Globalisierung und 'Ausländer'

Bleibewilliger 25.05.2002 13:45 Themen: Antirassismus Globalisierung Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Mit Demonstrationen in Köln und München wurde am letzten Wochenende auf die Lage von Flüchtlingen und Nichtdeutschen aufmerksam gemacht. In Köln forderten hunderte Demonstrierende ein Ende der 'rassistischen' Erfassung von Einwohnern ohne deutsche Staatsbürgerschaft. 'Delete AZR - Gegen Kontrollstaat und rassistische Sondererfassung' war das Motto. In München protestierten knapp 1000 gegen sogenannte "Ausreisezentren" und für Bleiberecht und Papiere. Um zu zeigen, daß sehr wohl menschenwürdiger Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung steht, wurde in Köln ein Haus angeeignet.
Aufruf Köln: Proteste gegen das Ausländerzentralregister | Bilder aus Köln | Aufruf München: Proteste gegen "Ausreisezentren" | Bericht aus München

Die politischen Parteien übertreffen sich mit Novellen des "Ausländergesetzes" die den "Ausländern" immer mehr Rechte absprechen. Immer neue Maßnahmen dienen zur Kriminalisierung und Schikane auch derer die hier schon legal oder zumindest nicht abgeschoben sind. Sei es eine Art Hausarrest (Residenzpflicht) oder das einträgliche Geschäft mit der "Abschiebung" (Deportation Class) der Lufthansa, Deutschland ist Vorreiter auf dem Gebiet von menschenverachtenden Praktiken. Dazu gehören auch das AZR (Ausländerzentralregister) und die überaus humane Idee diejenigen "Ausländer" die nicht in menschenunwürdiger Abschiebehaft wie Schwerverbrecher gehalten werden zusätzlich in Internierungslagern ("Ausreisezentren") unterzubringen.
Globalisierung und "Ausländer"

Samstag 25 Mai
Köln: delete AZR, Proteste gegen das Ausländerzentralregister
München: Deutschland Lagerland, Proteste gegen gegen "Ausreisezentren"
Bilder von der demo gegen Abschiebelager

Der weltweite Kapitalismus baut unter anderem darauf auf, daß billige Arbeitskräfte 'flexibel' verfügbar sind. Sind die Löhne und sozialen Standards zu hoch wandern die transnationalen Konzerne einfach weiter ins nächste Land wo die Arbeitskraft noch mehr verschleudert wird.Landflucht durch Umweltzerstörung und Konkurrenzunfähigkeit der Landbevölkerung gegenüber der Agrarindustrie etwa verstärkt dieses Problem weiter. Hinzukommt, daß Kapitalinteressen natürgemäß auch mit Waffengewalt durchgesetzt werden, wie zuletzt in Afghanistan wo nach dem Einsetzen der dem Westen unterstehenden Marionetten-Regierung eine Erdöl-Pipeline für 2 Milliarden Dollar enstehen soll und was Wunder, vermutlich der amerikanische Konzern Unocal den Auftrag ausführt, was er vor der Machtübernahme der Taliban abbrechen mußte. Als Nebeneffekt solcher Machtinteressen enstehen Flüchtlingsströme.
Auch werden teils Fachkräfte aus der Mehrheitswelt (dem globelan Süden) wie Indien abgeworben um die Versäumnisse der Bildungspolitik bei der Ausbildung von verwertbaren Fachkräften etwa für die IT-Industrie auszugleichen.
Doch auch wenn es offenbar verschiedene Arten von "Ausländern" gibt, eins steht fest, sie müssen wieder weg (auch IT-Fachkräfte haben befristeteten Aufenthalt auf 5 Jahre sofern sie vorher nicht entlassen werden) oder sollen gar nicht erst rein.
Was aber dann eben mit denen geschiehen soll die sich innerhalb des globalen Kapitalismus zu "flexibel" bewegen wollten, sei es aus wirtschaftlicher Not die von der "westlichen Zivilisation" wenn nicht verursacht dann zumindest in Kauf genommen wird, oder wegen akuter Lebensgefahr auf der Flucht vor Diktaturen, Verfolgung, Bürgerkrieg und Mißhandlung ist klar: Ausländer raus.
Die politischen Parteien übertreffen sich mit Novellen des "Ausländergesetzes" die den "Ausländern" immer mehr Rechte absprechen. Immer neue Maßnahmen dienen zur Kriminalisierung und Schikane auch derer die hier schon legal oder zumindest nicht abgeschoben sind. Sei es eine Art Hausarrest (Residenzpflicht) oder das einträgliche Geschäft mit der "Abschiebung" (Deportation Class) der Lufthansa, Deutschland ist Vorreiter auf dem Gebiet von menschenverachtenden Praktiken. Dazu gehören auch das AZR (Ausländerzentralregister) und die überaus humane Idee diejenigen "Ausländer" die nicht in menschenunwürdiger Abschiebehaft wie Schwerverbrecher gehalten werden zusätzlich in Internierungslagern ("Ausreisezentren") unterzubringen.

