EU als Retter, Regulator und ideologischer Weltführer

Gruppe Landfriedensbruch 14.07.2002 16:07 Themen: Globalisierung
Vor allem europäische Linke sehen die Stärkung internationaler Institutionen als Fortschritt an. Dabei argumentieren sie nicht nur aus der klassischen staatseuphorischen Logik, daß Kontrolle den Menschen zu einem sozialen Wesen macht, sondern es geht oft um platte Machtpolitik. Die Stärkung internationaler Institutionen ist die strategische Option der Europäischen Union und in der EU tonangebenden Nationen (vor allem Deutschland) auf eine Weltmachtrolle – vor allem gegen die USA.
Die EU verfügt über durch ihre Aufteilung in viele Nationen über sehr viel mehr diplomatische Kontakte zu den Nicht-Industriestaaten als die USA. Letztere stellen einen eigenständigen wirtschaftlichen, finanziellen und vor allem militärischen Block dar. Daraus folgt, daß EU und USA verschiedene Wege im Ringen um den Weltführungsanspruch gehen. Mehr Staat und Kontrolle einerseits und die Aussicht auf internationale Führung andererseits sind die Gründe für die eindeutig positive Ausrichtung auf EU und UN als institutioneller Rahmen internationaler Politik.
Gleich wie beim Politikstil der US-Regierung ist damit die Marginalisierung der Menschen. Sie sind Setzfiguren im internationalen Polit-Schach.
Besondere Hoffnung stecken viele politische AkteurInnen in die EU und in eine Europäische Leitkultur für die Welt. Diese wird den US-amerikanischen Wertvorstellungen gegenübergestellt – geradeso, als wäre die EU der Hort der Menschlichkeit, zumindest eines Kapitalismus mit menschlichem Antlitz. Nachhaltigkeit und Nachhaltige Entwicklung fungieren in dieser Debatte um die Vorherrschaft der Leitkulturen als Kampfbegriffe europäischer PolitikerInnen vor allem aus dem rotgrünen Lager und vieler NGOs. In einem Text in der Frankfurter Rundschau, einem der Frontblätter der EU-Leitkultur, schrieb Michael Müller, Multifunktionär in SPD und deutschen Umwelt-NGOs: „Nachhaltigkeit ist kein theoretischer Ansatz mehr. Denke global und handele lokal, regional und national - das ist die politische Maxime, um Europa zu behaupten ...“ (siehe auch Kap. 4.1). Auch andere AutorInnen zeigen pro-europäische Gesinnung.

Auszug aus Bernd Hamm, „Hausaufgaben gemacht?“ in: Politische Ökologie Mai/Juni 2002 (S. 39)
Wenn es gelänge, im IWF eine eigenständige europäische Position, eine an nachhaltiger Entwicklung orientierte, durchzusetzen, dann wäre wahrscheinlich mehr für diesen geplagten Planeten zu erreichen.

Auszug aus einem Interview mit Ex-Europaparlamentspräsident Klaus Hänsch im bankspiegel 2/02 der GLS-Bank (S. 9, Widerspruch der InterviewerInnen erfolgte nicht)
Die Amerikaner sind ein Volk. Die Europäer sind verschiedene Völker. ...
Die Europäische Union ist keine Weltmacht. Aber sie hat die Verantwortung einer Weltmacht, weil sie mit ihrem enormen ökonomischen und technologischen Potenzial überall in der Entwicklungsströme und Transfers beeinflusst. Wenn sie ökonomisch ein Riese ist und politisch ein Zwerg, dann handelt sie nicht bescheiden, sondern verantwortungslos. ... Es gibt einen europäischen Wertekanon, den wir anderen nicht aufdrücken dürfen, der aber als Beispiel dienen kann.

