Bericht und Einschätzung der Aktionstage in Stuttgart

ACN 21.05.2002 21:00 Themen: Atom
Im Vorfeld schien es eine große Aktion zu werden. Die bundesweite Mobilisierung ließ erhoffen, dass einiges auf die Beine gestellt werden würde. Die Massen blieben dann doch aus. Woran das liegen könnte und was trotzdem gelaufen ist, soll dieser Text behandeln.

Zur Auftaktdemo am 11. Mai waren einige hundert Leute gekommen. Die Zahl blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Zeitungsmeldungen zufolge war mit 1000 DemonstrantInnen gerechnet worden. Trotzdem war es ein Anfang.

In den Folgetagen waren dann jedoch deutlich weniger Menschen aktiv. Die Zahl wird wohl zwischen fünfzig und hundertfünfzig AktivistInnen liegen. Damit sind es nicht wesentlich mehr, als letztes Jahr in Dresden die Atommafia störten. Mit dem Unterschied, dass damals nicht so massiv mobilisiert worden war.

Eigentlich kein guter Auftakt für die Trainstopping-Kampagne. Diese wurde ja ins Leben gerufen, um den Widerstand der Anti-AKW-Bewegung zu bündeln. Nur vier Schwerpunkte soll es dazu in diesem Jahr geben. Die Aktionen des letzten Jahres hatten bei vielen an den Kräften gezehrt.
Durch diese Schwerpunktlegung, verbunden mit einer Nadelstichpolitik, sollten wieder große Blockaden ermöglicht werden. Bei diesem ersten Trainstopping-Ziel hat das nicht überzeugend geklappt.
Allerdings war schon klar zu erkennen, dass bundesweit viele Gruppen etwas zu den mit der Atommafia-Tagung zeitgleich ablaufenden Castortransporten unternommen haben. Doch bleibt die Frage, ob es einer "Trainstopping-Kampagne" bedarf, um diese Aktionen auf die Beine zu stellen.

Ich glaube, die ersten Aktionen in Stuttgart gab es am Montag dann. Zumindest habe ich von anderen nichts bemerkt. Ein paar Leute haben mit verstecktem Theater in U-Bahnen die Atommafia-Tagung thematisiert und gleichzeitig Plakate geklebt. Eine andere Gruppe verteilte Flugblaetter in der Einkaufsmeile von Stuttgart. Dabei waren auch Leute in weißen ?Strahlenschutzanzügen?, die Filmdosen mit Atomzeichen (= Atommüllfässchen) an die PassantInnen verteilten.
Dabei wurde deutlich, dass keine der angesprochenen Personen vorher von der Tagung gewusst hatte. Diese Aktion wurde von der Polizei abgebrochen. Sechs Polizisten umstellten vier AktivistInnen inmitten der PassantInnen. Diese zeigten plötzlich größeres Interesse und positionierten sich teils gegen die Polizeiaktion. Die Flugblätter und Dosen wurden beschlagnahmt, die Personalien der Beteiligten aufgenommen.

Am Sonntag schon wurden einige Leute kontrolliert, weil Aktiv-BürgerInnen gemeldet hatten, sie würden Plakatieren.

Der offizielle Tagungsbeginn war am Dienstag. Ca. 50 AktivistInnen waren zusammengekommen. Flugblätter wurden an die AtomlobbyistInnen und PassantInnen verteilt, viele Transparente. Sechs Leute ließen vom Dach eines naheliegenden Hochhauses ein Transparent herunter (1). Sie wurden später in Gewahrsam genommen. Einer der Aktivisten musste eine Woche im Knast verbringen! (2)
Andere Leute brachten einige Pro-Atom-RadlerInnen zu Fall, als sie sich ihrem Rad-Pulk mit einem Transpi in den Weg stellten und fast überfahren wurden. Die Atommafiosis hatten eine Pro-Atom-Demo mit mehreren hundert Angestellten insziniert. Dagegen wirkte unser Widerstand unscheinbar.
Einige ArbeiterInnen waren dann auch massiv am Pöbeln. Neben dem Gelaber der Art ?Geht doch arbeiten? kamen auch homophobe Beschimpfungen und allerlei inhaltsleerer Kram mehr zur Geltung.Die Ordner der Pro-Atomis hatten an manchen Stellen arg zu tun, ihre Leute im Zaum zu halten.

Am Abend gab es eine RTS-Party. Da waren wohl 80 bis 150 Leute unterwegs. Zu dieser Party gab es auf Indymedia mehrere ausführliche Kommentare und Auswertungen, so dass ich hier nicht weitere darauf eingehen will. Noch dazu, wo ich nicht dabei war, sondern nur die Indy-Texte (3,4,5) und persönlichen Erzählungen kenne.

Am Mittwoch waren wir bei schönem Wetter am AKW Neckarwestheim. Dort wollten wir die Touris vom Atomforum bei ihrer AKW-Besichtigung begleiten.
Leider schafften nur einige wenige eine Sitzblockade vor dem Reisebus, die meisten waren nicht schnell genug. Dafür wurde dann mit Pfeifen und Getrommel auf Fässern das AKW-Gelände beschallt. Zwei Leute waren - natürlich mit Polizeibegleitung - um das AKW gewandert und konnten selbst dort noch die Geräuschkulisse wahrnehmen. Auch die Rückfahrt des Touri-Busses wurde begleitet.

Am Donnerstag verabschiedeten ein paar Leute symbolisch die Atommafia mit einem Transpi "Auf Wiedersehen in Berlin ... und Düsseldorf ...und Nürnberg". Dies sind die nächsten Tagungsorte.