"Ausreisezentren" sind Unterbringungslager für abgelehnte Asylsuchende, die aufgrund fehlender Papiere nicht abgeschoben werden können. Sie werden dort zentral untergebracht, mit dem Ziel, solange beratend auf sie einzuwirken, bis sie "freiwillig" ausreisen, als Illegale untertauchen oder eine Botschaft eines potentiellen Heimatlandes bestätigt, dass es sich bei der jeweiligen Person um eine/n Staatsbürger/In dieses Landes handelt.

Das Ausländerzentralregister ist das zentrale Instrument der rassistischen Sondererfassung aller Menschen ohne deutschen Paß. In den 50er Jahren bestand aus Sicht des Bundesinnenministeriums die "Notwendigkeit einer verstärkten Überwachung der Ausländer im Bundesgebiet". Sie erwarteten Widerstand der angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte gegen ihre schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen. Dies hatte die Einrichtung des Ausländerzentralregisters zur Folge. Das AZR wurde bereits am 1. August 1967 auf ein automatisiertes Verfahren umgestellt. Mit dem AZR wurde ein Informationsverbund von Ausländerbehörden, Bundesgrenzschutz (BGS), Zoll, Justiz, Arbeitsämtern, Geheimdiensten (BND, BfV, MAD) und Polizei geschaffen, und das machte es zu einem zentralen Netzknoten der staatlichen Sicherheitsorgane. Das Register ermöglichte auch "online" den Zugriff auf den/die Erfaßte/n mittels einer Art Personenkennziffer (AZR-Nummer) und wurde auch in Form der "Gruppenerfassung" genutzt. Nicht nur das verfassungsrechtlich verankerte Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten wurde hierbei aufgehoben, sondern neben Personalien, Herkunftsland, Aufenthaltsstatus (Asylantrag, Ablehnung, Abschiebung) wurden auch ungesicherte Informationen über die Person und ihre familiäre und soziale Situation gespeichert. Kurz: die gesamten persönlichen Verhältnisse wurden und werden registriert.

In Köln und München laufen parallel zwei Kampagnen gegen diese zwei besonders verachtenswerten Auswüchse der staatlichen rassistischen Diskriminierung gegen die sich jeweils breite Bündnisse zusammengefunden haben.

Mehr Info zu "Ausreisezentren".Mehr Info zum AZR.
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Ergänzungen

nochmal:

bad song 26.05.2002 - 10:27
euer plakat setzt kzs und abschiebeknäste in unmittelbare kontinuität, setzt sie gleich. das ist historisch falsch und stellt eine relativierung der vernichtungslager dar. abschiebeknäste haben den tod der abgeschobenen oft zur konsequenz, es ist aber nicht ihr zweck.
ich habe das schon mal geschrieben. bitte bezieht mal stellung!

@bad song

Flo 26.05.2002 - 13:18
Stellung beziehen auf solch einen Blödsinn?
Erstens waren nur ein Teil der KZ von vornherein Vernichtungslager und zweitens zieht hier niemand den Vergleich mit Vernichtungslagern, denn die "Ausreisezentren" sprechen für sich selbst.
Schau sie Dir bitte erstmal an, bevor Du solch dämliche Unterstellungen machst, denn dann wirst Du sehr schnell merken, warum die Ausreisezentren auf dem Plakat SO dargestellt wurden und nicht anders...
Im Gegensatz zu den Behörden arbeiten die Asylhilfsorganisationen nämlich NICHT mit Euphemismen, um etwas als harmloser darzustellen, als es ist.

