelche absurden Paragraphen (Vortäuschung oder Aufforderung zu Straftaten o.ä.) ...

Erste Entwarnung im Web

16.09.2002 - 12:05
Erste "Enthüllung" von Cashvote.com als Satire im Web
- nach Indymedia :) -

Ostsee-Zeitung
 http://www.ostsee-zeitung.de/po/start_148552.html

Einer der Initiatoren von Cashvote.com, Benno Peters, erklärte im Südwestrundfunk, die Aktion sei als Scherz gemeint gewesen. "Es wurde nie mit Stimmen gehandelt, noch bestand bei uns dazu die Absicht", sagte er laut SWR. Das Ganze sei ein politisches Experiment einer sich in der Gründungsphase befindenden Partei. "Wir wollten mit dieser Aktion den heruntergekommenen Stand der jetzigen Demokratie kritisieren", sagte Peters. Es sei für keine einzige Stimme Geld geflossen, allerdings habe es mehrere hundert Angebote gegeben.

dpa, AP etc. - alle reingefallen!!!

fr-leser 16.09.2002 - 12:26
Offensichtlich sind auch die Presseagenturen dpa und AP voll auf das Fake hereingefallen und entsprechend berichten praktisch alle deutschen Zeitungen (siehe auch Paperball.de)!

Die Frankfurter Rundschau kapiert es allerdings beinahe - hier komplett zur Dokumentation wiedergegeben, da vermutlich auch diese Seite demnächst nicht mehr unverändert online bleiben dürfte:

 http://www.fr-aktuell.de/fr/101/t101003.htm

IM BLICKPUNKT
Wählervoten im "Power-Paket" - Cashvote handelt mit Stimmen
Von Jörg Schindler (Berlin)
Kurz vor der Wahl sorgen geschäftstüchtige Menschen für Furore, die Wählerstimmen gegen Bares verhökern. Die Staatsanwälte ermitteln.
Das Angebot klingt verlockend, die Idee bestechend einfach. "Machen Sie Ihre Stimme zu barem Geld", heißt es auf der Internet-Seite von Cashvote. Die Voten würden nur an "seriöse Interessenten" abgegeben, ohne Aufwand, ohne Kleingedrucktes, zehn Euro das Stück. "Wählen", so das Fazit, "lohnt sich wieder."
Seit Mai 2002 kauft Cashvote, ein "junges, innovatives Unternehmen" mit Sitz in Kiel, Wählern ihre Stimme ab, um sie Gewinn bringend zu verhökern. Wer sich seinen Urnengang vergolden lassen will, muss lediglich eine "Selbstverpflichtung" unterschreiben. Kurz vor der Bundestagswahl erhält er zehn Euro und die Anweisung, wen er wählen soll. Auf diese Weise, so Cashvote selbstlos, "werden sogar Nichtwähler zu Wählern". Benno Peters, Sprecher des Unternehmens, sagte, man bewege sich in einer Grauzone zwischen "Satire und Ernst".
Die so gesammelten Stimmen schnürt das Unternehmen zu Paketen zusammen. 1000 Zweitstimmen sind für 6250 Euro zu haben, für das Zehnfache garantiert das "Power-Paket" Rabatt. Wirtschaft und Demokratie, lobt die Firma, würden so aufs Trefflichste miteinander verknüpft. Etliche Wähler scheinen das ähnlich zu sehen: Mehr als 70 000 Mal wurde die Web-Site von Cashvote mittlerweile aufgerufen.
Dabei ist die Idee, Wählerstimmen zu vermakeln, nicht wirklich neu. In den USA erdachte ein Kunststudent vor einigen Jahren eine Parodie auf das System der Wahlkampf-Finanzierung, aus der im Handumdrehen Ernst wurde. Kurz vor der Präsidentschaftswahl sorgte www.voteauction.com für erhebliches Aufsehen: Binnen kürzester Zeit meldeten sich dort 15 000 Wähler und etliche Bieter - Höchstsumme: knapp 200 000 US-Dollar.
Auf vehemente Proteste reagierte der Betreiber der Seite gelassen: Immerhin sei es in den USA durchaus üblich, dass Lobbyisten die Parteien mit üppigem Geldsegen bedenken. Nicht einzusehen sei, warum dieselben Millionen nicht direkt an den Wähler ausgeschüttet werden sollen. Überall, wo Spenden Wahlen beeinflussen, sollten daher Stimmenkaufbörsen eingerichtet werden - auch in Deutschland.
Nun scheint es so weit zu sein. Und Cashvote ist dabei nicht das einzige Unternehmen, das ein Geschäft wittert. Auch beim Internet-Auktionshaus Ebay gingen schon dutzendfach Menschen online, die ihre politischen Präferenzen meistbietend versteigern wollten. Ob scherzhaft oder nicht: Inzwischen ist Ebay dazu übergegangen, die Angebote sofort zu streichen. Das Auktionshaus tut gut daran, denn der Verkauf und Ankauf von Wählerstimmen ist gesetzlich verboten. Wer sich seines Wahlrechts auf monetäre Weise entledigt, dem drohen bis zu fünf Jahren Knast. Die ersten Staatsanwaltschaften haben daher bereits mit ihren Ermittlungen begonnen.
Sie werden demnächst wohl auch in den Anzeigenabteilungen von Zeitungen vorstellig werden, darunter die FR. In deren Kleinanzeigenteil hatte ein besonders gewitzter Wähler jüngst Erst- und Zweitstimme gegen einen Arbeitsplatz angeboten. Egal, ob Satire oder tiefere Bedeutung: Der Mann hat nun ein Problem. Denn auf Drängen der Staatsanwaltschaft wird der Verlag die Adresse des Kunden herausgeben. Auch in anderen Fällen wollen die Ermittler hart durchgreifen.
Die Macher von Cashvote lassen sich davon bislang wenig beeindrucken. Nachdem die Testphase mit der Bundestagswahl erfolgreich abgeschlossen wurde, sollen bald schon auf Landes- und Kommunalebene Wählervoten vertickt werden. Dem Wachstum des neuen Marktes seien kaum Grenzen gesetzt: Allein in Deutschland gebe es ein "jährliches Vermittlungspotenzial" von 7,3 Millionen Stimmen

