Lesbische Li(e)bensweisen

Gita Tost 14.05.2002 20:21
Von Risiken und Nebenwirkungen der Zweierkisten und real-utopischen Alternativen
„Wer trägt die Schuld an den vielen zerstörten,
glücklosen Ehen unserer Zeit?
In der Regel nicht der Mann, nicht die Frau:
die Ehe trägt die Schuld."
Hedwig Dohm, 1909

Lesben, die wie ich in Westdeutschland geboren wurden und heute "in den besten Jahren" sind, entstammen der Nachkriegsgeneration - also lauter kinderboomenden glücklichen Kleinfamilien der fünfziger und sechziger Jahre. Diese Zeit erlebte einen historischen Exzeß der patriarchalen Familienideologie in der Bundesrepublik. Nie zuvor in der Geschichte Europas hatte es so viele Eheschließungen gegeben, nie war ein ähnlich hoher Prozentsatz von Frauen mindestens einmal im Leben verheiratet, nie wuchsen so viele Kinder (90%) bei ihren leiblichen Eltern auf (Altenhöfer 1999, 16). Denn entgegen weitverbreiteter Vorurteile war historisch gesehen immer nur eine Minderheit der Frauen verheiratet, und die Ehe keineswegs ein so unausweichliches Los aller Frauen, wie uns gerne weisgemacht wird.

Auch ich selbst bin eine Tochter des Babybooms und gerade noch dem Pillenknick entgangen. Die neuen Schönheitsideale und den Schlankheitswahn, dem unsere östrogenüberdosierten Mütter vergeblich hinterherhechelten, kriegten wir schon früh in die Nuckelpulle gefüllt, damit auch wir dereinst einen Mann und Ernährer abbekämen. Wir pubertierten mit Barbiepuppen und Bravo. Und als das Fernsehen endlich farbig wurde, bekamen wir jeden Tag volle Breitseite an Hollywood: "Und sie lebten glücklich bis an ihr seliges Ende".

Im Familienwohnzimmer außerhalb des Bildschirms ging es allerdings anders zu. Wir lernten schnell, was von der Kleinfamilie zu halten ist. Irgendwann dämmerte es auch der Letzten von uns, daß der Vater fremdgeht und dem Alkohol verfällt, daß die Mutter Neurosen kultiviert wie Geranien und daß der Putz von den Fassaden der heilen Welt bröckelt.

Dann kamen die siebziger Jahre und mit ihnen die Neue Frauenbewegung, Die Scheidungsraten stiegen, und Frauen fingen an, sich Gedanken zu machen, was denn da schiefläuft - und sie fanden viele Antworten auf ihre Fragen. Seitdem lehnen viele die Mär vom trauten Glück zu zweit ab. Und doch ist eine Anfälligkeit dafür geblieben: weil wir damit aufgewachsen sind, weil so vieles unterschwellig vermittelt wurde, was uns nicht bewußt ist, weil keine Therapiedauer mit der Halbwertzeit solcher Prägungen mithalten kann, weil der Traum vom Prinzen tiefer sitzt, als manch eine wahrhaben mag. Auch der von der Prinzessin. Wir haben sie alle gründlich verinnerlicht, die Mythen der "Großen Romantischen Liebe".

Junglesben, die Töchter der siebziger und achtziger Jahre sind, haben da oft andere Erfahrungen. Sie wachsen vor einem Hintergrund auf, in dem ein lebenslanges "Sich-um-jeden-Preis-gegenseitig-Ertragen" der Eltern eher die Ausnahme ist als die Regel. Oft leben sie in Patchworkfamilien mit Stiefeltern, Halbgeschwistern oder bei einem alleinerziehenden Elternteil. Die schöne heile Welt der „intakten Kleinfamilie" kennen sie nur vom Hörensagen, und so erscheint ihnen das Gras auf der anderen Seite des Zaunes erstrebenswert, weil grüner als in ihrem eigenen Garten. Außerdem hat die Propaganda in der Zwischenzeit nicht aufgehört. Hollywood & Co. setzen sogar zu immer neuen Höhenflügen und ungeahnten Erfolgsquoten an, seit der existentielle Druck auf die einzelnen durch die Folgen globalisierten Wirtschaftens (z.B. Arbeitslosigkeit, Leistungsdruck, Vereinzelung, Verarmung, Umweltzerstörung) immer größer wird und das kleine private Glück der letzte Lichtstreif am Horizont zu sein scheint. Darum lehnen heute viele junge Frauen und Lesben die Mythen vom Glück zu zweit nicht mehr ab, sondern suchen gläubiger und begieriger danach als ihre Mütter.


Normen und Mythen der traditionellen Zweierbeziehung

Was sind nun diese Mythen genau? Ich denke, wir kennen sie alle [1]: Liebe ist unteilbar, heißt es da. Im Herzen ist nur für eine Person Platz. Wenn ich mehrere Liebesbeziehungen habe, nehme ich damit jeder einzelnen etwas weg und dadurch wird die Liebe weniger, oberflächlicher, unechter. Diese Regel gilt wohlgemerkt und sonderbarerweise nur für sexuelle Beziehungen, nicht aber für Liebe unter FreundInnen, Geschwistern, Eltern und Kindern.

Es gibt eine Traumfrau für mich auf der Welt. Und zwar nur die eine, die einzige. Nur ihr darf und soll ich mein ganzes Herz, meine ungeteilte Liebe schenken. Ich muß so lange suchen, bis ich diese Traumfrau gefunden habe. Wenn es mit ihr schiefgeht, war sie nicht die Richtige, und ich muß weitersuchen. Hierher gehört auch der Glaube an Trennungen, der die Kehrseite der Traumfrau-Medaille ist. Denn wenn eine nicht "die Richtige" war, muß ich diese "Falsche" natürlich erst loswerden, um für die "einzig Wahre" Platz zu schaffen.