@flo

bad song 26.05.2002 - 21:56
:) sei doch nicht gleich so garstig, sugar. ich muss gestehen, dass ich tatsächlich noch kein "ausreisezentrum" gesehen habe, dass wie das auf dem plakat abgebildete aussah, dass ich aber auch nicht allzu viele gesehen habe. (die verlinkte seite ist auch gerade nicht abrufbar.)vielleicht gibt es auch "ausreisezentren", die wie kzs aussehen. dann stellt sich aber dennoch die frage, was nahegelegt wird, wenn ihr ein solches zum motiv nehmt: das aussehen wäre nämlich ein rein äußerliche übereinstimmung, die nichts über funktionsweise, usw. aussagt. genau das wird durch das plakat aber nahegelegt. und zwar vor allem durch den spruch "deutschland lagerland". was will das denn sagen, wenn nicht: früher gabs lager, heute gibts immer noch lager? alles irgendwie faschistoid, oder was? das problem, was die linke, die solche vergleiche schon seit den 60ern bemüht, sich einhandelt ist doch offensichtlich: wenn in den abschiebeknästen tatsächlich mal systematisch menschen vernichtet werden, haben wir keine begriffe mehr um es zu benennen.
im übrigen bedeutet auf falsche vergleiche zu verzichten doch noch lange nicht in euphemismus zu verfallen

Lagerland stimmt doch

Alex 27.05.2002 - 14:49
Was gibt es gegen das Motto "Deutschland Lagerland" einzuwenden? Es verweist darauf, daß in Deutschland ein immer perfekteres Lagersystem für Flüchtlinge errichtet wurde und wird. Am Beispiel München:

Flüchtlinge, die nach München kommen, werden in sog. "Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber" eingewiesen. Eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen ist nach einem Erlaß der Regierung von Oberbayern aus dem Jahr 1998 nicht mehr möglich und die "Gemeinschaftsunterkünfte" sind zumeist Containerlager mit Zaun außenrum und z.T. (s. Schwankardtweg) von Sicherheitsdiensten und mit Videokameras überwacht (natürlich nur zum Schutz der Flüchtlinge, wie das Innenministerium stets betont).

Flüchtlinge mit Duldungsstatus leben ebenfalls in "Gemeinschaftsunterkünften", die genauso aussehen.

Ausreisepflichtige Flüchtlinge werden zukünftig in "Ausreisezentren", d.h. in Abschiebelagern untergebracht, sofern sie nicht in Abschiebehaft landen.

Somit existiert in Deutschland ein nach und nach perfektioniertes Lagersystem. Was spricht also dagegen, das Motto "Deutschland Lagerland" zu wählen? Daß das Abschiebelager auf dem Plakat einem Konzentrationslager ähnelt? Dann sollte dieser Vorwurf jedoch nicht gegen die Protestierenden gerichtet werden, sondern gegen die Bayerische Staatsregierung. Sie ist dafür verantwortlich, daß Sammellager für AsylbewerberInnen aus Containern oder Baracken bestehen, eingezäunt sind, z.T. sogar mit Stacheldraht, von Videokameras überwacht und von Sicherheitsdiensten kontrolliert werden.

Lagerland!

Gotthilf 27.05.2002 - 16:42
Da haben sich die Leut doch ein gutes Motto ausgedacht! Ich weiß überhaupt nicht, was es da zu kritisieren gibt. Ähnlichkeit zu Konzentrationslagern, ha! Die AktivistInnen sollen das Wort "Lager" nicht mehr benutzen, weil es zu stark an Konzentrationslager erinnert und deshalb die fabrikmäßige Menschenvernichtung durch die Nazis relativiert. Schon mal davon gehört, daß es auf dieser Welt noch andere Lager gab und gibt? GULAG? Flüchtlingslager in Australien? Gefangenenlager rund um die Welt? Guantanamo? Und da sollen Abschiebelager in Deutschland nicht mehr als Lager bezeichnet werden können?

Lager trifft den Nagel auf den Kopf und alljene, die sich an dem Begriff Lager stören, sollen sich überlegen, wie man solche xxx mit Zaun und Stacheldraht oder Betonmauern außenrum, wo man auf Schritt und Tritt kontrolliert und ständig verhört wird, sonst nennen soll.