Glückwunsch, super!

16.09.2002 - 12:59
Herzlichen Glückwunsch nach Kiel, perfekte Aktion! Geil. Nur warum hat jetzt die FDP statt 18 sogar 22%? Naja -- immerhin reicht es zusammen mit PBC (13%), PDS (9%) und Schill (9%) zu einer bequemen Mehrheit... Möllemann mit dem mobilen Guido, Schill, Jesus und Gysi, das wäre eine Regierung! Warum ist die CSU nicht aufgeführt, fällt die unter Sonstige?

Interessante Diskussion

Heisianer 16.09.2002 - 14:11
Bei Heise diskutieren die Leute sehr interessant über cashvote.com und hirnlose Presse und Staatsapparat:

 http://www.heise.de/newsticker/data/wst-16.09.02-002/

Bei Indy ist dazu ja hier leider nicht viel los, dabei habt ihr das Fake doch als erstes geschnallt. BTW: Warum ist der Artikel nicht auf der Startseite?

Eine Wählerstimme ist viel mehr Wert

Gerhard 16.09.2002 - 14:37
Wer ist korrupter: Cashvote (wenn es echt wäre) oder Kanzler Schröder?

Herr Schröder kauft 5.500 Stimmen (die MobilCom-Leute) für 320 Millionen Euro. Das sind 58.181 Euro pro Wähler, also fast 6000x so viel wie bei Cashvote.com. Und das ist keine Satire , nur ermittelt hier kein Staatsanwalt .. Davon abgesehen ist die MobilCom-Bürgschaft (sowie bei Holzmann auch) strafrechtlich gesehen möglicherweise Untreue und eine Frechheit gegenüber den 550 kleinen Unternehmen mit je 10 Beschäftigten , die pro Woche Pleite machen und die keinen Cent bekommen.

lustig

venceremos 16.09.2002 - 17:08
selten so gelacht. eine ganz klasse aktion.
und wenn die presseagenturen, spiegel und co darauf reinfallen, zeigen sie nur wie blöd sie sind.

sehr schön

aargh 16.09.2002 - 23:50
Dieser Fake hat es sogar in den Videotext von CNN (S. 106) geschafft - grandios!