Kriterium für die Traumfrau ist die möglichst vollständige Erfüllung all meiner Bedürfnisse durch diese eine Person. Ziel ist die Schaffung einer perfekten Symbiose: eines selbstgenügsamen Systems, das sich nach außen abschottet und nach innen alles regelt. In diesem Zielzustand sollten wir dann möglichst lange bleiben. Dummerweise stellt sich meist ziemlich schnell heraus, daß auch die neueste Flamme das mit der Erfüllung aller Bedürfnisse nicht schafft. Und auch der ursprüngliche Anspruch der Lebenslänglichkeit hat unter den offensichtlichen Realitäten ziemlich gelitten und schrumpft zusehends zusammen. Insofern sind Kompromisse durchaus erlaubt: Die Traumfrau muß wenn schon nicht alle, so doch wenigstens die wichtigsten Bedürfnisse erfüllen. Die weniger wichtigen Bedürfnisse bleiben dabei zwar auf der Strecke, aber diese Entsagung wird dann zum hehren Liebesbeweis umgedeutet, und somit Teil des traumfräulichen Anforderungsprofils. Selbstverständlich bin auch ich selbst Traumfrau von irgendeiner Lesbe und habe dem Anforderungsprofil ebenfalls zu entsprechen.

Weiterhin ist es dem Mythos zufolge ein Zeichen von Reife, Erwachsensein und Verantwortlichkeit, die Traumfrau zu finden und die Entsagungen zu ertragen. Logischerweise sind damit alle, denen es einfach nicht gelingen mag oder die keine Lust haben, sich mit einer Partnerin fürs Leben zu arrangieren, unreif, ungenügend, kindisch, unverantwortlich und irgendwie gestört.

Es besteht Beziehungszwang. Ohne Liebste fehlt dir was. Die Liebesbeziehung ist das wichtigste, das höchste Lebensziel, jede Freundinschaft muß ihr untergeordnet werden. Menschen, die keine Liebesbeziehung haben, sind irgendwie suspekt und geraten in den Geruch der Beziehungsunfähigkeit.

Beziehungsfähigkeit ist überhaupt ein Zauberwort. "Du bist nicht beziehungsfähig!" ist das vernichtendste Urteil, das eine Lesbe einer anderen an den Kopf schmeißen kann. Nur eine, die es schafft, sich der zwangsmonogamen Beziehungsnorm anzupassen, liebt wirklich tief, verbindlich, ehrlich und echt. Alles andere ist angeblich oberflächlich, falsch, unverbindlich, unehrlich und betrügerisch.

Der nächste Mythos verspricht Sicherheit. Vordergründig. Die Frau fürs Leben wird für immer bei dir bleiben. Du mußt nie wieder einsam sein, wenn du sie endlich gefunden hast und das Endziel Zweisamkeitssymbiose erreicht ist. Im Kleingedruckten steht an dieser Stelle zwar eine unauffällige Anmerkung zu Langeweile und lesbischem Bett-Tod - aber wer liest das schon?

Und zu guter Letzt besagt das Selig-bis-ans-Lebensende-Märchen, daß genau hierin unsere tiefste und natürlichste Bestimmung liegt. Unser ultimatives Lebensglück. Wenn eine sich unglücklich fühlt, dann kann es nur am Fehlen der Traumfrau liegen. Natürlich gehört an dieser Stelle eigentlich noch das Kinderkriegen dazu. Ist ja die Natur der Frau - auch der lesbischen Frau, so sie mag. Mittel und Wege lassen sich finden. Aber Baby hin, Gayby her, klar ist, daß Traumfrau und Zweisamkeit das oberste Ziel im Leben sind. Alles andere ist minderwertig, mangelhaft und das Schicksal bedauernswerter Unglücklicher - die aber höchstwahrscheinlich selbst Schuld sind an ihrem Unglück. Bestimmt sind sie beziehungsunfähig. Siehe oben.


Und was hält eine Schlampe davon?

Ich selbst bin eine Sandkastenschlampe [2]. Schon in jungen Jahren fand ich die Spielregeln absurd, nach denen "miteinander gegangen" wurde. Dieses permanente Bäumchen-wechsel-dich, die Einschränkungen und die Enge, die Heimlichtuerei, der Rufmord an allen, die versuchten, aus der Reihe zu tanzen - all das gab mir oft das Gefühl, von der Störchin auf dem falschen Planeten ausgesetzt worden zu sein. Als Schlampe glaube ich nicht an die rosaroten Mythen, die auf dem häßlichen Untergrund aus Besitzdenken und Abhängigkeiten basieren. Meine Liebe möchte Freiheit, und meine Beziehungen sind ein vielfältiges soziales Nett, das nicht auf der Höherbewertung und Exklusivität sexueller Beziehungen beruht.

Ich weiß, daß in meinem Herzen für viele Platz ist. Daß meine liebe nicht dadurch weniger wird, daß ich sie vielen schenke, sondern reicher, weiter, großzügiger. Keiner wird etwas weggenommen, sondern mehr kommt in die Welt. Geteilte Freude ist doppelte Freude.

Ich glaube nicht an die Traumfrau. Keine einzelne Frau kann alle meine Bedürfnisse erfüllen. Weil ich das weiß, muß ich auch keine Geliebte mit diesem übermenschlichen Anspruch unter Druck setzen. Ich bin dafür selbst verantwortlich, meine Bedürfnisse zu kennen und sie mir da zu erfüllen, wo sie erfüllbar sind - ohne Zwang, Druck, Streß und Kampf. Ich kann sogar mit der momentanen Unerfüllbarkeit meiner Wünsche leben, ohne dafür einer anderen die Schuld zu geben.

Wenn mir eine Lesbe ein bestimmtes Bedürfnis nicht erfüllen kann, ist das für mich kein Grund, die Beziehung zu ihr aufzukündigen oder das zu verschmähen, was mir diese Frau sehr wohl geben kann. In diesem Sinne ist jede Geliebte oder Freundin "die Richtige" für mich. Überall, wo etwas fließt, wo eine gemeinsame Ebene entsteht, wo es ein Zusammentreffen und -passen gibt, ein gleiches Interesse, eine Seelenverwandschaft - überall da gedeiht Zuneigung, die vielfältige Gestalten annehmen kann. Überall da ist etwas möglich, kann ich wachsen, lernen, lieben und genießen, ohne meine Gefühle in eine vorgeschriebene Ausdrucksform quetschen zu müssen.

Jede dieser Begegnungen ist einmalig, einzigartig, kostbar. Und es gibt keinen Grund, die eine für die andere zu opfern, sie geringzuschätzen oder gegeneinander aufzurechnen und auszuspielen. Ich will keine Hierarchien in meinen Beziehungen: weder in der Beziehung - zwischen ihr und mir - noch unter den verschiedenen Beziehungen - zwischen „Freundinnen" und "Geliebten".