DEUTSCHLAND LAGERLAND!
ABSCHIEBELAGER/AUSREISEZENTREN VERHINDERN!
"OHNE DRUCK GEHT GAR NICHTS"!

leute, leute

bad song 28.05.2002 - 02:55
ich versteh euch nicht. eure aufregung schon, eure wut, eure empörung, euren hass: ja. aber warum dieser widerstand, warum nicht anerkennen, dass ein wichtiger linker kampf einem anderen linken kampf nicht in den rücken fallen, nicht behindern sollte. dass der antirassistische widerstand gegen rassistische abschiebeknäste den antifaschistischen kampf, das bewußtsein von der singularität von auschwitz gegen ihre relativierung durch zb. fischer, walser u.s.w aufrechtzuerhalten, nicht in die quere kommen sollte. was brecht ihr euch ab, wenn ihr nicht zu superlativen greift? meint ihr, die brutalität dieser gefängnisse gegen migrantinnen, könnte nicht skandalisiert werden, wenn mensch keine zweifelhaften assoziationen weckt? und das tut das plakat. und da ändert es auch nichts dran, dass es in australieen auch sammellager für migrantinnen gibt, denn das plakat hängt nicht in australien. hier hat der begriff lager eine spezifische konnotation, er ruft bestimmte assoziationen hervor und genau die will das layout ja auch hervorrufen. warum das ein problem ist, habe ich schon geschrieben: wenn in deutschland tatsächlich mal wieder systematisch vernichtet wird, können wir es nicht mehr benennen. vor etwas was ohnehin schon ständig da ist, kann mensch nicht mehr warnen.
ihr habt mir aber noch nicht gesagt, was daran so schlimm wäre, auf diese gewollte assoziation zu verzichten. worin das problem besteht, sich einer solidarischen kritik nicht zu verschließen. (in einem anderen fall haben leute auf die wand eines abschiebeknastes geschrieben "kz". sie wollten halt aufrütteln, provozieren)
abschiebeknäste sind knäste (das verbrechen der inhaftierten besteht darin, "ausländer" zu sein, ihre sonderbehandlung darin, dass sie abgeschoben werden.) vermutlich so schlimm wie andere knäste auch, vielleicht noch ne spur härter. das weiß ich nicht. kennt ihr die situation in deutschen knästen?

www.copyriot.com/sinistra/magazine/03-05.pdf

organisiert kriminalität!
bildet schlepperbanden!

@bad song

alex 28.05.2002 - 10:54
Ich habe immer noch nicht verstanden, was Dich dazu veranlaßt, dich so massiv gegen den Begriff Lager einzusetzen, die "zweifelhaften Assoziationen", die er auslösen kann, halte ich für unwichtig, denn die AktivistInnen sprechen kein einziges Mal von Konzentrationslagern, sondern von Abschiebe- und Internierungslagern. Somit bleibt der Begriff Konzentrationslager unaufgeweicht und kann, sollte es einmal wieder notwendig sein, für die Skandalisierung einer evtl. Massenvernichtung auch weiterhin benutzt werden.

Den Begriff Gefängnisse für Ausreisezentren zu benutzen, was Du vorschlägst, ist m.E. nicht möglich, da es den Ausreisezentren an einigen zentralen Merkmalen von Knästen mangelt. So ist die Einweisung in ein Ausreisezentrum nicht an einen Haftbefehl gebunden, sondern lediglich ein Verwaltungsakt, gegen den noch nichtmal Beschwerde eingelegt werden kann. Zudem werden Ausreisezentren nicht von Staatsbeamten kontrolliert und bewacht, sondern von privaten Sicherheitsdiensten. Gerade erster Sachverhalt ist für Lager überall auf der Welt charakteristisch und sollte auch uns dazu veranlassen, Ausreisezentren als das zu bezeichnen, was sie sind: Lager zur Internierung von Menschen, die von der übrigen Bevölkerung abgesondert werden sollen.

