GATS-Bildung: EU fordert doch Liberalisierung

Somebody 25.06.2002 15:52 Themen: Bildung
entgegen ihren Beteuerungen, keine Bildungsliberalisierungen von
Drittstaaten im Rahmen der GATS-Verhandlungen zu fordern, hat die EU auf Initiative der Niederlande jetzt doch Forderungen gegenüber den USA aufgestellt.
Unten findet ihr ein diesbezügliches Schreiben des
Wirtschaftsministeriums plus deren Erläuterungen sowie die Antwort der GEW. Die PDS (Ulla Lötzer) stellt dazu eine kleine Anfrage.

Die Liberalisierungsforderung der EU bezieht sich auf das ökonomisch bedeutsamste Segment des Bildungsmarkts, nämlich die höhere Bildung (beruflich und universitär), wo US-Anbieter wiederum besonders wettbewerbsstark sind. Mit dieser Forderung stimuliert die EU folglich Gegenforderungen der US-Anbieter, die erleichterten Zutritt auf den europäischen Märkten wünschen. Welche konkreten Zugeständnisse im Rahmen der GATS-Verhandlungen gemacht werden, ist nicht absehbar. Klar ist nun aber, dass die EU ein eigenes Interesse hat, den Bildungsbereich zu verhandeln. Kein EU-Mitgliedstaat kann sich dabei hinter den Niederlanden verstecken, denn sie alle tragen den Verhandlungsvorschlag
als gemeinsame EU-Position mit.

Skandal 1: Auch die BRD ist damit einverstanden, dass über Bildung im Rahmen des GATS weiter verhandelt wird. Wäre dem nicht so, hätte sie selbstverständlich die Möglichkeit, die EU-Forderung in diesem Bereich zu blockieren.

Skandal 2: Das BMWi behält sich nach wie vor selbst vor, wen es über derartig weitreichende Forderungen informiert und wen nicht.
Studierende, Bewegungen, NGOs, ParlamentarierInnen, sie alle erfahren nur auf Umwegen von solchen Entwicklungen und haben keine Möglichkeit der Reaktion.

Auch wenn die vom BMWi gesetzte Frist zur Reaktion abgelaufen ist,spricht natürlich nichts dagegen, seinem Unmut über das intransparente GATS-Prozedere gegenüber der Bundesregierung, den Regierungsfraktionen und dem BMWi Luft zu machen.

Texte Original Dokumente:

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ? 11019 Berlin
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Referat 121 b
Herrn Volhard o.V.i.A.

Senator für Wissenschaft, Forschung und Kul-tur Berlin
Frau Dr. Rohde o.V.i.A. (koor.)

Bund-Länder Kommission für Bildungsplanung
und Forschungsförderung
Herrn Prof. Dr. Buse

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Herrn Köhler
Frau Faber

BMWi: Referat II B 6


WTO-Dienstleistungsverhandlungen
Drittlandsforderungen der EU


Sehr geehrte Damen und Herren,

die Europäische Kommission hat bei der Überarbeitung der seit März diskutierten Entwürfe für Dritt-landsforderungen der EU eine punktuelle Forderung für Bildungsdienstleistungen einbezogen. Sie richtet sich gegen die USA und ist auf den Bereich privat finanzierter höherer Bildung (Higher Education Servi-ces) beschränkt. Die Forderung ist - entsprechend der Systematik des GATS - wie folgt formuliert:
,,Modes 1, 2, 3: Take full commitments for privately funded educational services.
Mode 4: Commit for privately funded educational services as referred in the section ,,Horizontal
commitments."
Die Bezugnahme auf die horizontalen Verpflichtungen für GATS-Erbringungsart 4/ Mode 4 verweist auf die bereits bestehende Verpflichtungen der USA für alle Dienstleistungssektoren, beschränkt auf Ge-schäftsreisende und hochqualifizierte Personen, die innerhalb eines Unternehmens grenzüberschreitend eingesetzt werden (sog. Intra Corporate Transferees), in die nach den allgemeinen Verhandlungszielen der EU für alle Sektoren auch der unternehmensinterne Personalaustausch hochqualifizierter Personen (mit Universitätsabschluss oder vergleichbarer Qualifikation) zu Qualifikations- und Ausbildungszwek-ken einbezogen werden soll.

Damit geht die vorgeschlagene Forderung nicht über die Verpflichtungen hinaus, die von der EU selber bereits mit Inkrafttreten des GATS 1995 übernommen wurden. Die Kommission machte deutlich, dass sie eine entsprechende Forderungen nur punktuell im Falle der USA, nicht für andere Länder vorschlage. Sie hob den beschränkten Forderungsinhalt hervor, der auch sicherstelle, dass die EU in den weitern Ver-handlungen nicht unter Druck gerate, ihre eigenen Verpflichtungen für Bildungsdienstleistungen auszu-weiten.