Gefühle sind weder richtig noch falsch, sondern sie sind einfach. Und genau darin liegt ihre Existenzberechtigung. Es tut nicht gut, sie zu zensieren, zu unterdrücken oder zu mißachten. Trotzdem kann ich mich frei entscheiden, ob und wie weit ich mich auf ein Ausleben und Zeigen meiner Gefühle einlassen will. Ich muß nicht mit einer schlafen, mit der es heftig knistert, aber ich kann. Ich muß nicht den Abend mit einer Liebsten verbringen, die Lust auf mich hat, wenn ich eigentlich viel lieber mit einer anderen Freundin meinen neuesten Artikel über Schlampenliebe diskutieren möchte. Ich muß mir nicht den Frust einer Freundin anhören, wenn ich eigentlich lieber einen ruhigen Abend allein verbringen möchte. Es gibt keinen Grund, mir das Ausleben meiner Gefühle zu verkneifen oder sie in eine bestimmte, vorgeschriebene Richtung zu kanalisieren - mit der "guten Freundin" darf ich z.B. keine erotisch-sinnlichen Erlebnisse haben; mit der "Liebsten" muß ich schlafen. Es gibt keinen Grund für Selbstzensur und masochistische Entsagungen, keinen Grund für Leistungsstreß und Beziehungs-Plansollerfüllung, keinen Grund für den grausamen "Sie-oder-Ich!!"-Entscheidungszwang.

Auch ist es nicht mein Ziel, eine wohltuende Beziehung festzubetonieren und auf ewig zu konservieren. Es gibt kein Endziel "Trautes Heim - Glück allein". Das pseudosichere Dauerglück ist eine Illusion. Leben heißt Bewegung. Beziehungen ändern sich ständig, sind immer anders, immer neu, lassen sich nicht festhalten. Eine einzelne Beziehung kann zum Beispiel erst eine heiße Leidenschaft sein, dann in eine Phase großer Zärtlichkeit oder inniger platonischer Liebe übergehen, kann eine vertraute und verläßliche Freundinschaft werden und vielleicht nach Jahren plötzlich wieder in erotischem Feuer auflodern, ganz überraschend. Oder sie kann eine geistig-intellektuelle Arbeitsbeziehung sein, die zu Zusammenwohnen und enger Verbundenheit führt, ohne jemals sexuell zu sein. Im Unterschied zu HERRkömmlichen Liebesbeziehungen sind meine Schlampenbeziehungen prinzipiell für alle Ausdrucksformen von Verbundenheit offen. Es ist möglich, fließend zwischen diesen Formen zu wechseln. Und es ist wichtig, immer wieder zu prüfen, welche Form von Beziehung, welche Art, meine Zuneigung zu zeigen, im Moment für mich und mein Verhältnis zu dieser Frau stimmig ist, beziehungsweise unsere unterschiedlichen Ansichten darüber immer wieder neu in Übereinstimmung zu bringen (wenn möglich).

Auch glaube ich nicht an Trennungen. Alle Menschen, auf die ich mich näher eingelassen habe, haben mich verändert, haben mein Leben beeinflußt und geprägt. Sie leben weiter als ein Teil von mir, selbst wenn ich sie schon lange aus den Augen verloren habe. Immer noch liebe ich diese eine Lesbe heiß und innig, mit der nie "etwas war" und die schon vor Jahren ausgewandert ist nach Irgendwo. Verbindungen, die einmal entstanden sind, bleiben. Sie bleiben von selbst sehr lang und hartnäckig. Sogar wenn mir das gar nicht paßt. Ich muß dazu nichts tun. Umgekehrt könnte ich mich anstrengen wie ich will, diese Verbindungen zu lösen: ich würde es nicht schaffen. Schaut euch nur einmal um bei den "Trennungsversuchen" in eurer Umgebung, und ihr wißt, was ich meine. Die einzig wohltuende und für mich akzeptable Art von Trennung ist, wenn eine Verbindung sich wie von selbst, ohne Kampf und Krampf, löst, weil die Lebenswege auseinanderlaufen, weil bis zur Neige gelebt wurde, was miteinander lebbar war. Kurz: wenn es stimmig ist und schmerzlos.

Die Zwangswahl "Sie-oder-Ich!", die masochistischen Versuche, enge Verbindungen schlagartig zu kappen, sind für mich Verschwendung von Energie, die sinnvoller darin angelegt wäre, Konflikte zu klären, Enttäuschungen zu verdauen, unerfüllbare Ansprüche und Erwartungen an eine loszulassen, und so einen Abstand zu finden, in dem ein für beide Seiten wohltuender Kontakt möglich ist. Dieses Finden eines angenehmen Abstandes beschränkt sich nicht auf Konfliktsituationen, sondern ist Teil der dauernden Bewegung in meinen Beziehungen. Dieser Abstand kann größer oder kleiner sein, oder ständig wechseln, auch in sehr nahen Liebesbeziehungen. Aber es gibt keinen "Schluß", kein "Es ist aus!", kein "Ich liebe dich ab sofort nicht mehr!" Diese "Endgültige Ende" ist ein Phantom aus der Mythenkiste der Romantischen Liebe fürs Leben.

Weil ich weiß, daß jede Beziehung, auf die ich mich einlasse, "für immer" ist, für immer Teil meines Lebens sein wird, kämpfe ich hartnäckig um jede, die mir viel bedeutet, scheue keine Auseinandersetzung, keinen Konflikt. Auch an den Ausweg, zu einer anderen wechseln und damit die Probleme mit einer loswerden zu können, glaube ich nicht: ich weiß um meinen eigenen Anteil an allen Problemen in Beziehungen, und daß ich vor mir selbst nicht davonlaufen kann. Das Vorurteil, eine freie Liebe in Netzen sei oberflächlich, unverbindlich, unreif, betrügerisch und neurotisch, trifft mich nicht, weil ich weiß, daß meine Liebe ehrlich, echt, ganz, tief, verbindlich, achtsam und verantwortlich ist (so gut ich es vermag). Aber selbst wenn Schlampenliebe all das wäre - was ist schlimm daran, solange alle Beteiligten glücklich sind damit? Selbst mit dem strengsten Maßstab feministischer Radikalität gemessen finde ich einen flüchtigen One-night-Stand, mit dem beide bewußt einverstanden sind - sich also auf einer wirklich gleichberechtigten Ebene treffen - "politisch korrekter" als eine langjährige Abhängigkeitsbeziehung mit extremem Machtgefälle, die nach außen hin vielen vielleicht als normgetreue Idealbeziehung erscheinen mag, nur weil niemand hinter die pseudoheile Fassade sieht.