@alex

28.05.2002 - 18:22
"gewöhnliche knäste" sollen auch von privaten sicherheitsdiensten zumeist in mischung mit staatlichen bewacht, versorgt, usw. werden. zumindest in hessen hat bouffier diese pläne. wie weit sie fortgeschritten sind weiß ich nicht. in den usa ist das gängige praxis und trotzdem würden wir die knäste, die ein prozent der erwerbsfähigen bevölkerung internieren nicht als lager bezeichnen, oder? das wort lager hat doch "an sich" keinen schlimmeren klang als knast, mensch denke nur an zeltlager. seinen skandalisierenden effekt bezieht es doch über jene assoziationen, auf denen ich hier ständig rumreite, oder?
vielleicht entsteht unser missverständnis ja dadurch, dass euch die assoziationen ja gar nicht kommen - schließlich steht auf dem plakat nicht "ausreisezentrum" = kz. das glaube ich allerdings nicht. mehrere leute mit denen ich geredet habe, bewerteten das plakat positiv oder negativ, aber alle sahen einen vergleich gezogen. aber vielleicht könnt ihr mir ja eine andere interpretation für "deutschland lagerland" liefern..

--

bad song 28.05.2002 - 18:29
sorry, ich habe gerade nochmal gelesen und gesehen, dass du ja schon eine interpretation für deutschland lagerland angeboten hast. ich halte die allerdings für nicht plausibel, weil unhistorisch. deutschland gibts nicht erst seit heute. außerdem finde ich, dass wir uns nicht an dem wort lager aufhalten sollten. mir ging es nämlich nicht darum, sondern um das plakatlayout und was es hervorruft. vielleicht können wir uns darauf konzentrieren. und ihr sagt einfach mal, ob ihr meine interpretation so überhaupt nicht teilt. ich würde nämlich sagen, dass die assoziationen hervorgerufen werden sollen..

solidarische grüße

@bad song

alex 28.05.2002 - 19:14
Zunächst zur Begründung, warum der Begriff Gefängis die Ausreisezentren nicht richtig beschreibt: Mein Hauptargument war, wie Du nachlesen kannst, daß für eine Einweisung in ein Abschiebelager kein Haftbefehl notwendig ist.

Daß der Begriff Lager Assoziationen wecken kann, hab ich bereits oben mal bestätigt. Ich halte sie dennoch weiterhin für vernachlässigbar, da Lager der einzige Begriff ist, der das Phänomen Ausreisezentren richtig beschreibt. Und es ist notwendig, einen treffenden Begriff für Abschiebelager zu etablieren, da der offizielle Begriff "Ausreisezentren" das verharmlost, was darin geschieht. Kein Mensch käme bei dem Begriff Ausreisezentren auf die Idee, daß sich dahinter ein Lager verbirgt, in dem Menschen hinter Stacheldraht und Betonmauern interniert sind, um sie so weit zu demoralisieren und fertigzumachen, daß sie "freiwillig" ausgereist werden können. Diese Lager nicht als Lager zu bezeichnen wäre eine Verharmlosung der Realität, an der ich mich nicht beteiligen will.

Legoland

imo 28.05.2002 - 23:09
Es ist wichtig, auch über die Bilder zu sprechen, die wir produzieren und konsumieren. Über ökonomische Theorie können wir an anderem Ort wieder diskutiern. Der obige Beitrag über Globalisierung und "Ausländer" wäre dann ein Beispiel für eine sehr verkürzte Vorstellung davon wie Kapitalismus, Krieg, Arbeit, Pipelines, Migration und Rassismus zusammenhängen.
Zu dem umstrittenen Plakat: Ich bin der Meinung, daß das Plakat, ein Stück weit deutungsoffen ist. Mir geht es wie bad song: Das Plakat zeigt vielleicht ein Abschiebelager, bei mir kam aber auch die Assoziation an ein KZ. Eine Freundin von mir hat dagegen zunächst an Legoland gedacht. Deutungsoffene Bilder finde ich grundsätzlich interessanter als Bilder, die einem auch ihre Lesart vorschreiben wollen. Doch das soll hier keine Abhandlung über Bildtheorien und Semiologie werden.
Das Bild zeigt ein Lager, wie es in Eisenhüttenstadt, Boizenburg, Ingelheim oder München steht. Heute. Und wenn man vor einem solchen Lager oder dessen Bild steht und man erinnert sich an Bilder von KZs, dann ist das noch keine Gleichsetzung, sondern eben nur eine Art Verweis, der auch nicht unbedingt von dem Grafiker gewollt ist, sondern eben beim Betrachter auftaucht. Und dann kann man doch Fragen, inwiefern der Verweis begründet ist und inwiefern nicht. Und dann wird man bestimmt feststellen, daß es wesentliche und entscheidende Unterschiede zwischen Dachau und Ingelheim gibt. Das ist doch etwas ganz anderes als wenn Scharping sagt in Serbien gebe es KZs und deshalb müsse die deutsche Luftwaffe Belgrad bombardieren.
Die Assoziation an industriemäßige Vernichtung von Millionen Menschen war bei mir durch das Bild ohnehin nicht gegeben. Dennoch ist die Frage wichtig: Welche Kontinuität führte von der Schutzhaft im Dachauer Lager, wo der erste Mord an einem Häftling noch zu einem Prozeß aber nicht mehr zu einer Verurteilung führte, bis zum späteren Massenmord? Ist die Entrechtung von Menschen, die aus dem Süden nach Europa kommen, Ausdruck einer ähnlichen Logik? Ich hoffe, daß nicht. Im Kampf gegen Rassismus muß man darüber allerdings nachdenken, gerade in Deutschland und um so mehr, wenn wir die Bilder von Lagern nicht mehr eindeutig der Vergangenheit zuordnen können.