Auszug aus der FR vom 10.7.2002 (S. 4)
Die SPD-Linken* sehen das zentrale Argument für die Wiederwahl einer rot-grünen Bundesregierung darin, dass Europa sozialpolitisch ein Gegenpol zu den USA bleiben müsse. In einem von den Sprechern der Linken in der SPD-Fraktion jetzt vorgelegten Bilanz-Buch über vier Jahre Regierungspolitik ist eingangs von einer neuen „Systemauseinandersetzung“ die Rede. Auf der einen Seite stehe das „europäische Modell der sozialen Demokratie“, auf der anderen Seite „die in der Weltwirtschaft von den USA ausgehende liberale Revolution, in der die Politik für die innere und äußere Sicherheit zu sorgen, aber sich ansonsten weitgehend den Gesetzen des Marktes unterzuordnen hat“.
* Diese Gruppe steht den NGOs, vor allem Attac, sehr nahe bzw. ist teilweise bei beiden aktiv.

Tatsächlich ist die Debatte um Nachhaltigkeit und Agenda 21 vor allem eine europäische. Von ca. 6.000 Agenda-Prozessen in Kommunen weltweit laufen fast 5.300 im kleinen Erdteil Europa. Die weltweiten Grundsatzpapiere für die Diskussion entstanden in europäischen Eliten – angefangen vom Willy-Brandt-Report über die Brundtland-Kommission bis zur Agenda 21, den Verhandlungen um das Kyoto-Protokoll und die Vorbereitung für das Worldsummit in Johannesburg 2002.
Die Leitkulturdebatte wird in der Agenda 21 nicht nur in der grundsätzlichen Ausrichtung auf Freihandel und Technikexport sichtbar, sondern auch im Kapitel zu indigenen Bevölkerungsgruppen, wo diesen die Fähigkeit zum nachhaltigen Leben abgesprochen wird und ihre Rolle deshalb u.a. „angepaßt“ werden soll. Als einzige Bevölkerungsgruppe, die ein Kapitel in der Agenda hat, ist bei ihr kein Wort über Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte zu finden. Ungeschminkt wird hier ein Lebensstil-Imperialismus deutlich – am europäischen Wesen soll die Welt genesen.

Auszug aus Kapitel 26.1 der Agenda 21
Indigene Bevölkerungsgruppen ... Ihre Fähigkeit zur uneingeschränkten Mitwirkung an einem auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichteten Umgang mit ihrem Land hat sich aufgrund wirtschaftlicher, sozialer und historischer Faktoren bisher als begrenzt erwiesen. Angesichts der Wechselbeziehung zwischen der natürlichen Umwelt und ihrer nachhaltigen Entwicklung einerseits und dem kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und physischen Wohlergehen der indigenen Bevölkerungsgruppen andererseits soll bei nationalen und internationalen Anstrengungen zur Einführung einer umweltverträglichen und nachhaltigen Entwicklung die Rolle dieser Menschen und ihrer Gemeinschaften anerkannt, angepaßt, gefördert und gestärkt werden.

Die Widersprüchlichkeiten gehen noch weiter, es sind dieselben Personen und Organisationen, die die europäische Idee „Nachhaltigkeit“ zur weltweiten Leitkultur erheben wollen und die gleichzeitig für eine Verschärfung von Herrschaftsverhältnissen in Europa durch die europäische Integration eintreten. So heißt es im Kommentar der pro-europäischen und neokeynesianistischen FR vom 4.6.2002 (S. 3): „Ganz klein aber ist die Union, wenn es um Zuwanderung geht, und notwendig damit verbunden um die Verlässlichkeit der Grenzkontrollen bei der Abwehr illegaler Einwanderung ...“.


Dieser Text stammt aus dem Manuskript zum ca. im September erscheinenden Buch „Nachhaltig, modern, staatstreu?“ zur Kritik an den staats- und marktorientierten Ideologien politischen Gruppen ( Infos und Gliederung:  http://www.projektwerkstatt.de/materialien ).

Weitere Infos:
- Zitatesammlungen unter  http://www.hoppetosse.net.
- Attac-Kritiken unter  http://go.to/tobin-tax
- Aktuelle Unterwanderungsaktivitäten von Attac unter  http://www.de.indymedia.org/2002/06/25209.shtml
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Ergänzungen