Risiken und Nebenwirkungen der Zweierkiste [3]

Aus den romantischen Mythen von der Großen Liebe werden in der Realität die bekannten, mehr oder weniger monogamen Zweierbeziehungen. Hinter der rosa Lackschicht lauert ein Abgrund an Risiken und Nebenwirkungen, die uns kein Beipackzettel verrät. Leider hat auch die Neue Frauenbewegung kein Standardwerk verfaßt, das die feministische Kritik an (Hetero)Ehe, Zweierbeziehung und Zwangsmonogamie [4] zusammenfaßt. Allzu klar, allzu selbstverständlich war den frischgeschiedenen oder heiratsunwilligen Lila Latzhosen der siebziger Jahre, was Ehe bedeutet. Doch leider hielten sie es nicht für nötig, diese Selbstverständlichkeiten aufzuschreiben. Trägt eine die verstreuten Diskussionsfetzen heute nachträglich zusammen, merkt sie allerdings, daß diese Warnungen vor dem Kleingedruckten im Ehe- oder Beziehungsvertrag nicht allzuviel an Aktualität verloren haben.

Auf dem dünnen Papier der Gesetzestexte mag sich in der Zwischenzeit manches geändert haben - in der Realität aber kaum. Zwar ist z.B. Vergewaltigung in der Ehe inzwischen strafbar - aber wo bleiben die entsprechenden Anzeigen, geschweige denn Verurteilungen? Zwar kann in der Theorie eine Frau heute auch in der Ehe bzw. Partnerschaft und mit Kindern berufstätig und finanziell unabhängig bleiben (so wie das in der DDR selbstverständlich war), aber in der Praxis ist Frauenarbeit immer noch schlechter bezahlt. Frauen leiden unter der Doppelbelastung und geben verheiratete Frauen nach wie vor meist Namen und Beruf auf. Natürlich freiwillig, emanzipiert und selbstbestimmt.

Was das nun alles mit Lesben und ihren Beziehungen zu tun hat? Leider sehr viel. Denn trotz unseres gesellschaftlichen Status der als "anders" Definierten, so anders sind wir doch wieder nicht. Wir wachsen alle in dieser Gesellschaft auf und lernen deren Normen und Werte. „Lesbians, already out of the mainstream of heterosexual life, still structure their own lives around these archaic and restrictive codes", stellt Judith Stelboum im Lesbian Polyamory Reader fest. "[...] the social values and behavioral modes of the dominant heterosexual community have been firmly implanted within most ofthe lesbian population." [5] (Stelboum 1999, 39; 44)

Betrachten wir im einzelnen, wie es in heutigen lesbischen Zweierbeziehungen aussieht, wird klar, daß viele der typischen Probleme mit dem Lesbischsein nichts zu tun haben, sondern daß sie von Haus aus in der Struktur der Zweierbeziehung angelegt sind. Darum ist es auch nicht verwunderlich, wenn sie uns von hinten kalt erwischen. Ein Wunder ist es eher, wenn sie in einer Beziehung nicht auftauchen.


Symbiose

Die weibliche Sozialisation erzieht uns zur Selbstaufgabe. Wir sollen eigene Interessen immer zurückstellen hinter die Interessen anderer, eigene Bedürfnisse nicht wichtig nehmen, am besten das Gefühl dafür völlig ignorieren. Eigene Verdienste und Leistungen sind kaum der Rede wert, außer wir leisten etwas für andere. Es ist eine Erziehung zur willigen Zuarbeiterin des Mannes: bequem und widerspruchslos ausbeutbar - emotional, wirtschaftlich und sexuell -, mit möglichst wenig Selbstwertgefühl.

Gehen zwei solchermaßen selbstlose Lesben eine enge Beziehung ein, suchen sie häufig in der anderen die Ergänzung, die ihrem Selbst Sinn und Wert verleiht. Sie verschmelzen zu einem Wir, in dem sich die Persönlichkeitsgrenzen der einzelnen auflösen, und reiben sich auf im gegenseitigen Versuch, der anderen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Über diese Phänomene unter Lesben ist schon viel geschrieben worden (z.B. Kornfeld 1991, Loulan u.a. 1992). Hauptsächlich von Psychologinnen und Therapeutinnen. Sogar so viel, daß der verzerrte Eindruck entstand, Symbiose wäre die lesbische Beziehungsform und zugleich die größte Gefahr für lesbisches Liebesglück.

In Wirklichkeit sind nicht die meisten lesbischen Beziehungen symbiotisch. Es war vielmehr so, daß die meisten Pärchen, die in Therapien Hilfe suchten, an Symbiose-Symptomen litten. (Pankratz 1994, 113). Das ist ein feiner, aber bedeutsamer Unterschied, der den Schluß nahelegt, daß enge Symbiose keine wohltuende und zukunftsträchtige Beziehungsform ist, sondern häufig auf der Couch landet.

Dr. Karlein Schreurs kritisiert zurecht, daß die Begründung des Phänomens Symbiose allein mit der geschlechtsspezifischen Erziehung zu kurz greife und andere Einflüsse übersehe. Nicht jede lesbische Beziehung endet notgedrungen in einer solchen Fusion. Der enge Zusammenschluß zweier Lesben in einer feindlichen Umwelt kann auch als eine Art Notwehr betrachtet werden als ein trotziges "Wir gegen den Rest der Welt". [6] Nach dieser Argumentation müßte aber die momentan zu beobachtende zunehmende Sichtbarkeit und gesellschaftliche Akzeptanz von Lesben dazu führen, daß Lesben sich mehr und mehr aus der Aneinanderklammerung lösen und öfter kreative Eigenwege gehen. Der Druck läßt nach. Aber trotzdem gierten noch nie so viele Lesben nach offiziell lizensierten Abhängigkeiten wie heute. Hier geht es offensichtlich um ein Gebiet mit komplexen Wechselwirkungen verschiedener Einflüsse. Realistisch ist es wohl zu sagen, daß die weibliche Sozialisation uns anfällig macht für symbiotisches Fusionieren, aber daß dies kein unabwendbares Schicksal lesbischer Beziehungen ist.