Assoziationen

Mohses 30.05.2002 - 08:59
Zur Diskussion fallen mir noch zwei Dinge ein:

1. 1993 gab es eine "Anti-Lager-Kampagne" der damaligen Bundeskoordination autonomer antirassistischer Gruppen gegen die damals einsetzende Massenhaltung von AsylbewerberInnen in den von US- und anderen Armeen verlassenen Kasernen. Von Hamburger FreundInnen wurde der Begriff "Lager" in diesem Zusammenhang kritisiert, weil er Assoziationen mit KZs wecke. Das stimmte zwar einerseits - denn es weckte ja diese Assoziationen -, aber diese selbst waren falsch, denn gerade in Hamburg hatte es in der Nachkriegszeit - bis mindestens Ende der 60er Jahre - Lager gegeben, die auch so genannt wurden, in denen aber Obdachlose wohnten. Lager ist (bzw. war) in Deutschland ein allgemein gebräuchlicher Begriff für die Unterbringung von Menschen, für die keine Wohnungen zur Verfügung standen bzw. zur Verfügung gestellt wurden.
Englischsprachige Flüchtlinge nennen solche Unterkünfte - in korrekter Übersetzung - "Camps".
Auch während des deutschen Faschismus gab es jede Menge unterschiedlicher Lager: Arbeitslager, Kriegsgefangenenlager, ... und eben Konzentrationslager.
"Deutschland Lagerland" - so sahen es auch die italienischen GenossInnen, die die erst vor wenigen Jahren in Italien eingeführten Massenunterküfte für die Boat People als "Lager" bezeichneten und bekämpften, weil sie diese eben auch als eine Art Import aus Deutschland betrachteten.

2. Auch die Assoziation der bildlichen Darstellung der Ausreisezentren auf dem Plakat mit KZs ist zwar möglich, aber ebenfalls falsch: genauso sehen - vereinfacht natürlich - eine ganze Reihe von Flüchtlingslagern in Deutschland aus: Betonbaracken oder zusammengestellte Container, drumherum hohe Drahtzäune, die Umgebung mit Flutlicht bestrahlt, letzteres meistens damit begründet, daß dies der Sicherheit der BewohnerInnen diene.
Richtig wäre die Assoziation mit KZs, wenn z.B. der Spruch "Arbeit macht frei" über dem Eingang zu sehen wäre.

Eine Frage an bad song: wie würdest du diese Lager nennen oder darstellen? Im offiziellen Sprachgebrauch heißen sie "Gemeinschaftsunterkünfte" oder "Flüchtlingsunterkunfte". (Das erinnert mich an "Entsorgungspark" statt Atommülllager.)
So wird auch für das knastähnliche Einsperren von Flüchtlingen auf dem Frankfurter Flughafen das Wort "Flüchtlingsunterkunft" verwendet, wir aber nennen es Internierungslager, denn das ist es ja auch.