Die Einbeziehung dieses Punktes in die EU-Forderungen kommt nur deshalb etwas überraschend, weil die Kommission zuvor undifferenziert erklärt hatte, die EU werde im Bildungsbereich keine Forderungen zu stellen. Den zugrundeliegenden Vorschlag der Niederlande haben wir bereits im April verteilt. Nach den damaligen Reaktionen gehe ich davon aus, dass wir den Punkt unterstützen können. Evtl. zusätzliche Anmerkungen bitte ich bis spätestens Dienstag, 18. Juni 2002 zu übermitteln.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag


Leier

Original Dokument 2:



GATS - EU-Drittlandsforderungen
Vorschlag für Bildungsdienstleistungen



? 5. Privat finanzierte Dienstleistungen im Bereich der höheren Bildung (Higher Education Services - CPC 923 )
USA - GATS-Erbringungsarten 1, 2, 3: volle Verpflichtungen für Marktzugang und Inländerbehandlung (Eintrag "none", d.h. keine Beschränkungen). GATS-Erbringungsart 4: Verpflichtungen wie für alle anderen Sektoren der GATS-Verpflichtungsliste.
Hintergrund:
USA haben für diesen Bereich anders als die EU bisher keine GATS-Verpflichtungen übernommen.
Die Forderung, die sich auf privat finanzierte Bildungsdienstleistungen beschränkt, stellt die Möglichkeit der USA, ihr Bildungssystem zur Verwirklichung nationaler politischer Ziele zu regeln, nicht in Frage.

Original Text, GEW Antwort:

Vorsitzende


Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie
Herrn Hans Peter Leier
Scharnhorststr. 34-37

11019 Berlin

DRINGEND

z.K.
Bundesministerium für Bildung
und Forschung
Referat 121 B
Herrn Vollhard o.V.i.A.
Heinemannstr. 2

53170 Bonn

Senator für Wissenschaft, Forschung und
Kultur Berlin
Frau Dr. Rohde o.V.i.A. (koor.)
Brunnenstr. 188-190

10119 Berlin

Bund-Länder-Kommission für
Bildungsplanung und Forschungsförderung
Herrn Prof. Dr. Buse
Hermann-Ehlers-Str. 10

53113 Bonn
Frankfurt, den 24. Jun. 2002 EMS/ni
Telefon 069/78973-1071
Fax 069/78973-202
e-mail:  niestrojs@gew.de

Sehr geehrter Herr Leier,

zunächst vielen Dank für die Information vom 14. Juni 2002 zur Einbeziehung einer punktuellen Forderung für Bildungsdienstleistungen durch die Europäische Kommission in die Drittlandsforderungen der Europäischen Union.

Abgesehen davon, dass wir bereits die heutige Öffnung für Bildungsdienstleistungen im Rahmen von GATS kritisch betrachten - insbesondere was die europäischen Verpflichtungen von 1994 anbelangt -, lehnen wir weitergehende Forderungen in diesem Sektor ab. Auch wenn sich diese Forderungen an die USA richten und nach Ihren Aussagen nicht über bereits eingegangene Verpflichtungen der Europäischen Union hinausgehen, so werden sie nicht ohne Folgewirkung auf weitere Verhandlungen im Bereich der Bildungsdienstleistungen bleiben.



Nach unserem Kenntnisstand gibt es bereits Ausnahmen bei der horizontalen Verpflichtung der USA im MODE 4. Diese sind unseres Erachtens vollkommen ausreichend, um einen Wissenschaftler - und Professorenaustausch zu realisieren.

Wir gehen davon aus, dass durch diese Forderung die Europäische Union unter Druck geraten wird, ihre eigenen Verpflichtungen für Bildungsdienstleistungen auszuweiten. Getreu dem Prinzip: Wer fordert, muss auch etwas bieten. Bereits eingegangene Verpflichtungen der Europäischen Union sind sicher bereits abgegolten und können nicht als Argument dienen.

Zum anderen ist nicht davon auszugehen, dass die Forderungen im Bildungssektor durch Gegenleistungen aus anderen Bereichen kompensiert werden. So ist sehr wohl vorstellbar, dass die USA ihrerseits Gegenforderungen im Bereich Testing-Services aufstellt. Das würde eine weitere Spirale bei den Verhandlungen im Bildungssektor in Gang setzen, ausgelöst durch ein von der EU gesetztes Signal. Will das die deutsche Regierung und der Bundestag tatsächlich?

Wir geben diesem Vorgehen keine Zustimmung, zumal eine Folgenabschätzung für bereits eingegangene neue Verpflichtungen und Forderungen im Bildungssektor nach wie vor fehlt. Sie zu erstellen wenn die Verhandlungen abgeschlossen und unumkehrbar sind, ist eindeutig zu spät.

Ich möchte Sie daher auffordern, in der EU darauf hinzuwirken, dass keine neuen Forderungen im Bildungssektor aufgestellt werden. Gleichzeitig bitte ich Sie um Informationen, wie sich die horizontalen und vertikalen Verpflichtungen bei der Erbringungsart 4 zwischen den USA und der Europäischen Union unterscheiden.

Mit freundlichen Grüßen




Dr. Eva Maria Stange



Kopie: Christoph Heise, Christel Faber, Gerd Köhler (GEW)
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Ergänzungen