Isolation

Die monogame Zweierbeziehung isoliert und vereinzelt Frauen. Bei Heteras ist das durchaus gewollt, um Frauen hilfloser und unterdrückbarer zu machen. Oft hat die traditionelle Ehefrau keinen eigenen Bekanntenkreis, sondern nur den des Mannes. Manche Mütter haben kaum Kontakt zu anderen Erwachsenen, sondern sind rund um die Uhr mit ihren Kindern beschäftigt - und entsprechen damit auch noch dem Ideal der "guten, aufopferungsvollen Mutter". Mit Außenstehenden wird nicht darüber gesprochen, was innerhalb der Ehe bzw. der Familie geschieht. Die Zweierbeziehung ist ein abgekapselter Raum, der der sozialen Kontrolle entzogen ist. Ein unangetastetes Hoheitsgebiet des Mannes. Auf diesem Nährboden gedeihen Gewalt, Willkür und Machtmißbrauch [7]. Hinzu kommt die Spaltung von Frauen durch das Konkurrieren um einen Ernährer. Auch diese Entsolidarisierung führt zu Isolation. Andere Frauen werden eher als Gefahr denn als Vertrauenspersonen oder mögliche Verbündete betrachtet.

Auch lesbisches Liebesglück zieht sich gerne in die "Privatheit" zurück. Sehr zum Ärgernis engagierter Projektefrauen, die in solchen Fällen meist diagnostizieren: "Wetten, die taucht erst nach der Trennung wieder auf?" Damit behalten sie leider allzuoft recht. Wie schon das Beispiel der Symbiose als Gegenwehr gegen eine feindliche Umwelt zeigte, wirkt hier eine Entsolidarisierung, die jegliches Leiden an Unterdrückung und gesellschaftlichen Mißständen ins Private verlagert. Auch die ewige Jagd nach der Traumfrau ist eine gute Methode, um Lesben beschäftigt zu halten und sie an politischem Engagement und sonstiger Aufmüpfigkeit zu hindern. Dabei hätten Lesben eigentlich ein doppeltes und dreifaches Interesse daran, Isolation aufzubrechen und sich zusammenzuschließen. Viele verlieren beim Coming-out ihre Familie oder Teile ihres Bekanntenkreises - und damit ihren bisherigen sozialen Rückhalt. Wenn es nicht gelingt, dafür einen Ersatz in Form solidarischer Freundinnen und Lesbennetze zu schaffen, verstärkt sich der Druck auf die Zweierbeziehung: die Liebste muß nicht nur Sexpartnerin sein, sondern zugleich beste Freundin und Familienersatz. Bei Schranklesben kommt es vor, daß sie sogar die einzige "Mitwisserin" ist.

Darum hat die Liebesbeziehung für Lesben oft eine noch stärkere Bedeutung als für Heteras. Gerade längerdauernde lesbische Beziehungen geraten häufig unter einen enormen Druck, da sie nach außen hin Vorbildfunktion entwickeln. Zusätzlich zur Isolation durch Abschottung in der privaten Zweisamkeit entsteht dadurch ein weiteres, doppelseitiges Kommunikationstabu: Aus der Beziehung dringt nichts nach außen, was das Bild der heilen Liebeswelt trüben könnte. Auch Außenstehende wollen gar nicht so genau hinter die Fassade schauen, um ihr Idol nicht zu gefährden. Oder sie wagen nicht, die unsichtbare Tabugrenze zu überschreiten und nachzufragen, was in der Beziehung tatsächlich abgeht. Die Frage: "Schlaft ihr eigentlich noch miteinander?" wäre z.B. ein absoluter Faux Pas.

Ein weiterer Grund für die extreme Abschottung vieler lesbischer Pärchen könnte in der potentiellen Gefahr durch Konkurrenz liegen. In der Angst vor der "Anderen", die nur darauf lauert, in unser Liebesglück einzubrechen und die Freundin abspenstig zu machen bzw. uns selbst zu verführen. Darum halten wir gebührenden Abstand zu allen anderen Lesben. Auch um die lesbische Zweierkiste im "My-home-is-my-castle"-Schloß verläuft also ein tiefer Wassergraben. Was in der Burg abgeht, kriegen die umlagernden Freundinnen nur zu einem kleinen Teil mit. Einerseits ist dies ein Schutz, auf der Kehrseite jedoch eine Gefahr.

Die lesbische Zweierbeziehung könnte beschrieben werden als die Vereinbarung, das Schönste und das Scheußlichste ausschließlich miteinander zu teilen: nämlich Sexualität/Lust auf der einen Seite, Psychoabstürze, Depressionen und Traumafolgen auf der anderen. [8]

Gerade mit den heftigsten Problemen bleiben die beiden Liebenden also aus verschiedensten Gründen allein (so ist es z.B. für eine - noch dazu emotional verwickelte - einzelne praktisch unmöglich, Traumasymptomatik alleine abzufangen). Noch dazu können sich diese verschiedenen Faktoren im schlimmsten Fall gegenseitig aufschaukeln: Die Beziehung ist hoffnungslos überfordert vom Anspruch, Ersatzfamilie, Schutzraum und Ausgleich für gesellschaftliche Diskriminierung zu sein - einzig heile Insel in einer kaputten Welt.


Abhängigkeiten

Ich sprach eingangs von der Pseudosicherheit, die der Mythos der Romantischen Liebe verspricht, sobald die Traumfrau fürs Leben gefunden wurde. In Wirklichkeit geht es bei diesem idealen (illusorischen) Endzustand um das Schaffen von Abhängigkeiten. Diese Norm ist eher eine Anleitung zur Ausgestaltung der Beziehung: Sorge für ein Machtgefälle, beteuere ihr, daß du ohne sie nicht leben kannst, binde sie fest mit jeder Fessel, die dir nur einfällt und schaffe dir so eine vermeintliche Pseudosicherheit. Ist sie "für immer dein", mußt du keine Angst mehr haben, verlassen zu werden. Außerdem sparst du dir die Energie für die Beziehungspflege, kannst dich gemütlich im Schaukelstuhl zurücklehnen und bist immun gegen die Wechselfälle des Lebens.

