World Food Summit - Abschließende Wertung, Teil I

Günter Melle 15.06.2002 18:08 Themen: Biopolitik Globalisierung Weltweit Ökologie
Zusammenfassung und abschließende Wertung des World Food Summit in Rom, Teil I
Welternährungsgipfel Rom: - Satt wurden die Teilnehmer, doch satt wird nicht die hungernde Welt

v. Günter Melle

Welterenährungsgipfel Resumé: die Welteliten haben ihre Koffer gepackt, die Luxussuites in ihren Hotels geräumt und alles bleibt wie gehabt. Großes Interesse am World Food Summit Five Years Later bestand ehedem nicht. Gerade 34 Staatschefs von 186 Mitgliedsstaaten der Uno-Organisation FAO gaben sich an ihrem Hauptsitz in Rom ein Stelldichein. Viele der Konferenzplätze blieben leer und das Ausbleiben der westlichen Eliten war obligatorisch: Von 34 Staatschefs kamen allein 20 aus dem afrikanischen Kontinent, aus Europa waren es lediglich Romani Prodi, Präsident der Europäischen Kommission und Italiens Premier Berlusconi, der in seiner Eröffnungs- und Schlussrede wahrhaft ernstliche Reflexionen zur Verbesserung der Welternährungslage anstellte. Um sie dem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen, seien an dieser Stelle einige Zitate wiedergegeben, welche in der heutigen Ausgabe (14.6.2002) der Online-Ausgabe von L'Unità veröffentlicht wurden.

Einige Ausflüsse des Premier Berlusconi auf dem FAO-Gipfel (L'Unità, 14,6,2002)

Rezept gegen den Hunger: ,,Es ist notwendig, dass ihr ein wenig abnehmt."

Konkrete Massnahmen: ,,Es gibt ein italienisches Sprichwort, das besagt, hilf dir selbst, dann hilft dir der Himmel."

Welche Schuld haben wir: ,,Ich glaube nicht, dass die Schuld an der geringen Entwicklung der Entwicklungsländer bei den Industriestaaten liegt. Man kann nicht sagen, dass es ihre Schuld ist, wenn 80 % des Reichtums in den westlichen Ländern sind und nur 20 in den Entwicklungsländern."

Soziologische Analyse: ,,Der hungernde Mensch ist ein verzweifelter Mensch und ist vielleicht auch gefährlich.Er kann überzeugt werden an terroristischen Aktionen teilzunehmen, die als ein einziges Unrecht in den Industrieländern angesehen werden."

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Sollte sich zukünftige Geschichtschreibung irgendwann einmal berechtigterweise mit der Frage beschäftigen, welchen Anteil Bösartigkeit, Zynismus und Skrupellosigkeit der herrschenden Eliten am Untergang der bürgerlichen Demokratien hatte, sind dies durchweg publizierungswürdige Belege für Dummheit und Taktlosigkeit.

Nachdem nun die Koffer gepackt wurden, die Ausstellungsstände wieder abgebaut sind und das Erinnerungsfoto geschossen wurde, kann als beunruhigende Bilanz gezogen werden: Die westliche Welt wird weiterhin, ohne wirkliche Rezepte, der Frage des Hungers auf diesem Planeten gleichgültig gegenüberstehen. Sie setzt ihre Prioritäten auf militärisches Eingreifen und ökonomische Eroberung, auf Stabilisierung und Erhalt des neoliberalen Systems. Kommentar von Thabo Mbeki, dem Nachfolger von Nelson Mandela und Präsident von Südafrika gegenüber Reuters: ,,Alle Staatschefs aus Westeuropa und Nordamerika waren vor zwei Wochen hier in Rom, um über die NATO zu sprechen. Alle sind sie ohne Ausnahme gekommen, aber jetzt kommen sie nicht. Ich nehme an, dass sie der Ansicht sind, dass das Problem von 800 Millionen Menschen, die Hunger haben, nicht wichtig sei." Eine recht vorsichtige und diplomatische Kritik an der omnipotenten Haltung der reichen Staaten angesichts eindeutiger Fakten.