Grüße

Mohses

30.05.2002 - 15:53
demonstration gegen ausreisezentrum und abschiebeknast ingelheim bei mainz, samstag, 29.06.2002/14:00 uhr, bahnhof ingelheim, näheres unter  http://ingelheim.afaktion.de

alager blager clager

bad song 30.05.2002 - 19:57
was ich noch loswerden wollte: habe selten hier so eine solidarische diskussion mitbekommen. fein, dass das geht :]

@mohses: deine argumentation erinnert mich ein wenig an diskussionen, die ich mal mit red-, sharp-skins geführt habe. diese erklärten mir regelmäßig sie seien nunmal zuerst dagewesen und ursprünglich habe skin ja auch dies und jenes bedeutet. aber zb. die migrantinnen, die sich nicht in der linksradikalen szene bewegen, haben keinen zugriff auf diese ursprünglichkeit und sehen da deshalb nur einen skin also eine bedrohung.
allgemein würde ich sagen, dass für einen (öffentlichen) sprechakt weder die intention, noch die eigentliche, ursprüngliche, wirkliche bedeutung entscheidend sind, sondern seine effekte, seine wirkung im öffentlichen diskurs. und so funktioniert heute nach auschwitz der begriff lager eben gänzlich anders als davor. ebenso wie der begriff volk z.b., der ja auch mal etwas proggresives meinte.
ich will mich aber wie gesagt nicht am lager aufhalten. wie schon erwähnt ist es entscheidend was davor steht. ähnlich wie zeltlager keine assoziationen an kzs hervorruft, kann möglicherweise auch internierungslager oder sammellager oder abschiebelager funktionieren (ich bin mir nicht ganz sicher). lager ohne was davor ist allerdings schon wieder weit offener. (was du von den italienischen genossinnen schreibst finde ich übrigens hoch interessant). und deutschland lagerland hat in meiner wahrnehmung schon einen starken einschlag, schließlich umfasst deutschland eben nicht nur arbeits und sonstige lager, sondern eben auch vernichtungslager. ebenso wie deutschland nicht nur die brd nach 45 etc ist.
ich würde also vorschlagen sensibel mit dieser offenheit umzugehen. die diskussion hat mir klargemacht, dass es ein bewußtsein für das problem gibt, dass es andere lesarten des plakats geben kann, dass es wahrscheinlich anders gemeint ist. entscheidend sind aber weiterhin die effekte nicht die absichten. oder anders formuliert: das plakat ist missverständlich. und die frage ist, ob mensch so eine missverständlichkeit in kauf nehmen will oder ob bei einem plakat, das eine größere öffentlichkeit erreicht nicht auch größere vorsicht angebracht wäre.
mein "bennenungsvorschlag" wäre rassistisches gefängnis, abschiebeknast, rassistisches abschiebegefängnis. wie gesagt sind die verhältnisse in den meisten knästen kaum anders (siehe den link..ich konnte das leider hier nicht reinkopieren, weil das so ein komisches format ist). das argument mit dem haftbehl finde ich dabei nicht stichhaltig. juristisch legitiert werden muss das eisperren von unschuldigen menschen auch und das wird dann halt anders gennant.

Nach der Demo am 25. 5.: Wie weiter?

clandestino 03.06.2002 - 18:45
Ich denke, ingesamt war die Demo am 25. 5. ein guter Erfolg für eine Selbstorganisation von Flüchtlingen und antirasissistischen Linken hier in München. Jetzt kommt es darauf an, weiterzumachen. Immerhin sollen in nächster Zukunft die ersten Flüchtlinge hier in Bayern in die neuen Internierungslager geschickt werden. Und auch ansonsten gibt es genug zu tun gegen den rassistischen Alltag in diesem Land. Ein konkrteter Ansatz für weitere Aktivitäten in München: Anfang September soll die bundesweite Karawanetour 2002 nach München kommen.

Deshalb: Die Karawane München lädt für Donnerstag, 6.6., ab 19 Uhr 30 zu einem offenen Treffen im Eine Welt Haus, Schwanthalerstrasse 80, um gemeinsam zu diskutieren, wie die Demo am 25. 5. gelaufen ist und wie wir in München weitermachen wollen.

Bis denne
einer aus der Karawanegruppe

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qlx4r 10.06.2002 - 20:29
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