Doch in Wirklichkeit zerstören genau diese Abhängigkeiten viele Beziehungen. Auch bei Lesben gibt es - wie unter Heteras auch - unschöne materielle, emotionale, sexuelle Abhängigkeiten. Wenn uns die Homo-Ehe blüht, kommt dazu sogar noch die Möglichkeit der Abhängigkeit von Leib und Leben, wenn bei bi-nationalen Beziehungen im Trennungsfall Abschiebung und Tod drohen. Und diese Abhängigkeiten haben dieselben zerstörerischen Auswirkungen. Wir sind nicht die besseren Menschen. Auch Lesben greifen gerne auf solche Mechanismen zurück, um sich Pseudosicherheiten zu verschaffen.

Auf der anderen Seite sind wir ebensowenig immun gegen die vordergründige Bequemlichkeit, sich auf Abhängigkeiten einzulassen, die zunächst einen gewissen Nutzen versprechen: sei es das kostenlose Wohnen im Haus der Liebsten, das Arbeiten als ihre Angestellte, das Verzichten auf die Pflege anderer Freundinschaften, weil uns die Liebste alle emotionalen Bedürfnisse erfüllt. Es muß nicht viel passieren, und schon zeigen solche Abhängigkeiten ihr wahres häßliches Gesicht: nach der Trennung ist plötzlich auch die Wohnung weg, die Zusammenarbeit unmöglich geworden, das emotionale Loch unerträglich bis zum psychischen Zusammenbruch.

Oft ist es aber ein eher schleichender Prozeß, in dem viele kleine faule Kompromisse geschlossen werden, die die Autonomie unserer Persönlichkeit untergraben: "Eigentlich habe ich ja keine Lust, heute mit ihr auszugeben, zu schlafen, Sport zu treiben usw., aber wenn ich nein sage, ist sie wieder sauer und redet tagelang nicht mit mir. Na gut, mach ich halt mit." Nach der Trennung gibt es dann das bekannte böse Erwachen, bei dem sich frau selbst in den Arsch beißen möchte dafür, was sie sich in dieser Beziehung alles hat gefallen lassen.


Besitzanspruch

Es mag schon sein, daß Männer Frauen als Objekt und als Besitztum betrachten. Ob es so etwas auch bei Lesben gibt? Nie und nimmer! Uns sind Eifersucht, Bevormundung und Besitzanspruch völlig unbekannt, Problemlos gestehen wir unseren Liebsten jede Autonomie und jeden Freiraum zu und nehmen ihn uns ebenso problemlos selbst heraus ohne Schuldgefühle und schlechtes Gewissen.

Keine von uns muß ihre Liebste bis zur Selbstaufgabe päppeln und reproduzieren, wenn wir keine Lust haben oder es uns selbst gerade nicht so gut geht. Jede Lesbe achtet selbstverständlich auf die Wahrung ihrer eigenen Grenzen und Interessen und verteidigt ihre Autonomie gegen unzulässige Übergriffe aller Art.

Nein, es gibt keine Lesben, die vor Eifersucht ausflippen, öffentliche Eklats provozieren, ihre Liebste erpressen, verdreschen und psychoterrorisieren, und die Isolation der Zweierkiste dazu nutzen, ihre Gewalttätigkeit zu vertuschen. Constanze Ohms muß sich ihr Buch Mehr als das Herz gebrochen - Gewalt in lesbischen Beziehungen aus den Fingern gesaugt haben, weil es so was bei uns nicht gibt!


Erotische Verarmung

Lange Zeit war die Trauungsurkunde ein Freischein für sexuelle Gewalt. Die Frau übertrug damit unwiderruflich dem Mann ganz offiziell und allgemein die Verfügungsgewalt über ihren Körper. Zwar hat sich das auf dem Papier vor einigen Jahren geändert, aber das Denken in vielen Köpfen ist das alte geblieben. Die krassen Erscheinungsformen von Vergewaltigung und Abtreibungsverbot sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Dagegen empört sich wohl jede Lesbe problemlos. Aber wie sieht es in unseren eigenen Beziehungen aus?

Haben wir nicht alle manchmal das Gefühl, einen gewissen, berechtigten Anspruch auf Sex von der Partnerin zu haben, mit der wir eine offizielle Liebesbeziehung haben? Werden wir nicht bereitwillig bedauert, wenn wir jammern, daß sie nie Lust hat? Fühlen wir uns nicht vollkommen im Recht damit, wachsam zu kontrollieren, ob Umarmungen der Liebsten mit ihren Freundinnen nicht zu weit gehen?

Die Feministinnen der siebziger Jahre beklagten eine sexuelle Ausbeutung der Frau. Leider gibt es diese krassen Auswüchse von erzwungenem Sex auch unter Lesben. Allerdings werden sie wohl eher als Ausnahme denn als Regel empfunden. Weiter verbreitet sind wahrscheinlich auch hier wieder die schleichenden Formen: Lesben kennen eher das lustlose "Mitmachen" - analog dem Über-sich-Ergehen-Lassen der "ehelichen Pflichten" - als die brutale Vergewaltigung mit Prügeln.

Zusätzlich sind Lesben von einer extremen erotischen Einschränkung betroffen, die Heteras so nicht kennen. Sie dürfen sehr wohl mit ihren Freundinnen kuscheln; auch heutzutage dauert es ziemlich lange, bis ein Freund bzw. Ehemann Einwände erhebt oder etwa lesbische Umtriebe wittert, so daß der Freiraum einer Hetera hier ziemlich groß ist. Sie kann Zärtlichkeiten und Körperkontakt mit Frauen in aller Unschuld genießen, wo sich Lesben schon längst den Kopfzerbrechen, ob sie das denn noch dürfen oder ob sie damit schon die Liebste "betrügen". Viele Lesben leben eine so einengende Auffassung von Monogamie, daß sie all ihre Bedürfnisse nach Lust, Zärtlichkeit, Sinnlichkeit und Körperkontakt einzig und allein mit ihrer Partnerin ausleben. Vieles kommt dabei logischerweise zu kurz. Die Hetera dagegen schläft mit ihrem Mann, kuschelt mit den Kindern und genießt emotionale Intimität beim Reden und Händchenhalten oder in Umarmung mit ihrer besten Freundin.