Harte Zahlen zur Welternährungslage:

Täglich sterben 24000 Menschen an Hunger oder an seinen Folgen. Vor 20 Jahren waren es noch 41000 Menschen, vor 10 Jahren 35000 Menschen täglich, die wegen Mangel an Nahrung sterben mussten. Nach Schätzungen der FAO leiden heute etwa 800 Millionen Menschen in der Welt an Unterernährung - also das hundertfache der jährlichen Summe an verhungerten Menschen. Ebenfalls nach Angaben der Vereinten Nationen, sind Kinder unter 5 Jahren in den Entwicklungländern am meisten vom Hungertod betroffen (75 %). 10 % der Kinder in den Enticklungsländern müssen sterben, bevor sie das 5. Lebensjahr erreicht haben.

Die FAO setzte sich auf ihrem letzten Gipfel zum Ziel, die Anzahl der unterernährten Menschen bis zum Jahre 2015 um die Hälfte zu reduzieren. Um dies zu erreichen, müsste die Anzahl der Unterernährten um jährlich 22 Millionen Menschen reduziert werden. Augenblicklich aber liegt diese Zahl bei 8 Millionen jährlich und es fehlen 24 Milliarden Dollar, um das festgesetzte Ziel zu erreichen. Das ist eine Summe, in etwa um die Hälfte des jährlichen Militärhaushaltes von Germanien und weniger als 10% des amerikanischen Militäretats. Aus Washington kommt in diesen Tagen die Nachricht, dass der amerikanische Kongress mehrheitlich dessen Steigerung um 10,6 % zugestimmt hat: das sind 33 Milliarden USDollar.

Dass die Prioritäten derart finanzgewaltig auf Militär gesetzt sind, und das Heer der weltweit Hungernden nicht tangiert, liegt kaum an der mangelnden Einsicht der reichen Länder und ebenfalls nicht am mangelnden ,,guten Willen", sprich politischen Willen (wie das der Präsident der FAO in seiner Erklärung zum World Food Summit sieht), der Mächtigen. Madeleine Albright, ehemalige Staatssekretärin unter Clinton erklärte 1997 gegenüber dem Wall Street Journal: ,,Eines der primären Ziele unserer Regierung ist, dass sich die ökonomischen Interessen im Weltmaßstab erweitern können." ,,Im Weltmaßstab erweitern" schließt militärische Gewaltanwendung mit ein und umschreibt das koloniale aggressive auf Eroberung von Ressourcen und Kapital ausgerichtete Konzept des Neoliberalismus.

Die zu Beginn des Gipfels veröffentlichte Abschlusserklärung der FAO

Die Weltöffentlichkeit ist mittlerweile schon an vieles gewöhnt und ein Ernst zu nehmendes politisches Gegengewicht auf internationaler Ebene, das seinen Einfluss auf die Entscheidungen der UNO-Teilorganisation geltend machen könnte, gibt es nicht. Die Entwicklungsländer agieren als Bittsteller, nicht als Fordernde und ihre politischen Eliten riskieren ihre Stellung, sollten sie unbequem werden. So war im Vorfeld eher der Eindruck vermittelt, dass sich die FAO bedingungslos den strategischen Konzepten einer industrialisierten, biotechnologisierten Landwirtschaft verschrieben hat und bereitwillig auf die Vorgaben, der in diesem Bereich operierenden Großkonzerne eingeht. So ist es auch wenig verwunderlich, dass bereits am ersten Tag des Gipfels das Abschlussdokument verabschiedet wurde, ohne dass sich die Teilnehmer zu ernsthaften Diskussionen über unterbreitete Alternativen zur Bekämpfung des Hungers veranlasst sahen, die ohnehin nur von außen, von Seiten der alternativen Globalisierungsbewegung, an die FAO herangetragen wurden. Generalsekretär Khofi Annan beeilte sich, in einem Interview am 11.6. gegenüber der italienischen Tageszeitung Repubblica, die Linie von genveränderten Organismen und der Biotechnologie schmackhaft zu machen.

Repubblica: Es sind gerade die einfachen Leute, welche die Entscheidung von FAO und UNO anzweifeln, dass durch die Förderung des Verbrauchs genveränderter Organismen, die Welt vom Hunger befreit werden könnte.Ist es nicht schwierig zu dieser Entscheidung einen Konsens zu erhalten?