Andere versuchten den Neckarwestheim-Castor zu blockieren. Dieser war von der Polizei überstürzt schon am Dienstag auf der Straße ins Kohlekraftwerk Walheim gebracht worden. Eigentlich war diese Etappe erst für Mittwoch oder Donnerstag geplant gewesen. Die Polizei nutzte aus, dass die AtomkraftgegnerInnen mit dem Empfang der Atomlobby in Stuttgart beschäftigt waren.Aktionen in einem Bahnhof waren wieder von massiver Polizei begleitet. Der Zug raste so schnell durch, dass Blockaden nicht möeglich waren.
An anderer Stelle hatten Leute eine Blockade auf den Gleisen vorbereitet. Der Lokführer überfuhr ein internationales Notsignal und reagierte darauf nur mit aggressivem Hupen. Wären die Leute schon auf den Schienen gewesen, hätte es gefährlich werden können. Auch dazu gab es eine Debatte auf Indymedia (6).

Bundesweit gab es etliche Aktionen gegen die Castortransporte an diesem Tage. In Schleswig-Holstein stoppte eine erfolgreiche Ankettaktion den Transport über vier Stunden (7).
Aber überall war die Polizei recht ruppig (8) - so zumindest mein Eindruck aus den Berichten. An mehreren Stellen wurden Menschen durch die Polizeitaktik gefährdet.

Wieso kamen so wenig Menschen nach Stuttgart?
Das kann durch verschiedene Umstände begründet sein. Eine Möglichkeit: Nach wie vor gibt es keinen Anlass, der für die Anti-Atom-Bewegung so mobilisierungsfähig ist wie ein Gorleben-Castor. Vielleicht haben einfach nur die meisten Leute die Atommafia-Tagung nicht als wichtig genug erachtet.

Ein anderes Problem waren die Medien. Es gab - dafür dass es sich um eine Sache bundesweiter Bedeutung handelte - kaum Resonanz auf die Aktionstage. Nur zur Auftaktdemo und zum Castor war das Interesse wieder größer. Unterm Strich war das Medieninteresse ziemlich dürftig.

Die Spaltung der Vorbereitungsgruppe im Vorfeld wird wohl auf die "Massen" keinen großen Einfluss gehabt haben. Nach außen war diese kaum erkennbar. Die negative Stimmung dadurch könnte aber einigen AktivistInnen die Lust zum Agieren genommen haben. Ich glaube auch, dass durch die Trennung in "Bündnis" und "Kreativwiderstand" viele Ressourcen und Aktionsmöglichkeiten verschenkt wurden. Zum Glück gab es dann vor Ort doch eine Zusammenarbeit. Aber die Atmosphäre im Vorfeld fand ich doch sehr belastend.
Da die Ursache - die VS-Vorwürfe gegen Jörg Bergstedt - auch in anderen Anti-Atom-Runden Stimmungen beeinflussen, fände ich es wichtig, diese Sache einmal zielgerichtet anzugehen. Dazu sollten die Vorwürfe klargestellt und Jörg die Gelegenheit zur Erklärung gegeben werden.
Ich fürchte aber, dass die Hauptfrage garnicht ist, ob Jörg dem VS zuspielt (das glaubt wohl kaum jemand wirklich), sondern dass es vielmehr um die Grundsatzauffassung, jeglicher Kontakt mit den staatlichen Repressionsorganen sei verwerflich und die Betreffenden müssten ausgegrenzt werden, geht. Da gibt es verschiedene Argumentationen. Aber der angebliche Konsens der "Linken", es dürfe unter keinen Umständen Kommunikation mit dem VS geben, ist offensichtlich garnicht Konsens, sonst müsste er ja nicht so kontrovers diskutiert werden.
Ein Treffen, bei dem sich alle Interessierten mit diesem Thema auseinandersetzen (und sich anderen Meinungen gegenüber auch tolerant verhalten) sollte unbedingt stattfinden.

In der Mobilisierung, wie sie zur Atommafia-Tagung stattfand, sehe ich noch viel Potential. Ganz konkret hätte versucht werden können, mit Anti-Kapitalismus - Gruppen zusammenzuarbeiten und weitere Zusammenhaenge mit ins Bündnis zu bekommen. Mir scheint, dass unsere Mobilisierung stark auf die Anti-Atom-Bewegung beschränkt war. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich nicht genug Leute an der Vorbereitung beteiligt haben?

Das als subjektive Einschätzung der Aktionstage gegen das Atomforum.

Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Schwaches Bild der Stuttgarter Linken

_rotfront_ 21.05.2002 - 21:20
Viele Leute hab ich vermisst. Es scheint wohl so zu sein, dass jeder nur in seinem eigenen Thema rumhängt und nicht bereit ist, über den Tellerrand zu schauen.
Leute, die sonst auf Friedensdemos, Antifa-Demos etc. immer kommen, waren nicht da.

Zusammenhang herstellen

gegenalles 22.05.2002 - 02:03
es ist in stuttgart nicht gelungen, den zusammenhang herzustellen zwischen den verschiedenen "bewegungen". und das war nicht nur bei den aktionstagen gegen das atomforum in stuttgart so, sondern daran krankt zur zeit der ganze anti-akw-widerstand. frieden-antikapitalismus-umwelt-antirassismus-antiatom: dass dies alles teile eines großesn ganzen sind scheint vielen leuten derzeit nicht klar zu sein. an dem punkt zu arbeiten, da weiterzukommen, scheint mir allerdings wesentlich wichtiger, als darüber zu diskutieren, ob menschen sich mit dem vs unterhalten sollen.