Einmal in einer Diskussionsrunde brachte eine Lesbe die Kehrseite der Medaille wunderbar auf den Punkt: "Ohne Beziehung kriegste gar nix!" Der Titel war daher so passend, weil bei Lesben oft nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische und geistige Nähe ausschließlich mit der Partnerin gelebt wird und Intimität zwischen Lesben, die keine "Beziehung" haben, vermieden wird. Ich bin versucht zu ergänzen: Wie soll eine einzige Lesbe all diese Bedürfnisse erfüllen können?

Obwohl Lesben theoretisch einen großen Freiraum zur Entfaltung ihrer Sinnlichkeit, ihrer Lust und ihres Begehrens hätten - ungestört von männlichen Ansprüchen -, schränken sie sich extrem ein und berauben sich ihrer Chancen. Nun wäre dieser Preis vielleicht noch gerechtfertigt, wenn er tatsächlich geeignet wäre, stabile und verläßliche Beziehungen zu schaffen. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall. Eine Untersuchung an getrennten Langzeitpärchen zeigt, daß neben der Unzufriedenheit mit symbiotischer Abhängigkeit vor allem die sexuelle Unzufriedenheit Trennungsgrund war. (Wulfert 1988, 166). Der "lesbische Bett-Tod" in Langzeitbeziehungen ist inzwischen sprichwörtlich.

Umgekehrt zeigte eine Untersuchung von offensichtlich "funktionierenden" Langzeitbeziehungen gutsituierter niederländischer Stadtlesben, daß zwischen "offenen" und "monogamen" Beziehungen keine großen Unterschiede ausgemacht werden können. Das zeigt, daß nicht die sexuelle Treue ausschlaggebend ist für den langfristigen Erfolg der Beziehung, sondern der Grad der emotionalen Intimität (Schreurs II/1994, 109f). Aber auch ohne wissenschaftliche Untersuchungen ist bei einem Blick in die Lesbenszene unschwer zu erkennen, daß bei Trennungen oft eine "Neue" im Spiel ist - sprich, daß eine Lesbe das monogame Paarmuster verläßt, um ihre sexuellen Bedürfnisse mit einer anderen zu befriedigen.


Normdruck

Sobald eine das tut, kommt sie leicht in den zweifelhaften Genuß des Rufmordes. Die Szene läßt sie mitunter sehr schmerzhaft spüren, daß sie die ungeschriebenen Grenzen übertreten hat. Hier gibt es zwar in den verschiedenen Lesbenzusammenhängen große Unterschiede. In den USA soll es in den sechziger und siebziger Jahren sogar Zeiten gegeben haben, als sich unter feministischen Lesben die Norm umkehrte und in monogamen Zweierbeziehungen lebende Lesben plötzlich in einen Rechtfertigungsdruck für ihre Lebensweise kamen. Aber hierzulande wird und wurde immer schon fleißig Doppelmoral gelebt: die Zweierkiste als Goldenes Kalb auf dem Podest, die Affären und "Liebste-wechsel-dich"-Spielchen auf dem Boden. Zwangsmonogamie ist nach wie vor die unangetastete Norm. Ganz wie bei Heteras.

Feministinnen der siebziger Jahre kritisierten an der Ehe, daß sie der Frau fremdbestimmt verordnet werde und einen entscheidenden Bruch in ihrem Lebenslauf bedeutet: Frau verläßt Elternhaus, nimmt den Familiennamen des Mannes, muß künftig alle Eigeninteressen zurückstellen, verliert ihre Identität und wird zur "Frau von Herrn xy". Außerdem sei die Ehe elitär und ausgrenzend. In bestimmten Bereichen kann ein Mann nur Karriere machen, wenn er verheiratet ist; Frau bekommt nur als Ehefrau und Mutter Privilegien bzw. kann vom Status des Ehemannes profitieren; nur Heteras bekommen alle Eheprivilegien etc. Die Ehe wird zur Norm erhoben und schafft Benachteiligungen für alle, die sich dieser Norm widersetzen oder ihr nicht entsprechen. Es werden künstliche Unterscheidungen zwischen liebenden Menschen geschaffen. Auch diese Medaille hat zwei Seiten: jede Bevorzugung einer bestimmten Gruppe hat eine Benachteiligung aller anderen zufolge.

Im Gefolge dieser künstlichen Norm findet sich der entsprechende Anpassungsdruck, der den persönlichen Entscheidungsfreiraum einengt. Dieser Druck arbeitet auf vielen Ebenen: z.B. materiell (in Form von Steuervergünstigungen und niedrigeren Lebenshaltungskosten für Paare), psychisch ("Wann krieg ich endlich Enkelkinder?", "Du bist beziehungsunfähig!"), religiös (die wahre Bestimmung der Frau; alles andere ist Sünde), sozial (Drohung der Familie, soziale Unterstützung zu entziehen), kulturell (siehe Hollywood &. Co.). Hierher gehört auch die Abwertung und Beschimpfung von "Alten Jungfern" und - siehe da! - Lesben.

Ein besonders fieser Trick ist die Naturalisierung der Pärchennorm. An allen Ecken und Enden stoßen wir auf die Beteuerung, Mann und Frau seien füreinander gemacht - ob nun biologistisch, religiös, historisch oder sonstwie begründet. Immer wird so getan, als gäbe es nicht anderes, als wäre es die einzige Möglichkeit und das Selbstverständlichste auf der Welt, daß sich die Menschheit in isolierte Zweiergrüppchen sortiert.

Das Prinzip, willkürlich festgelegte Normen als naturgegeben hinzustellen, ist ein altbewährtes Mittel von Machtinhabern, selbige festzubetonieren und jegliche Hinterfragung oder Kritik zu verhindern. "Die bestehende Form der Ehe und der Kernfamilie wird in unserer Gesellschaft häufig als so selbstverständlich empfunden, daß sie naturalisiert und dem diskursiven Bereich entzogen wird" (Altenhöfer 1999, 9). Ein Instrument der Herrschenden, das wir zur Genüge kennen.

Auf all diesen Mythen und diesem Normdruck liegt, quasi als verschleiernder Zuckerguß, der den ganzen Sud noch schmackhafter machen soll, der historisch jüngste Auswuchs hinterhältiger Manipulationsversuche: die Romantisierung. Milliardenumsätze in der Groschenheft- und Simmelproduktion, nicht zu vergessen die Lesbenkrimis, Rosa Wolken und Cool Water, der Duft des lesbischen Happily-Ever-After. "Der Romantizismus entwickelt sich in direkter Proportion zur Befreiung der Frau vor ihrer Biologie", diagnostizierte Shulamith Firestone (1975, 138). Die romantische Verbrämung der Liebe wird erst als Mittel zur Unterdrückung eingesetzt, seit es den Frauen - vor allem im technologisierten Westen - theoretisch möglich wäre, aus ihrer Rolle auszubrechen.