Annan: Seien wir vorsichtig in solcher Eindeutigkeit zu sagen, was die Vereinten Nation fördern oder ablehnen. Es gibt eine Tatsache: Die Wissenschaft hat im Laufe der Jahre große Fortschritte in der landwirtschaftlichen Produktion erzielt. Ein Beispiel? Viele Kinder haben von dem mit Vitamin A angereicherten Reis profitiert. Ohne diesen ,,modifizierten" Reis, hätten diese Kinder wahrscheinlich kein normales Wachstum haben können. Die FAO trifft also ihre Entscheidungen nicht zufällig, sondern auf der Grundlage profunder Analysen der Weltgesundheitsorganisation (OMS), um zu verifizieren, was für die menschliche Gesundheit schädlich oder weniger schädlich ist."

Jeder weiß natürlich, dass zur Bekämpfung von Mangelernährung mehr von Nöten ist als nur das Anreichern einer Grundnahrung mit mangelnden Vitaminen. Das Eigentümliche an diesem Zitat ist aber, dass Annans Blick über ,,schädlich oder weniger schädlich" erst gar nicht mehr den Horizont von ,,gesund" erreicht". Ist es nur der Zufall einer Interviewsituation oder bereits verinnerlichte Realität, dieses Akzeptieren einer Welternährungssituation, in der das ,,weniger schädlich" bereits ein konstanter Faktor darstellt? Sind da nicht konsequenterweise die Garküchen von Golden Rice für die Armen das richtige Rezept?

Vandana Shiva, Aktivistin der Alternativbewegung hat in den parallel zur FAO-Veranstaltung abgehaltenen Workshops des Social Forum einen tödlichen Kreislauf angedeutet, dem immer mehr kleinere Bauern ihres Landes zum Opfer fallen und an dessen Ende oft der Selbstmord aus Verzweiflung steht. Es ist ein Kreislauf an dessen Entwicklung die Ernährungskonzerne schon in den sechziger und siebziger Jahren arbeiteten, indem sie den Entwicklungsländern die Umstellung auf Monokulturen aufzwangen und den tonnenweisen Einsatz von Herbiziden als ultima ratio einer auf Wissenschaft basierenden landwirtschaftlichen Produktionsweise durchsetzten. Die Bauern, die allmählich in Abhängigkeit der Konzerne geraten, sind gezwungen Saatgut und Düngemittel über die im Land operierenden Konzerne einzukaufen. Da sie die Grundlage ihrer traditionellen selbstversorgenden Landwirtschaft verlassen haben, sind sie in der Realisierung ihrer Grundbedürfnisse auf die Vermittlung durch den kapitalistischen Markt angewiesen. Die Umstellung ihrer kleinbäuerlichen Wirtschaft jedoch auf eine industrielle Produktionsweise, bringt nicht die Erträge, die zur Existenzsicherung notwendig wären, was sie immer mehr in die Verschuldung und den existentiellen Ruin treibt. Arte berichtete vor einiger Zeit von indischen Pächtern, die zur Begleichung ihrer Pachtschuld und zum Einkauf ihres Saatgutes, eine ihrer Nieren an Händler von menschlichen Organen verkauften. Nach der operativen Entfernung waren sie aber nicht mehr in der Lage, ihr Land mit der gleichen Kraft wie vordem zu bearbeiten. Der Kreislauf ist programmiert. Vandana Shiva spricht von neuem Kolonialismus und einer neuen feudalen Abhängigkeit der Kleinbauern und für sie liegt die Lösung der Probleme in der Wiedereinführung einer auf Selbstversorgung ausgerichteten kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Die dem Hunger in der Welt zugrunde liegenden Probleme aber wurden in dem vorzeitig verabschiedeten Finaldokument der FAO nicht einmal ansatzweise erwähnt, die FAO favorisiert die Option der Biotechnologie und der genveränderten Organsimen. Luca Colombo von Amnesty International interpretierte deshalb zurecht: ,,Die Abschlusserklärung des Gipfels spiegelt die Anstrengungen der Vereinigten Staaten wieder, jede präzise Maßnahme abzuschwächen...Zurück bleibt die Besorgnis über genveränderte Organismen und die Patentierung, die vielfach auf dem Gipfel und im Parallelforum der ONG's ausgedrückt wurde. Es fehlt jeglicher Bezug auf das Prinzip der Schadensabwendung, wie es im Protokoll über die Biosicherheit in Cartagena formuliert wurde. Der Summit hat in keiner Weise das schwerwiegende Problem der genetischen Verunreinigung angepackt und weitere Fälle der Kontamination, wie bei den vielfältigen traditionellen Reissorten Mexikos, werden in Zukunft nicht auf sich warten lassen." Und Miges Baumann von Amnesty International erklärte: In seiner Anschlusserklärung erwähnt der FAO Gipfel nicht einmal die schon existierenden Lösungen einer sozial, ökonomisch und ökologisch verträglichen Agrokultur?.