Eine Begleiterscheinung dieser Idealisierung und Normierung ist die Abwertung aller anderen Beziehungen. Ungeachtet der Tatsache, daß Freundinnenschaften auch unter Lesben meist die längsten, stabilsten und verläßlichsten Beziehungen sind, wird in der Öffentlichkeit kaum ein Wort über sie verloren, kaum ein Schlagertext über sie gedichtet, kaum soziale Anerkennung gewährt, kaum ein Film über sie gedreht, sprich: In keinem Bereich erhalten sie die Beachtung, die ihrer realen Bedeutung im Leben der meisten Frauen eigentlich entsprechen würde. Dies ist die Kehrseite der Überbetonung aller sexuellen Beziehungen bzw. der Romantischen Liebe.

An dieser Stelle eine Frage: Wenn die Liebe fürs Leben so natürlich und so wahnsinnig wichtig ist, warum muß dann so verdammt viel Werbung dafür gemacht werden? Und warum muß mit so viel Normdruck nachgeholfen und mit so vielen Privilegien geködert werden, um Männlein mit Weiblein - und in perfekter Kopie dieses Musters auch Weiblein mit Weiblein - in natürlicher Bestimmung zu vereinen?

- Bubeck, Ilona (Hrsg.); "Unser Stück vom Kuchen ? Zehn Positionen gegen die Homo-Ehe", Querverlag, Berlin, l, Auflage, März 2000

[1] Eine köstliche und absolut empfehlenswerte Satire, die diese Mythen auf den Punkt bringt und humorig auf die Schippe nimmt, ist das sogenannte Bounty-Papier, das Teilnehmerinnen einer futuristischen Gruppe anläßlich einer Hamburger Frauenwoche 1984 schrieben. Aus dem Blickwinkel von Lesben, die in einem Matriarchat des 21. Jahrhunderts lebend zurückblicken, entlarven sie die sonderbaren Regeln, nach denen ihre Ahninnen im 20. Jahrhundert Beziehungen lebten (In: Schäfer, Anke / Lahusen, Kathrin (Hg.): Lesbenjahrbuch 1. Wiesbaden, 1995, S. 62-71)

[2] Analog zum Begriff Sandkastenlesbe = eine, die immer schon ausschließlich Frauen liebte: Sandkastenschlampe = eine, die immer schon außerhalb der Pärchennormen liebte.

[3] Dieser Abschnitt beruht auf dem Vortragsskript Keppler/Tost: Kiste, Chaos, Katzenjammer. 1999

[4] Analog zum Begriff der Zwangsheterosexualität soll der von der Schlampagne geprägte Begriff der "Zwangsmonogamie" ausdrückten, daß Monogamie keine wirklich freigewählte Lebensform sein kann, solange mit gesellschaftlicher Normierung und Privilegierung diese Wahl nachdrücklich beeinflußt und gefordert wird.

[5] Obwohl sich Lesben außerhalb des mainstream-heterosexuellen Lebens befinden, gestalten sie doch ihre eigenen Lebensentwürfe nach diesen veralteten und einengenden Regeln. Die sozialen Werte und die Verhaltensvorschriften der dominanten heterosexuellen Gesellschaft sind auch im Großteil der lesbischen Bevölkerung tief verwurzelt.

[6] Im wissenschaftlichen Jargon: ein "sozial negiertes oder negativ verstärktes Subsystem, das nach außen verhärtet und nach innen auflöst" (Pankratz 1994, 114).

[7] des Mannes gegen Frau und Kinder, aber auch der Mutter gegen die Kinder

[8] Dies war zumindest das Ergebnis der Diskussionen in der "Utopiegruppe" des Regensburger Frauenzentrums 1995/96, auf denen die Inhalte dieses Artikels zum Teil basieren. Diese Gruppe setzte sich u.a. eineinhalb Jahre lang mit der Unzufriedenheit an den eigenen Zweierbeziehungen auseinander.

[9] Seit Frauen wachsenden Zugang zu Berufstätigkeit und Bildung haben und damit ihre materielle Existenz unabhängig vom Mann gestalten könnten, seit Verhütungsmittel allgemein zur Verfügung stehen (seit den sechziger Jahren also) und seit die ersten Frauenbewegungen die Weiber aufmüpfig gemacht haben.

(gefunden in Interim Nr. 544 vom 21.02.2002)
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Ergänzungen

Lesben aller Länder vereinigt euch!

Gundi 14.05.2002 - 20:53

Lesbische Liebe

Anne 14.05.2002 - 22:42
hier zusätzlich noch ein sehr interessanter link zur lesbischen Liebe !!!  http://www.thumbline.com/lesbi/hui/sublimedirectory.html

bin kein traummann

traumpartner sind idealistischer quark 14.05.2002 - 23:16
habe auch keine traumfrau, wir sind trotzdem damit zufrieden und lieben uns. ich möchte nur eine parterin, meine partnerin nur einen partner.
lass uns doch, wir lassen dich doch auch so glücklich werden wie du willst.

antideutsch 15.05.2002 - 04:27
Hallo kein Traummann.
Niemand zwingt Dich, nicht monogam zu leben, wenn Du es so am besten aushälst. Der Text beschreibt eine Lebensform, die versucht, sich nicht an die üblichen Muster von Heterosexualität und Monogamie zu halten, die ja in aller Regel mit einer ganz grässlichen Überfrachtung des/der Geliebten einhergeht und sehr oft eine fürchterlich neurotische, anstrengende und qualvolle Angelegenheit ist.
Für die Leute, die bisher nichts dabei gefunden haben, dass sie halt monogam sind, die, sobald sie sich neu verliebten, in den üblichen Zwiespalt gerieten, sich "entscheiden" zu müssen, kann der Text aber auch mal eine Anregung sein, sich über diese scheinbaren Naturnotwendigkeiten Gedanken zu machen.

Mir hat der Text jedenfalls sehr gut gefallen.


Schwul ist cool, lesbisch auch und meinetwegen sogar hetero!

@ Anne

nelora 15.05.2002 - 13:11
geht's noch?