Die neoliberalistische Linie des Dokumentes erklärt aber auch die Tatsache, dass die wirklichen Entscheidungen nicht bei UNO-Gipfeln wie in Rom fallen. Erinnern wir uns, dass kurz vor den Teilnehmern am FAO-Gipfel, Bush anlässlich des NATO-Gipfels in Rom gastierte und dass bei der Gelegenheit, inoffiziell auch die Frage der biotechnologischen weltweiten Expansion besprochen wurde. Insbesondere beeilt sich die italienische Regierung, deren Vertreter in Westeuropa mit gemischten Gefühlen empfangen werden, sich als besonders eifriger Vertreter der usamerikanischen Linie zu empfehlen. So kam es am Rande der Konferenz zu einem bilateralen Treffen USA und Italien, um über die stärkere Verbreitung der transgenetischen Palette in Italien zu diskutieren, u.a. über die Annulierung eines Dekrets der Mittelinksregierung unter Giuliano Amato, das den Gebrauch von vier genetisch manipulierten Maissorten in Italien verbot.

,,Italien als eroberungswürdiges Land ist ein Allgemeinplatz, manchmal etwas aufgesetzt aber im Falle der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, scheint er nicht sehr weit verfehlt. Es gibt eine Tradition der Qualität und eine allgemein verbreitete Kultur der Aufmerksamkeit gegenüber dem Essen und seiner kulturellen Eigenart, mit der zu rechnen ist.

Vielleicht wird Italien deshalb als ein Bollwerk angesehen, dessen Eroberung Symbolwert besitzt, auf das alle Bemühungen zu konzentrieren sind. Wie auch in anderen Ländern, befindet sich die Landwirtschaft in den Klauen gewaltiger Industriekomplexe, die in jedem Bereich der Landwirtschaftsproduktion die Spielregeln zu diktieren versuchen. Jedoch Italien erscheint aus o.g. Gründen als eine besonders reizvolle Beute." (Carta N°22, Zeitschrift der italienischen Bewegung gegen den Neoliberalismus, Luca Colombo: Die italienische Agrokultur ist eine begehrte Beute für den Krämer Bush)

Abschließend zur Bewertung des derart demokratisch verabschiedeten Abschlussdokumentes der FAO sei noch erwähnt, dass Bush erst kürzlich die Farm Bill unterzeichnete, ein Gesetz, das die Subventionen in der Landwirtschaft um 80-90% erhöht und in einem Zeitraum von 10 Jahren weitere 190 Millionen Dollar in diesen Bereich fließen lässt. Wenn es um die eigenen nationalen ökonomischen Belange geht, äußern auch Vetreter der reichen Staaten richtige Kritik an der Vorgehensweise der Bush-Administration. So kommentierte der kanadische Landwirtschaftsminister Lyle Vanclied, das das Farm Bill nicht nur seinem Land schadet, sondern auch die Ziele der FAO in ihrem ,,Kampf" gegen den Hunger in Frage stellt. Der Berater von Kofi Annan machte darauf aufmerksam, dass die USA das schwarze Schaf in der Liste der Geberländer darstellen und gerade die bescheiden Quote von 0,1 % ihres Bruttoinlandsproduktes den Aktivitäten der FAO zukommen lassen.


Wird fortgesetzt:


- Bankrott und Ohnmacht der FAO
- Der Fall Angola
- der Fall Pakistan
- Die Contestatori
Waffe der Kritik und Aktionen
- deutsche Stimmen zum World Food Summit
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Ergänzungen